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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des Muhamet Raci (auch: Raqi) in Wien, geboren am 2. Dezember 1962, vertreten durch Dr. Thomas Prader, Rechtsanwalt in Wien VII, Seidengasse 28, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Juni 1995, Zl. 4.338.667/14-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Jugosl. Föderation", der am 15. Mai 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 22. Juni 1992, mit dem sein Asylantrag abgewiesen worden war, mit Berufung bekämpft.
Nach der mit hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1994, Zl. 93/01/1284, wegen der rechtsirrigen Anwendung des Asylgesetzes 1991 ausgesprochenen Behebung ihres über diese Berufung ergangenen Bescheides vom 10. Mai 1993 wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 6. Juni 1995 die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG neuerlich ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Der Beschwerdeführer hat bei seiner Ersteinvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 7. Juni 1992 angegeben, er sei nie Mitglied der kommunistischen Partei gewesen und habe sich bei der LDK nur als Mitglied, ohne eine Funktion innezuhaben, politisch betätigt; er habe seine Religion frei und ungehindert ausüben können. Befragt zu Vorstrafen führte er an, er sei im Februar 1981 wegen Teilnahme an einer Demonstration für eine selbständige Republik Kosovo zu zwei Monaten unbedingter Haft verurteilt worden. Er habe diese Strafe in der Haftanstalt Pristina verbüßt und sei im April 1981 aus der Haft entlassen worden. Sein Heimatland habe er mit seiner Familie lediglich wegen des herrschenden Bürgerkrieges verlassen. Der Beschwerdeführer habe "hören und feststellen" müssen, daß männliche Personen keinen Einberufungsbefehl erhalten hätten, sondern direkt von der serbischen Miliz abgeholt und zur Bundesarmee gebracht worden seien. Am 10. Mai 1992 habe ihn die serbische Miliz von zu Hause, wo aber nur seine Gattin anwesend gewesen sei, mitnehmen wollen, da er für die serbische Bundesarmee hätte kämpfen sollen. Sein Nachbar, der zu Hause gewesen sei, sei mitgenommen worden. Nachdem seine Gattin ihm von diesem Vorfall erzählt habe, hätten sie sich zur Ausreise entschlossen, weil sie in Frieden leben wollten.
In seiner Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, die bei seiner Einvernahme vorgebrachten Gründe, welche ausschließlich politischer Natur gewesen seien, hätten keine Berücksichtigung gefunden. "Erfolgte Verfolgungen" und begründete Furcht vor weiteren Verfolgungen oder Benachteiligungen aus politischen Gründen hätten ihn zum Verlassen seines Heimatlandes gezwungen.
Die belangte Behörde hat die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers damit begründet, daß die Einberufung zum Militärdienst bzw. die Verweigerung, diesen abzuleisten, aber auch die Furcht vor einer aus diesen Gründen drohenden Strafe nicht als asylbegründende Tatsachen angesehen werden könnten. Im Zusammenhang damit stellte die belangte Behörde die Praxis der jugoslawischen Militärbehörden bei der Einberufung dar und verwies darauf, daß weder bei der Einberufung noch bei der Strafverfolgung an ethnischen Kriterien anknüpfende Unterscheidungen getroffen würden. So seien, obwohl die Zahl der Deserteure und Refraktäre in die Zehntausende gehe und formell Anklage erhoben worden sei, erst rund hundert Prozesse tatsächlich durchgeführt worden, wobei den Urteilen keine Anhaltspunkte entnommen werden könnten, daß ethnische Kriterien beim Strafausmaß eine entscheidende Rolle gespielt hätten.
Der belangten Behörde ist darin beizupflichten, daß die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls, sei es durch Desertion - nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling rechtfertigt. Der Verwaltungsgerichtshof geht allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründe erfolgt, in denen damit gerechnet werden müßte, daß ein Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Gruppierungen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, daß dem Asylwerber aus diesen Gründen eine - im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen - härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung droht (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A). Anders als in dem Fall, der dem angeführten Erkenntnis des verstärkten Senates zugrunde lag, hat der Beschwerdeführer weder bei seiner Ersteinvernahme noch in seiner Berufung Ausführungen, die auf das Vorliegen von in dem Versuch, ihn zur Ableistung des Militärdienstes abzuholen, liegender Verfolgung im Sinne obiger Judikatur hindeuten würden, gemacht und insbesondere aus seiner Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe nicht abgeleitet, er müsse wegen dieser Volkszugehörigkeit Verfolgung während der Ableistung des Militärdienstes befürchten. Soweit er in diesem Zusammenhang in der Beschwerde geltend macht, die belangte Behörde habe ihren Ausführungen über die Praxis der Einberufung und der Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung Ermittlungsergebnisse zugrunde gelegt, die dem Parteiengehör nicht unterzogen worden seien, ist ihm zwar zuzustimmen, doch kann daraus für den Beschwerdeführer nichts gewonnen werden, weil er es unterlassen hat, von sich aus Gründe im Sinne der angeführten Judikatur im Verwaltungsverfahren anzuführen. Das solche Gründe nicht enthaltende Vorbringen im Verwaltungsverfahren war Grundlage des angefochtenen Bescheides, wobei der Umstand, daß die belangte Behörde über die Darstellung der Rechtslage und Rechtsprechung zur Frage der asylrechtlichen Relevanz einer Wehrdienstverweigerung hinaus auch noch auf die im Heimatland des Beschwerdeführers in dieser Hinsicht herrschende Praxis eingegangen ist, Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht nach sich ziehen kann.
Zum Vorwurf des Beschwerdeführers, die belangte Behörde sei auf von ihm "im Zuge des Verfahrens" beigebrachte Urkunden über eine Vorladung zum Gemeindegericht in Pristina in Strafsachen nicht eingegangen, ist zunächst festzuhalten, daß nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten eine solche Bestätigung lediglich zusammen mit der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 10. Mai 1993 dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Wenn auch die belangte Behörde nach dem Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel (vgl. Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts6, Rdz. 329) nicht gehindert gewesen wäre, diese erst im (ersten) verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigebrachten Urkunden im fortgesetzten Verwaltungsverfahren zu verwerten, kann daraus, daß sie das nicht getan hat, ein wesentlicher, zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führender Verfahrensmangel nicht abgeleitet werden, führt doch der Beschwerdeführer selbst nicht an, inwieweit diese Vorladung überhaupt mit einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Asylgründe in Zusammenhang stehen könnte.
Soweit der Beschwerdeführer auf die von ihm geltend gemachte Bestrafung im Jahre 1981 wegen Teilnahme an einer Demonstration Bezug nimmt, ist zwar festzuhalten, daß die belangte Behörde auf dieses Vorbringen nicht ausdrücklich eingegangen ist. Im Hinblick auf den bei einer so großen zeitlichen Distanz zum Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers mangelnden zeitlichen Konnex mit den für die Ausreise unmittelbar ins Treffen geführten Argumenten - wobei der Beschwerdeführer diese Bestrafung in der Erstbefragung gar nicht als Fluchtgrund angeführt hat - kann aber auch aus dieser Unterlassung ein wesentlicher Verfahrensmangel nicht abgeleitet werden.
Unter Bedachtnahme darauf, daß der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung angegeben hat, er habe der LDK lediglich als einfaches Mitglied angehört, und in der Berufung geltend gemachte politische Verfolgung in keiner Weise konkretisiert hat, kann der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie die bloße Mitgliedschaft bei dieser Organisation als für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht ausreichend gewertet hat.
Die sich sohin als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Beweismittel Urkunden Grundsatz der Unbeschränktheit Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung BeweismittelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995010252.X00Im RIS seit
20.11.2000