Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** & S***** Partnership, *****, vertreten durch die Schindler Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 374.032,45 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 2. März 2020, GZ 2 R 165/19b-32, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 30. September 2019, GZ 65 Cg 63/18a-27, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.095,10 EUR (darin enthalten 515,85 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1. Das Berufungsgericht qualifizierte die zwischen den Parteien abgeschlossenen Geschäfte als – als solche § 1271 ABGB unterliegende – Differenzgeschäfte. Es ließ die ordentliche Revision mangels Rechtsprechung zur – vom Berufungsgericht verneinten – analogen Anwendbarkeit des § 1 Abs 5 BWG oder § 51 BörseG 2018 (bzw § 28 des vorherigen BörseG; Anm) auf zwischen Unternehmern (außerhalb der unmittelbaren Anwendungsbereiche dieser Sondervorschriften) abgeschlossene Differenzgeschäfte zu.
Diese Rechtsfrage wurde jüngst vom Obersten Gerichtshof in der einen wesensgleichen Anspruch der auch hier Klägerin gegen die dort beklagte Muttergesellschaft der hier Beklagten betreffenden Fall 4 Ob 80/20y beantwortet (Pkt 3 bis 3.4 jener Entscheidung). Der 4. Senat verneinte mit eingehender Begründung eine (analoge) Anwendung der in Rede stehenden sondergesetzlichen Vorschriften für Bank- und Börsegeschäfte in dem – auch hier vorliegenden – Fall, dass außerhalb der durch das BWG und das BörseG unmittelbar geregelten Geschäftsbereiche Differenzgeschäfte getätigt werden.
Im Anwendungsbereich des § 502 Abs 1 ZPO ist das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112769 [T9]). Eine Rechtsfrage ist demnach nicht mehr erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO, wenn zu ihr bereits Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs – wenngleich erst nach der Entscheidung des Berufungsgerichts – ergangen ist (vgl RS0112769).
2. Das Berufungsgericht ließ die Revision weiters mit der Begründung zu, es fehle oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Reichweite von Aufklärungspflichtverletzungen im Zusammenhang mit Differenzgeschäften.
Bei einer Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten kann – bei Vorliegen der Voraussetzungen – der Vertrauensschaden geltend gemacht werden. Der Geschädigte kann verlangen, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn er ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre (vgl RS0016374; RS0108267).
Die Klägerin macht mit ihrer Klage aber keinen Vertrauensschaden, sondern das Erfüllungsinteresse geltend. Sie nahm nämlich im Verfahren den Standpunkt ein, dass unter Berücksichtigung der zwischen den Parteien bereits erfolgten Zahlungen (hierunter eine Zahlung der Klägerin in großer Höhe, nachdem das allererste Differenzgeschäft für sie einen großen Verlust gebracht hatte; Anm) die Geschäfte letztendlich zu einem – von ihr mehrfach so bezeichneten – „Guthaben“ ihrerseits in Höhe von 374.032,45 EUR geführt haben. Diesen Guthabensbetrag forderte sie mit ihrer Klage. Die Klägerin warf dabei der Beklagten vor, sich zu Unrecht zu weigern, dass ihr „zustehende Guthaben aus abgeschlossenen und vollständig abgewickelten Geschäften auszubezahlen“ (ON 5 Seite 4). Für den Fall, dass es sich tatsächlich um ein unzulässiges Differenzgeschäft handeln sollte und damit der Differenzeinwand der Beklagen greife, erklärte die Klägerin, dass „ihr in Höhe der rechtsgeschäftlich vereinbarten Zahlungen ein Schadenersatzanspruch zu[steht], weil sie diesfalls von der beklagen Partei arglistig über die Undurchsetzbarkeit ihrer Auszahlungsansprüche getäuscht worden wäre“ (ON 5 Seite 6). Dass die Klägerin mit Schriftsatz ON 20 erklärte, der Klagsbetrag setze sich „fast ausschließlich aus dem Restbetrag der Einzahlung vom 2. 7. 2014 zusammen [die bereits erwähnte Verlustabdeckung; Anm], mit welcher in den Folgejahren diverse Transaktionen (Kauf und Verkauf von Forwards auf Rohstoffe) getätigt wurden“, ändert nichts daran, dass die Klägerin so gestellt werden möchte, wie sie stünde, wären die getätigten Geschäfte nicht nur rechtsgültig, sondern begründeten sie auch einen einklagbaren Anspruch. Auch in ihrer Revision (Seite 2) erklärt die Klägerin, dass es im vorliegenden Fall „um die Rückforderung eines bei der beklagten Partei erliegenden Guthabens der klagenden Partei“ geht.
Das damit – weiterhin – geltend gemachte Erfüllungsinteresse kann gerade nicht wegen einer Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten gefordert werden (vgl dazu 4 Ob 117/15g [Pkt 3.2]). Der vom Berufungsgericht als erheblich betrachteten Rechtsfrage kommt damit keine Entscheidungsrelevanz zu.
3. Die Klägerin berief sich in erster Instanz nicht ausdrücklich darauf, dass der Differenzeinwand der Beklagten rechtsmissbräuchlich sei. Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, dass die Klägerin auch nicht das für den Rechtsmissbrauchseinwand erforderliche sachliche Substrat unterbreitet habe, weshalb es die Begründung des Erstgerichts für die Klagsstattgebung, die Berufung der Beklagten auf den Differenzeinwand sei rechtsmissbräuchlich, als verfehlt wertete. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts ist entgegen der Zulassungsbeschwerde nicht korrekturbedürftig.
Rechtsmissbrauch ist nur über entsprechenden Einwand aufzugreifen (RS0016519 [T4]). Dazu muss zwar das Wort Rechtsmissbrauch (oder Schikane) nicht verwendet werden, sehr wohl aber jedenfalls ein entsprechendes Vorbringen erstattet werden (vgl RS0016519; Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1295 Rz 169a).
Die Klägerin beruft sich in der Revision um darzutun, dass sie bereits in erster Instanz ein den Einwand des Rechtsmissbrauchs mittragendes Vorbringen erstattet habe, auf ihre dort vertretene Ansicht, dass „es nicht die ernsthafte Absicht der beklagten Partei gewesen sein [kann], zivilrechtlich als Differenzgeschäfte inkriminierte Transaktionen mit der klagenden Partei abzuschließen und sich anschließend auf eine vermeintliche Undurchsetzbarkeit zu berufen“ (ON 5 Seite 6). Eine solche Absicht kann zwar möglicherweise dazu führen, dass man verpflichtet ist, den anderen über sie in Kenntnis zu setzen, was – weil wie bereits erörtert die Klage nicht auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichtet ist – hier offen bleiben kann. Aus der besagten Absicht kann aber nicht die Rechtsmissbräuchlichkeit der Berufung auf die Unklagbarkeit des Geschäfts abgeleitet werden. Es liegt im Wesen des § 1271 ABGB, dass man es mit einem gültigen Rechtsgeschäft zu tun hat, auf dessen Erfüllung nur eben nicht – außer der bedungene Preis wurde „wirklich entrichtet oder hinterlegt“, was beides im vorliegenden Fall nicht behauptet wurde und auch nicht ersichtlich ist – geklagt werden kann. Dadurch steuert der Gesetzgeber solchen Geschäften (Spiele und Wetten) entgegen (idS 10 Ob 504/95; 5 Ob 2201/96d; Stefula in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 §§ 1270-1272 ABGB Rz 70 mwN).
In der Revision möchte die Klägerin weiters ihr Vorbringen in erster Instanz, dass die Beklagte „nun plötzlich den Differenzeinwand für sich 'entdeckt' haben und jahrelang nie in Zweifel gezogene, vertragliche Zusagen gegenüber der klagenden Partei nicht honorieren [will]“ (ON 20 Seite 8), als hinreichendes Vorbringen für den Einwand des Rechtsmissbrauchs gewertet wissen und verweist zudem auf die Feststellung, dass die Beklagte und die mit ihr verbundenen Gesellschaften in der Vergangenheit nie den Differenzeinwand erhoben (Ersturteil Seite 11). Dabei übersieht die Klägerin, dass ein Verzicht auf die Einwendung der Unklagbarkeit nicht möglich ist (8 Ob 300/62 = SZ 35/103; 5 Ob 2201/96d; Stefula in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 §§ 1270–1272 ABGB Rz 73 mwN). Aus der Nichtinanspruchnahme des Einwands in der Vergangenheit kann demnach auch nicht abgeleitet werden, dass es jetzt rechtsmissbräuchlich sei, den Einwand zu erheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Textnummer
E129193European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0090OB00035.20T.0729.000Im RIS seit
05.10.2020Zuletzt aktualisiert am
05.10.2020