Entscheidungsdatum
16.07.2020Norm
BAO §112 Abs3Text
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Hofrat Mag. Röper als Einzelrichter im Zusammenhang mit der Beschwerde des Herrn A, vertreten durch Herrn B, beide ***, ***, vom 11. Juni 2020 gegen den Bescheid des Vorstandes des Gemeindeverbandes für Aufgaben des Umweltschutzes im Bezirk *** vom 29. Mai 2020, ohne Zahl, mit dem die Berufung des Herrn A vom 6. Oktober 2019 gegen die Erledigung des Obmannes des vorerwähnten Gemeindeverbandes vom 20. September 2019 betreffend die Einmahnung offener Abgabenbeträge nach dem NÖ Seuchenvorsorgeabgabengesetz als unzulässig zurückgewiesen wurde, den
BESCHLUSS
gefasst:
1. Über Herrn B wird gemäß § 112 Abs. 2 und 3 BAO eine Ordnungsstrafe in der Höhe von € 300,- wegen beleidigender Schreibweise in der Beschwerde vom 11. Juni 2020 gegen den Bescheid des Vorstandes des Gemeindeverbandes für Aufgaben des Umweltschutzes im Bezirk *** vom 29. Mai 2020, ohne Zahl, verhängt.
2. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Zahlungshinweis:
Der Betrag von € 300,- ist gemäß §§ 210 Abs. 1 iVm 97 Abs. 1 lit. a BAO binnen eines Montes ab Zustellung dieses Beschlusses mit beiliegendem Zahlschein einzuzahlen.
Begründung:
1. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:
1.1.
Mit Erledigung des Obmannes des Gemeindeverbandes für Aufgaben des Umweltschutzes im Bezirk *** vom 20. September 2019, Rechnungs-Nr. *** bzw. Kunden-Nr. ***, wurden offene Abgabenbeträge nach dem NÖ Seuchenvorsorgeabgabengesetz gegenüber Herrn A als Eigentümer der Grundstücke Nr. *** und . ***, beide inneliegend in der EZ *** des Grundbuches ***, mit der topographischen Anschrift ***, ***, eingemahnt.
1.2.
Mit Eingabe vom 6. Oktober 2019 beantragte Herr A im Wege seines Vertreters, Herrn B, die Aussetzung der Einhebung und stellte zudem einen „Antrag auf Bescheidbegründung.
1.3.
Mit Bescheid des Vorstandes des Gemeindeverbandes für Aufgaben des Umweltschutzes im Bezirk *** vom 29. Mai 2020, ohne Zahl, wurde die als Berufung des Herrn A gewertete Eingabe vom 6. Oktober 2019 mangels Vorliegens eines bekämpfbaren Rechtsaktes als unzulässig zurückgewiesen.
1.4.
Mit E-Mail vom 11. Juni 2020 erhob Herr A, vertreten durch Herrn B, Beschwerde gegen den vorerwähnten Zurückweisungsbescheid vom 29. Mai 2020 und beantragte die ersatzlose Aufhebung desselben wegen sachlicher Unzuständigkeit. Weiter wurde, soweit für die Sache relevant, ausgeführt, dass der Begründungsantrag vom 6. Oktober 2019 nicht als Berufung zu werten (gewesen) wären, weshalb dem Vorstand des Gemeindeverbandes für Aufgaben des Umweltschutzes im Bezirk *** insofern auch keine Kognitionsbefugnis zur Zurückweisung derselben zugekommen sei. In der Betreffzeile bezeichnete Herr B für bzw. in Vertretung von Herrn A den angefochtenen Zurückweisungsbescheid vom 29. Mai 2020 – ohne Kursivschrift bzw. Unterstreichungen – als „extrem kranke Reaktion eines Antrages auf Bescheidbegründung […], der vom […] Vorstand absichtlich falsch als Berufung/Rechtsmittel gewertet“ worden sei. Überdies monierte Herr B neben Willkür und – wie oben erwähnt – sachlicher Unzuständigkeit auch einen angeblichen „Amtsmißbrauch“, warf dem von ihm als „Sachbearbeiter“ bezeichneten Herrn C vor, „besonders originell sein“ und seinen Vorgänger, Herrn D, „um eine 10-er Potenz übertreffen“ zu wollen, und brachte seinen Unmut über die Vorgangsweise des zuerst Genannten derart zum Ausdruck, dass er meinte, diese könne nicht (nur) durch „Inkompetenz“ geprägt (gewesen) sein, da „[s]o etwas […] nicht einmal ein C-Beamter mit Dienstprüfung und 2 Jahren spezifischer Erfahrung zusammen“ bringe. Herr B umschrieb das bisherige Verwaltungsgeschehen als „Hintreten mit Füßen auf den bereits auf den (sic!) Boden liegenden und blutenden Rechtsstaat aus Willkür und Spaß am Verarschen des Bürgers“. Weiters bezeichnete Herr B den Spruch des angefochtenen Zurückweisungsbescheides als „pathologisch“, die Rechtsmittelbelehrung als „nicht weniger irre“ und meinte, die Berufungsbehörde, also der Vorstand des gegenständlichen Gemeindeverbandes, führe ihre Existenz „selbst ad absurdum“, widrigenfalls „die 10 Bürgermeister“ den angefochtenen „Verwaltungsakt“, also den Zurückweisungsbescheid vom 29. Mai 2020, „diesen (sic!) C so lange um die Ohren gehaut“ hätten, „bis davon nicht (sic!) mehr da ist“.
1.5. Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt ergibt sich aus dem vom Vorstand des gegenständlichen Gemeindeverbandes vorgelegten Verwaltungsakt zur Kunden-Nr. *** – bzw. in concreto Rechnungs-Nr. *** – sowie der von Herrn B für bzw. in Vertretung von Herrn A verfassten Beschwerde vom
11. Juni 2020.
2. Anzuwendende Rechtsvorschriften:
2.1. Bundesabgabenordnung – BAO:
Anwendungsbereich des Gesetzes
§ 1. (1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) sowie der auf Grund unmittelbar wirksamer Rechtsvorschriften der Europäischen Union zu erhebenden öffentlichen Abgaben, in Angelegenheiten der Eingangs- und Ausgangsabgaben jedoch nur insoweit, als in den zollrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist, soweit diese Abgaben durch Abgabenbehörden des Bundes, der Länder oder der Gemeinden zu erheben sind.
§ 2a. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten sinngemäß im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, soweit sie im Verfahren der belangten Abgabenbehörde gelten. In solchen Verfahren ist das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht anzuwenden. § 54 VwGVG gilt jedoch sinngemäß für das Verfahren der Verwaltungsgerichte der Länder.
§ 3. (1) Abgaben im Sinn dieses Bundesgesetzes sind, wenn nicht anderes bestimmt ist, neben den im § 1 bezeichneten öffentlichen Abgaben und Beiträgen auch die im § 2 lit. a und c angeführten Ansprüche sowie die in Angelegenheiten, auf die dieses Bundesgesetz anzuwenden ist, anfallenden sonstigen Ansprüche auf Geldleistungen einschließlich der Nebenansprüche aller Art.
(2) Zu den Nebenansprüchen gehören insbesondere
…
c) die im Abgabenverfahren auflaufenden Kosten und die in diesem Verfahren festgesetzten Zwangs-, Ordnungs- und Mutwillensstrafen, Verwaltungskostenbeiträge sowie die Kosten der Ersatzvornahme,
…
F. Erledigungen.
§ 97. (1) Erledigungen werden dadurch wirksam, daß sie demjenigen bekanntgegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Die Bekanntgabe erfolgt
a) bei schriftlichen Erledigungen, wenn nicht in besonderen Vorschriften die öffentliche Bekanntmachung oder die Auflegung von Listen vorgesehen ist, durch Zustellung;
J. Zwangs-, Ordnungs- und Mutwillensstrafen
§ 112. (1) Das Organ einer Abgabenbehörde, das eine Amtshandlung leitet, hat für die Aufrechterhaltung der Ordnung und für die Wahrung des Anstandes zu sorgen.
(2) Personen, die die Amtshandlung stören oder durch ungeziemendes Benehmen den Anstand verletzen, sind zu ermahnen; bleibt die Ermahnung erfolglos, so kann ihnen nach vorausgegangener Androhung das Wort entzogen, ihre Entfernung verfügt und ihnen die Bestellung eines Bevollmächtigten aufgetragen oder gegen sie eine Ordnungsstrafe bis 700 Euro verhängt werden.
(3) Die gleiche Ordnungsstrafe kann die Abgabenbehörde gegen Personen verhängen, die sich in schriftlichen Eingaben einer beleidigenden Schreibweise bedienen.
(4) Die Verhängung einer Ordnungsstrafe schließt die strafgerichtliche Verfolgung wegen derselben Handlung nicht aus.
(5) Gegen öffentliche Organe, die in Ausübung ihres Amtes als Vertreter einschreiten, und gegen Bevollmächtigte, die zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugt sind, ist, wenn sie einem Disziplinarrecht unterstehen, keine Ordnungsstrafe zu verhängen, sondern die Anzeige an die Disziplinarbehörde zu erstatten.
A. Fälligkeit, Entrichtung und Nebengebühren im Einhebungsverfahren.
1. Fälligkeit und Entrichtung.
§ 210. (1) Abgaben werden unbeschadet der in Abgabenvorschriften getroffenen besonderen Regelungen mit Ablauf eines Monates nach Bekanntgabe (§ 97) des Abgabenbescheides fällig. Wenn bei mündlicher Verkündung eines Bescheides auch eine schriftliche Ausfertigung zuzustellen ist, wird die Monatsfrist erst mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung in Lauf gesetzt.
2.2. Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG:
§ 25a. (1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
(2) Eine Revision ist nicht zulässig gegen:
1. Beschlüsse gemäß § 30a Abs. 1, 3, 8 und 9;
2. Beschlüsse gemäß § 30b Abs. 3;
3. Beschlüsse gemäß § 61 Abs. 2.
(3) Gegen verfahrensleitende Beschlüsse ist eine abgesonderte Revision nicht zulässig. Sie können erst in der Revision gegen das die Rechtssache erledigende Erkenntnis angefochten werden. …
(5) Die Revision ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.
3. Würdigung:
3.1. Zur Verhängung einer Ordnungsstrafe wegen beleidigender Schreibweise:
3.1.1. Grundsätzliches:
Vorauszuschicken ist, dass die Verhängung von Ordnungsstrafen für das (allgemeine administrative) Verwaltungsverfahren regelnde Bestimmung des § 34 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) mit Ausnahme der in Abs. 2 angedrohten Höhe derselben von bis zu € 726,- der entsprechenden, hier maßgeblichen Norm für das Abgabenverfahren, nämlich § 112 BAO, in dessen Abs. 2 eine Ordnungsstrafe von bis zu € 700,- Euro angedroht ist, wort- und sinngleich ist. Die zu § 34 AVG ergangene Judikatur ist dementsprechend auch für § 112 BAO einschlägig bzw. auf diese Bestimmung grundsätzlich anwendbar.
3.1.2. Zur Zuständigkeit der Verhängung einer Ordnungsstrafe:
Zur Verhängung einer Ordnungsstrafe wegen beleidigender Schreibweise ist jene Behörde zuständig, welche die Eingabe zu erledigen oder sonst in Verhandlung zu nehmen hat (vgl. VwSlg. 12.429 A/1987). Gemäß § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde im Sinne des § 278 leg.cit. nicht als unzulässig und/oder verspätet zurückzuweisen oder als gegenstandslos und/oder als zurückgenommen zu erklären ist, über (Bescheid-) Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG immer in der Sache selbst zu entscheiden. Die gegenständliche Beschwerde vom 11. Juni 2020 gegen den Bescheid des Verbandsvorstandes des Gemeindeverbandes für Aufgaben des Umweltschutzes im Bezirk *** vom 29. Mai 2020 ist durch das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zu erledigen gewesen, sodass diesem dementsprechend auch Kognitionsbefugnis hinsichtlich der Verhängung einer Ordnungsstrafe im Sinne des § 112 Abs. 2 und 3 BAO wegen beleidigender Schreibweise in der Beschwerde zukommt.
3.1.3.
In diesem Zusammenhang sei auch noch darauf hingewiesen, dass im Verfahrensregime des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes 2014 (VwGVG) in § 25 leg.cit. hinsichtlich des Ganges der Verhandlung normiert ist, dass dem Senatsvorsitzenden bzw. dem Einzelrichter unter anderem die Aufgaben der Sitzungspolizei gemäß §§ 34 ff AVG, sofern diese Bestimmungen gemäß
§ 17 VwGVG sinngemäß anwendbar sind, zukommen. Die Verhängung einer Ordnungsstrafe nach § 34 Abs. 2 und 3 AVG hat in einem solchen Fall durch verfahrensrechtlichen Bescheid zu erfolgen (Hellbling 231; Mannheimer/Quell AVG § 34 Anm 3; vgl. auch VwGH 19. August 1988, 85/12/0210). Der in diesem Sinn „Bestrafte“ kann gegen einen solchen Bescheid im Allgemeinen mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht, im Falle der Erlassung durch die erste Gemeindeinstanz zunächst grundsätzlich mit Berufung vorgehen. Analoges muss für die Verhängung einer Ordnungsstrafe durch das Verwaltungsgericht selbst gelten
(vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 34 Rz 12). Es handelt sich also dabei um einen – gemäß Art. 144 B-VG beim Verfassungsgerichtshof und gemäß Art. 133 B-VG (im Rahmen der Revisionsschranken seines Abs. 4) beim Verwaltungsgerichtshof – unmittelbar anfechtbaren (nicht bloß verfahrensleitenden) Beschluss (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, VwGVG § 25 Anm 8).
Eine Ordnungsstrafe ergeht demnach in der Form eines schriftlich auszufertigenden und zu begründenden Beschlusses, der auch eine Rechtsmittelbelehrung zu enthalten hat (vg. Moser in Raschauer/Wessely (Hrsg), VwGVG § 25 Rz 11). Selbiges muss auch im Verfahrensregime der BAO gelten, in welchem ebenfalls dem Senatsvorsitzenden bzw. dem Einzelrichter die Aufgaben der Verhandlungsleitung sowie der Verfahrenspolizei obliegen (vgl. § 275 leg.cit).
3.1.4.
Unter einer Eingabe im Sinne des § 34 Abs. 3 AVG ist ein schriftliches Anbringen gemäß § 13 leg.cit. zu verstehen, wobei Voraussetzung für die Strafbefugnis der Behörde ist, dass das AVG auf die betreffende Eingabe überhaupt Anwendung findet und sich auf eine mit Bescheid zu erledigende Angelegenheit bezieht (vgl. VwGH 2008/09/0344). Entsprechendes gilt im Anwendungsbereich der BAO, der sich gemäß § 1 Abs. 1 leg.cit. auf Angelegenheiten unter anderem der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und der Gemeinden) erstreckt, wozu, wie im gegenständlichen Fall, auch die Vorschreibung bzw. Mahnung betreffend Abgaben nach dem NÖ Seuchenvorsorgeabgabengesetz gehören.
Anfechtungsgegenstand der von Herrn B vertretungsweise verfassten Beschwerde vom 11. Juni 2020 ist der Bescheid des Vorstandes des Gemeindeverbandes für Aufgaben des Umweltschutzes im Bezirk *** vom 29. Mai 2020, mit dem eine als Berufung gewertete Eingabe des Herrn A, gegen eine Mahnung des Verbandsobmannes des Gemeindeverbandes für Aufgaben des Umweltschutzes im Bezirk *** vom 20. September 2019 betreffend offener Abgabenbeträge nach dem NÖ Seuchenvorsorgeabgabengesetz und weitern Abgaben als unzulässig zurückgewiesen worden war.
3.1.5.
Die Bestimmungen der §§ 34 Abs. 3 AVG bzw. 112 Abs. 3 BAO stellen einen Eingriff in das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung im Sinne der Art. 13 StGG und Art. 10 EMRK dar, sind jedoch als solche zur Aufrechterhaltung der Ordnung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig und daher im Hinblick auf die Gesetzesvorbehalte dieser Verfassungsbestimmungen unbedenklich (vgl. VfGH vom 14. Oktober 1976, B 200, 314, 315, 405/75). §§ 34 Abs. 3 AVG bzw. 112 Abs. 3 BAO sind jedoch bei der Verhängung einer solchen Ordnungsstrafe im Einzelfall – bei sonstiger Gesetzes- und Grundrechtswidrigkeit des Bescheides – im Lichte dieses Vorbehaltes und des darin normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auszulegen (vgl. VwGH 2008/09/0344). Der – verhältnismäßig vage – unbestimmte Rechtsbegriff der beleidigenden Schreibweise erlaubt es nämlich, eine Gesetzesverletzung nur dann anzunehmen, wenn die Notwendigkeit der damit verbundenen Einschränkung der Meinungsäußerung unter Bedachtnahme auf das einschlägige Grundrecht außer Zweifel steht (vgl. VfGH 12. März 1992, B 101/91). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 2009/06/0048) soll mit der Pönalisierung der beleidigenden Schreibweise in §§ 34 Abs. 3 AVG bzw. 112 Abs. 3 BAO nicht die Möglichkeit einer Person beschnitten werden, sachlich Kritik am Vorgehen oder Verhalten eines Behördenorgans zu äußern. Die Bestrafung nach dieser Gesetzesstelle wendet sich also nicht gegen den Inhalt des Vorbringens, sondern gegen die Form, in der dieses erfolgt. Niemand ist daran gehindert, einen Missstand, der nach seiner Meinung bei einer Behörde oder einem Behördenorgan besteht, der Oberbehörde oder dem Dienstvorgesetzten des Organs zur Kenntnis zu bringen, damit sie Abhilfe schaffen. Er muss sich dabei aber in den Grenzen der Sachlichkeit halten und soll dadurch der in einem Staat durchaus erforderlichen und berechtigten Kritik eine Grenze gesetzt und der Anstand gewahrt werden (vgl. VwGH 2008/09/0344). Ordnungsstrafen dienen nicht dem Schutz der in einer Eingabe kritisierten Personen, sondern haben die Aufgabe, die Wahrung des Anstandes im Verkehr mit Behörden zu gewährleisten. Nicht die Kritik, sondern die Art ihres Vorbringens ist Gegenstand des Schutzes (VwGH 27. Jänner 1958, 783/56 und VwGH 87/11/0271). Beleidigend ist eine Schreibweise unter anderem dann, wenn sich die Kritik eben nicht auf die Sache beschränkt, nicht in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Form vorgebracht wird oder Behauptungen enthält, die einer Beweisführung nicht zugänglich sind. Bereits die Erfüllung eines dieser Kriterien reicht aus, um eine Schreibweise als beleidigend zu qualifizieren (vgl. VwGH 87/03/0237, 0238). Ob eine Schreibweise beleidigend ist, ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen. Der Zweck, der mit der Eingabe verfolgt wird, ist irrelevant, und es kommt auch nicht auf eine Beleidigungsabsicht an (vgl. VwGH Ra 2017/03/0076). Ebenso wenig ist ausschlaggebend, wer Adressat der beleidigenden Schreibweise ist. Entscheidend ist vielmehr, ob durch diese Äußerung der im Verkehr mit Behörden gebotene Anstand verletzt wird, was nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht davon abhängt, auf wen die Äußerung bezogen ist (vgl. VwGH 95/10/0221). Zweck der §§ 34 Abs. 3 AVG bzw. 112 Abs. 3 BAO ist die Spezialprävention, also die Absicht, die betreffende Person von der Setzung eines ordnungswidrigen Verhaltens abzuhalten und damit den Anstand im schriftlichen Verkehr mit den Behörden zu wahren (vgl. VwGH 2008/09/0344).
3.1.6.
Der Verwaltungsgerichtshof qualifizierte beispielsweise die Äußerungen „Diktaturmethoden“ (VwSlg 7029 A/1966) oder „Raubrittermethoden“ (vgl. VwGH 89/14/0144) als beleidigend.
Herr B, der als Bevollmächtigter des Herrn A handelte und sohin für die von ihm verfasste schriftliche Eingabe verantwortlich bzw. strafbar ist (vgl. VwGH 86/18/0219), bezeichnete den bekämpften Bescheid vom 29. Mai 2020 als „extrem kranke Reaktion“ auf einen Antrag auf Bescheidbegründung im Sinne des § 245 Abs. 2 BAO. Ebenso wurde vom Verwaltungsgerichtshof die Behauptung, die Behörde verhalte sich „unverschämt und beleidigend“, sanktioniert (vgl. VwGH 23. April 1976, 731/76).
Im gegenständlichen Fall behauptete der Beschwerdeführer ein „Hintreten mit Füßen auf den bereits auf dem Boden liegenden und blutenden Rechtsstaat aus Willkür und Spaß am Verarschen des Bürgers“. Den Mindestanforderungen des Anstandes (vgl. VwGH 90/19/0299) ebenso wenig gerecht wird insbesondere auch die Passage, derzufolge Herr B die Auffassung vertritt, dass der gegenständliche Verwaltungsakt dem (ehemaligen) Obmann des Gemeindeverbandes für Aufgaben des Umweltschutzes im Bezirk ***, „so lange um die Ohren gehaut“ gehöre, „bis davon nichts mehr da ist“. Die – wenn man so will – Offenbarung einer, wenn auch nur theoretischen, so doch überaus konkreten Gewaltphantasie betreffend den bzw. einen Entscheidungsträger einer Behörde belastet das Verhandlungsklima zwischen Behörde und Einschreiter dergestalt, dass eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen erschwert, wenn nicht gar verhindert wird (vgl. VwGH 89/14/0144 und VwGH 95/15/0125).
Die Schreibweise des Herrn B muss daher jedenfalls als beleidigend im Sinne des § 112 Abs. 3 BAO qualifiziert bzw. eingestuft werden und steht die Notwendigkeit der damit verbundenen Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit im Sinne der oben zitierten Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (12. März 1992, B 101/91) außer Zweifel.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zur Fälligkeit:
Ordnungsstrafen gehören gemäß § 3 Abs. 2 lit. c BAO zu den Nebenansprüchen und sind gemäß § 210 Abs. 1 leg.cit. binnen eines Monats nach Bekanntgabe bzw. Zustellung (§ 97 Abs. 1 lit. a leg.cit.) ihrer Festsetzung fällig.
3.3. Zur Strafhöhe:
Vor dem Hintergrund der oben unter Punkt 1.5. angeführten Formulierungen des Herrn B in der Beschwerde vom 11. Juni 2020 erweist sich die aus dem Spruch ersichtliche Höhe der Ordnungsstrafe von € 300,-, die sich (gerade noch) im unteren gesetzlichen Strafrahmen bis € 700,- bewegt, als angemessen.
Bei der Festsetzung der Höhe der Ordnungsstrafe kommt es zudem nicht auf die Einkommens-, Vermögens- oder Familienverhältnisse des Bestraften an. (vgl. VwGH 2010/04/0133). Die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht ist auch nicht gehalten, vor Verhängung der Ordnungsstrafe ein Ermittlungsverfahren durchzuführen, da es für die Strafbarkeit nach §§ 34 Abs. 3 AVG bzw. 112 Abs. 3 BAO allein auf den objektiven Gehalt der Formulierungen in der Eingabe ankommt und der maßgebende Sachverhalt insofern von vornherein klar gegeben ist
(Hengstschläger/Leeb, AVG § 34 Rz 22).
Maßgebend für das Ausmaß einer Ordnungsstrafe ist hingegen, welche Strafhöhe innerhalb des gesetzlichen Rahmens eine Änderung des Fehlverhaltens des Betroffenen erwarten lässt. Dabei darf die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht auch veranschlagen, ob die Eingabe in gehäufter Form und in mehrfacher Hinsicht beleidigende Schreibweisen enthält (vgl. VwGH 98/02/0320). Das erkennende Gericht erachtet ob der mannigfaltigen Untergriffe des Herrn B sowohl gegen den bzw. einen Entscheidungsträger des gegenständlichen Gemeindeverbandes als auch – durch Verunglimpfung des „Verwaltungsaktes“ – gegen die Behörde(n) die Verhängung einer (gerade noch) im unteren Bereich angesetzten Ordnungsstrafe von € 300,- als angemessen.
3.4. Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung einerseits nicht von der oben zitierten und einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, sich andererseits auf den eindeutigen und klaren Gesetzeswortlaut stützen kann (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung zur Unzulässigkeit der Revision in derartigen Fällen z.B. VwGH Ra 2016/18/0343) und überdies eine einzelfallbezogene Beurteilung vorzunehmen war, zu deren Überprüfung der Verwaltungsgerichtshof im Allgemeinen nicht berufen ist (vgl. z.B. VwGH Ro 2015/03/0035).
Schlagworte
Finanzrecht; Verfahrensrecht; Ordnungsstrafe; beleidigende Schreibweise; Anstand;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.641.002.2020Zuletzt aktualisiert am
02.10.2020