TE Bvwg Beschluss 2019/11/25 L526 2153422-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2019
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Entscheidungsdatum

25.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

1. L526 2153428-1/10E

2. L526 2153422-1/10E

3. L526 2153441-1/8E

4. L526 2153498-1/10E

5. L526 2153439-1/10E

6. L526 2153433-1/10E

BESCHLUSS

1. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. GEORGIEN vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.03.2017, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. GEORGIEN vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.03.2017, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. GEORGIEN, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.03.2017, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. GEORGIEN, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.03.2017, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. GEORGIEN, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen Asyl vom 31.03.2017, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

6. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina SCHREY, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. GEORGIEN, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX diese vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Volkshilfe und Diakonie gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.03.2017, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

I.1. Die beschwerdeführenden Parteien (in weiterer Folge kurz "BF" oder gemäß der Reihenfolge ihrer Nennung im Spruch "BF1" bis "BF&" genannt), sind Staatsangehöriger Georgiens und brachten am 23.11.2015 bei einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Als Begründung für das Verlassen des Herkunftsstaates brachte sie im Wesentlichen vor, dass der Vater des BF1 unabsichtlich eine Person getötet habe und er und die Familie seitdem verfolgt würde. BF1 sei auch einmal überfallen und am Oberschenkel verletzt worden. Es sei auch gedroht worden, dass ein Sohn des BF1 und der BF2 getötet würde.

In der Folge wurden BF1 bis BF3 einer Befragung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, der nunmehr belangten Behörde (in weiterer Folge kurz "bB" genannt) unterzogen.

I.2. Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch ersichtlichen Bescheiden der bB gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status DER Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.).

Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die bB das Vorbringen der BF als nicht glaubwürdig, zumal BF1 keine konkreten und detailreichen Angaben zu dem Schussattentat auf ihn machen konnte; er sei nicht in die Tiefe gegangen und habe lediglich angegeben, dass er gleich ins Krankenhaus gebracht worden sei und es Unterlagen darüber geben müsse. Die BF hätten auch keine Unterlagen über die Behandlung des BF1 im Krankenhaus vorlegen können.

Auch über den Hergang der Tat des Vaters, der die Blutfehde auslöste, hätten die BF nichts berichten können, zumal sie lediglich angaben, bei diesem Vorfall nicht dabei gewesen zu sein. Über die strafrechtliche Verfolgung des Vaters hätten die BF ebenfalls nicht präzise Auskunft geben können und habe BF2 auch keine genauen Angaben zu den Verfolgern der BF machen können. Bemerkenswert sei zudem, dass BF2 den Namen eines Sohnes des Opfers genannt haben, den BF1 jedoch nicht erwähnte. Ferner sei es nicht glaubwürdig, dass sich die Familie bis zu ihrer Ausreise, etwa neun Monate nach dem Vorfall, versteckt gehalten habe. Erschwerend käme hinzu, dass die BF keine Anzeige bei der Polizei getätigt hätten.

Zudem verwies die bB auf eine Anfragebeantwortung vom 6.3.2017, wonach es in Georgien keine Blutrache gebe. XXXX .

In Bezug auf den Gesundheitszustand des BF6 stellte die bB fest, dass dieser unter spastischer Traparese, psychomotorischer Retardierung, Mikrocephallie, sinusitis maxillaris, Epilepsie, Obstipation, Kyphose sowie einem respiratorischen Infekt leide. Diese Erkrankungen seien in Georgien heilbar.

I.3. Gegen den angefochtenen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 14.4.2017 innerhalb offener Frist Berufung Beschwerde erhoben.

Im Wesentlichen wurde nach Darlegung allgemeiner rechtlicher und sonstiger Ausführungen vorgebracht, dass BF6 an einer schweren Mehrfachbehinderung leide, wofür auch ärztliche Atteste beigelegt wurden, und gerügt, dass sich die bB nicht hinreichend mit dem für BF6 bestehenden Risiko im Sinne des Art. 3 EMRK auseinandergesetzt habe.

Die bB habe auch unvollständige Länderfeststellungen, etwa über die Gesundheitsversorgung in Georgien und den Zugang zum dortigen Schulsystem für behinderte Personen getroffen.

In Bezug auf die Fluchtgeschichte der BF habe es die bB nicht vermocht, nachvollziehbar darzulegen, weshalb den konsistenten Angaben der BF als nicht glaubwürdig zu qualifizieren seien.

Die Spruchpunkte seien aufgrund von erheblichen Verfahrensfehlern und einer unrichtigen Rechtsanwendung erlassen worden. Wäre die bB ihrer Ermittlungspflicht in angemessener Weise nachgekommen und hätte sie den ermittelten Sachverhalt rechtlich richtig beurteilt, wäre sie zu einem anderen Ergebnis gekommen.

I.4. Die Beschwerdevorlage langte am 19.04.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

I.5. Mit Stellungnahme vom 23.05.2017 übermittelten die BF eine Anfragebeantwortung von ACCORD, wozu ausgeführt wurde, dass sich diese auf einen ähnlichen Fall beziehe und dass es keine Möglichkeit zur Behandlung dieser Krankheit in Georgien gebe. Ferner wurde auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes verwiesen, aus welcher hervorgehe, dass die in Georgien verfügbaren Behandlungen für spastische Tetraparese und Mikorzephalie ungenügend seien.

I.6. Am 6.11.2018 wurden die gegenständlichen Verfahren der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen (Sachverhalt):

Die bB hat die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen und ergibt sich dieser auch nicht aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes, weshalb dieser zum Zeitpunkt der Entscheidung der bB nicht hinreichend feststand. Ergänzende Ermittlungsschritte sind erforderlich.

Der für diese Entscheidung relevante Sachverhalt ergibt sich aus den unter Punkt I getroffenen Ausführungen.

II.2. Beweiswürdigung:

Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und von den Parteien nicht beanstandeten Aktenlage fest.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.I. Gesetzliche Grundlagen

Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Dass Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der

Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

* Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters mit Erkenntnis vom 10.09.2014, Ra 2014/08/0005 die im Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 angeführten Grundsätze im Hinblick auf Aufhebungs- und Zurückweisungsbeschlüsse des Verwaltungsgerichtes gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG nochmals bekräftigt und führte ergänzend aus, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden mündlichen Verhandlung im Sinn des § 24 VwGVG zu vervollständigen sind.

Im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.02.2017, Ra 2015/11/0089; betonte dieser weiters das Interesse der Rechtsunterworfenen an einer raschen Entscheidung und führte dazu aus, dass es nicht zu erkennen sei, weshalb es nicht im Interesse der Raschheit gelegen sein sollte, wenn das Verwaltungsgericht - ausgehend freilich von einer zutreffenden Beurteilung der entscheidenden Rechtsfrage - selbst die notwendige Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens veranlasst und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt feststellt."

II.3.2. Einzelfallbezogen ergibt sich hieraus Folgendes:

Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist im gegenständlichen Fall unterblieben und ist die bB nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichts ihrer Ermittlungs- und Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden; dies aus folgenden Erwägungen:

II.3.2.1. Die BF stützten die Begründung ihrer Anträge auf internationalen Schutz, insbesondere darauf, dass sie von Blutrache bedroht seien.

Die erkennende Richterin übersieht nicht, dass die bisherigen Angaben der BF geeignet sind, Zweifel am tatsächlichen Vorliegen einer wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK zu begründen, doch schließt sie eine solche auch nicht zwangsweise aus, sodass die bisherigen Angaben der BF im Verfahren die Behörde nicht von der Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens entbinden konnten, sondern wäre die belangte Behörde gehalten gewesen, weitere Ermittlungen zu den Vorfällen, die die BF als ausreisekausal ins Treffen führten, zu tätigen, um den Wahrheitsgehalt der Geschichte zu überprüfen. Dies hat sie jedoch unterlassen. In casu liegen gravierende Ermittlungslücken in Verbindung mit zentralen Teilen des Vorbringens der BF vor, welche in weiterer Folge eine umfassende Beweiswürdigung hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Angaben des BF nicht zulassen. Im Einzelnen:

II.3.2.1.1. Zwar hat die bB den befragten BF offenbar ausreichend Zeit gegeben, ihre Fluchtgeschichte zu erzählen und auch durch konkrete Fragestellungen den Wahrheitsgehalt der Aussage zu ergründen versucht, jedoch ist den BF darin zu folgen, dass es der bB nicht gelang, nachvollziehbar darzustellen, weshalb sie der von den BF vorgetragenen Geschichte und den auf ihre Fragen erteilten Antworten keinen Glauben schenkt bzw. weshalb sie diese für nicht relevant erachtet und ergibt sich dies auch nicht aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes.

So wird etwa BF1 vorgeworfen, er habe zu dem Schussattentat auf ihn keine konkreten und detailreichen Angaben machen können. Nach Dafürhalten der erkennenden Richterin ist es jedoch nicht gänzlich unplausibel, dass Erinnerungslücken nach einem Schockerlebnis - BF1 gibt an, es sei nachts auf ihn geschossen worden, als er im Freien rauchen wollte, und er sei mit dem Kopf auf einem Betonboden aufgeprallt - auftreten können.

Dass die von der bB befragten BF zum Hergang der die Blutfehde auslösenden Tat des Vaters des BF1 keine detaillierten und konkreten Angaben hätten machen können, ist ebenfalls nicht unplausibel, zumal sie angaben, bei diesem Vorfall nicht dabei gewesen zu sein.

Dass offenbar in der Familie nicht viel über den Tathergang und die damals herrschenden Umstände gesprochen wurde und die BF auch über die Inhaftierung des Vaters bzw. dessen Freilassung sowie die Verfolger der Familie keine genauen Angaben machten, ist in der Tat ungewöhnlich, jedoch reicht dies allein für die Annahme, die BF hätten sich einer konstruierten Geschichte bedient, nicht hin. Ebenso nicht, dass BF2 den Namen eines Sohnes des Opfers ihres Schwiegervaters nannte, welchen BF1 jedoch nicht erwähnte.

Dass sich die Familie bis zu ihrer Ausreise, etwa neun Monate nach dem Vorfall, versteckt gehalten hätten ist auch aus Sicht der erkennenden Richterin bemerkenswert, jedoch kann diese Angabe auch nicht von vorneherein als unglaubwürdig qualifiziert werden. Die bB hat das Vorbringen auch keiner Glaubwürdigkeitsprüfung unterzogen.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Behörde gemäß § 18 Abs. 1 AsylG in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken hat, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Um eine vollständige Glaubwürdigkeitsprüfung vorzunehmen, wäre es vor allem notwendig gewesen, die Familienmitglieder ausführlicher über die Zeit bis zur Ausreise zu befragen und deren Aussagen gegenüberzustellen, um diese auf mögliche Widersprüche hin zu überprüfen.

Die BF gaben auch an, BF1 habe Verletzungen und Narben von dem Schussattentat und dem nachfolgenden Aufprall am Boden davongetragen; er habe eine Schusswunde am Oberschenkel und eine Kopfverletzung. BF1 gab auch an, es müsse Berichte über seinen Aufenthalt im Krankenhaus geben.

Im Falle einer schweren Verletzung, insbesondere einer Schussverletzung, ist es auch nicht gänzlich unwahrscheinlich, dass Narben oder sonstige Spuren verbleiben und hätte die bB dies auch leicht überprüfen können, indem sie BF1 zur Beibringung der Krankenberichte aufgefordert hätte, diese - das Einverständnis des BF1 vorausgesetzt - etwa durch einen Vertrauensanwalt in Georgien organisiert hätte oder BF1 aufgefordert hätte, sich einer medizinischen Untersuchung in Österreich zu unterziehen, um die Plausibilität der Angaben zu überprüfen. Die bB wird im fortgesetzten Verfahren geeignete Schritte zu setzen haben, um die Plausibilität der Angaben zu überprüfen.

II.3.2.1.2. In Bezug auf die vorgetragene Fluchtgeschichte fehlen auch tragfähige Feststellungen der bB zu ihrer Herkunft und Volksgruppenzugehörigkeit.

Die BF gaben an, sie gehören der Volksgruppe der Kisti an und stammten aus dem Pankisi-Tal. Dazu trifft die bB keinerlei Feststellungen.

Die bB wird die BF eingehend zu befragen haben, um so den Wahrheitsgehalt ihrer Angaben zu überprüfen.

II.3.2.1.3. Im gegenständlichen Fall wurden auch nur unzureichende Ermittlungsschritte getätigt, welche eine Überprüfung der Plausibilität des Vorbringens vor dem Hintergrund der verfügbaren Länderinformationen zulassen würden.

In diesem Zusammenhang übersieht die bB, dass Behauptungen eines Asylwerbers auch am Verhältnis zu der Berichtslage in Bezug auf das Ereignis, von dem er betroffen gewesen sein will, zu messen sind (VwGH 30.9.2004, 2001/20/0135, in diesem Sinne auch VwGH 31.5.2005, 2005/20/0176). Auch der Verfassungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis 2001/10/02 B 2136/00 davon aus, dass sich die Asylbehörden nicht mit Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat begnügen dürfen, sondern fallbezogen konkrete Ermittlungen in Bezug auf das individuelle Vorbringen tätigen müssen, um dieses einer Plausibilitätskontrolle unterziehen zu können. Nach Ansicht des zitierten VfGH Erkenntnis besteht diese Verpflichtung selbst dann, "wenn die vom Beschwerdeführer gegebene Schilderung von vornherein als kaum glaubwürdig und als irreal erscheint. Dies entbindet die Asylbehörde nicht von ihrer Verpflichtung die notwendigen Ermittlungen vorzunehmen.

Aus dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes ergibt sich, dass bei der Volksgruppe der Kisti oder Kisten, insbesondere jenen, die aus dem Pankisi-Tal stammen, Sitten und Gebräuche herrschen, die sich von jenen der der Mehheits- und Titularethnie zugehörigen Georgiern unterscheiden und sich Amtshandlungen der georgischen Behörden in diesem Tal immer noch als schwierig gestalten können. In Bezug auf die im Akt erliegende Anfrage über Blutrache in Georgien aus dem Jahr 2017 hätte dieser Umstand erwähnt werden müssen.

Sollten sich die Angaben der BF über ihre Volksgruppenzugehörigkeit und ihren Wohnort als wahr herausstellen, so wird die bB im fortgesetzten Verfahren zu erkunden haben, ob die in der Anfragebeantwortung getätigten Aussagen auch vor dem speziellen Hintergrund der BF - Angehörige der Kisti oder Kisten aus dem Pankisi-Tal - aufrechterhalten wird. Im Übrigen scheint das in der Anfragebeantwortung vom 6.7.2017 dargelegte Ergebnis schon deshalb hinterfragenswert, da nicht dargelegt ist, auf welche Quellen sich der Berichterstatter stützt bzw. aufgrund welcher Methoden er zu dem in der Anfragebeantwortung dargelegten Ergebnis gelangt.

Im Übrigen gaben die BF an, dass die fluchtauslösenden Vorfälle in der Dorfgemeinschaft bekannt seien und könnten - sofern von Seiten der Staatendokumentation oder des Verbindungsbeamten des Bundesministeriums für Inneres keine Sicherheitsbedenken bestehen - Recherchen vor Ort veranlasst bzw. beauftragt werden.

Sofern die bB die Unglaubwürdigkeit der Aussage der BF auf die Tatsache stützt, dass die BF keine Anzeige bei der Polizei getätigt hätten, so wird auch dieser Aspekt vor dem speziellen Hintergrund der BF und der zum Zeitpunkt der Ausreise herrschenden Situation im Pankisi-Tal zu betrachten sein.

II.3.2.1.4. Der bB sind auch gravierende Verfahrensmängel unterlaufen, als sie den BF etwa keine Möglichkeit einräumte, sich zu einer Anfragebeantwortung zum Thema der Blutrache in Georgien zu äußern, die der Entscheidung der bB zugrunde gelegt wurde.

Die bB wird dies nachzuholen haben und auch alle weiteren Ermittlungsergebnisse dem Parteiengehör zu unterziehen haben.

II.3.2.1.5. Die bB stellt zum Gesundheitszustand des BF6 lediglich fest, dass seine Krankheit -

er leide unter spastischer Traparese, psychomotorischer Retardierung, Mikrocephallie, sinusitis maxillaris, Epilepsie, Obstipation, Kyphose und einem respiratorischen Infekt - in Georgien heilbar sei. Den dem Bescheid zugrundeliegenden Feststellungen über die Situation im Herkunftsstaat sind jedoch keine derartigen Aussagen dazu zu entnehmen. Die bB führt beweiswürdigend zwar aus, dass die BF6 betreffenden Befunde der Staatendokumentation vorgelegt worden seien und sich die von der bB getätigte Schlussfolgerung aus einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ergebe, jedoch kann dies nach der dem Gericht vorliegenden Dokumentation über die Führung des Verfahrens nicht nachvollzogen werden. Im Akt findet sich lediglich eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation in Bezug auf epileptische Erkrankungen und die diesbezügliche Verfügbarkeit von Medikamenten. In Bezug auf die übrigen Aspekte des Krankheitsbildes wurden offenbar keine Anfragen getätigt und ist daher nicht ersichtlich, worauf die Schlussfolgerung der bB, alle Erkrankungen des BF6 seien in Georgien heilbar, basiert. Im Übrigen ist aus der Aktenlage auch nicht ersichtlich, dass die bB von den BF erfragt hätte, welche Medikamente BF6 einnehmen muss, welche Heilbehelfe er braucht oder ob er einer Pflege bedarf.

Ferner hat die bB die im Akt erliegende Anfragebeantwortungen auch nicht dem Parteiengehör unterzogen und ist in diesem Zusammenhang schließlich noch auf die von den BF vorgelegte Anfragebeantwortung, die sich auf einen Teil des von der bB festgestellten Krankheitsbildes bezieht, zu verweisen, wonach im Jahr 2017 dafür keine adäquate Behandlung in Georgien zur Verfügung stand.

Die bB hat es auch unterlassen, die Rückkehrsituation vor dem Hintergrund der vorliegenden Krankheit eingehend zu beleuchten.

In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. die Beschlüsse des VwGH vom 21. Februar 2017, Ro 2016/18/0005 und Ra 2017/18/0008 bis 0009, unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien; auch Beschluss des VwGH vom 23.3.2017, Ra 2017/20/0038; siehe auch Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"]; Erk. d. VfGH 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9). Bloß spekulative Überlegungen über einen fehlenden Zugang zu medizinischer Versorgung sind ebenso unbeachtlich wie eine bloße Minderung der Lebensqualität (Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 27. Mai 2008, N. v. The United Kingdom, Nr. 26.565/05).

Wie oben ausgeführt, tätigte die bB sichtlich unzureichende Erhebungen zum Vorbringen im Hinblick auf den Gesundheitszustand des BF6, sodass offen bleibt, ob eine realistische Chance für BF1 besteht, im Lichte der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens eine für ihn zugängliche, leistbare Behandlung bzw. die notwendige Medikamente zu erhalten und falls dies nicht bzw. lediglich teilweise der Fall ist, welche konkreten Folgen sich hieraus ergeben.

Die bB wird im fortgesetzten Verfahren - unter Heranziehung aktueller medizinischer Berichte - nicht nur zu ermitteln haben, an welcher Krankheit BF1 konkret leidet, sondern auch, in welchem Gesundheitszustand er sich befindet (d.h. welche Verlaufsform nimmt die Krankheit, welches Stadium ist erreicht, wie ist der allgemeine Gesundheitszustand, ist Transportfähigkeit gegeben etc.) und welche Behandlung für BF6 konkret notwendig ist. Auf Basis konkreter Feststellungen wird die bB dann anhand aussagekräftiger, aktueller Länderberichte zu prüfen haben, ob aktuell eine im Sinne der oben zitierten Judikate notwendige Behandlung im Herkunftsstaat für BF6 - unter Beachtung der konkreten Situation der BF - zugänglich ist und welche Folgen ein fehlender Zugang zu einer medizinisch notwendigen Behandlung hat.

Im Sinne der vorstehend zitierten Judikatur sind auch die Kosten der Behandlung und der Medikamente und allfällig sonstiger Heilbehelfe, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen. Die für diese Analyse fehlenden Sachverhaltselemente wird die bB allenfalls durch eine neuerliche Befragung der BF zu erheben haben.

Ferner wird die bB zu erheben habe, ob die für BF6 notwendigen Medikamente bzw. die zugrundeliegenden Wirkstoffe in Georgien verfügbar sind oder ob allenfalls sonstige, geeignete Medikamente verfügbar sind. Auf Basis dieser Feststellungen ist dann die Frage zu behandeln, ob die für die Behandlung der konkret vorliegenden Erkrankung - im Sinne der oben angeführten Judikatur - verfügbaren Wirkstoffe bzw. Präparate auch leistbar sind (dazu wird auch auf die untenstehenden Ausführungen in Bezug auf staatliche oder karitative Unterstützungsleistungen verwiesen).

Das zuvor Gesagte gilt auch für allenfalls notwendige Heilbehelfe. Die bB wird sich zudem mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob eine häusliche Pflege des BF6 ausreicht, widrigenfalls, ob professionelle Pflege für BF6 auch verfügbar ist.

Im gegenständlichen Fall wurde somit der maßgebliche Sachverhalt in Bezug auf die individuellen Behandlungschancen bzw. in Bezug auf die Folgen beim Ausbleiben solcher Behandlungen, falls BF6 keine realistische Chance auf eine medizinische Behandlung von entsprechender Qualität hätte, dermaßen qualifiziert mangelhaft ermittelt, dass von einem gänzlichen Ausbleiben der zur Entscheidungsfindung notwendigen Ermittlungen über weite Strecken iSd Erk. d. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 gesprochen werden muss. Ebenso hätte das ho. Gericht iSd Urteils des EuGH vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 an die Stelle der zuständigen belangten Behörde zu treten hätte, der es obliegt, dem Gericht die Beweise iSd Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts vorzulegen.

Im Lichte der dargelegten Überlegungen wird die bB die entsprechenden einzelfallspezifischen Ermittlungen basierend auf konkreten Feststellungen zur Krankheit und zum Gesundheitszustand des BF6 unter Berücksichtigung aktueller ärztlicher Atteste nachzuholen und darauf aufbauende individuelle Feststellungen sowie nachvollziehbare Schlussfolgerungen im Sinne der oben getätigten Ausführungen zu treffen haben.

Sollte sich der Bedarf ergeben, im Ermittlungsverfahren gem. § 45 Abs. 3 AVG vorzugehen, wird dies von der belangten Behörde ebenfalls zu veranlassen sein.

II.3.2.1.6. Die bB hat es auch unterlassen, sich mit dem Vorbringen der übrigen Familienmitglieder in Bezug auf ihren Gesundheitszustand auseinanderzusetzen. Im fortgesetzten Verfahren wird sie daher auch den aktuellen Gesundheitszustand aller übrigen Familienmitglieder erheben. In diesem Zusammenhang ist etwa auf die am 8.5.2017 vorgelegte Stellungnahme eines Psychotherapeuten in Bezug auf BF1 zu verweisen. BF2 brachte vor, unter Anämie zu leiden und deshalb Medikamente zu nehmen.

II.3.2.1.7. Im Akt erliegen auch mehrere Dokumente in Georgischer Sprache (z.B. AS 61 bis 103 im Verfahrensakt der BF3, AS 63 bis 69 im Verfahrensakt des BF6 etc.). Die bB hat die Dokumente - soweit aus dem Bescheid und Akteninhalt ersichtlich - nicht übersetzt und sich mit dem konkreten Inhalt der vorgelegten Unterlagen auch nicht auseinandergesetzt. Der konkrete Inhalt der vorgelegten Dokumente ist somit nicht bekannt und hat sich die belangte Behörde damit nicht spezifisch auseinandergesetzt bzw. diese beurteilt, was zur umfassenden Überprüfung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens der BF1 möglicherweise notwendig gewesen wäre.

Die bB wird im fortgesetzten Verfahren zu ergründen haben, worum es sich bei den vorgelegten Dokumenten der einzelnen Familienmitglieder handelt und wird aufgrund der Angaben zu entscheiden haben, welche Dokumente für die jeweiligen Verfahren relevant sind, diese Dokumente dann übersetzen zu lassen und sich beweiswürdigend damit auseinanderzusetzen haben.

II.3.2.1.7. Im Hinblick auf die nach § 9 BFA-VG notwendige Interessenabwägung tätigte die bB keine hinreichenden Ermittlungsschritte. Eine gründliche Befragung zum Privat- bzw. Familienleben in Österreich fand nicht statt und wurden die BF offenkundig auch nicht aufgefordert, Ihre private Interessen oder Integrationsbemühungen zu belegen. Aus diesem Grund ist die beweiswürdigende Ausführung, dass die BF in keine Weise integriert wären und nur über sehr geringe Sprachkenntnisse verfügen und dies auf den glaubhaften Ausführungen der BF beruhe, nicht nachvollziehbar.

Die bB wird dies im nachfolgenden Verfahren nachzuholen haben und wird die privaten bzw. familiären Interessen im Sinne des § 9 Abs. 2 BFA-VG aller Familienmitglieder zu erheben haben und sich auch ein persönliches Bild zu den BF machen.

II.3.2.1.7. Wie bereits angesprochen, tätigte die bB im Hinblick auf die Situation der BF im Falle ihrer Rückkehr unzureichende Feststellungen. Die bB wird sich im fortgesetzten Verfahren vor dem Hintergrund der speziellen Situation der Familie (vgl. etwa Ra 2018/21/0216 bis 0217) mit der Frage auseinanderzusetzen haben, in welches Umfeld die Familie zurückkehrt, ob von einem familären oder sozialen Netz und der Verfügbarkeit einer Unterkunftsmöglichkeit auszugehen ist. Insbesondere wird die konkrete Situation der BF vor dem Hintergrund des Gesundheitszustandes des BF6 zu beachten sein. Den BF ist auch zuzustimmen, dass sich die bB nicht damit auseinandersetzt, ob BF6 ein diskriminierungsfreier Zugang zum georgischen Schulsystem zur Verfügung steht.

Die bB wird die konkrete Situation der BF im Falle einer Rückkehr zu erheben und diese in Bezug zu den aktuellen Länderberichten zu setzen haben. Sollte die bB zur Ansicht gelangen, dass das Auskommen der Familie, auch im Hinblick auf allfällige Kosten für eine Behandlung und Medikamente des BF6, nicht aus eigenem erwirtschaftet oder mit Hilfe des familiären Netzwerkes aufgebracht werden können, wo wird sie auch zu ermitteln haben, ob bzw. welche Unterstützungsleistungen von staatlicher oder karitativer Seite den BF im Falle der Rückkehr nach Georgien zustehen.

Sollte es sich als notwendig erweisen, wird die bB die BF zu den Umständen ihrer Rückkehr - allenfalls unter Erinnerung an ihre Verpflichtung zur Mitwirkung im Verfahren - zu befragen haben und ihre Angaben auch einer Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen haben.

II.3.2.2. Im gegenständlichen Fall ist das Ermittlungsverfahren der bB im Ergebnis derart mangelhaft, dass die Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelfrei, dass das Vorbringen des BF umfassend dargelegt wurde. Im Gegenteil ist das Verfahren der belangten Behörde mit den oben dargestellten groben Mängeln behaftet.

Ohne entsprechende weitere Verfahrensschritte und Ermittlungen erweist sich die Würdigung des Fluchtvorbringens jedenfalls als nicht haltbar.

Es kann nicht Sache des Bundesverwaltungsgerichtes sein, die im gegenständlichen Fall dazu erforderlichen - jedoch im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wesentlich mangelhaft gebliebenen bzw. mangelhaft dokumentierten - Ermittlungen nachzuholen, um dadurch erst zu den erforderlichen Entscheidungsgrundlagen zu gelangen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht liegt nicht im Sinne des Gesetzes, insbesondere bei Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist.

Gerade in gegenständlichem Fall erachtet das Bundesverwaltungsgericht zusätzliche Ermittlungen über die Situation im Herkunftsstaat der BF für eine fundierte Entscheidung als unumgänglich.

Zudem soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden. In diesem Zusammenhang sei noch angemerkt, dass sich der ermittelte Sachverhalt nicht nur in Detail- oder Nebenaspekten als lückenhaft erweist und sich auch auf alle Themengebiete bezieht, die den Spruchpunkten des gegenständlichen Bescheides zugrunde liegen.

Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall eine kassatorische Entscheidung zu treffen. Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht der BF gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.

Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Im fortgesetzten Verfahren wird sich die bB die oben genannten Ermittlungsschritte nachzuholen haben und wird dann in der Lage sein, ihrer Entscheidung eine schlüssige, tragfähige Beweiswürdigung zu sämtlichen seitens der BF gemachten Angaben in Zusammenhang mit ihren Ausreisegründen und den vorgelegten Dokumenten zugrunde zu legen. Die bB wird sich ebenso hinreichend mit der aktuellen privaten und familiären Situation der BF in Österreich, dem aktuellen Gesundheitszustand der BF sowie ihrer Situation im Falle ihrer Rückkehr nach Georgien auseinanderzusetzen haben.

In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass der Inhalt des Beschwerdeschriftsatzes nunmehr Teil des durch die bB zu berücksichtigenden Sachverhaltes ist.

Im weiteren Verfahren wird die bB auch zwischenzeitlich vorgelegten Dokumente zu berücksichtigen und allenfalls aktuellere Informationen einzuholen haben.

Der Vollständigkeit halber sei auch an dieser Stelle noch einmal auf die Wahrung der Grundsätze des Parteiengehörs hingewiesen.

Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. die angefochtenen Bescheide aufzuheben waren.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. beispielshaft Erk. d. VwGH v. 16.12.2009, GZ. 2007/20/0482; Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167) auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Begründungspflicht Behandlungsmöglichkeiten Blutrache Ermittlungspflicht Familienverfahren Gesundheitszustand Glaubwürdigkeit Kassation Krankheit mangelnde Sachverhaltsfeststellung medizinische Versorgung Parteiengehör Privat- und Familienleben soziale Verhältnisse Verfahrensmangel Volksgruppenzugehörigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L526.2153422.1.00

Im RIS seit

01.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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