TE Bvwg Beschluss 2019/11/26 L507 2214522-1

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Veröffentlicht am 26.11.2019
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Entscheidungsdatum

26.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

1.) L507 2214517-1/2E

2.) L507 2214516-1/4E

3.) L507 2214522-1/2E

4.) L507 2214520-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerden 1.) des XXXX , geb. XXXX , 2.) der XXXX , geb. XXXX , 3.) der XXXX , geb. XXXX , und 4.) des XXXX , geb. XXXX , alle StA. Irak, alle vertreten durch RA Mag. Alfred Witzlsteiner, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.01.2019,

Zlen. XXXX , XXXX , XXXX und XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerden werden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer. Die Beschwerdeführer stellten nach illegaler Einreise in Österreich am 03.12.2015 Anträge auf internationalen Schutz.

In Österreich wurde festgestellt, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin an einer HIV Infektion im Stadion A2 nach CDC leiden.

Bei der niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 03.12.2015 der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 22.11.2018 brachten der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vor, dass in Österreich festgestellt worden sei, dass sie HIV positiv seien. Die Beschwerdeführer würden aus der Stadt Jalawla im Distrikt Diyala stammen. Den Irak hätten sie aufgrund einer Bedrohung durch den IS und einen Stamm namens XXXX verlassen.

Aus einer Stellungnahme der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie XXXX vom 21.11.2018 geht hervor, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seit Mai 2016 regelmäßig in der Ambulanz in Betreuung seien. Sie würden an einer chronischen HIV-Infektion, die zur Immunschwäche führe und eine lebenslange Einnahme von Medikamenten erfordere, leiden. Die regelmäßige, ununterbrochene Einnahme sei notwendig, um Krankheit und Tod zu vermeiden. Die Rückkehr in das Heimatland sei nur vertretbar, wenn die Patienten dort an einer Spezialambulanz angebunden werden könnten und die korrekte und ununterbrochene Versorgung mit HIV Medikamenten sichergestellt werde.

2. Mit Bescheiden des BFA vom 22.01.2019 wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt. Gemäß

§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß

§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen.

In den angefochtenen Bescheiden betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin wurde unter anderem festgestellt, dass sie an einer lebensbedrohlichen physischen Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes leiden würden, weil sie an einer chronischen HIV-Infektion erkrankt seien.

Weiters wurde festgestellt, dass die Beschwerdeführer im Fall ihrer Rückkehr nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, keiner realen Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder keiner Gefahr der Vollstreckung der Todesstrafe ausgesetzt wären. Die Beschwerdeführer hätten im Verfahren keine anderen Gefährdungspotenziale als jene, die für nicht glaubwürdig erachtet worden seien, vorgebracht. Zudem hätten sie bereits in der Erstbefragung Sanktionen ausgehend vom Staat dezidiert ausgeschlossen.

Fest stehe, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sich in einem erwerbsfähigen Alter befinden würden. Es sei davon auszugehen, dass sie in ihrem Heimatland in der Lage seien, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Auskommen zu sichern und daher nicht in eine hoffnungslose Lage kommen würden. Die Arbeitsfähigkeit werde auch durch das Faktum belegt, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich gemeinnützig tätig seien.

Fest stehe, dass im Irak ausreichende medizinische Behandlungsmöglichkeiten vorhanden seien, die den Beschwerdeführern auch zugänglich seien.

Daran anschließend traf die belangte Behörde Feststellungen zur Lage im Irak im Ausmaß von 61 Seiten, wobei nachfolgend wiedergegebene Feststellungen zur medizinischen Versorgung im Irak enthalten sind:

"Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt (AA 12.2.2018). Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 13.6.2018).

Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore (GIZ 11.2018).

Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD. Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind dann noch zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 11.2018).

In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.2.2018). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.2.2018)."

Beweiswürdigend wurde in den angefochtenen Bescheiden betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin ausgeführt, dass diesen geglaubt werde, dass sie an einer lebensbedrohlichen physischen Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes leiden würden, weil sie an einer chronischen HIV-Infektion im Stadium A2 nach CDC erkrankt seien. Dies sei auch dem vorgelegten Konvolut an ärztlichen Befunden/Attesten zu entnehmen. Sie würden in Österreich durchgehend in ärztlicher Behandlung stehen und seien auf die lebenslange Einnahme von Medikamenten angewiesen.

Zur Behandlungsmöglichkeit der chronischen HIV-Infektion sei aus den vorliegenden Länderinformationen zu entnehmen, dass im Irak ausreichende medizinische Behandlungsmöglichkeiten vorhanden und den Beschwerdeführern auch zugänglich seien. Eine Analyse der Staatendokumentation vom 30.12.2011 zufolge, stünden in Bagdad elf HIV Behandlungszentren zur Verfügung. Dazu würden weitere Behandlungszentren in jeder Provinz kommen. Infizierte Personen würden "einige" Unterstützung erhalten.

Zudem wurde diesbezüglich auf die Ausführungen in einem "Country Fact Sheet" zum Zugang zur Gesundheitsversorgung im Irak von März 2017 verwiesen.

In der rechtlichen Begründung der angefochtenen Bescheide betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin wurde unter Verweis auf Entscheidungen des EGMR zu HIV-infizierten Personen ausgeführt, dass dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin im Irak unter Umständen zwar nicht in qualitativer Hinsicht dieselben Behandlungsmöglichkeiten wie in Österreich offenstehen würden, die Beschwerdeführer diesen Qualitätsverlust und eine allenfalls damit einhergehende Verschlechterung der Lebensqualität bzw. des Gesundheitszustandes hinzunehmen hätten, da diese Verschlechterung die Schwelle des Art. 3 EMRK vor dem Hintergrund der Judikatur des EGMR nicht erreichen würde. Die HIV-Infektionen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin würden sich jeweils im Stadium A2 nach CDC und nicht in einem Endstadium befinden. Im Irak würden den Beschwerdeführern ausreichende Behandlungsmöglichkeiten der chronischen HIV-Infektion zur Verfügung stehen.

3. Gegen diese Bescheide wurden am 11.02.2019 gleichlautende Beschwerden erhoben, wobei unter anderem die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A):

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

Gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen relevanter behördlicher Sachverhaltsermittlungen. Hinsichtlich dieser Voraussetzung gleicht die Bestimmung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG jener des § 66 Abs. 2 AVG, der als - eine - Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung gleichfalls Mängel der Sachverhaltsfeststellung normiert, sodass insofern - auch wenn § 66 Abs. 2 AVG im Gegensatz zu § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG als weitere Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraussetzt - auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückgegriffen werden kann.

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

3. Die angefochtenen Bescheide erweisen sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Vom Erstbeschwerdeführer und von der Zweitbeschwerdeführerin wurde im Verfahren vorgebracht, dass im laufenden Asylverfahren festgestellt worden sei, dass sie an einer HIV-Infektion leiden würden. Diesbezüglich wurden vom Erstbeschwerdeführer und von der Zweitbeschwerdeführerin diverse medizinische Unterlagen in Vorlage gebracht, unter anderem eine Stellungnahme der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie XXXX vom 21.11.2018 aus der hervorgeht, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seit Mai 2016 regelmäßig in der Ambulanz in Betreuung seien. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin würden an einer chronischen HIV-Infektion, die zur Immunschwäche führe und eine lebenslange Einnahme von Medikamenten erfordere, leiden. Die regelmäßige, ununterbrochene Einnahme sei notwendig, um Krankheit und Tod zu vermeiden. Die Rückkehr in das Heimatland sei nur vertretbar, wenn die Patienten dort an einer Spezialambulanz angebunden werden könnten und die korrekte und ununterbrochene Versorgung mit HIV Medikamenten sichergestellt werde.

Der einzige Ermittlungsschritt betreffend dieses Vorbringen bzw. betreffend die Frage der Behandlungsmöglichkeit von HIV-infizierten Personen im Irak, den die belangte Behörde im gesamten Verfahren gesetzt bzw. veranlasst hat, erschöpft sich darin, dass eine Analyse der Staatendokumentation zur medizinischen Versorgung im Irak aus dem Jahr 2011 [sic] herangezogen wurde, woraus sich nachstehendes zur Behandlung von HIV ergibt:

"Der Irak hat eine sehr niedrige HIV-Rate mit 44 registrierten Personen im Jahr 2009. Die infizierten Personen sind gesellschaftlich isoliert und werden von religiösen Extremisten angegriffen, die glauben, dass die Infektion "indecent acts" beweist.

Bagdad verfügt über mindestens elf HIV Behandlungszentren. Dazu kommen weitere Zentren in jeder Provinz. HIV-Tests sind nämlich für AusländerInnen obligatorisch.

Die infizierten Personen erhalten einige [sic] Unterstützung.

1985 wurden IrakerInnen durch Blutkonserven mit HIV infiziert, die eine französische Firma eingeführt hatte. Die Überlebenden von den damals Infizierten erhalten eine zusätzliche finanzielle Unterstützung von der Regierung."

Ferner muss in diesem Zusammenhang auch angemerkt werden, dass es die belangte Behörde nicht einmal für erforderlich erachtet hat, diese Analyse der Staatendokumentation aus dem Jahr 2011 den in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Feststellungen zur Lage im Irak zugrunde zu legen.

Betreffend die verfahrensrelevanten Fragen, ob es dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin möglich sei, sich im Fall einer Rückkehr in den Irak in einer Spezialambulanz zur Behandlung HIV-infizierter Personen dauerhaft behandeln zu lassen, und ob eine korrekte und ununterbrochene Versorgung mit HIV Medikamenten gewährleistet sei, wurden von der belangten Behörde keinerlei Ermittlungen veranlasst, geschweige denn auf solchen Ermittlungen gestützte Feststellungen in den angefochtenen Bescheiden getroffen. Von der belangten Behörde wurden in den angefochtenen Bescheiden - vermutlich gestützt auf die (nach Ansicht des BVwG veraltete bzw. wahrscheinlich bereits überholte) Analyse der Staatendokumentation aus dem Jahr 2011 - lapidar ausgeführt, dass eine Behandlung von HIV-infizierten Personen im Irak möglich sei.

Unter diesen Gesichtspunkten leiden die angefochtenen Bescheide unter erheblichen Ermittlungsmängeln sowohl in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen die Beschwerdeführer gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität (zumal aus der Analyse der Staatendokumentation aus dem Jahr 2011 hervorgeht, dass HIV-infizierte Personen gesellschaftlich isoliert seien und von religiösen Extremisten aufgrund ihrer Erkrankung angegriffen werden würden) als auch in Bezug auf die Frage des Vorliegens einer realen Gefahr, inwiefern eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak für die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak für sie als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, und erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung der Beschwerdeführer unter dem Aspekt der Gewährung des Status von Asylberechtigten oder der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten als so mangelhaft, dass weitere notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.

Damit hat die belangte Behörde im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Ermittlungen gänzlich unterlassen, wobei diese Ermittlungen nunmehr durch das Bundesverwaltungsgericht erstmals vorgenommen werden müssten.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und weil eine ernsthafte Prüfung der Anträge nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen der belangten Behörde nicht feststeht und diese Ermittlungstätigkeit sowie die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (erstmals) durch das Bundesverwaltungsgericht selbst vorgenommen werden müsste, war gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG mit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide und Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an die Behörde vorzugehen.

Die belangte Behörde wird sich daher im fortgesetzten mit den von den Beschwerdeführern vorgebrachten Sachverhalten auseinander zu setzen haben. Gestützt auf ein entsprechendes Ermittlungsverfahren und ein daraus abzuleitendes Ermittlungsergebnis wird die belangte Behörde konkrete und aktuelle Feststellungen zur Behandlungsmöglichkeit von HIV-infizierten Personen im Irak, insbesondere in der Provinz Diyala, und zur Frage betreffend die durchgängige und dauerhafte Versorgung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin mit HIV Medikamenten im Irak zu treffen haben.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (s. § 28 Abs. 3, 3. Satz VwGVG; vgl. auch z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG); durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc,

s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu § 28 VwGVG; vgl. auch 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass die belangte Behörde das im Rahmen der Beschwerdeverfahren erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird.

4. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, zumal aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit dem Vorbringen in der Beschwerde feststeht, dass die angefochtenen Bescheide zu beheben und zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen waren.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß

Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Behandlungsmöglichkeiten Erkrankung Ermittlungspflicht Familienverfahren Gesundheitszustand Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung medizinische Versorgung Minderjährigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L507.2214522.1.00

Im RIS seit

01.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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