Entscheidungsdatum
27.11.2019Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L529 2213206-3/11E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.11.2019, Zl. XXXX :
A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrenshergang
I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ist ein männlicher Staatsangehöriger der Republik Georgien. Seinen Angaben zufolge reiste der BF im Mai oder Juni 2017 ins Bundesgebiet ein. Er wurde am 17.07.2017 in Haft genommen und mit Urteil des LG XXXX vom 16.02.2018 wegen §§ 127, 128, 129, 130 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 33 Monaten verurteilt.
I.2. Der BF stellte am 22.05.2019 aus dem Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2.1. In der Erstbefragung am 22.05.2019 und in der niederschriftlichen Einvernahme am 28.05.2019 gab der BF zum Fluchtgrund an, Probleme mit staatlichen Organen gehabt zu haben, weil er sich geweigert habe, bestimmte Parteien zu unterstützen. Es sei ihm nahegelegt worden, Georgien zu verlassen, ansonsten er lange in Haft sein bzw. ihm Suchtgift untergeschoben werde.
I.2.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der bB gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III). Weiters wurde der Beschwerde gem. § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.), gemäß § 55 Abs. 1a FPG festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt V.), und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den BF ein auf die Dauer von 9 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen wird (Spruchpunkt VI.).
Das Vorbringen des BF in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung erachtete das BFA als nicht glaubhaft.
I.2.3. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.06.2019, Zl.: L529 2213206-1/9E, behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
I.2.4. Im fortgesetzten Verfahren schlug eine geplante Einvernahme des BF für 10.09.2019 fehl, weil der BF am 06.08.2019 aus der Justizanstalt entlassen worden war. Es erfolgte die Einstellung des Asylverfahrens mit 10.09.2019 und die Erlassung eines Festnahmeauftrages mit gleichem Datum.
Zwischenzeitig erfolgte die Vorlage fremdsprachiger Dokumente, wobei unklar ist, wann diese einlangten, offenbar wurden sie aber von der Lebensgefährtin des BF per E-Mail übersendet.
Nach polizeilicher Festnahme des BF am 06.11.2019 wurde der BF am 07.11.2019 niederschriftlich einvernommen und über ihn die Schubhaft verhängt.
I.2.5. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der bB gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Weiters wurde der Beschwerde gem. § 18 Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den BF ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VIII.) und dass der BF gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG das Recht zum Aufenthalt ab dem 16.02.2018 verloren habe (Spruchpunkt IX.).
I.2.5.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die bB das Vorbringen des BF in Bezug auf die Existenz einer aktuellen Gefahr einer Verfolgung als nicht glaubhaft.
I.2.5.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Georgien traf die belangte Behörde ausführliche Feststellungen.
I.2.5.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorgekommen sei. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen unter § 57 AsylG zu subsumierenden Sachverhalt ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte dar. Ein schützenswertes Familienleben in Österreich liege nicht vor; folglich bestehe kein Eingriff in das Familienleben.
Der BF sei in Österreich (wegen §§ 127, 128, 129, 130 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 33 Monaten gerichtlich verurteilt worden. Zudem stamme der BF aus einem sicheren Herkunftsstaat und wurde daher der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (§ 18 Abs. 1 Z 1 u. 2 BFA-VG).
I.2.6. Gegen den genannten Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
Der entscheidungserhebliche Sachverhalt steht im Hinblick auf den Gesundheitszustand des BF, im Hinblick auf ein allfälliges Familienleben, im Hinblick auf die der strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Handlungen des BF, im Hinblick auf die im Verfahren vorgelegten Dokumente und im Hinblick auf das Fluchtvorbringen (Darstellung in der Erstbefragung / Darstellung in den Einvernahmen) nicht fest; das Ermittlungsverfahren ist grob mangelhaft.
Eine Sanierung in der verkürzten Entscheidungsfrist ist nicht möglich.
II.2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus folgenden Überlegungen:
Das BFA stellte zum Gesundheitszustand des BF fest, dass er an keiner lebensbedrohenden Erkrankung leide, sich in Schubhaft befinde und medizinisch betreut werde. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das BFA aus, dass sich der Gesundheitszustand des BF aus seinen Angaben im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme, sowie des persönlichen Eindruckes, welchen der entscheidungsbefugte Organwalter im Rahmen der Einvernahme gewinnen konnte, ergeben würden. Zudem befinde sich der BF derzeit in Schubhaft und stehe in umfassender und durchgehender (fach)ärztlichen Betreuung. Bedenken hinsichtlich des Gesundheitszustandes würden von den diensthabenden Ärzten unverzüglich ans BFA gemeldet. Es bestehe daher kein Zweifel an der getroffenen Negativfeststellung.
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das BFA dazu aus, dass der BF die Frage, ob er imstande wäre Unterlagen hinsichtlich seines Gesundheitszustandes vorzulegen, verneint habe.
Solche Dokumente über den Gesundheitszustand des BF finden sich aber im Akt (AS 163 - 174) und verwies der BF zu Recht auf die Aktenlage; dass sich das BFA damit (mit den in den Dokumenten angeführten Diagnosen) aber entsprechend auseinandergesetzt hätte, ist der vorliegenden Entscheidung nicht zu entnehmen.
Wenn das BFA ausführt, der BF habe angegeben, gesund zu sein (AS 604 oben), so ist das insoweit aktenwidrig (vgl. die Angaben des BF auf den AS 565, 566) und im Hinblick darauf, dass sich der Gesundheitszustand aus dem persönlichen Eindruck des entscheidenden Organwalters ergebe spekulativ, geht doch aus der Aktenlage nicht hervor, dass dieser über medizinische Kenntnisse verfügt.ie Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde und der Beschwerde.
Fazit: Der Sachverhalt im Hinblick auf den Gesundheitszustand des BF steht nicht fest.
Das BFA stellte zum Privat- und Familienleben fest, dass der BF eine Lebensgefährtin in Österreich habe. Er habe keinen ordentlichen Wohnsitz und nehme nach wie vor unangemeldet Unterkunft. Dass er einen Schlüssel vorweisen könne, bei seiner Lebensgefährtin wohne und die Adresse der Wohnung kenne, sei in Anbetracht seines bisherigen Verhaltens ungenügend. Er habe durch seine Lebensgefährtin einen verstärkten Anreiz, illegal in Österreich zu verbleiben und habe ihn die Lebensgefährtin bisher erfolgreich vor dem behördlichen Zugriff geschützt. Der BF sei weder beruflich, noch familiär noch ausreichend sozial integriert.
Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das BFA aus, dass der BF ein besonderes Abhängigkeits- oder Naheverhältnis zu in Österreich lebenden Personen weder behauptet habe, noch es im Zuge des Ermittlungsverfahrens hervorgekommen sei; ein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK liege nicht vor, es bestehe kein Eingriff in das Familienleben des BF.
Völlig unerwähnt blieb, dass der BF im Zuge der Einvernahme am 07.11.2019 angegeben hatte, dass seine Lebensgefährtin Emilia schwanger sei. Zwar wurde die Lebensgefährtin des BF im Zuge der Einvernahme am 07.11.2019 telefonisch kontaktiert und von dieser die vom BF angegebenen Adressdaten bestätigt, weitere Ermittlungen dazu zum behaupteten Familienleben (Dauer der Wohnsitznahme des BF bei der Lebensgefährtin, Ausgestaltung des Familienlebens,...) wurden jedoch nicht geführt. Insbesondere erfolgte keine Einvernahme der Lebensgefährtin, vor allem zur Behauptung der Schwangerschaft.
Fazit: Die Erhebungen zum Familienleben sind unzureichend.
Wie schon im Vorverfahren beanstandet, fehlt weiterhin eine entsprechende Auseinandersetzung des BFA mit den der strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Handlungen. Im Wesentlichen wurden nur die angewendeten Paragraphen und die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe zitiert. Eine Auseinandersetzung mit den vom BF begangenen konkreten Tathandlungen, beispielsweise, dass es sich vorliegendenfalls um das Verbrechen des gewerbsmäßig schweren Diebstahls durch Einbruch durch besonders verwerfliches Eindringen in den höchstpersönlichen Lebensbereich der Opfer handelte, fehlt ebenso, wie die Miteinbeziehung von Erschwerungs- bzw. von Milderungsgründen. Eine Auflistung der übertretenen Paragraphen oder die Auflistung der Einträge im Strafregister ist jedenfalls nicht hinreichend. Die fehlende Auseinandersetzung mit dem entsprechenden Strafurteil ergibt sich auch aus der chronologischen Einordnung des Urteils im Verwaltungsakt nach dem angefochtenen Bescheid.
Die ursprünglich fehlende Auseinandersetzung des BFA mit dem Umstand der Verhängung der Untersuchungshaft gegen den BF am 24.06.2019 aus dem Grunde der §§ 15 StGB und 27 (2a) SMG wurde durch die am 25.11.2019 bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes nachträglich einlangende - freisprechende - gekürzte Urteilsausfertigung des Landesgerichtes XXXX nunmehr obsolet.
Wie schon im Vorverfahren gerügt - und tragende Argumentation der Behebung - erfolgte abermals eine unzureichende Auseinandersetzung mit den vorgelegten fremdsprachigen Dokumenten. Den Akten ist eine Zusammenfassung des Inhaltes der Dokumente durch eine Dolmetscherin zu entnehmen (vgl. AS 161). Eine Befragung des BF zu den vorgelegten Dokumenten (was er damit zu beweisen beabsichtige) - wie eine Übersetzung im Falle von konkret behaupteter Asylrelevanz - fand nicht statt. Das Nichterwähnen bzw. Ignorieren dieser vorgelegten Dokumente stellt sich als vorgreifende Beweiswürdigung dar.
Den offenbar wiederholt im Laufe des Verfahrens erfolgten Urkundenvorlagen ist zu entnehmen, dass nicht nur die bereits vorgelegten Dokumente nochmals vorgelegt wurden, sondern diese vermischt mit auch neuen Dokumenten waren (vgl. AS 395 - 421 bzw. 467 - 475). Es fehlt insoweit an einer selektiven Auseinandersetzung, konkret einer Befragung des BF zu den neu hinzugekommenen Dokumenten und gegebenenfalls einer diesbezüglichen Übersetzung.
Auch zur Behauptung des BF, er sei Flüchtling aus Megrelien, fehlt jegliche Erwähnung durch das BFA.
Fazit: Auch insoweit steht der Sachverhalt nicht fest.
Eine ausreichende Auseinandersetzung des BFA mit den divergierenden Schilderungen des Fluchtvorbringens (im Vergleich zwischen Erstbefragung vom 22.05.2019 und erster Einvernahme vom 28.05.2019 und dann wieder zur Einvernahme vom 07.11.2019) ist aus der vorliegenden Entscheidung nicht ersichtlich. Wenn das BFA beweiswürdigend ausführt, der BF habe mit inhaltsleeren und widersprüchlichen Angaben beim BFA ein vages, abstraktes Fluchtvorbringen dargelegt, Aussagen seien abstrakt und allgemein vorgebracht worden, der BF habe sich zusehend in Widersprüche verstrickt, so erweisen sich solche Formulierungen - ohne konkrete Belegung mit entsprechenden Aussagen bzw. Ausführung der jeweiligen Widersprüche, als bloße Worthülsen. Dies ist umso mehr beachtlich, als es dem BVwG grundsätzlich - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung [eine solche ist bei Verfahren wie dem vorliegenden im Regelfall nicht vorgesehen und auch aus zeitlichen Gründen (ohne Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung) nicht möglich] - verwehrt ist, ergänzende beweiswürdigende Überlegungen anzustellen.
II.3. Rechtliche Beurteilung
Zu A)
II.3.1. Zur Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG
Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: "Tatsachenbereich") (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar und soll von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher im Lichte der oa. Ausführungen insbesondere dann in Betracht kommen,
- wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,
- wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder
- bloß ansatzweise ermittelt hat.
- Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Ergänzend zu obigen Ausführungen ist aber auch die jüngste Judikatur des EuGH zu erwähnen, der in seinem Urteil vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 sich ua. mit der Frage, ob nationale Bestimmungen, welche dem Verwaltungsgericht die amtswegige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts (anstelle der Behörde) - bei entsprechender Untätigkeit der Behörde - der in der europarechtlichen Judikatur geforderten Objektivität bzw. Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Gerichts entgegenstehen.
Nach seiner Ansicht können die Gerichte nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C 390/12, EU:C:2014:281) diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.
Der EuGH führte weiter aus, dass die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C 390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta dahin zu interpretieren sind, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsverfahren das Gericht, bei der Prüfung des maßgeblichen Sachverhalts die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht eine entsprechende Prüfung durchführen kann. Hinsichtlich des Rechts nach Art. 47 Abs. 2 der Charta auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht umfasst der Begriff der "Unabhängigkeit", die der Aufgabe des Richters innewohnt, nämlich zwei Aspekte. Der erste, externe, Aspekt setzt voraus, dass die Stelle vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteilens ihrer Mitglieder im Hinblick auf die ihnen unterbreiteten Rechtsstreite gefährden könnten (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der zweite, interne, Aspekt steht mit dem Begriff der "Unparteilichkeit" in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass hinsichtlich der Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen an dessen Gegenstand ein gleicher Abstand gewahrt wird. Dieser Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (Urteil vom 9. Oktober 2014, TDC, C-222/13, EU:C:2014:2265, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Was das Zusammenspiel zwischen der den nationalen Gerichten nach dem nationalen Recht obliegenden Pflicht, in den bei ihnen anhängigen Rechtssachen den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, und dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), anbelangt, ist in den Rn. 50 bis 52 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass die nationalen Gerichte nach dem Unionsrecht eine Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird, auf der Grundlage der Beweise vornehmen müssen, die die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats vorgelegt haben.
Diese Gerichte können nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie - wie die Generalanwältin in den Nrn. 51 bis 56 und 68 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat - nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben.
Die Ausführungen des EuGH beziehen sich zwar auf ein Verwaltungsstrafverfahren, sie sind nach ho. Ansicht in ihren sich daraus ergebenden Grundsätzen zu der Rolle des Verwaltungsgerichtes im Verhältnis zu jener der ermittelnden Behörde jedoch auch im gegenständlichen Fall anwendbar.
Im Lichte einer GRC-konformen Interpretation der verfassungsrechtlichen Bestimmungen, wonach das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden hat, finden diese demnach jedenfalls dort ihre Grenze, wenn das Gericht an die Stelle der zuständigen belangten Behörde zu treten hätte, der es eigentlich obliegt, dem Gericht die Beweise, iSd Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts, vorzulegen. Wird diese Grenze überschritten, ist das Gericht ermächtigt - wenn nicht sogar iS obiger, vom EuGH aufgezeigter Grundsätze verpflichtet - eine kassatorische Entscheidung iSd § 28 Abs. 3 VwGVG zu treffen.
II.3.2. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 VwGVG im gegenständlichen Fall:
II.3.2.1. Das BFA stützte die Beweiswürdigung - das Fluchtvorbringen des BF sei nicht glaubwürdig - darauf , dass, wenn der BF in Georgien einer Gefahr ausgesetzt gewesen wäre, er mit hoher Wahrscheinlichkeit gleich einen Asylantrag gestellt hätte [und nicht 2 Jahre zugewartet hätte], er bereits einen Monat nach seiner Einreise in Österreich straffällig geworden ist, es nicht nachvollziehbar sei, dass er im fremdenpolizeilichen Verfahren keine Stellungnahme abgegeben habe, die die Kinder in Georgien unbehelligt bei der Ehefrau leben können, seine Aussagen zu allgemein, abstrakt und das Vorbringen in Kernpunkten einen hohen Unbestimmtheitsgrad aufweise. Diese vom BFA angeführten Argumente stellen zwar (in unterschiedlicher Intensität) Indizien für die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens des BF dar, sind jedoch in Summe nicht geeignet, den Befund der Unglaubwürdigkeit zu tragen, handelt es sich doch zum Teil um Argumente, die schwache Indizwirkung in Richtung einer Unglaubwürdigkeit haben.
Gleichwohl wären weitere gewichtige Argumente (Widersprüche - besonders im Hinblick auf die Schussattentate auf den BF) im Vorbringen des BF vorliegend, die allerdings vom BFA nicht aufgegriffen wurden. Dem BVwG ist es aber verwehrt, solche wesentlichen beweiswürdigenden Überlegungen ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung anzustellen.
II.3.2.2. Wie auch schon im Vorverfahren gerügt, findet sich eine nähere Auseinandersetzung mit dem Gesundheitszustand des BF im angefochtenen Bescheid - vgl. oben unter II.2. - nicht. Soweit das BFA anführt, der BF habe angegeben, dass er gesund sei (AS 604), so ist das in dieser Form aktenwidrig (AS 565, 566).
II.3.2.3. Die Ermittlungen des BFA zum behaupteten Familienleben (Dauer der Wohnsitznahme des BF bei der Lebensgefährtin, Ausgestaltung des Familienlebens,...) sind unzureichend. Insbesondere gilt das auch zur Behauptung der Schwangerschaft der Lebensgefährtin des BF.
II.3.2.4. Im Hinblick auf das von der belangten Behörde ausgesprochene Einreiseverbot von 10 Jahren ist anzumerken, dass auch hier eine nähere Auseinandersetzung mit dem der angeführten Verurteilung zugrundeliegenden Strafurteil, insbesondere mit den vom BF begangenen einzelnen strafbaren Handlungen nicht erfolgte.
Bei der Bemessung - dh. der Festlegung der Dauer des Einreiseverbotes - ist aber das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und aufgrund konkreter Feststellungen eine Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose vorzunehmen. Bei dieser Beurteilung kommt es nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder des Vorliegens der sonstigen genannten Tatbestandsvoraussetzungen an, sondern auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten, die Art und die Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild. D.h. für den konkreten Fall, dass eine Auseinandersetzung mit dem zugrundeliegenden Fehlverhalten (d.h. mit den konkreten Tathandlungen) und der entsprechenden Rechtsgutbeeinträchtigung - und daher mit dem entsprechenden Gerichtsurteil - notwendig gewesen wäre, was die bB allerdings unterlassen hat.
II.3.2.5. Hinsichtlich der mit E-Mail übersendeten Dokumente in georgischer Sprache (vgl. AS 79 - 157) findet sich eine Zusammenfassung des Inhaltes dieser Dokumente - verfasst von einer Übersetzerin (vgl. AS 161). Ohne aber den BF konkret zu diesen vorgelegten Dokumenten zu befragen - was er mit den vorgelegten Dokumenten zu beweisen beabsichtige - wurden diese Dokumente im Vorverfahren offenbar als unerheblich qualifiziert; im nunmehrigen Bescheid finden sie nicht einmal Erwähnung.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass sich im fortgeführten Akt weitere solche Dokumente - offenbar übermittelt von der Lebensgefährtin des BF - finden. Großteils handelt es sich um schon vorgelegte Schriftstücke, es sind aber auch solche darunter, die neu sind. Ermittlungen dazu finden sich nicht in den Akten.
Schon aufgrund des notwendigen Unterlassens von Erhebungen zum Inhalt vorgelegter Dokumente (insbesondere eine konkrete Befragung des BF, was er mit den vorgelegten Dokumenten zu beweisen beabsichtige) ergibt sich, dass die belangte Behörde insgesamt von einer ungenügenden Sachverhaltsgrundlage ausgegangen und die notwendige Ermittlung des Sachverhalts unterlassen hat, was nach Lage des Falles ergänzende Ermittlungen erforderlich macht.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass Bescheide iSd § 58 AVG zu begründen sind. Im Sinne des § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen, sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 20.03.2014, 2012/08/0024, und 21.12.2010, 2007/05/0231, beide mwH) erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben (VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).
II.3.2.6. Gegenständlich liegt daher zum einen vor, dass die Behörde bloß ansatzweise ermittelt hat, zum anderen kann das Vorgehen der belangten Behörde - Unterlassen notwendiger Ermittlungsschritte zu zentralen Aspekten des behaupteten Sachverhaltes - nur so interpretiert werden, dass damit nicht unerhebliche Ermittlungsschritte auf die Beschwerdeinstanz übergewälzt werden sollten. Angesichts der mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde de facto verbundenen verkürzten einwöchigen Entscheidungsfrist bleibt in erster Linie nur die Behebung und Zurückverweisung als Sanierungsmöglichkeit. Eine Sanierung durch eigene Ermittlungen des BVwG und Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte eine Behebung des Spruchpunktes über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bedingt. Eine solche Behebung - ausschließlich aus dem Grunde der Gewinnung von Zeit für notwendige Ermittlungen - entspricht nicht der Regelung des § 18 Abs. 5 BFA-VG.
Das BFA wird daher im fortgesetzten Verfahren die oben aufgelisteten fehlenden Ermittlungen (vgl. oben die Punkte II.3.2.1. bis II.3.2.6.; siehe auch Punkt II.2.) durchzuführen und die angeführten Mängel zu beheben haben.
Gleichzeitig wird auf die unten (II.5.) angeführten Punkte hingewiesen.
II.3.3. Von diesen Überlegungen ausgehend ist daher im gegenständlichen Fall das dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.
II.4. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der angefochtene Bescheid zu beheben war.
II.5. Auf die schon im Vorverfahren gerügten Mängel - Fehlen von Aktenteilen - wird neuerlich hingewiesen und eine Verbesserung angeregt. Bedingt durch die parallele Führung von zwei verschiedenen Verfahren fehlten elementare Teile der (anfänglich) vorgelegten Akten. Beispielsweise wurden Teile der Einvernahme (vom 07.11.2019) in den Bescheid hineinkopiert - das Protokoll dieser Einvernahme fehlte aber ursprünglich in den vorgelegten Akten und war daher nicht nachvollziehbar, woher diese Teile dieser Einvernahme stammen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aufgrund der oa. Ausführungen war die Revision nicht zuzulassen.
Schlagworte
Begründungspflicht Beweiswürdigung Einreiseverbot Ermittlungspflicht Familienleben Gesundheitszustand Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung politische Gesinnung Straffälligkeit strafgerichtliche VerurteilungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L529.2213206.3.00Im RIS seit
01.10.2020Zuletzt aktualisiert am
01.10.2020