Entscheidungsdatum
07.01.2020Norm
AsylG 2005 §12a Abs2Spruch
L529 2211879-2/5E
L529 2211875-2/5E
L529 2211876-2/5E
L529 2211878-2/5E
BESCHLUSS
I. Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter in dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, EAST Ost, vom 19.12.2019, Zl. IFA: 621754004, VZ INT: 191053384, VZ FAS: 191297496, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei:
A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 idgF, nicht rechtmäßig. Der zitierte Bescheid wird daher aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
II. Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter in dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, EAST Ost, vom 19.12.2019, Zl. IFA: 1159134609, VZ INT: 191053244, VZ FAS: 191298000, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei:
A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 idgF, nicht rechtmäßig. Der zitierte Bescheid wird daher aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
III. Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter in dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, EAST Ost, vom 19.12.2019, Zl. IFA: 1159135410, VZ INT: 191053228, VZ FAS: 191298166, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die Mutter und gesetzliche Vertreterin XXXX , StA. Türkei:
A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 idgF, nicht rechtmäßig. Der zitierte Bescheid wird daher aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
IV. Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter in dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, EAST Ost, vom 19.12.2019, Zl. IFA: 1159134108, VZ INT: 191053201, VZ FAS: 191298204, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die Mutter und gesetzliche Vertreterin XXXX , StA. Türkei:
A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 idgF, nicht rechtmäßig. Der zitierte Bescheid wird daher aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrenshergang
I.1.1. Der erstangeführte Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch "BF1") ist der Ehemann der zweitangeführten Beschwerdeführerin (in weiterer Folge auch "BF2") und diese die Eltern der dritt- und viertangeführten mj. Beschwerdeführerin bzw. Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch "BF3" und "BF4"). Die BF sind türkische Staatsangehörige.
Die BF stellten erstmals am 20.07.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz; eine negative erstinstanzliche Entscheidung wurde vom BVwG mit Erkenntnis vom 06.08.2019 bestätigt. Eine dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des VwGH vom 03.10.2019 zurückgewiesen.
I.1.2. Am 16.10.2019 stellten die BF weitere - gegenständliche - Anträge auf Gewährung von internationalem Schutz. Der BF1 brachte nun vor, dass ihm kürzlich von seinem in der Türkei lebenden Bruder telefonisch mitgeteilt worden sei, dass die Polizei dort nach ihm [dem BF1] suche. Seine alten Probleme bestünden immer noch, weil er Christ sei. Im Zuge der Einvernahme am 17.10.2019 legte der BF1 diesbezüglich zwei Berichte (einen solchen in türkischer Sprache; einen weiteren in englischer Sprache) vor.
Eine weitere Einvernahme der BF erfolgte am 29.10.2019.
I.1.3. Mit mündlich verkündetem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.12.2019 erfolgte die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG.
Begründend legte das BFA im Wesentlichen dar, dass der BF1 angegeben habe, dass die alten Fluchtgründe noch bestehen würden, da der BF Christ sei. Die vorgelegten Beweismittel würden sich auf das Erstverfahren beziehen. Auch ein neu übermitteltes Beweismittel (per E-Mail an die EAST Ost) - eine allgemeine Stellungnahme über die Lage der Christen in der Türkei - beziehe sich ebenso auf das Erstverfahren.
Dies sei nicht geeignet, eine neue inhaltliche Entscheidung der Behörde zu bewirken und könne kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden.
Der nunmehrige Antrag auf internationalen Schutz sei voraussichtlich zurückzuweisen, da das Vorbringen jeglicher entscheidungsrelevanter asyl- bzw. refoulementrelevanter Sachverhalte entbehre. Auch habe sich die allgemeine Lage im Herkunftsland nicht entscheidungsrelevant geändert.
I.1.4. Die gegenständliche Rechtssache wurde der Gerichtsabteilung L529 mit Datum 23.12.2019 zugeteilt. Die zugehörigen Akten langten teilweise am 27.12.2019 in der Außenstelle Linz ein. Das vollständige Einlangen der zugehörigen Akten in der Außenstelle Linz (auch der Vorverfahren) wurde vom erkennenden Richter am 03.01.2020 bestätigt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
Die BF legten im Zuge des nunmehrigen Verfahrens auf internationalen Schutz Dokumente in türkischer Sprache und auch in englischer Sprache vor (vgl. AS 91 - 124 zu BF2) und zwar zum Nachweis dafür, dass es in der Türkei keine Religionsfreiheit gebe (AS 83, 143 zu BF1). Inhalt der Länderfeststellungen [des BFA] sei, dass die anderen Religionen nicht unterdrückt werden. Deswegen habe er [der BF1] das [die Dokumente] abgegeben, weil das nicht so stimme (AS 142 zu BF1).
Diese Dokumente [hier v.a. das Dokument in türkischer Sprache (AS 91 - 100 zu BF2)] wurden einer Übersetzung nicht zugeführt und befasste sich die bB damit auch nicht näher. Ohne nähere Auseinandersetzung mit diesen Dokumenten (auch der Qualität der Dokumente), vor allem aber mit dem Inhalt dieser Dokumente, erweist sich die Würdigung durch das BFA - diese seien nicht geeignet, eine neue, inhaltliche Entscheidung der Behörde zu bewirken und könne kein neuer, entscheidungsrelevanter asyl- bzw. refoulementrelevanter Sachverhalt festgestellt werden - als antizipierend und damit unzulässig, hatten die BF doch (mit und bei der Vorlage dieser Dokumente) eine Sachverhaltsänderung in diesem Bereich behauptet.
II.2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und der oben festgestellte Sachverhalt ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des BFA sowie aus dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.
II.3. Rechtliche Beurteilung:
II.3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.
Zu Spruchteil A)
Die maßgeblichen Bestimmungen (in der Sache) lauten:
II.3.2.
§12a (2) AsylG 2005 idgF:
"Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn
1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,
2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und
3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde."
§ 22 (10) Asylg 2005 idgF:
"Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakte sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden."
"(1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.
(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.
(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."
II.3.3. Zu den Voraussetzungen des § 12 a AsylG 2005, auf den gegenständlichen Fall bezogen, im Detail:
II.3.3.1. Eine der Voraussetzungen für die Aberkennung faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005, dass "der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist". Es ist also eine Prognose darüber zu treffen, ob der Antrag voraussichtlich (insbesondere wegen entschiedener Sache) zurückzuweisen sein wird.
II.3.3.2. "Siehe dazu die Erl zur RV 330 BlgNR XXIV. GP 11 ff des FrÄG 2009, auf das § 12a Abs. 2 AsylG 2005 im Kern zurückgeht: "Abs. 2 regelt die Vorgangsweise bei Folgeanträgen nach [...] zurück- oder abweisenden Entscheidungen (§§ 3, 4, 8 und diesen Entscheidungen folgende Entscheidungen gemäß § 68 Abs. 1 AVG) und bestimmt, dass der faktische Abschiebeschutz eines Fremden in diesen Fällen während des laufenden Verfahrens zur Entscheidung über den Folgeantrag unter bestimmten Voraussetzungen aufgehoben werden kann. [...] Die Änderung des Sachverhalts hat sich in zeitlicher Hinsicht auf den zum Entscheidungszeitpunkt des vorigen Verfahrens festgestellten Sachverhalt zu beziehen. Die Z 2 stellt eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags dar. [...] Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 68 Abs. 1 AVG hat es sich um eine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes zu handeln, was nur dann anzunehmen sein wird, wenn sich daraus voraussichtlich eine in den Hauptinhalten anders lautende Entscheidung ergeben würde. Naturgemäß bleibt der amtswegige Ermittlungsgrundsatz (in Zusammenschau mit den Mitwirkungspflichten des Asylwerbers gemäß § 15) aufrecht. Die Behörde hat ihre Entscheidung über die Aufhebung demgemäß auf die Ergebnisse des durch den Folgeantrag ausgelösten Ermittlungsverfahrens zu gründen."
II.3.3.3. Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes kann freilich dazu führen, dass der Asylwerber trotzdem - vor der inhaltlichen Entscheidung über den Antrag - außer Landes gebracht wird und dass dies unter Umständen mit Folgen verbunden ist, vor denen das Asylrecht gerade schützen will. An eine solche Prognose sind daher strengere Maßstäbe anzulegen als in vergleichbaren Fällen (etwa der Beschleunigung eines Verfahrens gemäß § 27 Abs. 4 AsylG 2005 auf Grund der irrigen Prognose, der Asylantrag werde abzuweisen sein) (vgl. zuletzt den hg. Beschluss vom 27.10.2016, GZ W163 2137550-2).
II.3.3.4. § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 verlangt eine Prognoseentscheidung über eine voraussichtliche Antragszurückweisung; die Sachentscheidung über den Folgeantrag selbst ist nicht Gegenstand des Verfahrens (vgl. die in Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, S 284, angeführten Gesetzesmaterialien zu § 22 BFA-VG). In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass das Bundesamt auch dann, wenn die Voraussetzungen vorliegen, den faktischen Abschiebeschutz nicht aufheben muss, sondern dass ihm das Gesetz ermessen einräumt (arg. "kann"); die Ermessensausübung ist im Bescheid zu begründen. In Frage werden bei der notwendigen Abwägung z. B. Umstände kommen wie jener, wie lange Zeit seit der Rechtskraft des Vorbescheides verstrichen ist, wenn der neue Antrag gestellt wird, oder wie häufig der Asylwerber Asylanträge stellt (vgl. unter vielen den hg Beschluss vom 4.7.2014, GZ L512 1422929-3).
Verschiedene "Sachen" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG liegen vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Eine neue Sachentscheidung ist, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht. Als Vergleichsbescheid ist der Bescheid heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde. Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Fremden (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. VwGH vom 6.11.2009, Zl. 2008/19/0783, mwN).
II.3.3.5. Die Prüfung des Bundesverwaltungsgerichts iSd § 12a AsylG beschränkt sich auf eine oberflächliche Prüfung des Vorbringens. Wie oben dargestellt kann eine behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung verpflichten; eine andere rechtliche Beurteilung darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein.
Der BF1 brachte im nunmehrigen Verfahren vor, dass ihm kürzlich von seinem in der Türkei lebenden Bruder telefonisch mitgeteilt worden sei, dass die Polizei dort nach ihm [dem BF1] suche. Seine alten Probleme bestünden immer noch, weil er Christ sei. Im Zuge der Einvernahme am 17.10.2019 legte der BF1 diesbezüglich zwei Berichte (einen solchen in türkischer Sprache; einen weiteren in englischer Sprache) vor.
Die belangte Behörde führte dazu beweiswürdigend aus, dass sich die vorgelegten Beweismittel auf das Erstverfahren beziehen würden. Auch ein neu übermitteltes Beweismittel (per E-Mail an die EAST Ost übermittelt) - eine allgemeine Stellungnahme über die Lage der Christen in der Türkei - beziehe sich ebenso auf das Erstverfahren.
Dies sei nicht geeignet, eine neue inhaltliche Entscheidung der Behörde zu bewirken und könne kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. Auch habe sich die allgemeine Lage im Herkunftsland nicht entscheidungsrelevant geändert.
Eine nähere Befragung zum Inhalt der Schriftstücke fand nicht statt, eine Übersetzung erfolgte nicht. Das Dokument in türkischer Sprache weist die Jahreszahl 2019 auf - ob es zeitlich vor oder nach der zuletzt ergangenen rechtskräftigen Entscheidung des BVwG liegt, ist unklar. Es fehlt eine Befassung der bB mit den vorgelegten Dokumenten, welche Qualität sie haben und was diese konkret aussagen. Dies ist aber notwendig, um sie in Relation zu den vom BFA herangezogenen Länderfeststellungen setzen zu können.
Die beweiswürdigenden Überlegungen der bB zu diesen Dokumenten - diese seien nicht geeignet, eine neue, inhaltliche Entscheidung der Behörde zu bewirken und könne kein neuer, entscheidungsrelevanter asyl- bzw. refoulementrelevanter Sachverhalt festgestellt werden - ist ohne die notwendige Befassung vorgreifend und damit unzulässig.
II.3.3.6. Es kann daher innerhalb des zur Verfügung stehenden und in mehrfacher Hinsicht eingeschränkten Beurteilungsspielraums derzeit nicht hinreichend zuverlässig (im Sinne einer Grobprüfung des Vorliegens des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG) davon ausgegangen werden, dass der vorliegende Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird. Somit ist jedenfalls eine der drei Voraussetzungen, unter denen der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 leg. cit. aufgehoben werden darf, derzeit nicht erfüllt.
II.3.3.7. Festgehalten wird, dass die hier gegenständliche Entscheidung nicht abschließend über das Verfahren iSd § 68 AVG abspricht, sondern lediglich im Sinne einer Grobprüfung zum Ergebnis kommt, dass die Voraussetzungen aufgrund des nunmehrigen Vorbringens nicht von vornherein als zurückweisungsfähiges Vorbringen qualifiziert werden kann, weil die notwendige Befassung mit den vorgelegten Dokumenten - wie bereits ausgeführt - fehlt.
II.3.3.8. Da auch im verkürzten Verfahren nach § 12a AsylG 2005 der amtswegige Ermittlungsgrundsatz (in Zusammenschau mit den Mitwirkungspflichten des Asylwerbers gemäß § 15 AsylG 2005) naturgemäß aufrecht bleibt (vgl. auch RV 330 XXIV. GP zu §12a Abs. 2 AsylG 2005), bedarf es sohin der weiter oben dargelegten ergänzenden Ermittlungen und Auseinandersetzung im Rahmen einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung.
II.3.3.9. Zudem ist aber auch nicht davon auszugehen, dass die Nachholung bzw. Ergänzung von Ermittlungen sowie die Vornahme einer abweichenden Beweiswürdigung von der Überprüfungskompetenz des Bundesverwaltungsgerichts nach § 22 Abs. 1 BFA-VG umfasst sind. Dagegen spricht allein schon der Umstand, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung gemäß § 22 Abs. 1 2. Satz BFA-VG untersagt ist, wobei auch die kurze Entscheidungsfrist der Nachholung entsprechender Ermittlungen in realiter entgegenstehen wird. Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist somit - angesichts der aufgezeigten unzureichenden Befassung mit den vorgelegten Beweismitteln - nicht rechtmäßig und waren die Bescheide vom 19.12.2019 sohin aufzuheben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Aufgrund der oa. Ausführungen war die Revision nicht zuzulassen.
Schlagworte
aufrechte Rückkehrentscheidung Beweiswürdigung entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderung Ermittlungspflicht faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung nicht rechtmäßig Familienverfahren Folgeantrag MinderjährigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L529.2211878.2.00Im RIS seit
01.10.2020Zuletzt aktualisiert am
01.10.2020