Entscheidungsdatum
07.01.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L502 2225626-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2019, FZ. 1123484409-161018960/BMI-BFA_WIEN_AST_01, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid im angefochtenen Umfang aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF) wurde am 21.07.2016 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Zuge einer Personenkontrolle wegen des Verdachts des illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet festgenommen.
Er stellte am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz, im Gefolge dessen seine Erstbefragung durchgeführt und das Verfahren zugelassen wurde.
2. Am 08.08.2017 und am 11.10.2017 wurde er vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zu diesem Antrag niederschriftlich einvernommen.
Im Zuge der Einvernahmen legte er Beweismittel vor, die als Kopie zum Akt genommen wurden.
3. Das BFA konsultierte das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den BF betreffend. Am 26.01.2018 und am 08.08.2018 langten beim BFA die entsprechenden Mitteilungen des BVT und des BAMF ein.
4. Am 27.03.2019 wurde die Lebensgefährtin des BF vor dem BFA niederschriftlich als Zeugin zum Verfahren des BF einvernommen.
5. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Jordanien abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Jordanien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ihm eine 14-tätige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI).
6. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 26.06.2019 wurde ihm von Amts wegen gemäß § 52 BFA-VG ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.
7. Gegen den am 21.10.2019 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seiner zugleich bevollmächtigten Vertretung vom 12.11.2019 Beschwerde gegen die Spruchpunkte II bis VI erhoben. Spruchpunkt I blieb unangefochten.
8. Mit 21.11.2019 langte die Beschwerdevorlage des BFA beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren der nunmehr zuständigen Abteilung des Gerichts zur Entscheidung zugewiesen.
9. Das BVwG erstellte Auszüge aus den Datenbanken der Grundversorgungsinformation, des Melde- sowie des Strafregisters und zog länderkundliche Informationen zu Jordanien heran.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der og. Verfahrensgang steht fest.
1.2. Die Personalien des BF stehen fest. Er wurde am XXXX in XXXX geboren.
Er ist sunnitischer Moslem. Nicht feststellbar war, ob ihm aktuell die jordanische Staatsangehörigkeit zukommt oder er staatenlos ist. Ebenso war nicht feststellbar, ob er der arabischen oder der palästinensischen Volksgruppe angehört.
Er besitzt einen jordanischen Reisepass, der ihm am 03.09.1976 bei der jordanischen Botschaft in der Schweiz ausgestellt wurde und bis 1981 gültig war. Im Jahr 1977 reiste er mit einem israelischen Visum zu seinen Eltern im palästinensischen Autonomiegebiet um sie zu besuchen. Nach seiner Rückkehr in das österreichische Bundesgebiet wurde sein jordanischer Reisepass nicht mehr verlängert.
Er besuchte in XXXX (Anm.: im palästinensischen Autonomiegebiet im Westjordanland) für zwölf Jahre die Schule, welche er im Jahr 1963 mit der Matura abschloss. Er hat dort vor der Ausreise im Oktober 1963 im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern gelebt.
Zu diesem Zeitpunkt reiste zu Studienzwecken nach Deutschland, wo er sich für ein Jahr aufhielt. In der Folge gelangte er in das österreichische Bundesgebiet, wo er vorerst für drei Jahre ebenso die Universität und für ein Jahr eine berufsbildende höhere Schule besuchte. Zwischen 1972 und 1980 war er in der Gastronomie beschäftigt. Er war zwischen 1968 und 1980 legal in Österreich aufhältig, danach illegal.
Der aktuelle Aufenthaltsort seiner Eltern ist ebenso unbekannt wie der Umstand, ob sie noch am Leben sind. Zwei seiner Brüder leben in Kanada. Der Aufenthaltsort eines weiteren Bruders und zweier Schwestern war nicht feststellbar.
Er lebt in Österreich im gemeinsamen Haushalt mit seiner Lebensgefährtin, einer österr. Staatsangehörigen. Mit dieser führt er seit 1986 eine Beziehung. Er verfügt erst seit 25.07.2016 über eine aufrechte Meldeadresse im österreichischen Bundesgebiet. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt in Österreich mit Unterstützung seiner Brüder in Kanada und seiner Lebensgefährtin. Er spricht fließend Deutsch und ist strafgerichtlich unbescholten.
Seit der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz am 21.07.2016 bezieht er als sogen. "Privatgeher" Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber in Form einer staatlichen Krankenversicherung.
1.3. Knapp 60 Prozent der Bevölkerung Jordaniens sind palästinensischer Herkunft, davon sind gut die Hälfte registrierte Palästina-Flüchtlinge. Mehr als zwei Millionen bei der UNRWA registrierte Palästinaflüchtlinge (Anm.: die UNRWA ist eine für die Unterstützung von palästinensischen Flüchtlingen zuständige UN-Hilfsorganisation) leben in Jordanien. In Jordanien gibt es zehn anerkannte palästinensische Flüchtlingslager, in denen mit fast 370.000 Menschen in etwa 18 Prozent der insgesamt in Jordanien lebenden Palästinenser leben. Fast 10.000 palästinensische Flüchtlinge aus Syrien haben um die Unterstützung der UNRWA in Jordanien angesucht.
Der aufenthaltsrechtliche Status der Palästinenser ist nicht einheitlich. Im Wesentlichen gibt es in Jordanien vier Gruppen von Palästinensern: Diejenigen, die nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1948 nach Jordanien und in das von Jordanien kontrollierte Westjordanland kamen, erhielten ebenso wie jene, die nach dem Krieg 1967 ins Land kamen und keinen Aufenthaltstitel in der Westbank hatten, die vollwertige Staatsbürgerschaft. Palästinenser, die nach 1967 noch über einen Aufenthaltstitel für die Westbank verfügten, bekamen die Staatsbürgerschaft nicht mehr, erhielten jedoch - sofern sie nicht ein Reisedokument der Palästinensischen Autonomiebehörde besaßen - zeitweilige Reisepässe ohne nationale Identifikationsnummern. Diese Personen erhielten Zugang zu manchen Regierungsdiensten, zahlten in Krankenhäusern, Bildungseinrichtungen und Ausbildungszentren aber die Tarife für Nichtstaatsbürger. Flüchtlinge, die nach 1967 aus Gaza flohen, hatten keinen Anspruch auf die Staatsbürgerschaft und erhielten temporäre Reisedokumente ohne nationale Nummer. Sie haben keinen Zugang zu Regierungsdiensten und sind meist komplett von den Angeboten der UNRWA abhängig. Die vierte Gruppe sind Syrer palästinensischer Herkunft, die zwar oft an der Grenze abgewiesen wurden, jedoch Zugang zu UNRWA-Dienstleistungen haben.
2. Beweiswürdigung:
Beweis erhoben wurde durch Einsichtnahme in den gg. Verfahrensakt, durch die Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters und des Grundversorgungsdatensystems und durch die Einsichtnahme in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA für Jordanien vom 26.11.2018.
Der oben wiedergegebene Verfahrensgang steht im Lichte des vorliegenden Akteninhalts als unstrittig fest.
Die Personalien des BF waren seinem abgelaufenen Reisepass zu entnehmen. Die Staatsangehörigkeit bzw. Staatenlosigkeit wie auch die Volksgruppenzugehörigkeit des BF waren mangels Vorlage stichhaltiger Nachweise und angesichts seiner widersprüchlichen erstinstanzlichen Aussagen nicht feststellbar.
Ob seine Eltern noch am Leben sind und wenn ja, wo sie aufhältig sind, war ebenso angesichts seiner widersprüchlichen erstinstanzlichen Aussagen nicht feststellbar.
Die Feststellungen zu seinen sonstigen Lebensumständen und seinen Reisebewegungen ergaben sich aus einer Zusammenschau seiner eigenen Angaben und jenen seiner Lebensgefährtin vor dem BFA und den vom BVwG eingeholten Informationen der genannten Datenbanken.
Die länderkundlichen Feststellungen des BVwG stützen sich auf das og. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Jordanien.
3. Rechtliche Beurteilung:
Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.
Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde als gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Mit BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingerichtet.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idgF sowie § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Zu A)
1. Die Aufhebung eines Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG folgt konzeptionell dem § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Insoweit erscheinen auch die von der höchstgerichtlichen Judikatur - soweit sie nicht die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung betrifft - anwendbar, weshalb unter Bedachtnahme auf die genannten Einschränkungen die im Erkenntnis des VwGH vom 16.12.2009, Zl. 2007/20/0482 dargelegten Grundsätze gelten, wonach die Behörde an die Beurteilung im Behebungsbescheid gebunden ist. Mängel abseits jener der Sachverhaltsfeststellung legitimieren das Gericht nicht zur Behebung aufgrund § 28 Abs. 3, 2. Satz (Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167; vgl. auch Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).
Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, (ebenso VwGH, 27.01.2015, Ro 2014/22/0087) mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:
Es liegen die Voraussetzungen von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zusammengefasst dann vor, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht feststeht, insbesonders weil
1. die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,
2. die Behörde zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat
3. konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese im Sinn einer "Delegierung" dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden oder
4. ähnlich schwerwiegende Ermittlungsmängel zu erkennen sind und
die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht - hier: das Bundesverwaltungsgericht - selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z. 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden. Dies bedeutet, dass das Verwaltungsgericht über den Inhalt der vor der Verwaltungsbehörde behandelten Rechtsache abspricht, wobei sie entweder die Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid abweist oder dieser durch seine Entscheidung Rechnung trägt. Das Verwaltungsgericht hat somit nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war.
Geht das Verwaltungsgericht - in Verkennung der Rechtslage - aber von einer Ergänzungsbedürftigkeit des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes aus, die bei einer zutreffenden Beurteilung der Rechtslage nicht gegeben ist, und hebt dieses Gericht daher den Bescheid der Verwaltungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG infolge Verkennung der Rechtslage auf, verstößt das Verwaltungsgericht gegen seine in § 28 Abs. 2 VwGVG normierte Pflicht, "in der Sache selbst" zu entscheiden.
2.1. Der BF gab im erstinstanzlichen Verfahren in widersprüchlicher Form zum einen an, dass er der arabischen (AS 11), und zum anderen, dass er der palästinensischen Volksgruppe (As 19, 21, 126 ff) angehöre.
Vor dem BFA behauptete er mehrfach, staatenloser Palästinenser aus Israel zu sein. Auch nannte er als seinen "Heimatort" XXXX (AS 19), wo er auch geboren wurde. Demgegenüber habe er aber bis 1963 in XXXX im Westjordanland mit seinen Eltern gelebt.
Er verfügte demgegenüber über einen jordanischen Reisepass, welcher ihm im Jahr 1976 an der jordanischen Botschaft in der Schweiz ausgestellt wurde und mit dem er im Jahr 1977 nach Israel gereist sei um seine Eltern zu besuchen. Nach seiner Rückkehr in das österreichische Bundesgebiet sei der Reisepass aber nicht weiter verlängert worden bzw. sei die Verlängerung aufgrund der Einreise nach Israel mittels israelischem Visum verweigert worden. Die Gültigkeit dieses Reisepasses lief im September 1981 ab. Die Ausstellung eines israelischen Reisepasses sei ihm von den israelischen Behörden verweigert worden.
Schließlich behauptete er, sein Vater habe für die UNRWA gearbeitet, jedoch habe sich der BF nie unter deren Schutz gestellt.
2.2. In seiner Entscheidungsbegründung führte das BFA aus, dass ihre Feststellungen zur Herkunftsregion und Staatsangehörigkeit des BF auf seinen "Dokumenten" sowie seinen "diesbezüglichen glaubhaften Aussagen" im Zuge seiner Erstbefragung und der Einvernahme vor dem BFA beruhen würden.
Im Lichte der Wiedergabe der erstinstanzlichen Ermittlungsergebnisse oben waren diese Feststellungen der belangten Behörde jedoch nicht nachvollziehbar.
In diesem Sinn ließ die Formulierung "Sie geben an, [...]" im angefochtenen Bescheid auch nicht erkennen, von welcher Staatsangehörigkeit des BF das BFA nun ausging, zumal es sich dabei um die bloße Wiedergabe einer Aussage des BF, nicht jedoch um eine Feststellung handelt.
Alleine die frühere Ausstellung eines Reisedokumentes durch die jordanische Botschaft in Bern war noch kein Nachweis für eine aufrechte jordanische Staatsangehörigkeit des BF, zumal der BF selbst zu keinem Zeitpunkt angab, dass er jordanischer Staatsangehöriger sei, bzw. er sich in Widerspruch dazu mehrfach als staatenlos bezeichnete und das von ihm vorgelegte Reisedokument bereits im Jahr 1981 seine Gültigkeit verlor und ihm seither kein weiterer jordanischer Reisepass ausgestellt wurde.
Auch waren die Angaben des BF zu seinem früheren Lebenswandel bis 1963 in Jerusalem / Ramallah / Israel / Westjordanland inkonsistent und insoweit nicht schlüssig.
Schließlich war dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Jordanien vom 26.11.2018 zu entnehmen, dass knapp 60 % der jordanischen Bevölkerung palästinensischer Herkunft sind, der aufenthaltsrechtliche Status der Palästinenser in Jordanien aber nicht einheitlich ist, sodass sich auch daraus noch nichts gewinnen ließ.
2.3. Angesichts all dieser Widersprüche und Unklarheiten hat es das BFA unterlassen die für die Feststellungen der Staatsangehörigkeit, der Volksgruppenzugehörigkeit und der regionalen Herkunft notwendigen Ermittlungen durchzuführen. Auch ein Herkunftsstaat des BF iSd AsylG war auf dieser Grundlage nicht feststellbar.
Im Rahmen von Ermittlungen im Wege der österreichischen Vertretungen in Jordanien und Israel kann sich die belangte Behörde Kenntnis vom allfälligen rechtlichen Status des Beschwerdeführers ebendort verschaffen. Im Hinblick auf die vom BF gemachten Angaben zur Berufstätigkeit seines Vaters bei der UNRWA ist es für die belangte Behörde auch möglich sich bei der ständigen Vertretung beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten in Amman zu informieren. Im Übrigen ist auch der BF selbst diesbezüglich eingehender zu befragen.
Nicht zuletzt sollen diese Ermittlungen auch der Beantwortung der Frage nach allfälliger verwandtschaftlicher Unterstützung des BF in seiner tatsächlichen Herkunftsregion dienen, zieht man sein schon fortgeschrittenes Alter in Betracht.
2.4. Angesichts dessen, dass das BFA in der angesprochenen Weise bloß ansatzweise bzw. gar nicht ermittelte und auf diese Weise auch zu einer unschlüssigen Entscheidungsgrundlage gelangte, lag in der Folge eine so gravierende Ermittlungslücke hinsichtlich der Subsumtion unter die richtige Rechtsgrundlage vor (vgl. VwGH vom 30.09.2014, Ro 2014/22/0021), dass sich das erkennende Gericht zur Behebung der bekämpften Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheides veranlasst sah.
Eine Verlagerung des im Hinblick auf die erwähnten rechtlichen Konsequenzen erforderlichen Ermittlungsverfahrens vor das BVwG war nicht als im Sinne des Gesetzgebers gelegen zu erachten. Im Übrigen würde eine erstmalige Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes und Beurteilung der Rechtsfrage durch das BVwG eine (bewusste) Verkürzung des Instanzenzuges bedeuten (vgl. dazu VwGH v. 18.12.2014, Ra 2014/07/0002; VwGH v. 10.10.2012, Zl. 2012/18/0104). Dass eine unmittelbare Durchführung dieses Ermittlungsverfahrens durch das BVwG "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, war nicht ersichtlich.
3. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.
4. Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der Bescheid im angefochtenen Umfang aufzuheben waren.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Schlagworte
Ermittlungspflicht Herkunftsstaat Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung staatenlos Staatsangehörigkeit VolksgruppenzugehörigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L502.2225626.1.00Im RIS seit
01.10.2020Zuletzt aktualisiert am
01.10.2020