TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/8 L512 2158644-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.01.2020
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Entscheidungsdatum

08.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L512 2158644-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marlene JUNGWIRT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. der Libanesischen Republik, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, § 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46, § 55 FPG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ein Staatsangehöriger der Libanesischen Republik, (in weiterer Folge "Libanon" genannt) stellte am 29.09.2015 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz.

Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der BF am 30.09.2015 zusammengefasst Folgendes vor:

Er sei ledig, staatenlos, Christ/Orthodox und gehöre der Volksgruppe der Araber an. Der BF habe zwölf Jahre lang die Schule und 3 Jahre die Universität im Libanon besucht. Er habe eine Ausbildung in " XXXX ". Er habe zuletzt als XXXX gearbeitet. Er habe den Libanon legal verlassen.

Zum Fluchtgrund führte der BF aus, er sei von der Familie bedroht worden, da er zum Christentum konvertiert sei. Die Tante des BF sei ebenfalls bedroht worden. Sie seien aus Angst um deren Leben geflüchtet [Aktenseite (AS) 1 ff.].

Vor einem Organwalter der belangten Behörde brachte der BF am 07.07.2016 zu seinem Fluchtgrund im Wesentlichen Folgendes vor:

Er habe nach dem Abschluss seines Studiums eine Art Praktikum absolviert. Hier sei der BF auf das Christentum aufmerksam gemacht worden. Ein Kollege habe mit dem BF Gespräche über die Bibel geführt. Dadurch habe der BF mehr über diese Religion wissen wollen. Die Tante des BF habe ihrem Bruder gesagt, dass sie Christin sei. Der BF sei daraufhin mit seiner Tante geflüchtet. Der BF wurde in Österreich getauft und gehört der XXXX an (AS 33 ff.).

I.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid der belangten Behörde gemäß § 3 Abs 1 AsylG abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Absatz 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass dem Vorbringen des BF hinsichtlich einer Bedrohung und Verfolgung im Libanon kein Glauben geschenkt werde bzw. keine Asylrelevanz gegeben ist (AS 160ff.).

I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Libanon traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam. Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben. Zudem sei die Abschiebung zulässig, da kein Sachverhalt im Sinne des § 50 Abs 1, 2 und 3 FPG vorliege. Eine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe in Höhe von 14 Tagen, da keine Gründe im Sinne des § 55 Abs 1a FPG vorliegen würden.

I.3. Gegen diesen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften bei deren Einhaltung ein für den BF günstigerer Bescheid erzielt worden wäre, innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben (AS 195 ff.).

I.4 Für den XXXX lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Verhandlung. Mit Schreiben vom XXXX wurden den Verfahrensparteien aktuelle Länderberichte zur Lage im Libanon zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich bis zum Zeitpunkt der anberaumten Verhandlung schriftlich bzw. in der Verhandlung mündlich hierzu zu äußern.

I.5. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hatte der BF die Möglichkeit zu seiner Integration, seinem Fluchtvorbringen und seiner Rückkehrsituation Stellung zu nehmen. XXXX und XXXX wurden als Zeugen befragt.

I.6. Hinsichtlich des Verfahrensherganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1. Der Beschwerdeführer

Der BF ist libanesischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Araber. Er stammt aus XXXX , hat 12 Jahre die Schule sowie 3 Jahre die Universität im Libanon besucht. Vor seiner Ausreise arbeitete der BF bei einer XXXX in XXXX bzw. im XXXX .

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Die Eltern des BF, seine Stiefmutter, drei Brüder sowie zwei Schwestern des BF leben im Libanon. Der BF hat zu seiner Mutter Kontakt.

Der BF ist Drittstaatsangehöriger, leidet an keiner lebensbedrohenden Erkrankung und ist arbeitsfähig.

Der BF verfügt über bestehende familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

Die Identität des BF steht nicht fest.

In Österreich leben keine Verwandten des BF. Im September 2015 reiste der BF illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seither ununterbrochen im österreichischen Bundesgebiet auf. Der BF bezieht bzw. bezog ab XXXX Leistungen aus der Grundversorgung für Asylwerber.

Der BF hat Deutschkurse besucht und verfügt über Deutschkenntnisse auf B2 Niveau. Der BF hat zuletzt die ÖSD Prüfung Deutsch auf B2 Niveau mit gut bestanden. Der BF hat am Kompetenzworkshop für hochqualifizierte Asylwerber im Umfang von 22 Stunden teilgenommen. Der BF tritt als XXXX auf, spielt XXXX und nimmt an verschiedenen Veranstaltungen teil bzw. wirkt mit. Der BF nimmt seit XXXX an Workshops und Veranstaltungen im XXXX der XXXX teil und wirkt mit. Der BF ist Teilnehmer und Sänger beim XXXX . Der BF hat bei der Gestaltung einer Ausstellung mitgewirkt. Der BF hat bei Arbeiten im Quartier mitgeholfen.

Der BF hat Bekannte in Österreich. Der BF hat einfache, haushaltstypische Dienstleistungen in Privathaushalten erbracht (Dienstleistungsscheck). Der BF wurde für das Schuljahr XXXX für das Kolleg XXXX aufgenommen.

Der BF ist unbescholten.

Der BF besucht seit XXXX die XXXX . Der BF wurde am XXXX in der XXXX getauft. Der BF engagiert sich sonntags bei Treffen für Studenten und junge Erwachsene sowie in der Kinderstunde während des Gottesdienstes und nimmt an Bibelstundenabenden teil. Der BF hat einen dreizehnwöchigen Lehrgang im Bereich Grundlagen des Glaubens absolviert und nahm und nimmt an anderen Aktivitäten teil.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Libanon

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Libanon werden folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Politische Parteien sind zugelassen; sie sind jedoch in der Praxis meist Zweckbündnisse, die vor allem auf der Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe basieren. Die Verfassung des Landes schreibt eine Trennung der Gewalten vor. Parlamentswahlen sollen alle vier Jahre abgehalten werden; der Staatspräsident wird von den Abgeordneten für sechs Jahre gewählt. Das libanesische System wird von der Zusammenarbeit der verschiedenen religiösen Gruppen getragen; daneben spielen Familien- und regionale Interessen eine große Rolle (AA 1.3.2018).

Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Taif-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten "Dokument der Nationalen Versöhnung" (AA 1.3.2018). In diesem sogenannten Taif-Abkommen wurde festgelegt, dass die drei wichtigsten Ämter im Land auf die drei größten Konfessionen verteilt werden:

? Das Staatsoberhaupt muss maronitischer Christ sein

? Der Parlamentspräsident muss schiitischer Muslim sein

? Der Regierungschef muss sunnitischer Muslim sein

Dieser Proporz bestimmt die gesamte Verwaltung und macht auch vor der Legislative nicht halt. Das Parlament mit seinen 128 Mitgliedern setzt sich nach dem Grundsatz der konfessionellen Parität wie folgt zusammen:

34 Maroniten, 27 Schiiten, 27 Sunniten, 14 griechisch-orthodoxe Christen, 8 Drusen, 8 melikitische/griechisch-katholische Christen, 5orthodoxe Armeniern, 2 Alewiten, 1 armenischer Katholik, 1 Protestant und 1 weitere Minderheit (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 20.4.2018).

Bei der im Abkommen von Taif vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es bisher keine Fortschritte (AA 1.3.2018).

Das Parlament des Libanon ist konfessionsübergreifend in zwei politische Blöcke gespalten, die einander im Libanon unversöhnlich gegenüberstehen:

* die von der schiitisch geprägten und vom Iran beeinflussten Hisbollah angeführte 8.März-Koalition und

* die eher westlich orientierte, sunnitisch geprägte und von Saad Hariri (Future Movement; arab.: (al-)Mustaqbal) angeführte 14. März-Bewegung (BBC 4.11.2014; vgl. GIZ 6/2018).

Die traditionelle Feindschaft zwischen diesen beiden Blöcken wurde durch den Konflikt im benachbarten Syrien zusätzlich vertieft, als schiitische Hisbollah-Kämpfer sich auf die Seite der syrischen Regierung stellten, während die 14. März-Bewegung die syrischen Rebellen unterstützte (BBC 4.11.2014; vgl. GIZ 6/2018).

Diese Polarisierung lähmt das Land politisch und ökonomisch, verstärkt konfessionelle Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten und erschwert bzw. verhindert außerdem die Erarbeitung notwendiger Lösungen für die ökonomischen, sozialen und politischen Herausforderungen (GIZ 6/2018).

Aufgrund schwer erzielbarer Mehrheiten war es auch jahrelang nicht möglich, ein Wahlgesetz zu verabschieden. Dies führte dazu, dass die Parlamentswahl 2013 ausgesetzt und das Mandat der Abgeordneten mehrfach verlängert wurde (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 20.4.2018).

Am 31. Oktober 2016 wurde nach zweieinhalb Jahren und 45 gescheiterten Versuchen ein neuer Präsident gewählt. Mit der Wahl des maronitischen Christen Michel Aoun kam Bewegung in die stark polarisierte libanesische Politik. Da Aoun als Kandidat der schiitischen Hisbollah für das Amt des Präsidenten galt, wurde er zunächst von Premierminister Saad Hariri abgelehnt. Seine Wahl wurde schließlich erst durch eine überraschende Kehrtwende Hariris ermöglicht. Im Gegenzug beauftragte Aoun Hariri, eine neue Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Zwei Monate nach der Präsidentschaftswahl wurde am 19. Dezember 2016 eine neue Regierung vereidigt (GIZ 6/2018).

Im Juni 2017 konnte sich das politische Establishment schließlich auf ein neues Wahlrecht einigen. Dieses sieht unter anderem vor, das Mehrheitswahlrecht durch das Verhältniswahlrecht abzulösen. Hierdurch sollten kleinere Parteien und Wählergruppen gestärkt werden, doch das von den Regierungsparteien außerhalb des Parlaments verhandelte Wahlgesetz enthält zahlreiche Einschränkungen der Verhältniswahl wie beispielsweise eine sehr hohe Einzugshürde bei zehn Prozent.

Positiv ist jedoch, dass die Parteien faktisch gezwungen werden, konfessionsübergreifende Listen zu bilden. Wenn es in einem Wahlkreis die Festlegung gibt, dass hier zwei Sitze für Christen und drei Sitze für Muslime vergeben werden, müssen hier die Parteien eine gemeinsame Liste bilden, um antreten zu dürfen.

Im neuen Wahlgesetz werden Jugendliche unter 21 ausgeschlossen. Auch wurde keine Quote für weibliche Parlamentsabgeordnete eingeführt, obwohl der Libanon eines der Länder mit der niedrigsten Zahl an weiblichen Abgeordneten ist. Der christlich-muslimische Proporz des Parlaments wird durch das Gesetz nicht berührt (GIZ 6/2018).

Am 6. Mai 2018 fanden nach jahrelanger Pattstellung schließlich erstmals seit 2009 erneut Parlamentswahlen statt.

77 Listen mit insgesamt 597 Kandidaten waren für die Wahl um 128 Parlamentssitze in 26 Distrikten registriert. Die Anzahl der weiblichen Kandidaten nahm gegenüber der letzten Wahl auf 86 zu und betrug somit nun 14,4 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag insgesamt bei 49,2 Prozent, nach 53,37 Prozent im Jahr 2009. Die offiziellen Ergebnisse weisen die Sitze wie folgt zu: Future Movement [Anm.: arab. - (al-)Mustaqbal], 21; Free Patriotic Movement, 20; Amal, 17; Libanese Forces, 15; Hisbollah, 12; Progressive Socialist Party, 8; die "Determination (Azem)" Bewegung des ehemaligen Premierministers Mikati, 4; Marada, die Syrian Social Nationalist Party, Kataeb und Tashnaq, jeweils 3 Sitze. Zum ersten Mal gewann ein Kandidat der Zivilgesellschaft einen Sitz durch die Wahlliste "Koulouna Watani" in Beirut. Die Zahl der gewählten Frauen im Parlament stieg von vier auf sechs (UN 13.7.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).

Die Hisbollah und ihre politischen Verbündeten (darunter auch das Free Patriotic Movement FPM, eine christliche Partei unter der Führung von Präsident Michel Aoun, die wie 2009 knapp zwanzig Sitze erringen konnte), gewannen somit mit 65 knapp die Hälfte der 128 Sitze im Parlament, während der vom Westen unterstützte sunnitische Premierminister Saad al-Hariri zwar mehr als ein Drittel seiner Sitze verlor, aber mit 21 Parlamentsmitgliedern immer noch Führer des größten politischen Blocks ist. Zu diesem Block gehört auch die christliche, gegen die Hisbollah auftretende anti-syrische Partei "Libanese Forces", die als zweiter großer Sieger bei dieser Wahl ihre Mandate gegenüber der Wahl 2009 beinahe verdoppelte.

Insgesamt betrachtet haben somit die vom Iran unterstützte Hisbollah und ihre politischen Verbündeten bei den Parlamentswahlen etwas an Einfluss gewonnen (RFE 7.5.2018, vgl. ICG 9.6.2018), wenngleich sich an der grundsätzlichen Machtstruktur nichts geändert hat. Der bisherige Premier Hariri wurde trotz der Wahlverluste neuerlich damit beauftragt, eine Regierung zu bilden (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 29.5.2018).

Im Libanon leben schätzungsweise zwischen 4,5 und 6,2 Millionen Menschen, je nachdem, inwieweit die große Zahl von Flüchtlingen mitberücksichtigt wird oder nicht (CIA 14.8.2018, vgl. GIZ 6/2018). Neben etwa 450.000 [Anm.: bei der UNRWA registrierten] palästinensischen Flüchtlingen - die Zahl der derzeit tatsächlich im Libanon aufhältigen palästinensischen Flüchtlinge beläuft sich laut einer aktuellen Volkszählung auf 174.422 Personen (Daily Star 21.12.2017) - sind im Libanon laut UNHCR etwa eine Million syrische Flüchtlinge registriert, was mehr als 25% der Wohnbevölkerung des Landes entspricht. Der Libanon beherbergt somit mehr syrische Flüchtlinge als jedes andere Land der Region. Der Krieg in Syrien hat nicht nur durch die große Flüchtlingswelle enorme Auswirkungen auf den Libanon, vielmehr droht der Konflikt das sensible Gefüge der libanesischen Gesellschaft zu zerreißen. Während die Hisbollah und ihre Anhänger den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad unterstützen, sympathisieren die Anhänger des Lagers 14. März mit den syrischen Rebellen, die Assad bekämpfen. Seit Beginn des militärischen Engagements der Hisbollah in Syrien zugunsten des Assad-Regimes hat sich die politische Spaltung des Libanon vertieft und führt zunehmend zu einem gewalttätigen konfessionellen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Gleichzeitig - und obwohl die Hisbollah das Hariri-Bündnis beschuldigt, die radikalen Sunniten zu decken und im Gegenzug das Hariri-Bündnis wiederum die Hisbollah beschuldigt, den Libanon in den Krieg in Syrien hineinzuziehen - bilden beide Kontrahenten derzeit mit anderen politischen Kräften eine zwar konfliktreiche, aber durchaus funktionierende Regierung der nationalen Einheit, die es tatsächlich geschafft hat, ein Überschwappen des Bürgerkrieges aus Syrien zu verhindern (GIZ 6/2018, vgl. AA 1.3.2018).

Geschwächt durch die sich vertiefenden Gräben zwischen und innerhalb der Gemeinschaften [Anm.: Konfessionen] hat der libanesische Staat schrittweise seine Hauptaufgabe der Regierung und als Manager repräsentativer Politik aufgegeben und stützt sich vermehrt auf Sicherheitsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Stabilität und des Status Quo (ICG 23.2.2016).

Der Libanon ist kein funktionierender Staat, deshalb haben sich die Menschen im Libanon immer mehr auf Klientelismus, anstatt auf den Staat verlassen. Politiker benutzen Geld, Ressourcen und Dienstleistungen, um sich eine Basis in der Bevölkerung zu schaffen. Diese Entwicklung in Kombination mit den konfessionellen Spannungen sowie den Auswirkungen von der Syrienkrise steht ernstzunehmenden Entwicklungsprozessen entgegen (Daily Star 30.12.2014).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin

- BBC-News (4.11.2014): Lebanon Profile, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-14648681, Zugriff 24.8.2018

- CIA (14.8.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/le.html, Zugriff 17,8,2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3/2018): Libanon - Gesellschaft, https://www.liportal.de/libanon/gesellschaft/; Zugriff 8.8.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6/2018): Libanon - Überblick: https://www.liportal.de/libanon/ueberblick/, Zugriff 8.8.2018

- ICG - International Crisis Group (23.2.2016): Arsal in the Crosshairs: The Predicament of a Small Lebanese Border Town: http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1456410095_b046-arsal-in-the-crosshairs-the-predicament-of-a-small-lebanese-border-town.pdf; Zugriff am 24.8.2018

- ICG - International Crisis Group (9.6.2018): In Lebanon's Elections, More of the Same is Mostly Good News,

https://www.ecoi.net/de/dokument/1432128.html, Zugriff 24.8.2018

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (7.5.2018): Iran-Backed Hizballah And Allies Make Big Gains In Lebanese Election, https://www.ecoi.net/de/dokument/1431871.html Zugriff 30.8.2018

- The Daily Star (21.12.2017): Census finds 174,422 Palestinian refugees in Lebanon, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2017/Dec-21/431109-census-finds-174422-palestinian-refugees-in-lebanon.ashx, Zugriff 10.9.2018

- The Daily Star (30.12.2014): Understanding the drive to extremism, http://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2014/Dec-30/282595-understanding-the-drive-to-extremism.ashx, Zugriff 24.8.2018

- UN Security Council (13.7.2018): Implementation of Security Council resolution 1701 (2006); Report of the Secretary-General; Reporting period from 1 March 2018 to 20 June 2018 [S/2018/703], https://www.ecoi.net/en/file/local/1439147/1226_1532506886_n1822402.pdf Zugriff 7.8.2018)

- USDOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436862.html, Zugriff 22.8.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8 2018

Sicherheitslage

Im folgenden Abschnitt finden sich allgemeine Informationen zur Sicherheitslage. Es wird ausdrücklich festgehalten, dass diese auch kurzfristig Änderungen unterworfen sein kann. Der besseren Übersichtlichkeit wegen ist die Darstellung der Sicherheitslage in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Abschnitt über palästinensische Flüchtlinge zu finden.

Die wichtigsten religiösen Hauptgruppen im Libanon sind Schiiten, Sunniten, Christen und Drusen. Die sich daraus ergebenden Spannungen sind die Ursache für die meisten der internen Konflikte im Libanon, und andere Staaten der Region haben diese internen Konflikte regelmäßig als Vorwand genutzt, um in dem Land einzugreifen. Darüber hinaus hat insbesondere die Präsenz der palästinensischen und syrischen Flüchtlinge immer wieder zu Konflikten Anlass gegeben. Von 1975 bis 1990 herrschte im Libanon Bürgerkrieg, in dem die regionalen Mächte, insbesondere Israel, Syrien und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) das Land als Schlachtfeld für ihre eigenen Konflikte benutzten (BBC 4.11.2014).

Anschließend kam es von 1992 bis 2004 zu einer Phase der Entspannung. Im Februar 2005 fiel der damalige Premierminister Rafik Hariri einem Attentat zum Opfer. Als Folge brach die sogenannte Zedernrevolution aus, die als Hauptforderung den Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon postulierte. Die sogenannte 14. März-Bewegung machte Syrien direkt für die Ermordung Hariris verantwortlich, zumal dieser zuvor die Stationierung syrischer Truppen im Libanon kritisiert und die Umsetzung der UN-Resolution 1559 gefordert hatte. Diese sieht den Rückzug aller ausländischen Truppen aus dem Libanon und die Entwaffnung und Auflösung der im Libanon aktiven Milizen vor, womit insbesondere die Hisbollah gemeint ist. Tatsächlich zog Syrien noch im April 2005 seine Truppen aus dem Libanon ab.

Die zivilen Behörden übten zwar weiterhin die Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitskräfte aus, gleichzeitig operierten aber palästinensische Sicherheits- und Milizkräfte, die Hisbollah und andere extremistische Elemente außerhalb der Leitung oder Kontrolle der Regierung (USDOS 20.4.2018). Im Jahr 2013 hatte die EU die Hisbollah auf die Terrorliste gesetzt; im Gegensatz zu den USA allerdings nur deren militärischen Arm und nicht den im Parlament vertretenen politischen Arm (SpiegelOnline 22.7.2013).

Trotz aller Spannungen konnte ein Übergreifen des Syrienkonflikts, in dem sich die libanesische Hisbollah-Miliz seit Frühjahr 2013 auf Seiten des syrischen Regimes beteiligt, auf libanesisches Territorium in den vergangenen Jahren weitgehend verhindert werden. Allerdings befanden sich bis August 2017 in der Gegend um den Grenzort Arsal aus Syrien eingedrungene Kämpfer auf libanesischem Staatsgebiet. Nach länger andauernden Kämpfen, in die auf libanesischer Seite neben den Streitkräften auch die Hisbollah-Miliz verwickelt war, verließen die eingekesselten IS-Kämpfer mit ihren Familien im Rahmen einer Waffenstillstandsvereinbarung mit Bussen die umkämpfte Gegend (AA 1.3.2018; vgl. AI 23.5.2018). Bei einem Antiterroreinsatz der libanesischen Armee in der Gegend von Arsal am 30.06.2017 wurden 350 Personen vorübergehend festgenommen, mindestens vier starben im Gewahrsam der Armee, nach Armeeangaben in Folge bereits bestehender gesundheitlicher Probleme. Menschenrechtsgruppen fordern eine unabhängige Untersuchung der Vorgänge. Der Fall soll militärgerichtlich aufgearbeitet werden (AA 1.3.2018; vgl. AI 23.5.2018).

Grundsätzlich ist es im Libanon so, dass die staatlichen Institutionen in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff haben. Dies gilt insbesondere für die meisten palästinensischen Flüchtlingslager. Die Sicherheitslage dort blieb im Allgemeinen stabil. Im Lager Ein El Helweh bei Sidon kam es allerdings zu einigen gewalttätigen Zwischenfällen und Schießereien. Bei Zusammenstößen im März und April 2018 zwischen extremistischen Gruppen und palästinensischen Streitkräften wurden vier Menschen getötet und elf verletzt (UN 13.7.2018). Detaillierte Informationen zur Lage in den Palästinenserlagern finden sich in Abschnitt 19.

Weiters sind die Zugriffsmöglichkeiten der libanesischen Staatsorgane insbesondere auch in den südlichen Vororten Beiruts und in den schiitischen Siedlungsgebieten im Süden des Landes eingeschränkt (AA 1.3.2018, vgl. USDOS 29.5.2018). Diese werden weitgehend von der Hisbollah kontrolliert, die der Bevölkerung auch grundlegende Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheitsvorsorge, Bildung, Lebensmittelhilfe, innere Sicherheit und Erhaltung der Infrastruktur zur Verfügung stellt (USDOS 29.5.2018).

Bei der von der UN geforderten Abrüstung aller bewaffneten Gruppen einschließlich der palästinensischen Milizen und dem militärischen Flügel der Hisbollah konnten bislang keine Fortschritte erzielt werden. Die Hisbollah bestätigte weiterhin öffentlich, über entsprechende militärische Kapazitäten zu verfügen. Somit ist die libanesische Regierung weiterhin nicht in der Lage, die volle Souveränität und Autorität über ihr Territorium auszuüben (UN 13.7.2018).

Am 5. und 23. April 2018 inhaftierten die libanesischen Streitkräfte 15 der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Gruppe verdächtigte syrische Staatsangehörige, und beschlagnahmten während einer Razzia in einer informellen syrischen Flüchtlingssiedlung in Arsal Waffen und Munition. Am 14. Mai verhaftete die libanesische General Security in Al-Hirmil zwei syrische Staatsangehörige wegen ihrer Zugehörigkeit zu terroristischen Vereinigungen. Am 17. Mai 2018 wurde ein angeblicher Waffenhändler in Akkar im Nordlibanon von den Streitkräften der Internen Sicherheit verhaftet (UN 13.7.2018).

Das österreichische Außenministerium hat für das gesamte syrische Grenzgebiet, die Bekaa-Ebene nördlich von Baalbek und für die Palästinenserlager und deren Umgebung, insbesondere Ein Al-Hilweh und Mieh Mieh bei Saida (Sidon) und Nahr al Bared und Beddawi bei Tripoli Reisewarnungen ausgesprochen. Ein hohes Sicherheitsrisiko wird allgemein für die Provinzen Tripoli und Akkar, die südlichen Vororte Beiruts (Dahiye), die südlichen Stadtränder von Sidon/Saida (Ein El-Hilweh), das israelische Grenzgebiet und die restliche Bekaa-Ebene, einschließlich Baalbek ausgewiesen (BMeiA 11.7.2018).

Das Schweizer Außenministerium warnt vor zahlreichen nicht explodierten Bomben und Minen in der Bekaa-Ebene. Es sind bewaffnete Gruppierungen aktiv, und Grenzüberschreitungen durch Kämpfer sind häufig. In und um die Stadt Arsal (Anmerkung: auch Ersal, Irsal, Aarsal geschrieben) sowie um Ras Baalbek und Qaa kommt es regelmäßig zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen der Armee und militanten Gruppierungen. Spannungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen, aber auch innerhalb einzelner Gemeinschaften, können sich in bewaffnete Konfrontationen oder Anschlägen entladen. Im Juni 2016 forderten Selbstmordanschläge in Qaa mehrere Todesopfer und Verletzte. Im März 2011 wurde in der Nähe von Zahlé in der südlichen Bekaa-Ebene eine Gruppe ausländischer Touristen entführt und mehrere Monate lang festgehalten. Seither sind mehrere Entführungen bekannt geworden. Besonders die Zahl von Entführungen mit hohen Lösegeldforderungen hat zugenommen (EDA 5.12.2017).

Die Spannungen in den Flüchtlingslagern sind groß und können sich auch aus geringen Anlässen in Gewalttaten entladen. In Saïda (Sidon) kommt es vereinzelt zu Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Im Südlibanon finden laufend Truppenverschiebungen statt. Insbesondere im libanesisch-israelischen Grenzgebiet und nochmal verstärkt südlich des Litani-Flusses bis zur israelischen Grenze sind die Spannungen sehr hoch (EDA 5.12.2017). Auch das Britische Außenministerium betont die permanente Gefahr von Terroranschlägen (gov.uk o.D.).

Ende März 2018 verabschiedete das libanesische Kabinett eine nationale Strategie zur Verhinderung von gewalttätigem Extremismus - eine Initiative, die der inzwischen geschäftsführende Ministerpräsident Saad Hariri im Rahmen eines globalen Aktionsplans der Vereinten Nationen vorangetrieben hat. Es wird geschätzt, dass der Prozess weitere acht Monate [Anm: bis Anfang 2019] dauern wird, bis die Bürger ihn in ihren Gemeinden umsetzen werden. Neben Tunesien und Marokko ist der Libanon einer der Pioniere in der Region, der eine solche Strategie umsetzt (Daily Star 27.6.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin

- AI - Amesty International (23.5.2018): Libanon 2017/2018, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/libanon, Zugriff 10.9.2018

- BBC-News (4.11.2014): Lebanon Profile, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-14648681, Zugriff 30.1.2015

- BMeiA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (Stand 3.9.2018, unverändert gültig seit: 11.07.2018): Reiseinformation Libanon, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/libanon/, Zugriff 3.9.2018

- Daily Star (27.6.2018): Strategizing prevention of violent extremism, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2018/Jun-27/454477-strategizing-prevention-of-violent-extremism.ashx, Zugriff 5.9.2018

- Spiegel Online (22.7.2013): EU setzt Hisbollah-Miliz auf Terrorliste, http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-setzt-hisbollah-miliz-auf-die-eu-terrorliste-a-912397.html, Zugriff 10.9.2018

- EDA - Eidgenössisches Department für auswärtige Angelegenheiten (5.12.2017): Reisehinweise für den Libanon Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/libanon/reisehinweise-libanon.html, Zugriff 29.8.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6/2018): Libanon - Überblick: https://www.liportal.de/libanon/ueberblick/; Zugriff 8.8.2018

- Gov.uk (o.D.): Foreign Travel Advice; Lebanon; Safety and Security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/lebanon/safety-and-security, Zugriff 29.8.2018

- UN Security Council (13.7.2018): Bericht des UNO-Generalsekretärs zu Entwicklungen vom 1. März bis 20. Juni 2018 (Sicherheitslage; Entwaffnung bewaffneter Gruppen; politische Stabilität; weitere Themen) https://www.ecoi.net/en/file/local/1439147/1226_1532506886_n1822402.pdf, Zugriff 21.8.2018)

- USDOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436862.html, Zugriff 22.8.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassungsinstitutionen, insbesondere Parlament, Regierung und Justizwesen, funktionieren im Prinzip nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, sind aber in ihrer tatsächlichen Arbeit politischen Einflussnahmen ausgesetzt. Die Gewaltenteilung ist in der Verfassung zwar festgeschrieben, wird in der Praxis aber nur eingeschränkt respektiert; insbesondere in politisch brisanten Ermittlungsverfahren kommt es zu Versuchen der Einflussnahme auf die Justiz, z.B. bei der Ernennung von Staatsanwälten und Ermittlungsrichtern oder zum Schutz politischer Parteigänger vor Strafverfolgung. Personen, die an zivil- und strafrechtlichen Routineverfahren beteiligt waren, baten manchmal um die Unterstützung prominenter Personen, um den Ausgang ihrer Verfahren zu beeinflussen. Die Einhaltung der in der Verfassung garantierten richterlichen Unabhängigkeit ist in der praktischen Durchführung durch verbreitete Korruption, chronischen Mangel an qualifizierten Richtern und zum Teil auch politische Einflussnahme eingeschränkt (AA 1.3.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Angeklagte gelten als unschuldig, bis ihre Schuld bewiesen ist. Gerichtsverhandlungen sind in der Regel öffentlich, die Richter können aber geschlossene Gerichtsverhandlungen anordnen. Angeklagte haben das Recht, bei der Verhandlung anwesend zu sein, sich rechtzeitig mit einem Anwalt zu beraten, Zeugen zu befragen, Beweise vorzulegen und in Berufung zu gehen (USDOS 20.4.2018).

Eine Strafverfolgungs- und Strafbemessungspraxis, die nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität diskriminiert, ist im Libanon nicht gegeben. Allgemeine kriminelle Delikte werden im Rahmen feststehender straf- bzw. strafprozessrechtlicher Vorschriften nach insgesamt weitgehend rechtsstaatlichen Prinzipien verfolgt und geahndet. Die Strafprozessordnung stattet die Ermittlungsbehörden mit weitreichenden Vollmachten aus, schreibt aber auch Rechte des Beschuldigten fest, z. B. das Recht auf unverzügliche Kontaktaufnahme zu Rechtsanwälten, Ärzten und Familienangehörigen. Angeklagte haben weiters das Recht auf rechtlichen Beistand; allerdings existiert kein staatlich finanziertes System der Pflichtverteidigung. Die Anwaltskammer stellt bei Bedarf Pflichtverteidiger zur Verfügung. Dolmetscher müssen in der Regel durch den Angeklagten selbst gestellt werden (AA 1.3.2018).

Neben den in mehrere Instanzen gegliederten Zivilgerichten existieren im Libanon konfessionelle Gerichtsbarkeiten, in deren Zuständigkeit die familien- und erbrechtlichen Verfahren fallen (USDOS 20.4.2018; vgl.: AA 1.3.2018). Der Libanon verfügt über 15 separate Personenstandsgesetze für seine offiziell anerkannten Religionen, es gibt jedoch kein bürgerliches Gesetzbuch, das Themen wie Scheidung, Eigentumsrecht oder Kindersorgerecht behandelt. Darüber hinaus werden die religiösen Gerichte kaum vom Staat kontrolliert; die Rechte von Frauen sind in den genannten Personenstandsgesetzen oftmals stark eingeschränkt (Daily Star 19.1.2015, vgl. HRW 18.1.2018. Nähere Ausführungen hierzu sind dem Abschnitt 17, Kapitel "Frauen" zu entnehmen).

Das Rechtssystem unterscheidet im Strafrecht zwischen Zivil- und dem Verteidigungsministerium unterstellten Militärgerichten. Letztere haben die Rechtsprechung inne über Fälle, die das Militär betreffen, bzw. in welchen Militärs oder Zivilisten der Spionage, des Hochverrats, des Waffenbesitzes, der Wehrdienstverweigerung und Delikten gegen die Staatssicherheit, gegen das Militär oder deren Angehörige bezichtigt werden. Dabei werden die Zuständigkeiten der Militärgerichtsbarkeit vor allem beim Vorwurf des Terrorismus bzw. bei terroristischen Delikten mit islamistischem Hintergrund oftmals sehr extensiv ausgelegt. Militärgerichte verhandeln sicherheitsrelevante Straftaten auch dann, wenn sie von Zivilisten begangen wurden, oftmals in Schnellverfahren und ohne ausreichenden Rechtsbeistand (AA 1.3.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Menschenrechtsorganisationen zeigten sich besorgt über die Praxis, Zivilisten vor Militärgerichten anzuklagen, über das Maß an Prozessrechten für Angeklagte sowie die fehlende Überprüfung der Urteilssprüche durch reguläre Gerichte (USDOS 20.4.2018).

Seit Jahren wird - wenn bislang auch ohne greifbare Fortschritte - erwogen, alle Militärverfahren ordentlichen Gerichten zu übertragen (AA 1.3.2018).

In den palästinensischen Flüchtlingslagern betreiben palästinensische Gruppen nach eigenem Ermessen eine autonome Rechtsprechung abseits der Kontrolle des Staates (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422490.html, Zugriff 20.8.2018

- The Daily Star (19.1.2015): Lebanon religious laws discriminate against women: rights group, http://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2015/Jan-19/284576-lebanon-religious-laws-discriminate-against-women-rights-group.ashx, Zugriff 30.8.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8. 2018

Sicherheitsbehörden

Die führenden Positionen in den Sicherheitsbehörden werden u.a. nach konfessionellem Proporz vergeben. Die Forces de Sécurité Intérieure (FSI) [auch "Internal Security Force" - ISF] ist die allgemein zuständige Polizei des Staates und gleichzeitig Hilfsorgan der Justiz (z.B. zum Führen des Kriminalregisters). Sie wird durch einen sunnitischen General geleitet und steht dem ebenfalls sunnitischen Innenminister nahe. Die demgegenüber schiitisch geprägte Sûreté Générale (SG) hat neben Fragen der Ein- und Ausreisekontrollen auch eine nachrichtendienstliche Funktion inne. Ihr Leiter wird der AMAL-Partei von Parlamentspräsident Berri zugeordnet. Ein Polizeigesetz im engeren Sinne gibt es nicht (AA 1.3.2018).

Die LAF [Lebanese Armed Forces] unter der Führung des Verteidigungsministeriums sind für die externe Sicherheit verantwortlich, haben aber aus Gründen der Staatssicherheit auch die Befugnis, Verdächtige zu verhaften (USDOS 20.4.2018). Im Gegensatz zu den anderen Sicherheitskräften gilt die Armee trotz eines stets christlichen Oberbefehlshabers und zahlreicher christlicher Generäle als parteipolitisch und konfessionell weitgehend neutral und genießt grundsätzlich hohes Ansehen in allen Bevölkerungsteilen. Sie nimmt - beispielsweise durch die weit verbreiteten Kontrollpunkte - auch Aufgaben der inneren Sicherheit wahr (AA 1.3.2018).

Daneben gibt es noch mehrere vorwiegend nachrichtendienstlich tätige Sicherheitsbehörden (Amn ad-Daula - Staatssicherheit; Amn al-Dschaisch - militärische Sicherheit; Sicherheitsdienst der Quwat al-Amn ad-Dakhili - Polizeikräfte; Nachrichtendienstliche Abteilung der Sûreté Générale). Alle genannten Institutionen und Dienste arbeiten seit Frühjahr 2014 zwar verstärkt zusammen, auch wenn nicht immer eine klare Abgrenzung ihrer Kompetenzen gegeben ist. Ihre Professionalisierung wird auch deutlich dahingehend beschränkt, dass bestimmte Institutionen einer bestimmten Konfession und somit dem entsprechenden politischen Lager zuzuordnen sind. Die daraus resultierenden Loyalitäten beeinflussen teilweise spürbar deren Arbeit (AA 1.3.2018).

Das General Directorate for State Security, das an den Premierminister berichtet, und das Directorate of General Security - DGS [auch "Sûreté Générale - SG] unter der Führung des Innenministeriums sind verantwortlich für die Grenzsicherung (USDOS 20.4.2018).

Sowohl das General Directorate for State Security als auch das DGS sammeln Informationen über potentiell die Staatssicherheit gefährdende Gruppen. Jeder Sicherheitsapparat hat seine eigenen internen Mechanismen, um Fälle von Missbrauch und Fehlverhalten zu untersuchen.

Verhaltensvorschriften der ISF definieren die Pflichten der ISF-Mitglieder sowie die verpflichtenden gesetzlichen und ethischen Standards. Verschiedene Sicherheitskräfte erhielten Training zur Umsetzung des Verhaltenskodex. Trotz effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte genießen letztere Berichten zufolge ein gewisses Maß an Straflosigkeit, nicht zuletzt weil es an öffentlich zur Verfügung stehenden Informationen über den Ausgang von Verfahren fehlt. Außerdem fehlen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Misshandlungen und Korruption (USDOS 20.4.2018).

Zudem haben die staatlichen Institutionen in Teilen des Landes keinen uneingeschränkten Zugriff. Die Hisbollah bildet zumindest in ihren Hochburgen, d.h. in Teilen der Bekaa-Ebene, in südlichen Beiruter Vororten und Teilgebieten des Südens weiterhin eine Art Staat im Staate und übernimmt dort neben sozialen und politischen faktisch auch Aufgaben der Sicherheitsbehörden. Parallel bestehen kleinere bewaffnete Milizen der AMAL-Partei des Parlamentspräsidenten Nabih Berri, drusische Bürgerwehren sowie christliche Milizen (etwa in Nähe zur Kataeb-Partei oder zur griechisch-orthodoxen Kirche), die sich zuletzt im Spätsommer 2015 auch an Kampfhandlungen gegen aus Syrien einsickernde sunnitische Extremisten beteiligt haben (AA 1.3.2018).

Trotz der Anwesenheit von libanesischen Sicherheitskräften und UNO-Einheiten behielt die Hisbollah signifikanten Einfluss über Teile des Landes, und die Regierung machte keinen konkreten Fortschritt, um die bewaffneten Milizen aufzulösen und zu entwaffnen.

Palästinensische Flüchtlingslager stellen [Anm.: mit Ausnahme des Lagers Nahr el-Bared] weiterhin sich selbst regierende Einheiten dar und betreiben Sicherheits- und Militärkräfte, die nicht unter der Kontrolle von Regierungsbeamten stehen (USDOS 20.4.2018; siehe hierzu auch den Abschnitt 19).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8 2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Das Strafgesetzbuch verbietet die Anwendung von Gewalt, um ein Geständnis oder Informationen über eine Straftat oder andere Personen zu erhalten. Trotzdem verweisen einige Nichtregierungsorganisationen (NGOs) auf Berichte über misshandelte Häftlinge. Die Justiz hat solche Vorwürfe nur selten untersucht oder verfolgt. Die Regierung leugnete die systematische Anwendung von Folter, obwohl die Behörden bestätigten, dass es bei Voruntersuchungen auf Polizeistationen, in militärischen Einrichtungen bzw. in Untersuchungshaft, wo Beamte Verdächtige ohne Anwalt verhört haben, manchmal zu gewaltsamen Übergriffen kam. Solche Missbräuche fanden angeblich in mehreren Einheiten statt, obwohl die nationalen Gesetze es den Richtern verbieten, unter Zwang gewonnene Geständnisse anzunehmen. Es gab Berichte, dass die ISF (Internal Security Force) Drogenkonsumenten, an der Prostitution beteiligte Personen und LGBTI-Personen in ihrem Gewahrsam bedroht und misshandelt hat; gleichzeitig haben Menschenrechtsorganisationen und Rechtsexperten allerdings auch auf Verbesserungen bei der Behandlung von Häftlingen im Laufe des Jahres hingewiesen. Ehemalige Gefangene, Häftlinge und lokale Menschenrechtsgruppen berichteten unter anderem von physischen und psychischen Druck, erzwungenen HIV-Tests und Drohungen mit längerer Haft (USDOS 20.04.2018).

Am 4. Juli 2017 gab die libanesische Armee eine Erklärung heraus, dass vier Syrer in Arsal, einem Sperrgebiet im Nordosten des Libanon, in dem viele syrische Flüchtlinge leben, in deren Gewahrsam gestorben waren. HRW zur Verfügung gestellte Fotos der Opfer belegen laut HRW die Vorwürfe des Missbrauchs und der Folter (HWR 7.8.2018; vgl. AA 1.3.2018).

HRW verweist weiters auf den Fall des Schauspielers Ziad Itani, der laut detaillierten Berichten unter Verhör gefoltert worden ist. Dies zeigt, dass trotz des neu verabschiedeten Anti-Folter-Gesetzes anhaltende Probleme hinsichtlich der Behandlung von Gefangenen bestehen (Daily Star 17.7.2018).

Im Mai 2017 trat der Libanon erstmals vor dem UN-Ausschuss gegen Folter auf, nachdem das UN-Übereinkommen gegen Folter und sein Fakultativprotokoll im Jahr 2000 bzw. 2008 ratifiziert worden waren (AI 22.2.2018). Zu deren Umsetzung wurde im Oktober 2017 das oben bereits erwähnte neue Anti-Folter-Gesetz ratifiziert, womit das libanesische Strafgesetzbuch nun erstmals eine Definition von Folter vorsieht und diese Folter sowie andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen unter Strafe stellt (AI 26.6.2018, vgl. HRW 18.1.2018; USDOS 20.4.2018).

Ermittlungs- oder Strafverfahren wegen Foltervorwürfen sind dennoch bisher nur in drei Einzelfällen bekannt geworden (drei Mitarbeiter der Sicherheitskräfte des Gefängnisses Roumieh wurden diesbezüglich angeklagt). Jedwede Form "systematischer Folter" streitet die Regierung aber ab. Es handle sich um Exzesse Einzelner, gegen die man auf strafrechtlicher Grundlage vorgehen werde. Menschenrechtsorganisationen haben (anders als das IKRK seit 2007) keinen Zutritt zu den Militärgefängnissen und zum Verhörzentrum im Verteidigungsministerium (AA 1.3.2018).

Neben der Kriminalisierung der Folter legt das neue Gesetz die Unzulässigkeit von Folteraussagen fest, fordert die Staatsanwaltschaft auf, innerhalb von 48 Stunden auf Beschwerden oder Folterbescheide zu reagieren, begründet das Recht auf Rehabilitation und erklärt Folter als Verbrechen, das nicht durch Notwendigkeit oder nationale Sicherheitsanforderungen gerechtfertigt ist (AI 26.6.2018).

Trotz aller positiven Aspekte weist das Gesetz eine Reihe von Mängeln auf. So hat sich der UN-Menschenrechtsausschuss besorgt gezeigt, weil das Gesetz (a) die Definition von Folter auf Ermittlungen, Verhöre, gerichtliche Ermittlungen, Gerichtsverfahren und Strafen beschränkt; (b) grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlungen oder Strafen nicht kriminalisiert; (c) eine Verjährungsfrist für die Verfolgung von Folter einschließt; (d) Strafen vorschreibt, die nicht die Schwere der Straftat widerspiegeln; und (e) keine wirksamen Rechtsmittel und Wiedergutmachung vorsieht (UN 9.5.2018, vgl. AI 26.6.2018).

Darüber hinaus enthält das Gesetz keine Bestimmungen, wonach sich der Folter beschuldigte Armeeoffiziere vor zivilen Gerichten verantworten müssen (AI 22.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin

- AI - Amnesty International (26.6.2018): Lebanon has a new anti-torture law - finally, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436724.html, Zugriff 7.8.2018

- AI - Amnesty International (22.2.218): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425481.html, Zugriff 24.8.2218

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422490.html, Zugriff 20.8.2018

- The Daily Star (17.7.2018): Itani case highlights torture issue, rights groups say, http://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2018/Jul-17/456837-itani-case-highlights-torture-issue-rights-groups-say.ashx, Zugriff 30.8.2018

- UN Human Rights Committee (9.5.2018): Concluding observations on the third periodic report of Lebanon [CCPR/C/LBN/CO/3], https://www.ecoi.net/en/file/local/1439102/1930_1532434210_g1812984.pdf Zugriff 22.8.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8 2018

Korruption

Gemäß Transparency International's Corruption Perceptions Index (2017) hat sich der Libanon in Bezug auf Korruption seit 2015 um 20 Plätze auf Platz 143 (von 169 bzw. 180 untersuchten Ländern/Territorien) verschlechtert (TI 2017, vgl. TI 2015).

Korruption und Vetternwirtschaft sind im Libanon weit verbreitet. Selbst unter führenden Politikern sind Bestechungen in großem Stil keine Seltenheit. In ihrem Schutz bildeten sich weit verästelte Netzwerke organisierter Korruption. Mangelnde Transparenz und Korruption sind laut der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit die Ursache für die missliche Lage des Landes und hemmen überdies die wirtschaftliche Entwicklung (GIZ 6/2018).

Zu den hauptsächlichen Korruptionsformen gehörten systematischer Klientelismus, richterliche Unterlassung (insbesondere bei Untersuchungen von politisch motivierten Morden), Wahlbetrug (erleichtert durch das Fehlen von vorgedruckten Stimmzetteln) und Bestechung.

Die parlamentarische bzw. prüfungsbehördliche Kontrolle über Einnahmen und Ausgaben ist nicht in ausreichendem Maße gegeben (USDOS 20.4.2018).

Unternehmen zahlen regelmäßig Bestechungsgelder und pflegen Beziehungen zu Politikern, um Aufträge zu erhalten. Auch die Flüchtlingshilfe vor Ort ist nicht frei von Korruption. Berichten zufolge haben einige Nichtregierungsorganisationen (NGOs) - in Zusammenarbeit mit korrupten libanesischen Beamten - Gelder von internationalen Organisationen abgezweigt oder Ressourcen für überhöhte Gehälter und Leistungen für leitende Angestellte verschwendet. Die Besorgnis der Geber über vorhandene Korruption gilt als einer der Gründe für die chronischen Defizite bei der finanziellen Unterstützung für syrische Flüchtlinge (FH 1.2017).

Ex lege sind zwar strafrechtliche Sanktionen für offizielle Korruption vorgesehen; eine effiziente und wirkungsvolle Umsetzung solcher Sanktionen erfolgt aber nicht. Die staatliche Korruptionskontrolle wird von Beobachtern als unzureichend eingestuft (USDOS 20.4.2018). Der Präsident der Republik, die Präsidenten der Abgeordnetenkammer und des Ministerrates sowie Minister, Abgeordnete und Richter, Gemeindevorsteher und Beamte sind zwar gesetzlich verpflichtet, ihr Finanzvermögen bei Amtsantritt und auch wieder bei Ausscheiden aus dem Amt bekanntgeben, aber diese Informationen sind nicht öffentlich zugänglich. Wird der Staatsrat wegen Nichterfüllung angerufen, verhängt der Staatsrat verwaltungsrechtliche Sanktionen, die darin bestehen, die Amtszeit des Amtsinhabers zu beenden (USDOS 20.4.2018).

In diesem Kontext werden immer wieder Journalisten wegen Recherchen über Korruption zu Geldstrafen verurteilt (GIZ 6/2018).

Der Leiter des Supreme Disciplinary Boards hat die grassierende Korruption unter den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes massiv kritisiert und gemeint, dass die Hälfte von ihnen entlassen werden sollte. Er erklärte, dass sein Vorstand für die Durchführung von Prozessen gegen korrupte Mitarbeiter für Verstöße wie Bestechung oder Veruntreuung öffentlicher Gelder verantwortlich sei, stellte aber gleichzeitig klar, dass er keine Maßnahmen ergreifen könne, wenn das Zentralkontrollamt kaum Beschwerden gegen Arbeitnehmer untersucht und einreicht (Daily Star 12.9.2018).

Eine von der Konrad Adenauer Stiftung in Auftrag gegebene Umfrage unter 21-29 jährigen Libanesen untersuchte unter anderem, welche Themen die Jugendlichen vor allem beschäftigen: Dies ist neben der wirtschaftlichen Situation (45%) und der hohen Arbeitslosigkeit (43%) vor allem auch die Korruption (27%) (KAS 1.5.2018).

Quellen:

- FH - Freedom House (1/2017): Freedom in the World 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1427008.html, Zugriff 31.8.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6/2018): Libanon - Überblick: https://www.liportal.de/libanon/ueberblick/, Zugriff 8.8.2018

- KAS - Konrad-Adenauer-Stiftung (1.5.2018): Der Libanon vor den ersten Parlamentswahlen seit 2009, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52311-544-1-30.pdf?180504145038, Zugriff 30.8.2018

- The Daily Star (12.9.2018): Judge calls for firing of 50 pct of public employees for corruption, https://www.dailystar.com.lb/News/Lebanon-News/2018/Sep-12/463162-judge-calls-for-firing-of-50-pct-of-public-employees-for-corruption.ashx, Zugriff 11.9.2018

- TI - Transparency International (2017): Corruption by Country/Territory, https://www.transparency.org/country/LBN, Zugriff 29.8.2018

- TI - Transparency International (2015): Corruption Perception Index 2015, https://www.transparency.org/cpi2015#results-table, Zugriff 31.8.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon: https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html; Zugriff 28.8.2018

NGOs, Menschenrechtsaktivisten

Im Libanon sind zahlreiche lokale und internationale, im öffentlichen Leben deutlich wahrnehmbare Menschenrechtsorganisationen tätig, die häufig offiziell mit staatlichen Stellen, Sicherheitskräften und anderen Staatsbediensteten bei der Aus- und Fortbildung in Menschenrechtsfragen zusammenarbeiten. Die Anwaltskammer Beirut veranstaltet regelmäßig öffentliche Seminare zum Schutz der Menschenrechte.

Seit 2005 können Menschenrechtsorganisationen grundsätzlich frei arbeiten und Vertreter internationaler Organisationen wie Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) können sich im Land frei bewegen. HRW unterhält ein Regionalbüro in Beirut und publiziert - wie lokale NGOs - regelmäßig kritische Berichte zur Menschenrechtslage im Land. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) befasst sich insbesondere mit der Situation in den Gefängnissen, wobei auf Grundlage einer Vereinbarung mit der Regierung aus dem Jahr 2007 auch Zugang zu den Gefängnissen der Armee und des Verteidigungsministeriums zugestanden wird (AA 1.3.2018).

Das bedeutet nicht, dass keine Versuche der Einschüchterung und Beeinflussung durch politische Institutionen oder nichtstaatliche Akteure zu verzeichnen wären (AA 1.3.2018).

Unabhängige NGOs waren in Gebieten, die von der Hisbollah dominiert werden, mit Schikanen und Einschüchterungen konfrontiert - einschließlich sozialem, politischem und finanziellem Druck. Die Hisbollah bezahlte Jugendliche, damit sie die Mitarbeit in "inakzeptablen" NGOs einstellten (USDOS 20.4.2018).

Laut Amnesty International wurde in letzter Zeit eine Reihe von Menschen wegen ihrer politischen Meinung oder ihres Menschenrechtsaktivismus verhaftet, verhört und eingeschüchtert; Als Bedingung für Ihre Freilassung wurden sie zur Unterzeichnung von Zusagen gedrängt, zukünftig bestimmte Handlungen zu unterlassen (AI 7.8.2018).

NGOs müssen sich grundsätzlich beim libanesischen Innenministerium registrieren. Das Ministerium kann eine NGO zwingen, sich einem Genehmigungsverfahren zu unterziehen und Informationen zu den Gründern einholen. Staatliche Repräsentanten müssen eingeladen werden, damit sie die Wahl bezüglich der Statuten und des Aufsichtsrates überwachen können (FH 1/2017).

Rechtlich erschwert bleibt die Gründung von Organisationen durch Ausländer; dies macht es palästinensischen und syrischen Flüchtlingen de facto unmöglich, unabhängig von libanesischen Partnern NGOs zur Verfolgung ihrer Interessen zu gründen. In der Praxis treten libanesische Staatsangehörige für palästinensische und syrische Flüchtlinge als Gründer und Organe auf (AA 1.3.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin

- AI - Amnesty International (11.7.2018): Lebanon: Detained activists blackmailed into signing illegal pledges, https://www.ecoi.net/de/dokument/1438609.html, Zugriff 7.8.2018

- FH - Freedom House (1/2017): Freedom in the World 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1427008.html, Zugriff 30.8.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430165.html, Zugriff 7.8 2018

Allgemeine Menschenrechtslage

Der Libanon ist seit 1945 Gründungsmitglied der Vereinten Nationen (GIZ 6/2018).

Die Präambel der libanesischen Verfassung hält ausdrücklich fest, dass Libanon die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen beachtet. Der Libanon ist Vertragsstaat folgender wichtiger internationaler Menschenrechtsabkommen [Anm.: teilweise allerdings mit wesentlichen Vorbehalten zu einzelnen Artikeln]:

- Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte,

- Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

- Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der rassischen Diskriminierung

- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

- Übereinkommen über die Rechte des Kindes

- Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe; Der Libanon hat am 22. Dezember 2008 als erster Staat der Region auch das entsprechende Fakultativprotokoll ratifiziert

Weiters hat der Libanon 2007 das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen und das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unterzeichnet, allerdings bisher beide nicht ratifiziert. Ebenso wenig wurden die meisten der Fakultativprotokolle zu den Menschenrechtsabkommen ratifiziert, so beispielsweise auch nicht das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR) von 1991. Der Libanon ist bislang keinem internationalen Übereinkommen zum Status von Flüchtlingen beigetreten (AA 1.3.2018).

Deutlichstes Zeichen von struktureller und kultureller Diskriminierung von Frauen im Libanon ist die Tatsache, dass die Staatsbürgerschaft über den Vater vergeben wird. Der Schutz von Migranten und Flüchtlingen wird nicht gemäß internationaler Standards gewährt, auch häufen sich Berichte von Misshandlungen und Folter bei Verhören. Eine offene Wunde des Libanons sind die seit dem Bürgerkrieg vermissten Menschen (GIZ 6/2018).

Eine der größten Herausforderungen für die Menschenrechte im Libanon ist die Gratwanderung des libanesischen Staates zwischen der Garantie der Sicherheit und der Einhaltung der Freiheitsrechte (GIZ 6/2018).

Die Sicherheitsbehörden, insbesondere der militärische Nachrichtendienst, sollen nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen immer wieder Festnahmen vornehmen, auch wenn kein dafür erforderlicher richterlicher Beschluss vorliegt, bzw. Personen festhalten, nachdem die gesetzlich vorgesehene Frist von 48 Stunden nach Festnahme verstrichen ist. Die Regierung gibt derartige Vorkommnisse durchaus zu, macht aber geltend, dass entsprechende richterliche Beschlüsse jeweils nachgeholt würden und längere Haftdauern im Polizeigewahrsam nur deswegen zu Stande kämen, weil die Gefängnisse überfüllt seien. Verschleppungen durch nichtstaatliche Akteure, v.a. Hisbollah, kommen vor (AA 1.3.2018).

Es gibt immer wieder Versuche, Zivilisten einschließlich Kinder vor Militärgerichten zu anzuklagen, was eine Verletzung ihrer Rechte im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verfahrens und des Völkerrechts darstellt. Diejenigen, die vor den Militärgerichten vor Gericht standen, berichten über Isolationshaft und die die Verwendung von Geständnissen, die unter Folter erzwungen wurden, weiters über Entscheidungen, die ohne nähere Begründung ergangen sind, scheinbar willkürliche Urteile und eine begrenzte Möglichkeit, Berufung einzulegen (HRW 18.1.2018).

Das libanesische Parlament hat im Oktober 2016 durch die Einrichtung eines Nationalen Menschenrechtsinstituts (NHRI) einen Schritt gesetzt, um die Menschenrechtssituation zu verbessern und die Anwendung von Folter im Land zu beenden. Das Institut soll die Menschenrechtslage im Libanon überwachen, Beschwerden über Verstöße entgegennehmen und regelmäßig Berichte und Empfehlungen abgeben. Der Ausschuss für den Schutz vor Folter, ein nationaler Präventionsmechanismus, wird befugt sein, regelmäßig unangekündigte Besuche an allen Haftorten durchzuführen, die Anwendung von Folter zu untersuchen und Empfehlungen zur Verbesserung der Behandlung von Häftlingen abzugeben (HRW 28.10.2016; vgl. UN 9.5.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (1.3.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Libanon, Stand: Dezember 2017, Berlin

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6/2018): Libanon - Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/libanon/geschichte-staat/, Zugriff 30.8.2018

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Lebanon, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422490.html, Zugriff 20.8.2018

- HRW - Human Rights Watch (28.10.2016): Lebanon: New Law a Step to End Torture, https://www.hrw.org/news/2016/10/28/lebanon-new-law-step-end-tort

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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