TE Vfgh Erkenntnis 1995/12/11 B1290/93

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Veröffentlicht am 11.12.1995
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Index

86 Veterinärrecht
86/01 Veterinärrecht allgemein

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
TierversuchsG 1988 §6 ff
AVG §58 Abs2
AVG §60

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Versagung der Genehmigung eines Tierversuchs an Fischottern aufgrund der willkürlichen Unterlassung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens; Erklärung einer fallbezogenen Stellungnahme einer Kommission zum integrierenden Bescheidbestandteil keine ausreichende Begründung

Spruch

Das beschwerdeführende Institut ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wissenschaft und Forschung) ist schuldig, dem beschwerdeführenden Institut die mit S 15.000,-

bestimmten Prozeßkosten zu Handen seines Vertreters binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Das beschwerdeführende Institut für Wildbiologie und Jagdwirtschaft der Universität für Bodenkultur Wien beantragte am 23. November 1992 - im Zusammenhang mit einem seit mehreren Jahren laufenden Fischotterprojekt - die Implantierung von Radiotelemetriesendern in Fischottern.

Mit Bescheid vom 28. März 1993 versagte der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung dem beschwerdeführenden Institut die Genehmigung eines Tierversuches an sechs bis zehn Fischottern gemäß §§3, 6, 7 und 8 Tierversuchsgesetz 1988, BGBl. 501/1989 (im folgenden: TierversuchsG) mit folgender Begründung:

"Dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung liegt eine Stellungnahme der Kommission für Tierversuchsangelegenheiten vor, wonach unter Bedachtnahme auf die leitenden Grundsätze des Tierversuchgesetzes 1988 das Vorliegen der Erfordernisse eines zulässigen Zweckes, eines berechtigten Interesses an der Durchführung dieses Tierversuches, einer Nichterreichbarkeit der angestrebten Versuchsziele durch Ersatzmethoden, der Voraussetzungen für die Genehmigung des genannten Institutes als Tierversuchseinrichtung, einer Sicherstellung, daß auch unvorhergesehen auftretende Belastungen der Versuchstiere so rasch wie möglich gelindert oder beseitigt werden sowie der ausreichenden Spezialkenntnisse des Versuchsleiters nicht festgestellt werden konnte.

Die Stellungnahme stellt einen integrierenden Bestandteil dieser Erledigung dar."

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, welche die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und die Verletzung in Rechten durch die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes rügt und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt.

2.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre erblickt das beschwerdeführende Institut darin, daß ihm "als jemanden der Wissenschaft betreibt und im Rahmen seiner Tätigkeit Lehraufträge erfüllt" die belangte Behörde für das beantragte Projekt die nach dem TierversuchsG erforderliche Genehmigung versagt hatte, da "es sich hiebei um ein absolutes Grundrecht handelt, das - abgesehen von immanenten Schranken - keinem Gesetzes- und damit auch keinem Bewilligungsvorbehalt unterworfen ist".

Das beschwerdeführende Institut legt dar, daß das Fischotterprojekt als Forschungsvorhaben zu werten ist, welches einer Erweiterung - der derzeit nur spärlich vorhandenen - wissenschaftlichen Erkenntnisse über Binnenlandotter diene. Hiefür sei die Besenderung einer bestimmten Mindestanzahl von Tieren unabdingbar. Die von der belangten Behörde aufgezeigten alternativen Beobachtungsmethoden (Spurschneeanalyse, automatisierte Film-/Videoaufzeichnungsverfahren, Exkrementanalyse) würden es nicht zulassen, weitere - als die schon vorliegenden - Aufschlüsse über das Verhalten der Spezies zu gewinnen; sie seien daher keine zur Projektzielerreichung tauglichen Ersatzmethoden i.S.d. §17 TierversuchsG. Selbst wenn dies nicht zutreffe, zähle "der Einsatz von Radiotelemetriesendern in der Feldforschung unstrittig zu einer gängigen, anerkannten und dem Stand der Wissenschaft entsprechenden wissenschaftlichen Methode".

Die Freiheit der Wissenschaft umfasse das Recht der ungehinderten wissenschaftlichen Forschung und beziehe sich auch auf die Wahl des Forschungsgegenstandes, auf Methodenwahl und Veröffentlichungswahl. Es beinhalte die Befugnis, wissenschaftliche Untersuchungen vorzunehmen, ihre Ergebnisse aufzuzeichnen und zu veröffentlichen. Das Recht auf ungehinderte wissenschaftliche Forschung werde insbesondere dann verletzt, wenn untersagt werde, wissenschaftliche Untersuchungen aufzunehmen. Gerade eine solche Untersagung erfolge aber im angefochtenen Bescheid.

Die dem Grundrecht immanenten Schranken, welche sich im Sittengesetz finden, seien durch das beantragte Projekt - bei dem es im Vergleich zur Genforschung und Forschung global bedrohender Substanzen - um "marginal anmutende Tierversuche", und zwar "bloß" um die Implantierung von mit biokompatiblen Materialien ummantelten kleinstdimensionierten Sendern in Fischottern gehe, nicht überschritten. Die Forschung finde eine grundrechtswidrige Schranke vor, wo beispielsweise die Vivisektion von Tieren einer solchen Beschränkung unterworfen werde, daß die Zwecke der Forschung nur unter Rechtsbrüchen erreicht werden könnten.

2.2. Weiters vermeint das beschwerdeführende Institut, der angefochtene Bescheid beruhe auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtslage, da gemäß §9 Abs1 Z2 TierversuchsG eine Genehmigung von Tierversuchen (§3 iVm §8 TierversuchsG) nicht erforderlich sei, die als Impfungen, Blutentnahmen oder sonstige Maßnahmen diagnostischer Art nach bereits erprobten Verfahren vorgenommen würden und der Erkennung insbesondere von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder körperlichen Beschwerden bei Menschen oder Tieren oder die der Prüfung und Herstellung von Seren und Impfstoffen dienten.

2.3. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erblickt das beschwerdeführende Institut darin, daß die belangte Behörde den Antrag wegen nicht entsprechender Projektbeschreibung abwies, ohne gem. §13 Abs3 AVG einen Verbesserungsauftrag zu erteilen, zumal die Aussichtslosigkeit des Antrages nicht von vornherein offenkundig gewesen sei.

2.4. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen §1 lita und/oder die Wortfolge "des Hochschulwesens (§1 lita) sowie" in §10 Abs2 Z1 und/oder §9 Abs1 Z2 und/oder §6 Abs2 zweiter Satz TierversuchsG bestehen nach Ansicht des beschwerdeführenden Institutes - unter Verweis auf die Ausführungen zur Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre und die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz - aus folgenden Gründen:

"Den Universitäten und mit ihnen deren organisatorischen Untergliederungen, wie insbesondere den Instituten, obliegt es nach §1 UOG, der wissenschaftlichen Forschung und Lehre zu dienen und hiedurch auch verantwortlich zur Lösung der Probleme der menschlichen Gesellschaft sowie zu deren gedeihlicher Weiterentwicklung beizutragen. Dem kann nur unter Einhaltung des Gebotes des §17 Abs1 StGG Rechnung getragen werden, auf den in §1 Abs2 UOG im übrigen ausdrücklich Bezug genommen wird. Voraussetzung zur Erfüllung des an die Universitäten gerichteten gesetzlichen Forschungs- und Ausbildungsauftrages ist es aber, daß die Wissenschaft und damit insbesondere auch die wissenschaftliche Forschung soweit als möglich ohne Beschränkungen ausgeübt werden kann. Damit ist aber das vom TierversuchsG errichtete Bewilligungssystem nicht in Einklang zu bringen, wonach wissenschaftliche Forschungsaufgaben, soweit diese Tierversuche voraussetzen, nur nach vorheriger Bewilligung durchgeführt werden dürfen, daß universitäre Forschen daher ohne Ausnahme den Bestimmungen des TierversuchsG unterliegt."

3. Der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung erstattete unter Vorlage der Verwaltungsakten eine Gegenschrift, in welcher er den angefochtenen Bescheid verteidigt.

4. Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst hat über Einladung des Verfassungsgerichtshofes eine Stellungnahme erstattet, in der es die Verfassungsmäßigkeit des Tierversuchsgesetzes in Hinblick auf Art17 Abs1 StGG verteidigt. Das beschwerdeführende Institut hat hierauf repliziert.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Beschwerde nach Art144 B-VG ist unter anderem die Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges.

Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen einen Bescheid des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung. Der Bescheid ist daher keinem devolutiven Rechtsmittel mehr zugänglich.

Nach §5 TierversuchsG dürfen Tierversuche nur von den gemäß §6 leg.cit. dafür genehmigten Tierversuchseinrichtungen und von Personen, die hiefür die entsprechende Genehmigung im Sinne des §7 leg.cit. haben, und unbeschadet des §9 leg.cit. nur nach Vorliegen einer Genehmigung im Sinne des §8 leg.cit. durchgeführt werden.

Gemäß §6 Abs2 letzter Satz TierversuchsG ist bei Tierversuchseinrichtungen an Universitäten die Genehmigung dem jeweiligen Institut zu erteilen. Nach §8 Abs2 leg.cit. ist die Genehmigung von Tierversuchen dem Träger der Tierversuchseinrichtung (§6 Abs2) oder dem jeweiligen Leiter des Tierversuches zu erteilen.

Das beschwerdeführende Institut ist sohin zur Beschwerde legitimiert. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2. Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

Die belangte Behörde verstieß gegen die ihr gemäß §58 Abs2 und §60 AVG obliegende verfahrensrechtliche Verpflichtung "die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen". Der angefochtene Bescheid gibt in seiner Begründung lediglich eine Zusammenfassung der Stellungnahme der Kommission für Tierversuchsangelegenheiten wieder und erklärt im übrigen diese Stellungnahme zum integrierenden Bestandteil der Erledigung.

Diese Stellungnahme der Kommission wieder hat nicht den Charakter eines Gutachtens, sondern enthält eine fallbezogene Darstellung der Rechtslage. Es ist nicht Aufgabe der Kommission, Rechtsfragen zu lösen, sondern ein Fachgutachten zu erstellen, mit dem sich die Behörde auseinanderzusetzen gehabt hätte. Dies hat die Behörde außerdem unterlassen, indem sie die Stellungnahme der Kommission zum integrierenden Bestandteil des Bescheides erklärte, ohne sich (nach Gewährung des Parteiengehörs) eine eigene Rechtsmeinung zu bilden.

Dieses Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens stellt ein willkürliches Verhalten der Behörde und daher einen in die Verfassungssphäre reichenden Fehler dar.

3. Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Verletzung des Gleichheitsrechtes aufzuheben, sodaß es sich erübrigte, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

Dies konnte gemäß §19 Abs4 Z1 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

4. Der Kostenzuspruch stützt sich auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.500,-

enthalten. Für die Gegenäußerung vom 30. März 1994 waren Kosten nicht zuzusprechen, da es sich um keinen abverlangten Schriftsatz handelt.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Tierversuche, Bescheidbegründung, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:B1290.1993

Dokumentnummer

JFT_10048789_93B01290_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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