TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/3 L509 2224058-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.02.2020
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Entscheidungsdatum

03.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch

L509 2224058-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Ewald HUBER-HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Pakistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.08.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger von Pakistan, reiste am 10.05.2019 illegal in das Bundesgebiet von Österreich ein und stellt am gleichen Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er wurde dazu am 11.05.2019 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und am 16.08.2019 asylbehördlich einvernommen.

2. Bei der Erstbefragung gab der BF zum Grund der Ausreise aus dem Heimatland an, er sei am College einer religiösen Partei namens "Tharak Labiq" beigetreten. Er sei dort ein Anführer gewesen und hätte 15 Personen unter sich gehabt. Irgendwann sei eine Frau namens "Asia Bibi" gekommen. Sie sei Christin und sei vom Gericht nach einer Straftat freigesprochen worden. Sein Chef, der Anführer der Partei, habe vom BF verlangt, dass seine Gruppe zu dieser Frau geht, sie schlägt und bedroht. Der BF habe das nicht wollen, da sie ja freigesprochen wurde. Sein Chef habe das nicht verstanden und hätte die anderen Mitglieder der Partei aufgefordert, den BF zu schlagen und sie hätten ihn danach auch mit Gewalt bedroht. Er (der Chef) und andere Personen seien danach zu einer Hochzeit gekommen, bei der der BF teilnahm und sie hätten ihn dort mit Waffen bedroht, wenn er "das" (gemeint: die Bedrohung der Asia Bibi) nicht machen würde. Aus Angst um sein Leben habe er sein Heimatland verlassen.

Er sei aus Pakistan in den Iran, von dort über die Türkei nach Griechenland und von Griechenland über Serbien, Bosnien, Kroatien und Slowenien nach Österreich gelangt. Dabei sei er von Schleppern unterstützt worden.

3. Bei der asylbehördlichen Einvernahme beantwortete der BF Fragen zu seinen persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnissen und führte zum Grund der Antragstellung im Wesentlichen aus, dass es um die Bestrafung von "Asia Bibi" gegangen sei. Diese sei am 31.10.2018 entlassen worden und die Gruppe, der der BF angehörte, habe beschlossen, diese zu bestrafen. Dagegen sei der BF aufgetreten. Die Anführer der Gruppe ("Malwis") hätten ein Meeting abgehalten und danach hätten diese auch den BF als Ungläubigen und als jemanden, der gegen den Islam ist und somit als Gegner angesehen. Noch am selben Tag sei er vom College entlassen worden und hätten die "Malwis" einen Anschlag auf den BF geplant, um diesem Angst einzujagen. Der BF habe Anzeige bei der Polizei erstattet. Nachdem die "Malwis" jedoch bei der Polizei einvernommen worden waren, hätten diese behauptet, dass der BF gegen den Islam sei und aus dem Islam austreten wolle. Damit sei die Polizei auf der Seite der "Malwis", weil diese davon überzeugt sei, dass die Gelehrten keine Falschaussagen machen. Nach der Einvernahme bei der Polizei sei er nachhause gegangen und habe er zur Hochzeit eines Freundes gehen wollen. Bevor er aber noch weggehen habe können, seien die "Malwis" erneut zu ihm gekommen und wollten ihn mit Drohungen zwingen, dass er bei den Demonstrationen gegen "Asia Bibi" mitmacht. Er habe sich jedoch geweigert und sei dann zur Hochzeit seines Freundes gegangen. Als er von der Hochzeit zurückgekommen war, sei sein Haus niedergebrannt worden und habe er seine Mutter und seine Schwester tot vorgefunden. Wörtlich beschrieb er die Szene wie folgt: "Ich befürchte, dass sie aufgeschlitzt wurden. Die Hälfte des Körpers war im Haus. Die andere Hälfte des Körpers war auf der Straße. Sie hatten beide stark geblutet. In der Früh wurden beide begraben. Danach ging ich zur Polizeistation. Ich meldete den Vorfall. Die "Malwis" waren bei der Polizeistation bereits anwesend. Die "Malwis" meinten, wenn man Ungläubige, also Personen, die gegen den Islam sind, tötet, dann ist das keine Straftat. Die "Malwis" fragten, wie ich den Anschlag überlebt habe. Ich gab an, dass ich nicht im Haus war, sondern bei der Hochzeit. Ich wurde von den "Malwis" verfolgt. Ich hatte Angst, dass ich ebenso wie meine Familie getötet werde. Ich flüchtete nach Karachi. Leider wurde es bekannt, dass ich mich dort aufhalte. Ich weiß nicht, wer mich verraten hatte. In Karachi wurde ebenfalls ein Anschlag gegen mich verübt. Ich kontaktierte einen Freund aus Spanien und erzählte ihm die Geschichte. Er gab an, dass er mir helfen wird nach Europa in ein sicheres Land zu kommen. Dann hat meine Flucht begonnen."

In der Folge wurde der BF noch näher zu den angeblichen Anschlägen gegen ihn befragt und aufgefordert, davon zu erzählen. Er gab dazu an: "So wie man geschlagen wird, wurde ich ebenfalls geschlagen". Er wurde aufgefordert konkreter zu werden. Darauf gab er an: "Es waren ca. 15 Personen vom College. Sie kamen zu mir, um mich zu warnen. Die Täter kamen bewaffnet zu mir und verprügelten mich. Sie sagen, dass dies die letzte Warnung ist. Wenn ich den Aufforderungen nicht Folge leiste, werde ich schon sehen, wohin das führt."

4. Die belangte Behörde hat dem BF die Möglichkeit gegeben, die Länderfeststellungen (LIB) über das Herkunftsland Pakistan zur Kenntnis zu nehmen und dazu eine Stellungnahme abzugeben. Der BF gab keine Stellungnahme ab und bemerkte, über die Situation im Herkunftsland informiert zu sein.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 20.08.2019, Zl XXXX , RD Wien, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Ebenso wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Dem BF wurde weiters gem. § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I NR. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.). Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Pakistan gem. § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Die belangte Behörde erachtete das Vorbringen des BF als nicht glaubhaft, so dass die behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt wurden. Es wurde somit festgestellt, dass der BF in seinem Heimatland nicht aus asylrelevanten Gründen verfolgt sei. Eine sonstige Gefährdung des BF in seiner körperlichen Unversehrtheit oder seiner Existenz, etwa aufgrund der Sicherheitslage in Pakistan oder aufgrund seiner gesundheitlichen Situation oder wegen mangelnder Grundversorgung in Pakistan oder mangels seiner persönlichen Möglichkeiten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Insbesondere hat die belangte Behörde festgestellt, dass der BF im Stande sei, sich mit Hilfe eigener Arbeitsleistung oder Unterstützung durch Angehörige den Lebensunterhalt zu sichern. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG würden nicht vorliegen und ein solcher Aufenthaltstitel sei nicht zu erteilen. Anhaltspunkte für eine besondere Integration des BF in Österreich wurden nicht festgestellt. Der BF finanziere sich derzeit seinen Lebensunterhalt durch Gelegenheitsarbeiten (Zeitungszusteller). Er habe keine Familienangehörigen oder sonstige familiäre Bindungen in Österreich. Der BF sei illegal eingereist und erst kurze Zeit in Österreich. Die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung würden die privaten Interessen überwiegen und eine Rückkehrentscheidung wurde als gerechtfertigt angesehen. Da keine Gefährdung des BF im Falle der Rückkehr in das Herkunftsland festgestellt worden sei, sei eine Abschiebung zulässig. Die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise wurde unter Anführung der gesetzlichen Bestimmung begründet.

6. Dagegen ließ der BF durch seinen zur Vertretung bevollmächtigten Rechtsberater das Rechtsmittel der Beschwerde einbringen. Die Beschwerde ist rechtzeitig. Mit der Beschwerdeschrift wendet sich der BF gegen sämtliche Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides und wird inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Beantragt wurde die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten oder eines subsidiär Schutzberechtigten oder die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären oder die Behebung des Bescheides und Zurückverweisung an die belangte Behörde und die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Die Beschwerde wurde am 04.10.2019 samt Akt beim Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in den erstinstanzlichen Akt Einsicht genommen und berücksichtigt bei seiner Entscheidung die darin enthaltenen Angaben des BF im Rahmen der Erstbefragung und der Einvernahme bei der Asylbehörde sowie die im Akt enthaltenen Länderfeststellungen sowie die Ausführungen in der Beschwerde.

1. Feststellungen:

1.1. Der BF trägt den im Spruch angeführten Namen und ist an dem angegebenen Datum geboren. Seine Identität steht nicht fest. Es ist davon auszugehen, dass er pakistanischer Staatsangehöriger ist und aus dem Bezirk XXXX (Punjab) stammt. Er hat bereits im September 2018 den Entschluss gefasst, sein Heimatland mit dem Ziel Österreich zu verlassen (AS 13). Im November 2018 verließ das Herkunftsland und gelangte mit Hilfe von Schleppern über den Iran, die Türkei, Griechenland und über die Staaten von Südosteuropa, am 10.05 2019 auf illegalem Wege nach Österreich.

Er ist derzeit weder im Besitze eines Reisepasses noch einer Aufenthaltsberechtigung für einen Mitgliedstaat der europäischen Union. Außer in Österreich hat der BF in keinem Mitgliedsstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Er hat 12 Jahre lang die Grundschule und 2 Jahre ein College besucht. Der BF bezeichnet sich als gesund und nimmt keine Medikamente. Es kann nicht festgestellt werden, ob der BF Familienangehörige in Pakistan hat. Seiner Aussage zufolge, sind Eltern und eine Schwester bereits verstorben (AS 128). Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Er hat keine Berufsausbildung. Bis zur Ausreise aus dem Herkunftsland war der BF Schüler und er bekennt sich zur islamischen Religion.

1.2. Das vom BF zur Begründung seines Antrages geltend gemachte Vorbringen entspricht nicht den Tatsachen. Es konnte daher nicht festgestellt werden, dass der BF in Pakistan - weder vor der Ausreise noch zum gegenwärtigen Zeitpunkt - einer asylrelevanten Verfolgung oder einer sonstigen realen Gefährdung am Leben, Unversehrtheit oder seiner wirtschaftlichen Existenz ausgesetzt ist. Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG liegen ebenso wenig vor wie Anhaltspunkte für eine ausreichende Integration, die eine Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erscheinen ließe. Die Abschiebung des BF nach Pakistan ist zulässig.

1.3. Zur Feststellung der aktuellen asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Pakistan wird auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation verwiesen, welches auch die belangte Behörde zur Grundlage ihrer Feststellungen machte und hier im Wesentlichen wiedergegeben wird.

Sicherheitslage

Zentrales Problem für die innere Sicherheit Pakistans bleibt die Bedrohung durch Terrorismus und Extremismus. Seit Jahren verüben die Taliban und andere terroristische Organisationen schwere Terroranschläge, von denen vor allem die Provinzen Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan, aber auch pakistanische Großstädte wie Karatschi, Lahore und Rawalpindi betroffen sind. Die Terroranschläge richten sich vor allem gegen Einrichtungen des Militärs und der Polizei. Opfer sind aber auch politische Gegner der Taliban, Medienvertreter, religiöse Minderheiten, Schiiten sowie Muslime, die nicht der strikt konservativen Islam-Auslegung der Taliban folgen, wie z. B. die Sufis (AA 10.2017a). Landesweit ist die Zahl der terroristischen Angriffe seit 2013 kontinuierlich zurückgegangen, wobei der Rückgang 2017 nicht so deutlich ausfiel wie im Jahr zuvor und auch nicht alle Landesteile gleich betraf. In Belutschistan und Punjab stieg 2017 die Zahl terroristischer Anschläge, die Opferzahlen gingen jedoch im Vergleich zum Vorjahr auch in diesen Provinzen zurück (PIPS 1.2018 S 21f).

Die pakistanischen Taliban hatten in einigen Regionen an der Grenze zu Afghanistan über Jahre eigene Herrschaftsstrukturen etabliert und versucht, ihre extrem konservative Interpretation der Scharia durchzusetzen (AA 20.10.2017). Seit Ende April 2009, als die Armee die vorübergehende Herrschaft der Taliban über das im Norden Pakistans gelegene Swat-Tal mit einer Militäraktion beendete, haben sich die Auseinandersetzungen zwischen dem pakistanischen Militär und den pakistanischen Taliban verschärft. Von Oktober bis Dezember 2009 wurden die Taliban aus Süd-Wasiristan (ehem. Federally Administered Tribal Areas - FATA) vertrieben, einer Region, die von ihnen jahrelang kontrolliert worden war. 2013 lag der Schwerpunkt der Auseinandersetzungen auf dem Tirah-Tal unweit Peshawar, wo die Taliban zunächst die Kontrolle übernehmen konnten, bevor sie vom Militär wieder vertrieben wurden (AA 10.2017a).

Die Regierung von Ministerpräsident Nawaz Sharif hatte sich zunächst, mandatiert durch eine Allparteienkonferenz, um eine Verständigung mit den pakistanischen Taliban auf dem Verhandlungsweg bemüht. Da sich ungeachtet der von der Regierung demonstrierten Dialogbereitschaft die schweren Terrorakte im ganzen Land fortsetzten, wurde der Dialogprozess im Juni 2014, nach Beginn einer umfassenden Militäroperation in Nord-Wasiristan abgebrochen. Die Militäroperation begann am 15.4.2014 in der bis dahin weitgehend von militanten und terroristischen Organisationen kontrollierten Region Nord-Wasiristan, in deren Verlauf inzwischen die Rückzugsräume und Infrastruktur der aufständischen Gruppen in der Region weitgehend zerstört werden konnten (AA 10.2017a). Durch verschiedene Operationen der Sicherheitskräfte gegen Terrorgruppen in den [ehem.] Stammesgebieten (Federally Administered Tribal Areas - FATA) konnte dort das staatliche Gewaltmonopol überwiegend wiederhergestellt werden. Viele militante Gruppen, insbesondere die pakistanischen Taliban, zogen sich auf die afghanische Seite der Grenze zurück und agitieren von dort gegen den pakistanischen Staat (AA 20.10.2017).

Durch die Militäroperation wurden ca. 1,5 Millionen Menschen vertrieben. Die geordnete Rückführung der Binnenvertriebenen in die betroffenen Regionen der Stammesgebiete, die Beseitigung der Schäden an der Infrastruktur und an privatem Eigentum ebenso wie der Wiederaufbau in den Bereichen zivile Sicherheitsorgane, Wirtschaft, Verwaltung und Justiz stellen Regierung, Behörden und Militär vor große Herausforderungen (AA 20.10.2017).

Im Gefolge des schweren Terrorangriffs auf eine Armeeschule in Peshawar am 16.12.2014, bei dem über 150 Menschen, darunter über 130 Schulkinder, ums Leben kamen und für den die pakistanischen Taliban die Verantwortung übernahmen, haben Regierung und Militär mit Zustimmung aller politischen Kräfte des Landes ein weitreichendes Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Terror und Extremismus beschlossen. Es umfasst u. a. die Aufhebung des seit 2008 geltenden Todesstrafen-Moratoriums für Terrorismus-Straftaten, die Einführung von Militärgerichten zur Aburteilung ziviler Terrorismus verdächtiger und Maßnahmen gegen Hassprediger, Terrorfinanzierung, etc. Ferner sind Ansätze erkennbar, konsequenter als bisher gegen extremistische Organisationen unterschiedlicher Couleur im ganzen Land vorzugehen und die staatliche Kontrolle über die zahlreichen Koranschulen (Madrassen) zu verstärken (AA 10.2017a).

2016 wurden weiterhin Anti-Terroroperationen in den Agencies Khyber und Nord-Wasiristan durchgeführt, um aufständische Feinde des Staates zu eliminieren. Militärische, paramilitärische und zivile Sicherheitskräfte führten landesweit Operationen durch. Sicherheitskräfte, inklusive der paramilitärischen Sindh Rangers, verhafteten Verdächtige und vereitelten Anschlagspläne in Großstädten wie Karatschi. Operationen der paramilitärischen Rangers gegen Terrorismus und Kriminalität führten zu geringeren Ausmaßen an Gewalt und in Karatschi, jedoch wurden in den Medien Vorwürfe veröffentlicht, dass die Rangers gegen bestimmte politische Parteien auch aus politischen Gründen vorgingen (USDOS 7.2017).

Spezialisierte Einheiten der Exekutive leiden unter einem Mangel an Ausrüstung und Training, um die weitreichenden Möglichkeiten der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung durchzusetzen. Die Informationsweitergabe zwischen den unterschiedlichen Behörden funktioniert nur schleppend. Anti-Terror-Gerichte sind langsam bei der Abarbeitung von Terrorfällen, da die Terrorismusdelikte sehr breit definiert sind. In Terrorismusprozessen gibt es eine hohe Rate an Freisprüchen. Dies liegt auch daran, dass Staatsanwälte in Terrorismusfällen eine untergeordnete Rolle spielen und die Rechtsabteilungen von militärischen und zivilen Einrichtungen Ermittlungen behindern. Ebenso werden Zeugen, Polizei, Opfer, Ankläger, Anwälte und Richter von terroristischen Gruppen eingeschüchtert (USDOS 7.2017).

Für das erste Quartal 2018 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS landesweit 76 terroristische Angriffe, bei denen 105 Personen ums Leben kamen und 171 Personen verletzt wurden. Unter den Todesopfern befanden sich 44 Zivilisten, 28 Polizisten, 31 Mitglieder von Grenzschutz oder Rangers, zwei Steuereintreiber sowie zehn Aufständische (Aggregat aus: PIPS 6.4.2018; PIPS 6.3.2018; PIPS 5.2.2018).

Die verschiedenen militanten, nationalistisch-aufständischen und gewalttätigen religiös-sektiererischen Gruppierungen führten 2017 370 terroristische Angriffe in 64 Distrikten Pakistans durch. Dabei kamen 815 Menschen ums Leben und weitere 1.736 wurden verletzt. Unter den Todesopfern waren 563 Zivilisten, 217 Angehörige der Sicherheitskräfte und 35 Aufständische. 160 (43 %) Angriffe zielten auf staatliche Sicherheitskräfte, 86 (23 %) auf Zivilisten, 22 waren religös-sektiererisch motiviert, 16 Angriffe zielten auf staatliche Einrichtungen, 13 waren gezielte Angriffe auf politische Persönlichkeiten oder Parteien, zwölf waren Angriffe auf regierungsfreundliche Stammesälteste, zehn Angriffe betrafen nicht-belutschische Arbeiter oder Siedler in Belutschistan und neun betrafen Journalisten oder Medienvertreter (PIPS 1.2018 S 17f).

2015 gab es 625 Terrorakte in 76 Distrikten/Regionen in Pakistan, 48 % weniger als 2014. Mindestens 1.069 Menschen verloren dabei ihr Leben, 38 % weniger als 2014, 1443 Personen wurden verletzt, 54 % weniger als 2014. Unter den Todesopfern waren 630 Zivilisten, 318 Angehörige der Sicherheits- und Rechtsdurchsetzungsbehörden und 121 Aufständische (PIPS 3.1.2016). Im Jahr 2016 ging die Zahl der Terroranschläge um weitere 28 % auf 441 zurück, betroffen waren 57 Distrikte. Getötet wurden dabei 908 Personen. Der Umstand, dass ein Rückgang von 28 % bei der Zahl der Anschläge nur einen leichten Rückgang von 12 % bei den Todesopfern mit sich brachte, zeigt auch, dass den Aufständischen einige größere Anschläge gelingen konnten. Zu Tode kamen 545 Zivilisten, 302 Angehörige der Sicherheitskräfte und 61 Aufständische (PIPS 1.2017).

Die Situation verbesserte sich kontinuierlich seit 2013 und der Trend setzte sich auch 2017 fort. Dies lässt sich Großteils auf landesweite, umfassende Operationen gegen Aufständische durch die Sicherheitsbehörden als Teil des National Action Plan (NAP) zurückführen, beispielsweise von den Militäroperationen in den [ehem.] FATA zu den von den Rangers angeführten gezielten Operationen in Karatschi (PIPS 1.2018 S 17ff).

Etwa 58 % (213 von 370) aller Anschläge mit 604 Toten und 1374 Verletzten wurden von Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP) und ihren Splittergruppen bzw. Gruppen mit ähnlichen Zielen in den [ehem.] FATA und Khyber Pakhtunkhwa wie die Lashkar-e-Islam sowie von IS-Unterstützern durchgeführt. Nationalistische Gruppierungen führten 138 Anschläge durch, vorwiegend in Belutschistan, und einige wenige in Sindh, dabei kamen 140 Menschen ums Leben und 265 Menschen wurden verletzt. 19 Anschläge mit 71 Toten und 97 Verletzten wurden durch religiös-sektiererische Gruppen durchgeführt (PIPS 1.2018 S 17).

Insgesamt gab es im Jahr 2017 in Pakistan, inklusive der Anschläge, 713 Vorfälle von für die Sicherheitslage relevanter Gewalt (2016: 749; -5 %), darunter 75 operative Schläge der Sicherheitskräfte (2016: 95), 68 Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen (2016: 105), 171 Auseinandersetzungen an den Grenzen mit Indien, Afghanistan und Iran (2016: 74) und vier Vorfälle von ethnischer oder politischer Gewalt (2016: zwölf) (PIPS 1.2018 S 20; Zahlen für 2016: PIPS 1.2017). Die Zahl der bei diesen Vorfällen getöteten Personen sank um 15 % auf 1.611 von 1.887 im Jahr 2016, die Zahl der verletzten Personen stieg jedoch im selben Zeitraum um 13 % von 1.956 auf 2.212 (PIPS 1.2018 S 20). Im Jahr 2016 gab es im Vergleich zu 2015 32 % weniger Vorfälle und 46 % weniger Todesopfer (PIPS 1.2017).

Im Jahr 2017 wurden 75 operative Schläge und Razzien (2016: 95; -21 %) in 28 Distrikten oder Regionen Pakistans durchgeführt (2016: 35), davon 39 in Belutschistan (2016: 38), 18 in den [ehem.] FATA (2016: 24), acht in Khyber Pakhtunkhwa (2016: fünf), sieben im Punjab (2016: 13) und drei in Karatschi (2016: 15). 296 Menschen wurden dabei getötet (2016: 492), davon 281 Aufständische (2016: 481) (PIPS 1.2018 S 23; Zahlen für 2016: PIPS 1.2017). Im Jahr 2015 wurden 143 Sicherheitsoperationen in 31 Distrikten mit 1.545 Todesopfern durchgeführt (PIPS 1.2017).

Es scheint, dass sich nun erfolgreich eine Null-Toleranz-Sicht in Staat und Gesellschaft gegenüber Terror durchsetzt. Die Sicherheitseinrichtungen sind weiterhin mit vielschichtigen Herausforderungen konfrontiert. Die wichtigsten davon sind Kapazitätslücken in der Bekämpfung städtischer Terrorbedrohungen und die mangelhafte Kooperation zwischen den verschiedenen Gesetzesdurchsetzungsbehörden (PIPS 3.1.2016).

Die Regierung unterhält Deradikalisierungszentren, die "korrigierende religiöse Bildung", Berufsausbildung, Beratung und Therapie anbieten (USDOS 7.2017). Zentren befinden sich in Swat, Khyber Agency, Bajaur Agency und Khyber Pakhtunkhwa. Es existieren separate Programme für Frauen und Jugendliche (BFA 9.2015). Weithin gelobt ist das Sabaoon Rehabilitation Center einer NGO im Swat-Tal, das gemeinsam mit dem Militär gegründet wurde und sich an jugendliche ehemalige Extremisten richtet (USDOS 7.2017).

Die Asia Pacific Group on Money Laundering konnte in Pakistan Fortschritte bei der Behebung von strategischen Mängeln erzielen, die diese in Bezug auf die Bekämpfung der Finanzierung von Terrorismus zuvor festgestellt hatte. Maßnahmen umfassen z.B. die Überwachung von grenzüberschreitenden Geldtransfers, NGO-Finanzierungen, das Einfrieren von Geldern, die rechtliche Meldepflicht von Banken über verdächtige Transaktionen sowie deren Verpflichtung, regelmäßig die Liste der von der UN als Terrororganisationen Eingestuften zu kontrollieren. Dennoch werden bestimmte Gruppen, insbesondere Lashkar e-Tayyiba, nicht effektiv daran gehindert, in Pakistan Spenden zu lukrieren oder auf ihre finanziellen Mittel zuzugreifen (USDOS 7.2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (10.2017a): Pakistan - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Pakistan/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.3.2018

- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (20.10.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik PAKISTAN.BFA Staatendokumentation (9.2015): Fact Finding Mission Report Pakistan, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1453713783_bfa-sd-pakistan-ffm-report-2015-09-v2.pdf, Zugriff 18.3.2017

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (1.2017): PIPS Research Journal - Conflict & Peace Studies, Vol.9, No.1, Special Report 2016 - Pakistan Security Report.

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (1.2018): PIPS Research Journal - Conflict & Peace Studies, Vol.10, No.1, Special Report 2017 - Pakistan Security Report.

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (3.1.2016): Pakistan Security Report 2015.

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (5.2.2018): Monthly Security Report: January 2018, http://pakpips.com/app/reports/65, Zugriff 14.5.2018

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (6.3.2018): Monthly Security Report: February 2018, http://pakpips.com/app/reports/169, Zugriff 14.5.2018

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (6.4.2018): Monthly Security Report: March 2018, http://pakpips.com/app/reports/199, Zugriff 14.5.2018

- USDOS - US Department of State (7.2017): Country Report on Terrorism 2016 - Chapter 2 - Pakistan (S 261-265), https://www.state.gov/documents/organization/272488.pdf, Zugriff 8.5.2018

Regionale Verteilung der Gewalt

Der regionale Schwerpunkt terroristischer Anschläge mit den meisten Opfern liegt in Khyber Pakhtunkhwa, den [ehem.] Stammesgebieten FATA und in Belutschistan (AA 28.3.2018) sowie in der Wirtschaftsmetropole Karatschi, wobei es in Karatschi seit 2016 nicht mehr zu größeren Anschlägen gekommen ist (AA 20.10.2017).

Für das erste Quartal 2018 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS landesweit 76 terroristische Angriffe, bei denen 105 Personen ums Leben kamen. Davon entfielen auf Belutschistan 40 Anschläge mit 56 Toten; auf Khyber Pakhtunkhwa zehn Anschläge mit 20 Toten und auf die [ehem.] FATA 18 Anschläge mit 17 Toten. Im Sindh gab es fünf Anschläge mit acht Toten, in Punjab zwei Anschläge mit zwölf Toten. Im Hauptstadtterritorium Islamabad, in Gilgit Baltistan und Azad Jammu & Kashmir wurden keine Anschläge registriert (Aggregat aus: PIPS 6.4.2018; PIPS 6.3.2018; PIPS 5.2.2018).

Im Jahr 2017 war Belutschistan - wie schon in den drei Jahren zuvor - die am stärksten vom Terrorismus betroffene Provinz. Bei 165 Anschlägen kamen 288 Menschen ums Leben. Somit entfielen 44 % aller Anschläge bzw. 35 % aller Todesfälle landesweit auf Belutschistan. Die [ehem.] Stammesgebiete (FATA) waren die am zweitstärksten vom Terrorismus betroffene Region, sowohl was die Zahl der Anschläge als auch der Opfer angeht. Bei 83 Angriffen kamen 253 Personen ums Leben. In Khyber Pakhtunkhwa kamen bei 71 Anschlägen 91 Personen ums Leben; in Sindh gab es 31 Anschläge (davon 24 in Karatschi) mit 119 Todesopfern (davon 25 in Karatschi, sowie 91 durch einen einzigen suizidalen Sprengstoffanschlag in Sehwan Sharif). Im Punjab kam es zu 14 Anschlägen mit 61 Todesopfern, im Hauptstadtterritorium gab es drei Anschläge mit zwei Todesopfern und in Azad Jammu und Kashmir gab es drei Anschläge mit einem Todesopfer (PIPS 1.2018 S 37-59).

Im Jahr 2016 war Belutschistan wieder die Region von Pakistan mit den höchsten Anschlagszahlen - 151 Anschläge wurden durchgeführt. Sie war auch die Provinz mit den höchsten Opferzahlen, mit 412 Toten. Khyber Pakhtunkhwa war am zweitstärksten von Anschlägen betroffen, 127 Anschläge töteten hier 189 Menschen. Gefolgt wurden diese von den [ehem.] FATA mit 99 Anschlägen und 163 Toten. Sindh war von 54 Anschlägen mit 63 Toten betroffen, allerdings entfielen davon 47 Anschläge mit 60 Toten allein auf Karatschi. Im Sindh - Karatschi ausgenommen - gingen die Todeszahlen in Bezug zu Terrorismus um 97 % zurück, in Islamabad um 75 %, in Karatschi um 60 und in den [ehem.] FATA um 38 %. Islamabad erlitt einen Anschlag mit einem Toten (PIPS 1.2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (20.10.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik PAKISTAN.

- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (28.3.2018): Pakistan - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung) https://www.auswaertiges-amt.de/de/pakistansicherheit/204974, Zugriff 8.5.2018

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (1.2017): PIPS Research Journal - Conflict & Peace Studies, Vol.9, No.1, Special Report 2016 - Pakistan Security Report.

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (1.2018): PIPS Research Journal - Conflict & Peace Studies, Vol.10, No.1, Special Report 2017 - Pakistan Security Report.

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (3.1.2016): Pakistan Security Report 2015.

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (6.4.2018): Monthly Security Report: March 2018, http://pakpips.com/app/reports/199, Zugriff 14.5.2018

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (6.3.2018): Monthly Security Report: February 2018, http://pakpips.com/app/reports/169, Zugriff 14.5.2018

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (5.2.2018): Monthly Security Report: January 2018, http://pakpips.com/app/reports/65, Zugriff 14.5.2018

Wichtige Terrorgruppen

Im Jahr 2017 ging die Zahl terroristischer Anschläge weiter zurück, doch aufständische Gruppierungen stellen weiterhin eine starke Bedrohung für die innere Sicherheit des Landes dar. Die Gruppierungen unterliegen wie bereits 2016 einer konstanten Transformation. Eine bisher unbekannte Gruppierung namens Ansarul Sharia wurde in Karatschi aktiv und verstärkte Aktivitäten von Daesh / ISIS stellen eine neue Herausforderung für die Sicherheitskräfte dar (PIPS 1.2018).

Die Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP) ist die größte aufständische Gruppe in Pakistan (EASO 7.2016); 70 Angriffe mit 186 Toten gingen 2017 auf ihr Konto (PIPS 1.2018 S 83f). Sie entstand 2007 als loses Bündnis von Deobandi-Gruppen, die an der Pakistanischen Grenze zu Afghanistan operierten. Ursprüngliches Ziel war die Einsetzung der Sharia und die Bekämpfung der Koalitionskräfte in Afghanistan. Später richtete sie sich auch gegen den pakistanischen Staat. Die Anhängerschaft setzt sich hauptsächlich aus Paschtunen der Grenzregion zusammen. Die TTP finanziert sich aus Erpressung, Schmuggel, Drogenhandel und Kidnapping. Es scheint, als hätte sie durch die Operation Zarb-e-Azb in Nord-Wasiristan stark an Boden verloren (EASO 7.2016). Der Vertreter des PIPS erläutert bei der FFM 2013, dass die TTP nicht über eine einheitliche Struktur verfügt und auch die vorhandene Struktur nicht mehr intakt ist. Jede Gruppe hat eigene Operationen (BAA 6.2013). Die TTP wurde stark durch interne Krisen und die militärischen Operationen in Nord-Wasiristan und in der Khyber Agency geschwächt. Die internen Krisen hielten diese Organisation aber nicht davon ab, gewaltsame Anschläge durchzuführen (PIPS 4.1.2015). Die TTP konnte ihre internen Streitigkeiten 2017 durch die Wiedereingliederung der größten Fraktion aus Süd-Wasiristan in die Hauptgruppe beilegen (PIPS 1.2018 S 83f).

Neben der TTP, ihren Unter- und Splittergruppen sind auch einige kleinere militante islamistisch motivierte Gruppen in Khyber Pakhtunkhwa und den [ehem.] FATA aktiv, sie werden als lokale Taliban bezeichnet (PIPS 1.2018 S 85). Allerdings gebrauchen auch viele kriminelle Gruppen dieses Label. Die meisten dieser Gruppen sind klein und ihre Operationen sind auf ihre Umgebung begrenzt (BAA 6.2013).

Ziel der Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) ist es, Pakistan in ein sunnitisches Land zu transformieren. Sie ist in viele Gruppen zersplittert, deren Taktiken und Ziele sich von einem Gebiet zum anderen unterscheiden (SATP o.D.). Die LeJ erlitt 2016 starke Verluste in der Führerschaft (PIPS 1.2017). Im Jahr 2017 war die LeJ mit ihren Splittergruppen, darunter die Lashkar-e-Jhangvi Al-Alami, insgesamt für 18 Anschläge mit 132 Toten verantwortlich. 90 % davon betrafen die erste Jahreshälfte. Die verminderte Aktivität im zweiten Halbjahr ist durch die Zerschlagung ihrer Hauptnetzwerke in Belutschistan und Sindh durch die Sicherheitskräfte zu erklären (PIPS 1.2018 S 87).

Jamaatul Ahrar (JuA) war 2017 Urheberin von 37 terroristischen Anschlägen (2016: 66) mit 123 Toten, vorwiegend in den [ehem.] FATA und Khyber Pakhtunkhwa. JuA wurde 2017 durch interne Streitigkeiten sowie durch Tötungen mehrerer Kommandanten stark geschwächt (PIPS 1.2018 S 84f).

Nationalistische aufständische Gruppen sind hauptsächlich in Belutschistan aktiv, einige auch im Sindh, allerdings sind letztere eher in Sabotageakte involviert und in ihrem Operationsgebiet begrenzt (PIPS 1.2018). Nachdem die nationalistischen Gruppen 2016 durch Sicherheitsoperationen und interne Krisen stark geschwächt wurden (PIPS 1.2017), stieg die Schlagkraft der belutschischen nationalistischen Gruppen 2017 wieder an. Hauptakteur nationalistischer Gewalt ist die Balochistan Liberation Army, die 2017 42 Angriffe mit 51 Todesopfern durchführte, ein leichter Rückgang verglichen mit 55 Angriffen 2016. Weitere wichtige belutschische Terrororganisationen sind die Baloch Republican Army, Lashkar-e-Balochistan und die Balochistan Liberation Front (PIPS 1.2018).

Quellen:

- BAA - Bundesasylamt (6.2013): Bericht zur Fact Finding Mission Pakistan vom 8-16.3.2013 mit den Schwerpunkten Sicherheitslage, Religiöse Minderheiten Landrechte Medizinische und soziale Versorgung, Afghanische Flüchtlinge.

- EASO - European Asylum Support Office (7.2016): Country of Origin Information Report, Pakistan Security Situation, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1469617733_easo-country-of-origin-information-report-pakistani-security-report.pdf, Zugriff 18.3.2017

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (1.2017): PIPS Research Journal - Conflict & Peace Studies, Vol.9, No.1, Special Report 2016 - Pakistan Security Report.

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (1.2018): PIPS Research Journal - Conflict & Peace Studies, Vol.10, No.1, Special Report 2017 - Pakistan Security Report.

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (4.1.2015): Pakistan Security Report 2014.

- SATP - South Asia Terrorism Portal (o.D.): Lashkar-e-Jhangvi, http://www.satp.org/satporgtp/countries/pakistan/terroristoutfits/lej.htm, Zugriff 8.5.2017

Punjab und Islamabad

Im Punjab gibt es im Landesvergleich weniger Fälle von organisierten, bewaffneten gewalttätigen Übergriffen aber eine große Zahl von Protesten. In großen Städten wie Lahore und Islamabad-Rawalpindi gibt es gelegentlich Anschläge mit einer hohen Zahl von Opfern, durchgeführt von Gruppen wie den Tehreek-i-Taliban Pakistan, Al Qaeda oder deren Verbündeten (ACLED 7.2.2017). Die Bevölkerung der Provinz beträgt laut Zensus 2017 110 Millionen (PBS 2017a). Provinzhauptstadt ist Lahore, nach Karatschi die zweitgrößte Stadt Pakistans (EASO 7.2016) mit 11,1 Millionen Einwohnern (PBS 2017a). Islamabad, die Hauptstadt Pakistans, ist verwaltungstechnisch nicht Teil der Provinz Punjab, sondern ist ein Territorium unter Bundesverwaltung (ICTA o.D.). Die Bevölkerung des Hauptstadtterritoriums beträgt laut Zensus 2017 ca. zwei Millionen Menschen (PBS 2017a).

Für das erste Quartal 2018 (1.1. bis 31.3.) registrierte PIPS für das Hauptstadtterritorium Islamabad keinen und für den Punjab zwei terroristische Angriffe mit zwölf Toten und 23 Verletzten (Aggregat aus: PIPS 6.4.2018; PIPS 6.3.2018; PIPS 5.2.2018). Sämtliche Todesopfer stammen aus einem Selbstmordattentat vom 14.3. auf einen Polizeiposten vor einer religiösen Versammlung in Lahore. Die Tehrik-e-Taliban Pakistan (TTP) haben sich zu dem Anschlag bekannt (Reuters 14.3.2018; vgl. PIPS 6.4.2018).

Im Jahr 2017 hat sich die Zahl der terroristischen Angriffe im Punjab im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Bei 14 Anschlägen kamen 61 Personen ums Leben, davon fanden sechs Vorfälle mit 54 Toten in Lahore statt. Die Todesopfer umfassten 35 Zivilisten, 18 Polizisten, sechs Armeemitarbeiter und zwei Aufständische. Es gab drei Selbstmordanschläge in Lahore mit insgesamt 50 Toten, die sich gegen Sicherheitskräfte und Zensusmitarbeiter richteten, darunter einen Sprengstoffanschlag auf einen Polizeieinsatz bei der Räumung eines illegalen Marktes mit 26 Toten. Es gab einen religiös-sektiererisch motivierten Vorfall mit einem Todesopfer. Vier Anschläge richteten sich gegen die Gemeinschaft der Ahmadiya. Für die Anschläge verantwortlich zeigten sich die TTP, Jamaatul Ahrar, Lashkar-e-Jhangvi Al-Alami sowie weitere unidentifizierte Gruppen (PIPS 1.2018).

Das Hauptstadtterritorium Islamabad verzeichnete 2017 drei Anschläge mit zwei Todesopfern. Zwei der Anschläge waren religiös-sektiererisch motiviert und richteten sich gegen Schiiten (PIPS 1.2018). Im November 2017 blockierten Demonstranten - Mitglieder religiöser Parteien wie Tehreek Labbaik Ya Rasool Allah (TLY), Tehreek-i-Khatm-i-Nabuwwat und Sunni Tehreek Pakistan (ST) - 20 Tage lang den Autobahnknoten Fayzabad Interchange. Am 25.11.2017 begann die Regierung mit der gewaltsamen Auflösung der Proteste, bei der sechs Personen getötet wurden. Da die zur Unterstützung gerufene Armee ihr Eingreifen verweigerte, wurde die Blockade letztlich nach weiteren Verhandlungen und Zugeständnissen friedlich aufgelöst [vgl. Abschnitt 2] (Dawn 28.11.2017).

Die Zahl der Terroranschläge und Todesopfer im Punjab ging in den Jahren 2015 und 2016 zurück (PIPS 1.2017; vgl. PIPS 3.1.2016). Für das Jahr 2016 wurden sieben Terroranschläge im Punjab mit 80 Toten registriert, wobei 74 Tote alleine auf den groß angelegten, gegen die christliche Gemeinschaft gerichteten, Anschlag in Lahore im März 2016 entfielen. Sechs Distrikte des Punjab waren von Anschlägen betroffen. Unter den Opfern befanden sich 75 Zivilisten, vier Polizisten und ein Aufständischer. Das Hauptstadtterritorium Islamabad verzeichnete 2016 einen Anschlag mit einem Toten (PIPS 1.2017).

Quellen:

- ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (7.2.2017): Regional Violence in Pakistan, https://www.crisis.acleddata.com/regional-violence-in-pakistan/. Zugriff 21.6.2018

- Dawn (28.11.2017): An overview of the crisis that forced the government to capitulate, https://www.dawn.com/news/1373200/an-overview-of-the-crisis-that-forced-the-government-to-capitulate, Zugriff 26.4.2018

- EASO - European Asylum Support Office (7.2016): Country of Origin Information Report, Pakistan Security Situation, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1469617733_easo-country-of-origin-information-report-pakistani-security-report.pdf, Zugriff 18.3.2017

- ICTA - Islamabad Capital Territory Administration (o.D.): About ICTA, https://ictadministration.gov.pk/about-icta/, Zugriff 8.5.2018

- PBS - Pakistan Bureau of Statistics (2017a): PROVINCE WISE PROVISIONAL RESULTS OF CENSUS - 2017, http://www.pbs.gov.pk/sites/default/files/PAKISTAN%20TEHSIL%20WISE%20FOR%20WEB%20CENSUS_2017.pdf, Zugriff 8.5.2018

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (1.2017): PIPS Research Journal - Conflict & Peace Studies, Vol.9, No.1, Special Report 2016 - Pakistan Security Report.

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (1.2018): PIPS Research Journal - Conflict & Peace Studies, Vol.10, No.1, Special Report 2017 - Pakistan Security Report.

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (3.1.2016): Pakistan Security Report 2015.

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (6.4.2018): Monthly Security Report: March 2018, http://pakpips.com/app/reports/199, Zugriff 14.5.2018

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (6.3.2018): Monthly Security Report: February 2018, http://pakpips.com/app/reports/169, Zugriff 14.5.2018

- PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (5.2.2018): Monthly Security Report: January 2018, http://pakpips.com/app/reports/65, Zugriff 14.5.2018

- Reuters (14.3.2018): Suicide blast targeting police kills seven in eastern Pakistani city of Lahore, https://www.reuters.com/article/us-pakistan-blast/suicide-blast-targeting-police-kills-seven-in-eastern-pakistani-city-of-lahore-idUSKCN1GQ2OD, Zugriff 14.5.2018

Korruption

Korruption ist in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, der Justiz und bei den Sicherheitsorganen nach wie vor weit verbreitet (AA 20.10.2017; vgl. USDOS 20.4.2018). Im Corruption Perceptions Index 2016 von Transparency International nahm Pakistan die 116. Stelle von 176 Ländern ein (TI 25.1.2017), im Jahr 2017 die 117. Stelle von 180 Ländern (TI 21.2.2018).

Das pakistanische Strafgesetzbuch untersagt, Bestechungen anzubieten, zu bezahlen oder anzunehmen. Schmiergeldzahlungen und Geschenke sind verboten aber weit verbreitete Praxis (GAN Integrity 12.2017; vgl. USDOS 20.4.2018). Das "National Accountability Bureau" (NAB) dient als höchste Antikorruptionsorganisation mit dem Mandat, Korruption durch Vollstreckung, Bewusstseinsbildung und Prävention zu eliminieren (USDOS 20.4.2018). Trotz solider Gesetzeslage ist Pakistan nicht in der Lage, Korruption in staatlichen Stellen zu verhindern. Die Regierung setzt die Anti-Korruptionsgesetze nicht effizient durch und Beamte, die in Korruption verwickelt sind, bleiben straffrei (GAN Integrity 12.2017; vgl. USDOS 20.4.2018).

Korruption ist auch in den unteren Ebenen der Polizei üblich. So werden durch manche Polizeikräfte Gebühren für die Annahme von gerechtfertigten Anzeigen angenommen und Bestechungsgelder für die Registrierung falscher Anzeigen akzeptiert. Bestechungsgelder zur Vermeidung von Strafzahlungen sind ebenso weit verbreitet (USDOS 20.4.2018). Die Hauptgründe für Korruption sind mangelndes Verantwortungsbewusstsein sowie fehlende leistungsbezogene berufliche Aufstiegschancen bei relativ niedrigen Löhnen (USDOS 29.6.2017; vgl. TI 25.4.2014).

Seit 2015 haben Militär und Rangers (dem Innenministerium für Polizeiaufgaben unterstellte militärische Kräfte) auch in der Bekämpfung von gewöhnlicher Kriminalität und Korruption mehrfach die Initiative ergriffen (AA 20.10.2017).

Am 28.7.2017 wurde Ministerpräsident Nawaz Sharif aufgrund von Korruptionsvorwürfen vom Obersten Gericht abgesetzt (Zeit Online 28.7.2017). Hintergrund sind die durch die Panama Papers enthüllten Vermögensverhältnisse der Familie, die Sharif Vorwürfe der Geldwäsche und Korruption eingebracht hatten. In Pakistan kann ein Ministerpräsident des Amtes enthoben werden, wenn sich herausstellt, dass er Vermögen verborgen hat (Süddeutsche Zeitung 28.7.2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (20.10.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik PAKISTAN.

- GAN Integrity (10.2017): Pakistan Corruption Report, https://www.business-anti-corruption.com/country-profiles/pakistan, Zugriff 18.4.2018

- Süddeutsche Zeitung (28.7.2017): Nach Panama-Papers-Enthüllung: Gericht enthebt Pakistans Ministerpräsident des Amtes, http://www.sueddeutsche.de/politik/panama-papers-nach-panama-papers-enthuellung-gericht-enthebt-pakistans-ministerpraesident-des-amtes-1.3607163, Zugriff 28.7.2017

- TI - Transparency International (25.4.2014): Pakistan 2014, https://www.transparency.org/whatwedo/nisarticle/pakistan_2014, Zugriff 19.4.2018

- TI - Transparency International (25.1.2017): Corruption Perceptions Index 2016, http://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2016, Zugriff 19.4.2018

- TI - Transparency International (21.2.2018): Corruption Perceptions Index 2017, https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2017, Zugriff 19.4.2018

- USDOS - US Department of State, Bureau of Economic and Business Affairs (29.6.2017): Investment Climate Statements for 2017 - Pakistan, http://www.state.gov/e/eb/rls/othr/ics/investmentclimatestatements/index.htm?year=2017&dlid=270027, Zugriff 19.4.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Reports on Human Rights Practices for 2017 - Pakistan, https://www.state.gov/documents/organization/277535.pdf, Zugriff 23.4.2018

- Zeit Online (28.7.2017): Oberstes Gericht in Pakistan entmachtet Premier Sharif, http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-07/panama-papers-pakistan-nawaz-sharif-ministerpraesident-amtsenthebung, Zugriff 28.7.2017

Allgemeine Menschenrechtslage

Der Schutz der Menschenrechte ist in der Verfassung verankert. Kapitel 1, Teil II der Verfassung ist den Grundrechten gewidmet. Art. 4 der Verfassung garantiert den Schutz der körperlichen Unversehrtheit und Selbstbestimmung, die nur auf der Basis der geltenden Gesetzgebung eingeschränkt werden dürfen, den Schutz vor willkürlicher Verhaftung, des persönlichen Ansehens sowie das Recht auf Freiheit und Eigentum. Art. 9 der Verfassung verbietet willkürliche Verhaftungen und Tötungen ohne gesetzliche Grundlage (die Todesstrafe ist nach wie vor in Pakistan nicht abgeschafft). Art. 25 Abs. 1 garantiert die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz. Art. 25 Abs. 2 der Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (AA 20.10.2017).

Allerdings weichen der Anspruch der Verfassung und die gesellschaftliche Realität voneinander ab. Die nachhaltige Entwicklung einer liberalen Demokratie mit effektivem Rechtsstaat und Schutz der Menschenrechte wird weiterhin behindert durch Extremismus/Islamismus, Korruption, die starke Stellung des Militärs, den Einfluss von Feudal/Stammes-Strukturen in Politik und Gesellschaft, sowie ein in Pakistan oft geleugnetes, aber weiterhin wirksames, durch religiöse Intoleranz angereichertes Kastenwesen. Polizei und Justiz unterlaufen häufig Fehler bei der Untersuchung von Straftaten. Korruption ist weit verbreitet. Die pakistanischen Gerichte sind überlastet: Gerichtsverfahren ziehen sich nicht selten über Jahrzehnte hin. Die seit dem Ende der Militärherrschaft wieder erstarkte Judikative ist bisher nicht in der Lage, einen besseren gerichtlichen Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten, auch wenn sich der Oberste Gerichtshof punktuell mit Fällen in der Öffentlichkeit thematisierter Menschenrechtsverletzungen (z.B. dem Verschwindenlassen von Personen im Rahmen der Aufstandsbekämpfung in Belutschistan und in den Stammesgebieten und dem Schutz der Minderheitenrechte) befasst. In den pakistanischen Stammesgebieten (Federally Administered Tribal Areas, FATA) haben die in der pakistanischen Verfassung verankerten Bürgerrechte keine Geltung (AA 10.2017a).

Die Menschenrechtslage in Pakistan bleibt kritisch. Grundsätzlich bekennt sich die pakistanische Regierung zu den Menschenrechten. In vielen Fällen fehlt ihr jedoch der politische Wille, Menschenrechtsverletzungen vorzubeugen, sie aufzuklären und Rechtsbrecher zur Verantwortung zu ziehen. Die Schwäche der staatlichen Institutionen, nicht zuletzt im Bereich der Justiz, führt in vielen Fällen dazu, dass dem Recht keine Geltung verschafft wird. Bei der Bekämpfung von Terrorismus und Militanz werden Menschenrechtsverletzungen bewusst in Kauf genommen. Führenden Politikern fehlt vielfach das Grundverständnis für die Relevanz menschenrechtlicher und anderer völkerrechtlicher Normen, zu deren Einhaltung Pakistan sich verpflichtet hat (AA 20.10.2017). Sicherheitskräfte waren im gesamten Land in erzwungenes Verschwinden und extralegale Tötungen verwickelt (HRW 18.1.2018).

Die größten Probleme im Bereich Menschenrechte sind u.a. extralegale und gezielte Tötungen, das Verschwindenlassen von Personen, Folter, fehlende Rechtsstaatlichkeit, schlechte Ausführung und Durchsetzung der Gesetze; häufige Mob-Gewalt und Selbstjustiz bleiben meist straffrei. Weitere Menschenrechtsprobleme sind unter anderem willkürliche Haft, lange Untersuchungshaft, Mangel an Unabhängigkeit der Gerichte unterer Instanzen, häufige Verletzung der privaten Bürgerrechte, Angriffe und Schikanen von Medienvertretern, Einschränkungen der Versammlungs- und Bewegungsfreiheit, Korruption, Verletzung der Religionsfreiheit von Minderheiten, sowie verschiedene Formen schwerwiegender Gewalt gegen Frauen, unter anderem Ehrverbrechen und Diskriminierung. Wegen fehlender Rechenschaftspflicht der Regierung blieben Vergehen oft ungeahndet, was zu einer Kultur der Straflosigkeit der Täter führt, staatlich oder nicht-staatlich. Die Behörden bestrafen Beamte nur selten für Verstöße gegen die Menschenrechte (USDOS 20.4.2018; vgl. HRW 10.1.2017).

Das Vorgehen der Sicherheitskräfte führte zum Verschwinden zahlreicher Männer und männlicher Jugendlicher, vor allem in den Provinzen Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa und Sindh, und war dabei teilweise sogar durch das Antiterrorgesetz und andere Regelungen gedeckt. Obwohl der Oberste Gerichtshof die Regierung 2013 mehrfach unmissverständlich dazu aufgefordert hatte, das Schicksal der Verschwundenen aufzuklären, unternahmen die Behörden nur wenig, um diese Menschenrechtsverletzung gemäß der pakistanischen Verfassung und internationalen Verpflichtungen zu bekämpfen. Anordnungen des Obersten Gerichtshofs, die Verantwortlichen aus den Reihen der Sicherheitskräfte zur Verantwortung zu ziehen, blieben folgenlos. Nur äußerst selten tauchten Aktivisten, die verschwunden waren, lebend wieder auf (AI 25.2.2015). 2015 gab es bei den Fällen, die vor den höheren Gerichten auf Aufklärung warten, nur kleine Fortschritte (HRCP 3.2016).

Gemäß der Kommission zur Ermittlung erzwungenen Verschwindens (COIED) wurden im Zeitraum 2011 bis 30.4.2018 4.929 Fälle zur Kenntnis gebracht und davon 3.269 Fälle abgeschlossen; 1.822 Fälle sind noch offen (DPG 7.5.2018). Stand 30.12.2017 waren 4.608 Fälle angezeigt, davon 3.076 abgeschlossen und 1.532 offen (HRCP 4.2018; vgl. USDOS 20.4.2018), davon 867 aus der Provinz Khyber Pakhtunkhwa (HRCP 4.2018). HRCP berichtet über 728 Personen, die 2016 als vermisst gemeldet wurden, die höchste Zahl seit mindestens sechs Jahren (HRCP 5.2017). Im Jahr 2017 gingen 868 neue Fälle vermisster Personen ein, während im selben Jahr 555 Fälle abgeschlossen wurden (HRCP 4.2018).

Gesetzesvollzugsorgane und Sicherheitsbehörden werden beim Verüben von Menschenrechtsverletzungen wegen ihres großen politischen Einflusses nicht zur Verantwortung gezogen, vor allem in Fragen der nationalen Sicherheit und der Terrorabwehr. Im März 2017 wurde vom Parlament ein Verfassungszusatz beschlossen, wonach geheime Militärgerichte zur Verhandlung gegen Terrorismusverdächtige für weitere zwei Jahre zugelassen sind (HRW 18.1.2018).

Extralegale Tötungen kommen vor allem in Form der sogenannten "police encounters" vor, d. h. bei Zusammenstößen zwischen mutmaßlichen Straftätern, Aufständischen oder Terroristen und der Polizei oder paramilitärischen Sicherheitskräften, die mit dem Tod des mutmaßlich Straffälligen enden. Als Begründung führt die Polizei regelmäßig an, dass die Opfer versuchten, aus dem Polizeigewahrsam zu flüchten, oder bei ihrer Verhaftung von der Schusswaffe Gebrauch gemacht hätten. Laut der NGO "Human Rights Commission of Pakistan" kamen 2016 landesweit hunderte Personen bei "police encounters" ums Leben. Demnach sprach die Polizei im Punjab von 340 Getöteten bei "encounters", die Polizei im Sindh zählte 248 Tote. Für die anderen Provinzen und territorialen Einheiten lagen die Zahlen bei 229 (Belutschistan), 315 (FATA - Federally Administered Tribal Areas), 40 (Khyber Pakhtunkhwa) und vier (Gilgit-Baltistan) Getöteten. In der Regel werden diese Fälle nicht gerichtlich untersucht. Die Familien der Opfer, die meist den ärmeren Bevölkerungsschichten angehören, wagen entweder nicht, die Version der Polizei in Frage zu stellen, oder haben nicht die finanziellen Möglichkeiten, gerichtlich gegen die Beamten vorzugehen (AA 20.10.2017).

In zahlreichen Fällen bleiben Strafgefangene über viele Jahre hinweg widerrechtlich inhaftiert, obwohl ihre Haftstrafe bereits verbüßt ist. Ein häufiger Grund ist, dass die Strafgefangenen oder ihre Familienangehörigen nicht die notwendigen Mittel aufbringen können, die gleichzeitig mit der Haftstrafe verhängte Geldbuße nach Ablauf der Haftzeit zu begleichen. Ein anderer Grund ist, dass Gerichtsurteile nicht konsequent umgesetzt werden. Andere Personen werden, ohne dass gegen sie eine Haftstrafe verhängt wurde, nur deshalb in Haft genommen, weil sie nicht in der Lage sind, gegen sie verhängte Bußgelder zu begleichen (AA 20.10.2017).

Willkürliche Festnahmen kommen insbesondere aufgrund der weit verbreiteten Korruption innerhalb der Polizei vor. Selbst bei offensichtlich unbegründeten Beschuldigungen kann eine lange Inhaftierung erfolgen, ohne dass es dabei zu einer Haftprüfung kommt. Beispiel hierfür sind die Blasphemiefälle. Auch die Sicherheitsdienste greifen in Fällen mit terroristischem Hintergrund oder in Fällen von Landesverrat auf willkürlichen und rechtswidrigen Gewahrsam zurück (AA 20.10.2017).

Der Senat und die ständigen Komitees der Nationalversammlung zu Recht, Justiz, Minderheiten und Menschenrechten hielten Anhörungen zu einer breiten Reihe von Problemen mit Bezug auf die Menschenrechte, unter anderem Ehrverbrechen und Polizeigewalt ab. Das Gesetz zur nationalen Menschenrechtskommission von 2012 sah Einrichtung eines unabhängigen Komitees, der nationalen Kommission für Menschenrechte, vor. Dieses wurde von der Regierung 2015 eingerichtet. Im November 2015 wurde ein unabhängiges Ministerium für Menschenrechte wieder eingerichtet (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (10.2017a): Pakistan - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Pakistan/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.3.2018

- AA - Auswärtiges Amt Deutschland (20.10.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik PAKISTAN.

- AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - Pakistan, http://www.ecoi.net/local_link/297390/444645_de.html, Zugriff 19.4.2018

- DPG - Daily Pakistan Global (7.5.2018): 3,269 missing persons cases disposed off, confirms commission on enforced disappearances, https://en.dailypakistan.com.pk/headline/3269-missing-persons-cases-disposed-off-confirms-commission-on-enforced-disappearances/, Zugriff 8.5.2018

- HRCP - Human Rights Commission of Pakistan (3.2016): State of Human Rights in 2015, http://hrcp-web.org/hrcpweb/wp-content/uploads/2016/04/Highlights.pdf, Zugriff 22.3.2018

- HRCP - Human Rights Commision of Pakistan (5.2017): State of Human Rights in 2016, http://hrcp-web.org/hrcpweb/wp-content/uploads/2017/05/State-of-Human-Rights-in-2016.pdf, Zugriff 21.3.2018

- HRCP - Human Rights Commission of Pakistan (4.2018): State of Human Rights in 2017, http://hrcp-web.org/publication/wp-content/uploads/2018/04/State-of-Human-Rights-in-2017.pdf, Zugriff 20.4.2018

- HRW - Human Rights Watch (10.1.2017): Pakistan: Bloggers Feared Abducted - Government Needs to Investigate, Protect Journalists and Activists, http://www.ecoi.net/local_link/334582/476326_de.html, Zugriff 19.4.2018

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Pakistan, https://www.hrw.org/world-report/2018/country-chapters/pakistan, Zugriff 15.3.2018

- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Reports on Human Rights Practices for 2017 - Pakistan, https://www.state.gov/documents/organization/277535.pdf, Zugriff 23.4.2018

Todesstrafe

Die Regierung erließ im Jänner 2015 als Reaktion des Terrorangriffs auf die vom Militär geführte Schule in Peshwar [Anm.: der Angriff erfolgte im Dezember 2014] eine Verfassungsänderung, welche den Militärgerichten künftig erlaubt, unter Terrorverdacht stehenden Zivilisten den Prozess zu machen. Die Maßnahme wäre im Jänner 2017 ausgelaufen, wurde aber durch die Regierung bis Jänner 2019 verlängert (USDOS 20.4.2018). Das 2008 eingeführte Moratorium auf die Vollstreckung der Todesstrafe wurde am 17.12.2014 aufgehoben (AA 20.10.2017), zunächst für terroristische Straftaten, später auch für andere Kapitalverbrechen ohne terroristischen Bezug (ÖB 10.2017).

Bei Verwirklichung von 27 [vgl. ÖB 10.2017: 31] verschiedenen Straftatbeständen kann die Todesstrafe verhängt werden. Der unter Todesstrafe gestellte Tatbestandskatalog geht weit über den nach dem internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte gesetzten Rahmen hinaus, den Pakistan ebenfalls ratifiziert hat. Es besteht die Gefahr, dass Personen wegen eines Tatbestandes, der gemäß dieses Paktes von der Verhängung der Todesstrafe ausgenommen ist, dennoch zum Tode verurteilt und auch hingerichtet werden (AA 20.10.2017).

Die Todesstrafe kann u.A. bei folgenden Delikten verhängt werden: Mord; Raub mit Todesfolge; gerichtliche Falschaussage mit dem Ziel, dass eine unschuldige Person zum Tode verurteilt wird; Terrorismus mit Todesfolge; Vergewaltigung und Gruppenvergewaltigung; Haraabah [Straßenraub]; Eisenbahnsabotage; Störung der religiösen Harmonie; Entkleiden einer Frau; Entführung von Minderjährigen oder Entführung mit dem Ziel sexueller Ausbeutung oder Lösegeldforderungen; Import, Export, Schmuggel, Produktion von Drogen; sexueller Kontakt außerhalb einer Ehe; Hochverrat; kriegerische Handlungen gegen Pakistan; Meuterei oder Befehlsverweigerung; unbefugte Weitergabe oder Nutzung militärischer Passwörter; Waffenhandel; Blasphemie (HRCP o.D.).

Als besondere Problematik sind die als rechtliche Handhabe zur Unterdrückung religiöser Minderheiten dienenden Blasphemiegesetze anzuführen, die Herabwürdigungen des Propheten mit der Todesstrafe bedrohen. Diese wurde bisher allerdings in diesem Zusammenhang noch nie vollzogen [siehe auch Abschnitt 16. Religionsfreiheit] (ÖB 10.2017).

Die Analyse einer Reihe von Fällen zeigt, dass auch in Verfahren, in denen die Todesstrafe verhängt wird, immer wieder schwere Rechtsfehler passieren und die Verfahrensrechte der Angeklagten schwer missachtet werden. Urteile werden mitunter ausschließlich aufgrund der Geständnisse der Angeklagten verhängt, wobei davon auszugehen ist, dass Geständnisse immer wieder durch Folter oder Misshandlung im Polizeigewahrsam erzwungen werden. In vielen Fällen beruhen die Todesurteile auf rechtsstaatlich sehr zweifelhaften Verfahren, in mehreren Fällen besteht Grund zur Annahme, dass die hingerichtete Person zum Tatzeitpunkt minderjährig war (AA 20.10.2017). Seit der Aufhebung des Moratoriums seit Dezember 2014 wurden bis Dezember 2016 mindestens sechs Jugendliche hingerichtet (Dawn 22.12.2016).

Zum Tode Verurteilten stehen als Rechtsmittel der normale gerichtliche Instanzenweg bis zum Obersten Gerichtshof (Supreme Court) und anschließend die Möglichkeit eines Gnadengesuchs an den Staatspräsidenten offen (AA 30.5.2016). Der Präsident hat die Ermächtigung unter Artikel 45 der Verfassung, zum Tode Verurteilte zu begnadigen (Dawn 12.4.2018). Gnadengesuche werden Berichten zufolge generell ohne Einzelfallprüfung abgelehnt (ÖB 10.2017; vgl. Dawn 12.4.2018). Von Dezember 2014 bis Apil 2018 wurden im Zusammenhang mit Todesurteilen 513 Gesuche zum Zwecke einer Begnadigung von Gefangenen abgelehnt, davon wurden 444 innerhalb der ersten 15 Monate seit der Wiedereinführung der Todesstrafe gestellt (Dawn 12.4.2018).

Seit der Aufhebung des Moratoriums wurden in Pakistan, bis Jahresende 2017, 489 Personen hingerichtet (HRCP 4.2018; vgl ÖB 10.2017: 432 mit Stand Oktober); 94% davon wegen nicht-terroristischer Verbrechen (ÖB 10.2017). Amnesty International zählte 2017 mindestens 60 (AI 12.4.2018), HRCP mindestens 64 Hinrichtungen, von denen 43 nach Verurteilungen durch Militärgerichte vollstreckt wurden (HRCP 4.2018). Für das Jahr 2016 gab AI mindestens 87 (AI 11.4.2017) und für 2015 insgesamt 326 Hinrichtungen an (AI 6.4.2016).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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