Entscheidungsdatum
15.04.2020Norm
BFA-VG §18 Abs3Spruch
I403 2230273-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Deutschland, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.03.2020, Zl. 555823401/190161235
zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
II. Die Verfahrenshilfe wird im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabegebühr bewilligt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 04.03.2020 wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz wurde ihm kein Durchführungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).
Mit Schriftsatz vom 06.04.2020 wurde Beschwerde erhoben und beantragt, das Aufenthaltsverbot aufzuheben oder zu verkürzen. Zudem wurde beantragt, dem Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang der Gebührenbefreiung für die Eingabegebühr zu gewähren. Inhaltlich wurde kritisiert, dass der Beschwerdeführer nicht einvernommen worden sei und bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme in der Regel auf die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks nicht verzichtet werden dürfe.
Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 14.04.2020 vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Deutschlands. Der 54-jährige Beschwerdeführer arbeitete in seinem Heimatland Deutschland als Tischler und gründete eine Familie. Seine Ehe wurde allerdings geschieden und er hat seit Jahren keinen Kontakt mehr zu seinen drei volljährigen in Deutschland lebenden Kindern. Der Beschwerdeführer hat keine engen Bindungen mehr nach Deutschland.
Er meldete ab 08.05.2009 immer wieder für einige Monate einen Nebenwohnsitz in Österreich an, seit 18.11.2010 verfügt er, allerdings mit wesentlichen Unterbrechungen (keine Meldung von 11.10.2011 bis 19.03.2012, vom 04.09.2012 bis 20.06.2013; nur Nebenwohnsitz gemeldet vom 21.06.2013 bis 08.07.2013, vom 12.08.2013 bis 07.01.2016, vom 07.01.2016 bis 29.03.2016, vom 03.10.2014 bis 13.10.2014, vom 11.05.2015 bis 20.05.2015, vom 25.08.2015 bis 15.12.2015, vom 07.04.2016 bis 07.03.2017 und vom 01.11.2017 bis zum 27.02.2018), immer wieder über einen Hauptwohnsitz in Österreich. Es kann – aufgrund der genannten Zeiten ohne Meldung eines Hauptwohnsitzes - daher kein durchgehender Aufenthalt von zehn Jahren im Bundesgebiet festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte, hat aber Freundschaften geschlossen.
Der Beschwerdeführer war in den Jahren von 2010 bis 2012 mit Unterbrechungen als Tischler angestellt; in den folgenden Zeiträumen war er bei einem Leiharbeitskräfteunternehmen beschäftigt: 23.06.2014 bis 25.06.2014, 30.06.2014 bis 18.07.2014, 28.08.2014 bis 04.09.2014, 22.09.2014 bis 12.12.2014, 11.05.2015 bis 29.05.2015, 15.06.2015 bis 28.08.2015, 05.10.2015 bis 27.11.2015, 14.03.2016 bis 06.04.2016, 06.06.2016 bis 01.07.2016, 28.07.2016 bis 31.07.2016, 10.08.2016 bis 18.11.2016, 09.01.2017 bis 26.01.2017 und 01.06.2017 bis 16.06.2017, 23.08.2017 bis 22.12.2017, 12.03.2018 bis 30.04.2018, 02.07.2018 bis 06.07.2018 und 03.09.2018 bis 01.10.2018. Dazwischen und bis zu seiner Festnahme am 04.02.2019 bezog der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe.
Der Beschwerdeführer verfügt über kein Vermögen und hat Schulden von etwa 5000 Euro.
Der Beschwerdeführer wurde in Deutschland zwischen 1997 und 2010 viermal verurteilt, unter anderem wegen Verletzung der Unterhaltspflicht, Beleidigung, Beschimpfung und Verleumdung, einfacher Körperverletzung und der widerrechtlichen Aneignung oder Entziehung von Energie. Er wurde einmal zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe und ansonsten zu unbedingten Geldstrafen verurteilt. Von der Staatsanwaltschaft XXXX ist er zudem national wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen ausgeschrieben.
In Österreich wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 04.05.2018, Zl. XXXX wegen des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel und des Vergehens des schweren Diebstahls zu einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen verurteilt.
Der Beschwerdeführer wurde am 04.02.2019 festgenommen und am 06.02.2019 in Untersuchungshaft genommen. Er befindet sich aktuell in einer Justizanstalt.
Er hatte
I. unmündige Personen via WhatsApp-Kommunikation dazu verleitet bzw. zu verleiten versucht, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen, um sich selbst geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, indem er im Mai und Juni 2018 bei zumindest drei verschiedenen Angriffen ein zu diesem Zeitpunkt dreizehnjähriges Mädchen aufforderte, Gegenstände, wie beispielsweise einen Stift, eine Rundbürste, eine Trinkflasche, ein Deo oder eine Dose in ihre Scheide einzuführen bzw sich beim Telefonsex mit ihm ihre Finger in die Scheide einzuführen, was diese aber nicht tat; indem er von Dezember 2018 bis Februar 2019 ein zu diesem Zeitpunkt ebenfalls dreizehnjähriges Mädchen bei zumindest fünf verschiedenen Angriffen aufforderte, ihre Finger in die Scheide einzuführen, was diese auch jeweils tat; indem er im Jänner 2019 bei zumindest drei verschiedenen Angriffen ein zu diesem Zeitpunkt zwölfjähriges Mädchen aufforderte, ihre Finger in die Scheide einzuführen, was diese auch jeweils tat;
II. sich pornographische Darstellungen unmündiger Personen, konkret wirklichkeitsnahe Abbildungen geschlechtlicher Handlungen von unmündigen Personen an sich selbst sowie Abbildungen der Genitalien und Schamgegend Minderjähriger zu verschaffen versucht, indem er im Rahmen der oben beschriebenen Kontakte die Mädchen aufforderte, ihm Fotos bzw. Videos von den Handlungen zu schicken;
III. im Jänner 2019 dem oben genannten zwölfjährigen Mädchen damit gedroht, die ihm bereits übermittelten Nacktfotos öffentlich zu machen, wenn sie den Kontakt zu ihm abbrechen würde, was diese dennoch tat.
Der Beschwerdeführer hatte den Entschluss gefasst, sich gezielt und bewusst im Internet in sozialen Netzwerken für Jugendliche zu bewegen, um dadurch mit Mädchen im Alter von zwölf Jahren bis sechzehn Jahren in Kontakt zu treten und diese unter Vorspiegelung unwahrer Behauptungen emotional und sexuell auszunützen. Er ging dabei äußerst perfide, heimtückisch, manipulativ und skrupellos vor. Er gab sich als gleichaltriger Jugendlicher aus und behauptete etwa, an Leukämie zu leiden. Er spielte den Mädchen Gefühle der Zuneigung und Liebe vor und gewann stetig Macht über ihr Leben. Nachdem der sexuelle Missbrauch bekannt wurde, litten die Mädchen teilweise unter psychischen Problemen. Der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung ein Tatsachengeständnis ab, versuchte aber seine strafbaren Handlungen zu bagatellisieren bzw. zu relativieren und zeigte keine überzeugende Reue.
Er wurde deswegen mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 03.02.2020, Zl. XXXX wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs. 2 zweiter Fall, 15 StGB, dem Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach §§ 207a Abs. 3 zweiter Fall, 15 StGB und dem Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StG zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Insbesondere wurden auch Auszüge aus dem Informationsverbund Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister, dem Sozialversicherungsdatenbankauszug und dem Strafregister eingeholt.
Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund seines vorgelegten deutschen Identitätsnachweises fest. Die Angaben zu seiner Ausbildung und seiner Familie in Deutschland ergeben sich aus dem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 03.02.2020, Zl. XXXX .
Die Angaben zu seiner beruflichen Tätigkeit, seiner Unterkunft und seinen Bindungen in Österreich ergeben sich aus der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 20.02.2019. Der Beschwerdeführer behauptete in dieser Stellungnahme, sich seit 2006 durchgängig im Bundesgebiet zu befinden (entsprechend war auch im Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 03.02.2020, Zl. XXXX von einem Aufenthalt von 13 Jahren die Rede), doch meldete er erst am 18.11.2010 einen Hauptwohnsitz an und war er in weiterer Folge immer wieder für längere Zeiträume nicht bzw. nur mit einem Nebenwohnsitz gemeldet. Zudem wurde er 2010 noch in Deutschland verurteilt, wie dem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 03.02.2020, Zl. XXXX zu entnehmen ist. Auch in der Beschwerde ist die Rede davon, dass der Beschwerdeführer erst seit 2012 durchgehend in Österreich aufhältig sei; an einem anderen Punkt wird in der Beschwerde davon gesprochen, dass der Beschwerdeführer „seit etwa 10 Jahren (seit 2010) fast durchgehend in Österreich“ leben würde – ein tatsächlich durchgehender Aufenthalt von 10 Jahren wurde daher nicht behauptet. Soweit in der Beschwerde im Übrigen argumentiert wird, dass der Beschwerdeführer stets gemeldet gewesen sei, steht dies in Widerspruch mit dem Auszug aus dem ZMR vom 14.04.2020.
Die Zeiträume seiner Anstellung bzw. des Bezuges von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe ergeben sich aus einem Auszug aus dem Verband der Sozialversicherungsträger vom 14.04.2020.
Die näheren Umstände seiner Verurteilung wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen ergeben sich aus dem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 03.02.2020, Zl. XXXX .
Die Feststellung zu seinem Vermögen bzw. seinen Schulden ergibt sich aus dem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 03.02.2020, Zl. XXXX .
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:
Hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Beschwerde wird darauf verwiesen, dass nach dem 2. COVID-19-Gesetz alle (verfahrensrechtlichen) Fristen, deren fristauslösendes Ereignis in die Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes (seit 22.03.2020, 0:00 Uhr in Kraft) fällt, sowie alle Fristen, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes noch nicht abgelaufen sind, bis zum Ablauf des 30.04.2020 unterbrochen werden. Die Beschwerde erging daher rechtzeitig.
3.2. Zum Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
3.2.1. Zu den Rechtsgrundlagen:
§ 67 FPG lautet:
§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere
1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);
3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.
(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.
Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder jener, der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger jener Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist. Der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger Deutschlands ist sohin EWR-Bürger iSd. § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.
Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
3.2.2. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA war aus den folgenden Gründen abzuweisen:
Da der Beschwerdeführer aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich von § 67 FPG fällt und da die Voraussetzung eines durchgehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet seit zehn Jahren nicht erfüllt ist, kommt für diesen der Prüfungsmaßstab des § 67 Abs. 1 1. und 2. Satz FPG für Unionsbürger zur Anwendung. Wie oben dargelegt hatte der Beschwerdeführer jedenfalls nicht durchgehend in den letzten zehn Jahren einen Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. Auch in der Beschwerde wurde ein durchgehender zehnjähriger Aufenthalt nicht behauptet, sondern nur davon gesprochen, dass der Beschwerdeführer seit 2010 „fast“ durchgehend in Österreich gewesen sei bzw. dann dass er seit 2012 durchgehend in Österreich aufhältig gewesen sei. Nachdem daher auch in der Beschwerde kein durchgehender zehnjähriger Aufenthalt behauptet wurde und sich ein solcher auch nicht aus dem ZMR ergibt, geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der erhöhte Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG gegenständlich nicht heranzuziehen ist.
Gegen den Beschwerdeführer als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 Abs. 1 FPG daher zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet tatsächlich, gegenwärtig und erheblich gefährdet wäre.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0039).
Dem angefochtenen Aufenthaltsverbot liegt im Wesentlichen die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers von 03.02.2020 zugrunde. Wie bereits ausgeführt hatte sich der Beschwerdeführer in sozialen Netzwerken als Jugendlicher ausgegeben und zwölf- und dreizehnjährige Mädchen unter Vorspiegelung unwahrer Behauptungen emotional und sexuell ausgenützt, um sich selbst sexuelle Befriedigung zu verschaffen. Der sexuelle Missbrauch Unmündiger stellt eine schwere Beeinträchtigung des Kindeswohls und der physischen und psychischen Gesundheit der minderjährigen Bevölkerung dar. Erschwerend tritt hinzu, dass der Beschwerdeführer in Deutschland national wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen ausgeschrieben ist. Im Urteil wurde auch betont, dass der Beschwerdeführer sich „ganz bewusst, gezielt und strategisch in sozialen Netzwerken, die von Jugendlichen besucht werden, (bewegte,) um auf perfide Art und Weise in Kontakt mit Mädchen zu treten und diese in der Folge durch subtile Beeinflussung und Manipulation sexuell zu missbrauchen.“ Der Beschwerdeführer missbrauchte auch nicht nur ein Mädchen, sondern es konnten zumindest drei Opfer festgestellt werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer in Deutschland zwischen 1997 und 2010 bereits viermal und auch in Österreich im Vorfeld bereits einmal strafrechtlich verurteilt worden war, so dass sich insgesamt beim Beschwerdeführer eine große kriminelle Energie zeigt. Im Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 03.02.2020, Zl. XXXX wird das Vorgehen des Beschwerdeführers als „äußerst perfide, heimtückisch, manipulativ und skrupellos“ bezeichnet. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes kann kein Zweifel daran bestehen, dass durch einen weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich, insbesondere aber das Wohl und die Gesundheit von Unmündigen, tatsächlich, gegenwärtig und erheblich gefährdet wäre.
Wenn in der Beschwerde behauptet wird, dass der Beschwerdeführer seine Taten bereue, ist dem entgegenzuhalten, dass ein Gesinnungswandel nach höchstgerichtlicher Judikatur primär daran zu prüfen ist, ob und wie lange sich ein Straftäter in Freiheit wohlverhalten hat (VwGH, 20.8.2013, 2013/22/0108). Solange sich jemand in Strafhaft befindet, kann noch nicht von einem Wegfall oder einer relevanten Minderung der von ihm ausgehenden Gefährdung ausgegangen werden.
Auch wurde in der Beschwerde behauptet, dass eine Wiederholungsgefahr „aufgrund des Verhaltens des BF und aufgrund seiner reflektierten Art nicht gegeben. Der BF stellt keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, denn er hat aus seinen Fehlern gelernt. (…) Hätte die Behörde den BF persönlich geladen, hätte sie erkennen müssen, dass dieser aus seinen Taten und der Verurteilung gelernt hat und daher die Tatwiederholungsgefahr gleich null ist.“ Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass auch im Strafurteil festgehalten wurde, dass der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung versuchte, „seine strafbaren Handlungen zu bagatellisieren bzw. zu relativieren“ und dass er „keine überzeugende Reue“ zeigte; Zudem war er auch in Deutschland bereits wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen ausgeschrieben worden. Die belangte Behörde ging daher zu Recht davon aus, dass die Gefahr besteht, dass der Beschwerdeführer erneut straffällig wird; dies bedeutet eine konkrete Gefahr für die körperliche und psychische Unversehrtheit Unmündiger.
In der Beschwerde wurde der Behörde zudem vorgeworfen, dass sie nicht dargelegt habe, aufgrund welcher Erwägungen sie das Aufenthaltsverbot erlassen habe. Tatsächlich hatte sie aber das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 03.02.2020, Zl. XXXX zitiert und dargelegt, dass davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines bisherigen Verhaltens weitere Straftaten begehen werde. Auch das Argument in der Beschwerde, dass der Beschwerdeführer vor seinen Taten unbescholten gewesen sei, kann angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer bereits 1997 straffällig wurde und auch in Österreich bereits vorher verurteilt wurde, nicht aufrechterhalten werden.
Die Beschwerde kritisierte auch, dass die im Urteil angeführten Milderungsgründe nicht berücksichtigt worden seien. Tatsächlich waren bei der Strafbemessung „das Geständnis des Angeklagten, das zwar nicht reumütig war, aber wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat, und der teilweise Versuch mildernd zu werten“. Diese Milderungsgründe geben aber keine Veranlassung dazu, die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung geringer zu bemessen. Erschwerend wurden vom Strafgericht vielmehr das Zusammentreffen von mehreren strafbaren Handlungen sowie das Vorliegen von drei Opfern, das Vorliegen einer Vorstrafe (Körperverletzung), die auf der gleichen schädlichen Neigung beruht sowie der rasche Rückfall berücksichtigt. Diese Umstände, wie etwa der rasche Rückfall und dass es mehrere (gegebenenfalls auch noch über die bekannten hinausgehende) Opfer gibt, sprechen vielmehr für eine Persönlichkeit, der ein Unrechtbewusstsein und die Bereitschaft, sich an die Gesetze zu halten, fehlen. Dass der Beschwerdeführer die Gefühle unmündiger Mädchen ausnützte (etwa indem er sich als an Leukämie erkrankter Junge ausgab, der sich in das Mädchen verliebt habe), um sich selbst sexuell zu befriedigen, zeigt, dass er kaum Hemmschwellen kennt und sich auch durch das Schutzbedürfnis von Kindern nicht davon abhalten lässt, diese zu missbrauchen und zu nötigen.
Der Beschwerde ist es daher nicht gelungen aufzuzeigen, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet nicht tatsächlich, gegenwärtig und erheblich gefährdet wäre.
Doch selbst wenn man davon ausginge, dass der Beschwerdeführer bereits seit zehn Jahren durchgängig in Österreich aufhältig wäre und daher die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des fünften Satzes des § 67 Abs. 1 FPG („dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde“) zulässig wäre, wäre daraus für den Beschwerdeführer nichts gewonnen.
Nach Art. 83 Abs. 1 AEUV gehört die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu den Bereichen besonders schwerer Kriminalität, die eine grenzüberschreitende Dimension haben und für die ein Tätigwerden des Unionsgesetzgebers vorgesehen ist.
Im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/93 wird dieses Ziel zum Ausdruck gebracht und hervorgehoben, dass sexueller Missbrauch und sexuelle Ausbeutung von Kindern schwere Verstöße gegen die Grundrechte darstellen, insbesondere gegen die im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgelegten Rechte des Kindes auf Schutz und Fürsorge, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind.
Der Europäische Gerichtshof stellte daher fest, dass Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten (und damit die sexuelle Ausbeutung von Kindern) als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen werden können, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, mit denen gemäß Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist; dies ist vom Gericht auf der Grundlage einer individuellen Prüfung des konkreten Falles, mit dem es befasst ist, zu klären (EuGH, 22.05.2012, C?348/09).
Nach Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/38 setzt jede Ausweisungsverfügung voraus, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten.
Im gegenständlichen Fall liegen erschwerende Gründe im Verhalten des Beschwerdeführers, das im Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 03.02.2020, Zl. XXXX als „äußerst perfide, heimtückisch, manipulativ und skrupellos“ bezeichnet wird, darin, dass er sowohl in Deutschland wie auch in Österreich bereits vor der letzten Verurteilung straffällig geworden ist, dass er rasch nach seiner letzten Verurteilung rückfällig wurde und auch in der Strafverhandlung keine überzeugende Reue zeigte und derzeit auch noch inhaftiert ist, so dass keine „Phase des Wohlverhaltens“ und damit auch kein Gesinnungswandel feststellbar sind. Es wird daher davon auszugehen sein, dass der Beschwerdeführer sein Verhalten, konkret den sexuellen Missbrauch Unmündiger, in der Zukunft fortsetzen wird. Aus diesem Grund sind daher, in Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, auch die Voraussetzungen des fünften Satzes des § 67 Abs. 1 FPG gegeben, so dass die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes unabhängig von der Frage, ob der Beschwerdeführer etwas weniger als oder etwas mehr als zehn Jahre im Bundesgebiet verbracht hat, zulässig ist.
Bei der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes kann aber ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss anhand der Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG überprüft werden, ob im vorliegenden Fall ein Eingriff in das und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Beschwerdeführers gegeben ist.
Im vorliegenden Fall führt der Beschwerdeführer in Österreich kein iSd Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben.
In der Beschwerde wurde allerdings moniert, dass die Behörde – mangels Einvernahme – wichtige Aspekte des Rechts auf Privatleben außer Acht gelassen habe; konkret wurde etwa argumentiert: „Der BF ist in Österreich bestens integriert. Er befindet sich bereits seit vielen Jahren in Österreich, spricht fließend Deutsch und ging immer wieder einer Arbeit nach. In der Entscheidung des VfGH U 2839/09-6 vom 28. Jänner 2010 führte der VfGH bereits aus, dass gerade das Beherrschen der Amts- und Mehrheitssprache in Österreich ein wesentlicher Bestandteil erfolgter Integration darstellen würde. Dies konnte die Behörde aufgrund der unterbliebenen mündlichen Einvernahme nicht erkennen, weshalb die Entscheidung mangelhaft ist.“
Diesbezüglich muss allerdings angemerkt werden, dass es sich bei Deutsch um die Muttersprache des Beschwerdeführers handelt und sich daher aus seinen Deutschkenntnissen keine nachhaltige Aufenthaltsverfestigung im Bundesgebiet ergibt. Wenn in der Beschwerde lapidar behauptet wird, dass das „ausgeprägte Privatleben“ des Beschwerdeführers hätte berücksichtigt werden müssen, wird unterlassen, ein solches aufzuzeigen. Dass der Beschwerdeführer immer wieder einer Beschäftigung als Leiharbeitskraft nachging (immer wieder aber auch Sozialleistungen bezog), war von der Behörde bereits berücksichtigt worden. Dass der Beschwerdeführer keine Bindungen zu seiner Familie und seinen Kindern in Deutschland hat, kann am Ergebnis ebenfalls nichts ändern, wurde doch auch nicht behauptet, dass er in Österreich Familie hat. Die Möglichkeit, den Kontakt zu Freunden in Österreich in Zukunft über verschiedene Kommunikationsmittel zu pflegen, wurde bereits im angefochtenen Bescheid aufgezeigt. Die Behauptung in der Beschwerde, dass der Kontakt über moderne Medien kein Mittel darstelle, das Privatleben aufrechtzuerhalten, kann so nicht geteilt werden; nur in Bezug auf den Kontakt zwischen einem Kleinkind und einem Elternteil über Telekommunikation und elektronische Medien wurde dies von den Höchstgerichten als lebensfremd angesehen (vgl dazu VfGH 25.2.2013, U2241/2012; 19.6.2015, E426/2015; 12.10.2016, E1349/2016; 11.6.2018, E343/2018, E345/2018).
Es wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer zumindest seit 2012 seinen Lebensmittelpunkt in Österreich hatte; zu berücksichtigen ist aber auch, dass er, als er in Untersuchungshaft genommen wurde, arbeitssuchend war und auch nie über ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis verfügte, sondern immer für einige Monate über Leiharbeitsfirmen beschäftigt und dann wieder arbeitslos gemeldet war.
Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt auch, dass der Beschwerdeführer kaum mehr Bezug zu Deutschland haben mag, doch reicht dies nicht aus, um aufzuzeigen, dass eine Rückkehr nach Deutschland eine Menschenrechtsverletzung darstellen würde.
Das familiäre und private Interesse des Beschwerdeführers am Aufenthalt im Bundesgebiet konnte somit im Lichte einer durch Art. 8 EMRK gebotenen Interessensabwägung das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung nicht überwiegen.
Im Hinblick auf die Art seines Verhaltens und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild des Beschwerdeführers ist eine Aufenthaltsverbotsdauer in der Höhe von zehn Jahren, bei einer grundsätzlich möglichen Höchstdauer von zehn Jahren, auch angemessen, da der Beschwerdeführer insgesamt seit 1997 immer wieder mit Straftaten in Erscheinung trat und daher von keiner baldigen Veränderung seiner Persönlichkeitsstruktur auszugehen ist.
Die Höchstdauer ist auch deshalb nicht zu beanstanden, weil sich der Beschwerdeführer zwar schon seit einigen Jahren in Österreich aufhält, dennoch aber keine maßgeblichen sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte aufweist.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.
3.3. Zur Nichtgewährung eines Durchsetzungsaufschubes und zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt II. und III. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
Gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn die sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.
Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, geht vom Beschwerdeführer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus. Anhand seines Gesamtfehlverhalten zeigte der Beschwerdeführer unzweifelhaft, dass er nicht gewillt war, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Es ist der belangten Behörde daher beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zum Schutz der Bevölkerung erforderlich und dringend geboten ist.
Weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs. 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG sind somit zu beanstanden, sodass die Beschwerde auch in Bezug auf die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids als unbegründet abzuweisen war.
3.4. Zum Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe im Umfang der Eingabegebühr:
Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, ist gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.
Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der Regelung der Verfahrenshilfe im VwGVG um eine so genannte „subsidiäre Bestimmung“ handelt: Sie soll nur dann zur Anwendung gelangen, wenn durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, also dann, wenn das so genannte „Materiengesetz“ keine Regelung enthält, deren Gegenstand der Verfahrenshilfe entspricht. Gemäß § 52 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 (in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016), ist einem Fremden oder Asylwerber im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in bestimmten Angelegenheiten von Amts wegen kostenlos ein Rechtsberater zur Seite zu stellen. § 52 BFA-VG entspricht damit den Vorgaben des Art. 47 GRC. Im Anwendungsbereich des BFA-VG gelangt daher die Bestimmung des § 8a VwGVG (überhaupt) nicht zur Anwendung (siehe ErläutRV 1255 BlgNR 25. GP zu § 8a VwGVG).
Das BFA-VG sieht für seinen, das verwaltungsgerichtliche Verfahren betreffenden Anwendungsbereich allerdings keine ausdrückliche Regelung vor, ob oder inwieweit im Rahmen der kostenlosen Rechtsberatung nach § 52 BFA-VG auch eine Befreiung von allfälligen zu entrichtenden Gerichtsgebühren oder anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren (§ 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO) möglich ist. Da im vorliegenden Fall eine gesetzliche Gebührenbefreiung nicht besteht, unterliegt die gegenständliche Beschwerde der Verpflichtung zur Entrichtung der Eingabengebühr nach § 14 Tarifpost 6 Abs. 5 Z 1 lit. b Gebührengesetz 1957 in Verbindung mit der BuLVwG-Eingabengebührverordnung - BuLVwG - EGeBV (BGBl. II Nr. 387/2014).
Der gegenständliche Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr findet somit in § 8a VwGVG iVm. § 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO grundsätzlich eine geeignete Rechtsgrundlage.
Im gegenständlichen Fall brachte der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Verfahrenshilfe im Umfang der Gebührenbefreiung für die Eingabengebühr gemeinsam mit der erhobenen Beschwerde ein.
Die Bewilligung der Verfahrenshilfe setzt gemäß § 63 Abs. 1 ZPO unter anderem voraus, dass die antragstellende Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhaltes zu bestreiten; als notwendiger Unterhalt ist derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich oder ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt (vgl. das Erk. des VfGH vom 22.03.2002, B 254/02; 02.04.2004, B 397/04).
Den begründeten Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe im Umfang der Gebührenbefreiung für die Eingabegebühr stützte der Beschwerdeführer darauf, dass er in der Justizanstalt keiner Arbeit nachgehen könne und über kein Vermögen verfüge. Dies entspricht auch den Feststellungen im Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 03.02.2020, Zl. XXXX .
Die beantragte Verfahrenshilfe war daher gemäß § 8a VwGVG iVm. § 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr zu bewilligen.
4. Entfall der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Der maßgebende Sachverhalt wurde vom BFA abschließend ermittelt. Wenn in der Beschwerde die Nichtdurchführung einer niederschriftlichen Einvernahme durch das BFA bemängelt wird, so ist diesbezüglich festzuhalten, dass das Parteiengehör durch das BFA gewahrt wurde, indem der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15.02.2020 vom Ergebnis der Beweisaufnahme hinsichtlich des beabsichtigten Aufenthaltsverbotes verständigt wurde und er zur Beantwortung von Fragen zu seiner Integration sowie zur Vorlage von entsprechenden Belegen aufgefordert wurde.
In der Beschwerde wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gefordert, um sich „ein Bild über die Integrationsleistungen des BF zu machen“. Allerdings werden die in der Beschwerde genannten Punkte zum Privatleben (Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers, teilweise Beschäftigung, Aufenthaltsdauer, Freundschaften, keine Bindungen nach Deutschland) ohnehin der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt und ist daher der Sachverhalt als geklärt anzusehen.
Die wesentlichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid, insbesondere zu den vom Beschwerdeführer in Österreich begangenen Straftaten, blieben unbestritten. Unter diesen Umständen hätte selbst ein positiver persönlicher Eindruck zu keinem anderen Ergebnis geführt. Somit lag kein klärungsbedürftiger Sachverhalt vor (vgl. VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/002).
Im vorliegenden Fall konnte daher, in Übereinstimmung mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, eine mündliche Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
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ECLI:AT:BVWG:2020:I403.2230273.1.00Im RIS seit
28.09.2020Zuletzt aktualisiert am
28.09.2020