TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/17 L509 1237597-2

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Veröffentlicht am 17.04.2020
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Entscheidungsdatum

17.04.2020

Norm

AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L509 1237597-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Ewald HUBER-HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. BANGLADESCH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 02.05.2019 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 Abs. 1 AsylG -"Aufenthaltsberechtigung plus" aus Gründen des Art. 8 EMRK mit der Begründung, dass er seit 2003 in Österreich aufhältig sei und Kenntnisse über die deutsche Sprache auf dem Niveau A2 erworben hätte.

Nach Erteilung eines Verbesserungsauftrages und niederschriftliche Einvernahme am 14.01.2020 durch die belangte Behörde wurde der Antrag des BF mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 27.02.2020 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückgewiesen.

Aus der Begründung des Bescheides geht hervor, dass gegen den BF bereits eine Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot rechtskräftig erlassen worden und seither eine maßgebliche Änderung im Sachverhalt nicht eingetreten sei. Seit der Bescheiderlassung (betreffend Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot) liege zwar ein langer Zeitraum, den der BF aber - außer zum Erlernen der deutschen Sprache - insbesondere auf dem Arbeitsmarkt nicht für eine ausreichende Integration genutzt habe. Die Umstände seiner Lebensführung seien ebenfalls unverändert und es liege kein schützenswertes Privat- und Familienleben vor.

Dagegen ließ der BF, vertreten durch den Migrantinnenverein St. Marx, mit Schriftsatz vom 01.04.2020 vollinhaltlich Beschwerde einbringen. Mit der Beschwerde wird geltend gemacht, dass die Entscheidung inhaltlich falsch und aufgrund mangelhafter Verfahrensführung rechtswidrig sei.

Der Zeitraum zwischen der Ablehnung des Asylverfahrens bzw. der Erlassung der Rückkehrentscheidung und der vorliegenden Antragstellung bzw. der Ausstellung des angefochtenen Bescheides betrage mehr als 8 Jahre, was keineswegs kurz sei. Darüber hinaus seien die vorgebrachten Änderungen des Sachverhaltes nicht zu vernachlässigen. Den vom BF vorgelegten Unterlagen sei eine intensive soziale, sprachliche und familiäre Integration des BF in Österreich zu entnehmen, die er in der Zeit seit dem Abschluss des Asylverfahrens entwickelt habe. Der BF, der bereits seit 17 Jahren in Österreich aufhältig sei, beherrsche die deutsche Sprache auf mehr als ausreichendem Niveau, um sich im Alltag verständigen und eine berufliche Tätigkeit ausüben zu können. Er habe soziale Kontakte in Österreich, konkrete Zukunftspläne und sich in jeglicher Weise an das Leben in Österreich angepasst. Im Falle der Rückkehr in sein Heimatland würde er vor dem Nichts stehen. Der BF sei auch selbsterhaltungsfähig und habe keine Unterstützung aus der Grundversorgung bezogen. Im Fall er Erteilung eines Aufenthaltstitels würde er keine Belastung für die Gebietskörperschaft darstellen.

Bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß Art. 8 EMRK sei immer eine Gesamtbetrachtung - seit Beginn seines Aufenthaltes in Österreich - vorzunehmen und nicht nur die Änderung der Intensität einer Integration seit der letzten Entscheidung. Es sei besonders anzurechnen gewesen, dass sich der BF in Österreich wohl verhält, bemüht sei, seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften und "sein Verständnis für die deutsche Sprache" voranzutreiben, obwohl sein Aufenthaltsstatus unsicher ist. Der BF sei arbeitsfähig und arbeitswillig und würde im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels sofort eine adäquate Beschäftigung aufnehmen. Dass der BF seinen Aufenthalt in Österreich seit 2003 überhaupt nicht dazu genützt hätte, sich zu integrieren, wäre eine absurde Behauptung, dies ergebe sich bereits aus den vorgelegten Unterlagen. In Anbetracht der starken, durch diverse Beweismittel belegten Integration und den sich daraus ergebenden Sachverhaltsänderungen wäre dem Antrag stattzugeben gewesen.

Es wurde somit beantragt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels vorliegen, den Aufenthaltstitel zu erteilen, allenfalls eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, allenfalls festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, allenfalls festzustellen, dass die Abschiebung unzulässig ist, allenfalls das Verfahren in die erste Instanz zurückzuverweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Die Beschwerde wurde samt Akt am 06.04.2020 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Dem gegenständlichen Verwaltungsakt waren auch Teile der erstinstanzlichen Vorakten betreffend das Asylverfahren und die nachfolgenden fremdenpolizeilichen Maßnahmen (Anträge der Fremdenbehörde auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates) angeschlossen.

1. Feststellungen:

1.1. Der BF hält sich seit seiner illegalen Einreise am 04.02.2003 - insgesamt sohin mehr als 17 Jahre - ununterbrochen in Österreich auf. Nach der illegalen Einreise stellte er einen Asylantrag, der mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 07.07.2010 rechtskräftig negativ sowohl hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten als auch des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.01.2012 wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 FPG und ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 2 FPG in der Dauer von 3 Jahren erlassen. Nach Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) Wien wurde die Rückkehrentscheidung mit Berufungsbescheid vom 11.10.2012 bestätigt, das Einreiseverbot in der Dauer von 3 Jahren jedoch auf 18 Monate herabgesetzt.

Am 22.11.2012 erließ die Landespolizeidirektion Wien gegen den BF einen Festnahmeauftrag, der am 17.12.2012 widerrufen wurde. Der Beschwerde des BF gegen den Bescheid des UVS Wien vom 11.10.2012 beim Verwaltungsgerichtshof wurde von diesem aufschiebende Wirkung zuerkannt. Die Behandlung der Beschwerde wurde allerdings mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 22.01.2013, 2012/18/0218-5, abgelehnt. Am 12.03.2013 wurde gegen den BF von der Landespolizeidirektion Wien erneut ein Festnahmeauftrag erlassen.

Mit Schreiben vom 23.05.2013 ersuchte die Landespolizeidirektion Wien die Botschaft der Volksrepublik Bangladesch um Ausstellung eines Heimreisezertifikates. Inzwischen wurde ein Antrag des BF beim Amt der Wiener Landesregierung, MA 35, vom 03.08.2010 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung" nach NAG mit Bescheid vom 03.06.2013 gemäß § 43 Abs. 4 iVm § 11 Abs. 1 NAG abgewiesen.

Am 25.09.2013 wurde der BF von der Finanzpolizei wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes angezeigt. Am 17.10.2013 erfolgte eine Anzeige gegen den BF wegen rechtswidrigen Aufenthaltes nach § 120 Abs. 1 FPG.

Mit Schreiben vom 13.01.2016 ersuchte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die neu eröffnete Botschaft der Volksrepublik Bangladesch in Wien um Ausstellung eines Heimreisezertifikates, welches mit Mitteilung vom 09.08.2018 (wiederum) ablehnend entschieden wurde.

Am 10.04.2018 erfolgte eine weitere Anzeige gegen den BF durch die Finanzpolizei wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes.

Mit Mandatsbescheid des BFA vom 23.04.2019 wurde dem BF gemäß § 57 Abs. 1 FPG eine Wohnsitzauflage erteilt, wonach er in der Betreuungsstelle XXXX bis zur Ausreise Unterkunft zu nehmen habe. Gegen diese Wohnsitzauflage wurde mit Schriftsatz vom 06.05.2019 Vorstellung erhoben. Hinweise auf Einleitung des Ermittlungsverfahrens durch das BFA sind dem Akt oder dem sonstigen Verfahrensverlauf nicht zu entnehmen. Folglich ist davon auszugehen, dass der Mandatsbescheid außer Kraft getreten ist (§ 57 Abs. 3 AVG).

1.2. Der BF war während des - größten Teils - illegalen Aufenthaltes in Österreich für die Dauer von insgesamt 12 Jahren als Arbeiter bzw. als geringfügig beschäftigter Arbeiter bei verschiedenen Arbeitgebern angemeldet und hat ein beitragspflichtiges Einkommen zwischen 967 (2018) bis 13.820 (2006) Euro bezogen. Von der Fa. XXXX wurde dem BF zum gegenständlichen Antrag eine Einstellungszusage für die Anstellung eines Koches bzw. Küchenleiters mit Vollzeitanstellung ausgestellt.

Der BF beherrscht die deutsche Sprache auf einem Niveau, das es ihm ermöglicht, einer behördlichen Einvernahme zu folgen. Eine Bestätigung über die Ablegung der Prüfung aus der deutschen Sprache auf Niveau A2 hat der BF bis dato nicht vorgelegt.

Der BF ist ledig und hat keine Sorgepflichten, er lebt auch nicht in einer Lebensgemeinschaft und hat keine Angehörigen in Österreich. Derzeit geht der BF keiner Erwerbsarbeit nach und bezieht Mittel aus der Grundversorgung. Er lebt in der Wohnung eines Freundes und leistet einen monatlichen Mietbeitrag von 150 Euro. Unterstützung erhält er zusätzlich von Freunden. Er ist nicht im Besitze einer arbeitsmarktrechtlichen Bewilligung.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich zweifelsfrei aus den vorgelegten Verwaltungsakten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Gemäß § 58 Abs. 10 AsylG sind Anträge gemäß § 55 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

Gemäß § 60 Abs. 1 AsylG dürfen Aufenthaltstitel einem Drittstaatsangehörigen nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht, oder

2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht.

In den allgemeinen Verfahrensbestimmungen des BFA-VG legt § 9 Abs. 2 zum Schutz des Privat- und Familienlebens wie folgt fest:

§ 9. (1) .............

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß den ErläutRV zu § 58 Abs. 10 FrPolG 2005 idF FNG 2014 (1803 BlgNR 24. GP 50) hat im Rahmen eines Verfahrens nach § 55 AsylG 2005 auch eine Neubewertung einer Rückkehrentscheidung, die mit einem Einreiseverbot nach § 53 Abs. 2 oder 3 FrPolG 2005 verbunden ist, im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens zu erfolgen. Ergibt diese Neubewertung, dass ein maßgeblich geänderter Sachverhalt iSd Art. 8 MRK vorliegt, so ist der begehrte Aufenthaltstitel, ungeachtet des bestehenden Einreiseverbotes nach § 53 Abs. 2 und 3 FrPolG 2005, zu erteilen und die Rückkehrentscheidung wird gemäß § 60 Abs. 3 Z 2 FrPolG 2005 gegenstandslos, sodass auch dem - deshalb ebenfalls gegenstandslos werdenden - Einreiseverbot der Boden entzogen ist. Vor diesem Hintergrund ist die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 60 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 dergestalt einschränkend auszulegen, dass sie sich - wie die inhaltlich ähnliche Erteilungsvoraussetzung nach § 60 Abs. 3 Z 2 AsylG 2005 ausdrücklich - nur auf Aufenthaltstitel nach den §§ 56 und 57 AsylG 2005 beziehen kann. Dieses Verständnis liegt auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nahe, ermöglicht es doch, Einreiseverbote, die mangels fristgerechter Ausreise des Drittstaatsangehörigen keiner Verkürzung oder Aufhebung nach § 60 Abs. 1 oder 2 FrPolG 2005 zugänglich sind, bei zwingenden Gründen des Art. 8 MRK im Wege der Antragstellung nach § 55 AsylG 2005 gegenstandslos werden zu lassen (vgl. E VfGH 3. Dezember 2012, G 74/12). (VwGH 16.12.2015, Ro 2015/21/0037).

Nach der zu § 44b Abs. 1 Z 1 NAG 2005, der Vorgängerregelung des § 58 Abs. 10 AsylG 2005, ergangenen Judikatur, liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr läge ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufgewiesen hätten, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 MRK geboten hätte. Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung (nunmehr) gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zulässig (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; VwGH 22.7.2011, 2011/22/0127; VwGH Ra 2014/22/0115). (VwGH 23.01.2020. Ra 2019/21/0356).

Ein maßgeblich geänderter Sachverhalt, der einer Antragszurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 entgegen steht, liegt schon dann vor, wenn die geltend gemachten Umstände nicht von vornherein eine zu Gunsten des Fremden vorzunehmende neue Beurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 MRK als ausgeschlossen erscheinen lassen (vgl. VwGH 19.9.2019, 2019/21/0173). VwGH 23.01.2020. Ra 2019/21/0356).

Der Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG 2014 ("Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren") darf zwar nicht in unverhältnismäßiger Weise in den Vordergrund gestellt werden. Dieser Aspekt hat schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen kann. Das gilt insbesondere bei einem mehr als zehn Jahre dauernden Inlandsaufenthalt (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282).( 23.01.2020, Ra 2019/21/0378)

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 MRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. E 26. Februar 2015, Ra 2015/22/0025; E 19. November 2014, 2013/22/0270). (15.01.2020, Ra 2017/22/0047).

Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies:

Die belangte Behörde ist in ihrer zurückweisenden Entscheidung nicht davon ausgegangen, dass eine maßgebliche Änderung des Sachverhaltes eingetreten ist und hat daher keine erneute Abwägung gemäß Art. 8 ERMK für erforderlich gehalten, obwohl sie dem BF zugestanden hat, dass zwischen der "seinerzeitigen" Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot ein sehr langer Zeitraum gelegen sei und der BF diesen Zeitraum (zwar) zum Erlernen der deutschen Sprache genutzt habe. Dies habe jedoch nicht für die Annahme einer relevanten Integration ausgereicht. Ein schützenswertes Privat- und Familienleben sei nicht festzustellen gewesen.

Damit ist die belangte Behörde vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung einerseits nicht darauf eingegangen, dass der Aufenthalt des BF in Österreich mittlerweile bereits 17 Jahre andauert und hat sie darüber hinaus der vom BF während unsicheren Aufenthaltes erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beigemessen. Dabei ist aber festzustellen, dass der BF während der gesamten Dauer seines Aufenthaltes über einen Zeitraum von insgesamt 12 Jahren einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist und - zumindest teilweise für sein wirtschaftliches Auskommen selbst gesorgt hat. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass der BF nicht im Besitze einer arbeitsmarktrechtlichen Bewilligung war und den Erwerbstätigkeiten daher illegal nachgegangen ist. Nach der Aktenlage hat er jedoch diese Tätigkeiten -nicht zuletzt wegen erfolgter Anzeigen durch die Finanzpolizei - aufgegeben, um nicht weiterhin gegen arbeitsmarktrechtliche Vorschriften zu verstoßen. Es ist jedenfalls zu berücksichtigen, dass die Grundrechtsordnung regelmäßig - selbst bei Schaffung faktischer Verhältnisse durch Verstoß gegen verwaltungsrechtliche Vorschriften - eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorsieht. Ein Verstoß gegen selbstverständlich als gewichtiger zu wertende strafrechtliche Vorschriften wurde dem BF nicht zur Last gelegt bzw. ist auch sonst nicht hervorgekommen. Es gilt insbesondere auch für das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist. Die Judikatur zu § 58 Abs. 10 AsylG trägt diesem Umstand in besonderem Maß Rechnung und lässt eine Zurückweisung des Antrages nur ausnahmsweise zu.

Der Antrag des BF wurde vor diesem Hintergrund rechtswidrig zurückgewiesen, da ihm dadurch das Recht auf eine meritorische Entscheidung genommen wird. Die belangte Behörde belastete den angefochtenen Bescheid durch Verweigerung einer Sachentscheidung (keine meritorische Auseinandersetzung mit dem Vorbringen zu Gründen des Art. 8 MRK) und bloß pauschalem Verweis darauf, dass die Umstände der Lebensführung des BF trotz langen Zeitraumes und Erlernen der deutschen Sprache unverändert seien, mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß Abs. 5 leg.cit. sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichts entsprechenden Rechtszustand herzustellen, wenn das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufhebt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs darf ein Verwaltungsgericht auf Grund einer gegen eine Zurückweisung erhobenen Beschwerde nur über die Rechtmäßigkeit des Zurückweisungsbescheides, nicht hingegen über den Antrag selbst entscheiden. (vgl. dazu etwa VwGH 12.10.2015, Zl. Ra 2015/22/0115, mit Verweis auf VwGH 29.04.2015, Zl. 2013/08/013627.01.2010).

"Sache" im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG und demnach Gegenstand des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht ist im vorliegenden Fall die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK durch das BFA (vgl. VwGH 12.10.2015, Zl. Ra 2015/22/0115, mit Verweis auf VwGH 18.12.2014, Zl. Ra 2014/07/0002, 0003; VwGH 23.06.2015, Zl. Ra 2015/22/0040; VwGH 16.09.2015, Zl. Ra 2015/22/0082 bis 0084).

Da der angefochtene Bescheid durch Verweigerung einer Sachentscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet ist, war er gem. § 28 Abs. 2 VwGVG zu beheben.

Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Auf die in der Begründung des Erkenntnisses angeführte Judikatur wird verwiesen.

Schlagworte

Änderung maßgeblicher Umstände Antragszurückweisung Arbeitsmarktzugang Aufenthaltsdauer Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Ausländerbeschäftigung Behebung der Entscheidung Einreiseverbot Rückkehrentscheidung Sache des Verfahrens Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L509.1237597.2.00

Im RIS seit

01.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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