Entscheidungsdatum
20.04.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
L504 2227032-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch RAin Dr. Astrid Wagner, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.12.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt/beschlossen (II.):
A)
I. Der Beschwerde wird gem. § 9 BFA-VG stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
II. Der in der Beschwerde gestellte Antrag auf Kostenersatz wird als unzulässig zurückgewiesen.
B)
I. und II. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrenshergang
Aus dem von der Behörde dargestellten und unbestritten gebliebenen Verfahrensgang ergibt sich Folgendes (Auszug aus dem Bescheid des Bundesamtes):
- "Sie sind laut Zentralem Melderegister (ZMR) seit 01.12.2014 in Österreich aufhältig.
- Sie haben einen Aufenthaltstitel "Angehöriger eines EWR-Bürgers" bekommen, weil Sie mit einer Deutschen verheiratet waren.
- Diese Ehe wurde bereits nach 2 Jahren und 4 Monaten geschieden.
- Sie haben dadurch Ihr Niederlassungsrecht verloren.
- Sie wurden darüber mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf vom 19.10.2018 in Kenntnis gesetzt.
- Am 29.11.2019 wurden Sie diesbezüglich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen. Sie gaben dabei Folgendes an:
[...]
LA: Wie gut verstehen Sie den Dolmetscher in der Sprache Türkisch?
VP: Ich verstehe ihn gut.
LA: Wie gut sprechen und verstehen Sie Deutsch?
VP: Ich verstehe ein bisschen, sprechen kann ich auch nur ein bisschen.
LA: Haben Sie jemals einen Deutschkurs besucht?
VP: Nein. Ich habe immer gearbeitet. In Wien gibt es an den Wochenenden keinen Kurs.
Anmerkung: Die Verständigung in Deutsch funktioniert nicht sehr gut bis gar nicht.
LA: Fühlen Sie sich gesundheitlich in der Lage, heute Angaben in Ihrem Verfahren zu machen?
VP: Ja. Ich bin gesund, nehme keine Medikamente und bin arbeitsfähig.
LA: Nennen Sie Ihre exakte Heimatadresse in der Türkei!
VP XXXX , Istanbul
LA: Seit wann befinden Sie sich in Österreich?
VP: Heute vor 5 Jahren.
LA: Wo in Österreich wohnen Sie?
VP: In XXXX .
LA: Mit wem wohnen Sie dort?
VP: Mit meiner Lebensgefährtin. Wir haben ein gemeinsames Kind.
LA: Welche Schulbildung besitzen Sie?
VP: Ich war 7 Jahre in der Volks- und in der Hauptschule.
LA: Welche Berufsausbildung haben Sie gemacht?
VP: Ich habe im Bereich Reparaturservice von Geschirrspülern und Waschmaschinen gearbeitet.
LA: Wie bestreiten Sie hier in Österreich Ihren Lebensunterhalt?
VP: Ich bin Lkw-Fahrer.
LA: Wie bestritten Sie in der Türkei Ihren Lebensunterhalt?
VP: Wie gesagt, habe ich Geschirrspüler und Waschmaschinen repariert.
LA: Wie viel verdienen Sie netto im Monat?
VP: Zwischen ? 2.000,- und 2.200,- netto. Ich arbeite sehr viel.
LA: Über welches Vermögen verfügen Sie?
VP: Ich habe ein bisschen was gespart. Ich habe in XXXX das Grundstück und das Haus, in dem ich wohne gekauft. Der Kaufpreis betrug ? 123.000,-. Ich habe dazu einen Kredit bei der XXXX aufgenommen und zwar in der Höhe von ? 120.000.-. Monatlich muss ich ? 540,- für den Kredit zurückzahlen. Die Laufzeit des Kredits beträgt 25 Jahre. Ich habe den Kredit gemeinsam mit meiner Lebensgefährtin aufgenommen. Der läuft auf uns beide und wir zahlen den auch gemeinsam zurück.
LA: Sind Sie hier in Österreich Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation?
VP: Nein.
LA: Wie ist Ihr Familienstand?
VP: Ich bin geschieden, lebe aber in einer Beziehung.
LA: Seit wann haben Sie diese neue Beziehung?
VP: Seit 2 Jahren leben wir zusammen. Die Beziehung besteht jedoch schon seit 3 Jahren.
LA: Wie heißt Ihre Lebensgefährtin?
VP: XXXX , XXXX .
LA: Wieso heißt die Lebensgefährtin auch XXXX ?
VP: Es handelt sich um eine weitschichtige Verwandtschaft väterlicherseits.
LA: Ihre Lebensgefährtin hat einen Aufenthaltstitel?
VP: Ja. Welchen genau, weiß ich nicht. Rot weiß rot für 3 Jahre.
LA: Was macht sie denn beruflich?
VP: Jetzt ist sie in Karenz. Davor war sie in einer Firma tätig, wo sie in der Wäscherei gearbeitet hat. Aktuell ist sie beim AMS gemeldet, weil die alte Firma sie aufgrund von Arbeitszeitproblemen nicht mehr zurückgenommen hat.
LA: Sie haben gemeinsame Kinder mit ihr?
VP: Wir haben eine gemeinsame Tochter namens XXXX . Sie kam am XXXX zur Welt.
LA: Sie haben Ihren Aufenthaltstitel nur deshalb bekommen, weil Sie mit einer EU-Bürgerin verheiratet waren. Das wissen Sie?
VP: Ja.
LA: Wie lange waren Sie mit XXXX verheiratet?
VP: 2 Jahre und 4 Monate.
LA: Wieso kam es dann zur Scheidung?
VP: Wir haben uns am Anfang verstanden, dann nicht mehr. Ich wollte ein Kind, sie nicht. Das war das größte Problem.
LA: Haben Sie das Schreiben der BH GF vom 19.10.2018 erhalten?
VP: Ja, habe ich.
LA: Und was steht da drinnen?
VP: Da steht drinnen, dass ich warten muss, bis ich Bescheid bekomme. Führen Sie Ihr Leben weiter fort, war der Inhalt. Ich habe gewartet, aber gekommen ist sonst nichts.
LA: Wer hat Ihnen dieses Schreiben übersetzt?
VP: Ein Freund der Familie.
LA: Die Ehe hat die gesetzlich notwendige Dauer von drei Jahren nicht erreicht. Damit haben Sie Ihr Niederlassungsrecht in Österreich verloren. Das wurde Ihnen von der BH mitgeteilt. Was sagen Sie dazu?
VP: Ich liebe dieses Land und möchte hier bleiben. Deswegen habe ich das Haus gekauft. Ich möchte mein Leben hier fortführen.
LA: Wussten Sie damals, bei der Scheidung, welche Konsequenzen das für Sie haben kann?
VP: Nein.
LA: Wie haben Sie sich über die Möglichkeit, in Österreich einen Aufenthaltstitel zu bekommen, informiert?
VP: Ich hatte keine Informationen damals. Den Aufenthaltstitel hat meine damalige Frau beantragt.
LA: Wie sind Sie damals auf die Idee gekommen, diese zu heiraten?
VP: Ich habe sie in der Türkei kennengelernt, weil sie auch aus meiner Ortschaft stammt.
LA. Welche Maßnahmen haben Sie nach Erhalt dieser Verständigung vom 19.10.2018 gesetzt, um sich mit dem Verlust Ihres Niederlassungsrechts auseinanderzusetzen?
VP: Wir haben bei der BH nachgefragt. Die haben uns gesagt, dass das Ganze weitergeleitet wird und wir warten müssen.
LA: Wie oft im Jahr waren Sie in der Türkei, seit Sie in Österreich aufhältig sind?
VP: Seit 2 Jahren bin ich nicht mehr unten gewesen. Im letzten September war ich 2 Wochen dort.
LA: Haben Sie in Österreich Verwandte?
VP: Ja. 3 Onkel und 1 Tante, Geschwister und viele weitschichtige Verwandte.
LA: Wer lebt aller in der Türkei?
VP: Meine Eltern. Cousins leben auch dort.
LA: Welche Verwandten Ihrer Lebensgefährtin leben denn in der Türkei?
VP: Ihre Eltern und Cousins.
LA: Haben Sie in Ihrem Heimatland, in Österreich oder in einem anderen Land strafbare Handlungen begangen bzw. sind Sie vorbestraft?
VP: Nein.
LA: Haben Sie irgendwelche Verpflichtungen, denen Sie in Österreich nachkommen müssen?
VP: Ich muss meinen Kredit zurückzahlen und bin berufstätig. Ich sorge auch für meine Lebensgefährtin und mein Kind. Wir sorgen für uns gegenseitig.
LA: Was spricht gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in die Türkei?
VP: Ich liebe dieses Land. Ich arbeite hier. Ich habe ein Haus, ein Kind. Wir wollen hier gemeinsam glücklich leben. Ich werde diesem Land auf alle Fälle dienlich sein.
Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.
LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?
VP: Nein, es wurde alles richtig protokolliert.
LA: Wünschen Sie die Ausfolgung einer schriftlichen Ausfertigung?
VP: Ja.
Zum Akt genommene Beweismittel:
Anlage 1: Kopie des Reisepasses
Anlage 2: Kopie des Grundbuchauszuges
Anlage 3: Kopie des Kaufvertrags
[...]
- Mit Verfahrensanordnung vom heutigen Tag wurde Ihnen ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
[...]"
Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens hat das Bundesamt entschieden:
"I. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.
II. Gemäß § 10 Absatz 2 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 1 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.
III. Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Türkei zulässig ist.
IV. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."
Gegen den oben angeführten Bescheid wurde von der Rechtsfreundin mit Schriftsatz vom 19.12.2019 innerhalb offener Frist Beschwerde eingebracht. Im Wesentlichen wurde moniert, dass die bP anlässlich ihrer Scheidung von den zuständigen Behörden nicht manuduziert worden sei. Die bP sei bereits fünf Jahre ordnungsgemäß in Österreich beschäftigt, weshalb sie unter das Assoziationsabkommen EWR-Türkei falle. In weiterer Folge legt die Beschwerde dar, warum das private und familiäre Interesse am Verbleib der bP in Österreich die öffentlichen Interessen überwiegen würden:
* die bP lebe seit fünf Jahren in Österreich
* sie habe eine Lebensgefährtin und eine Tochter, welche über einen aufrechten Aufenthaltstitel verfügen
* sie sei gut integriert, stehe seit fünf Jahren aktiv im Erwerbsleben und habe an einem Haus Eigentum erworben, sie spreche Deutsch und habe einen großen Bekanntenkreis.
Weiters wurde beantragt, das BVwG möge der belangten Behörde den Ersatz der Kosten zuhanden seiner Vertreterin binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution auferlegen.
I. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde sowie aktueller Abfragen in den angeführten Datenbanken Beweis erhoben.
1. Feststellungen (Sachverhalt)
Zur Person:
Die Identität steht lt. Bundesamt aufgrund des dort vorgelegten Reisepasses fest. Sie ist in der Türkei aufgewachsen bzw. wurde dort sozialisiert. Sie besitzt die türkische Staatsbürgerschaft.
Sie ist gesund und benötigt keine Medikamente.
Zum Aufenthalt in Österreich:
Die bP scheint seit 01.12.2014 im ZMR der Republik Österreich mit einem Wohnsitz auf.
Aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister ergibt sich, dass der bP am 29.11.2014, gültig bis 28.05.2015, ein Visum D zur Abholung eines Aufenthaltstitels erteilt wurde.
Am 22.06.2015 wurde der bP eine Aufenthaltskarte als Angehörige eines EWR-Bürgers mit Gültigkeit bis zum 22.06.2020 ausgestellt.
Am 19.10.2018 hat die Bezirkshauptmannschaft der bP im Rahmen einer erfolgten "Überprüfung des Aufenthaltsrechtes" mitgeteilt, dass die Behörde festgestellt hat, dass die am 08.11.2014 mit einer deutschen Staatsangehörigen geschlossene Ehe am 20.02.2017 rechtskräftig geschieden wurde. Die Voraussetzungen des § 54 Abs 5 NAG würden nicht vorliegen, da die Ehe nicht den Zeitraum von zumindest 3 Jahre erreicht habe. Die Behörde informierte die bP, dass die Voraussetzungen für ein Niederlassungsrecht ihrer Ansicht nach nicht mehr vorliegen und daher das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Prüfung der Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung verständigt wurde. Etwas mehr als 1 Jahr danach, konkret am 29.11.2019, hat das Bundesamt die bP niederschriftlich zur Sache einvernommen.
Beschäftigungszeiten in Österreich lt. Auszug aus dem AJ-WEB Auskunftsverfahren, Stand 20.04.2020:
19.10.2015-30.06.2016 bei XXXX
04.07.2016-30.09.2016 bei XXXX
30.10.2016-14.11.2016 bei XXXX
15.11.2016-27.11.2016 Arbeitslosengeldbezug
28.11.2016-17.06.2017 bei XXXX
20.04.2018-07.05.2018 bei XXXX
28.06.2017-laufend bei XXXX
Seit ca. 2017 hat die bP in Österreich eine Lebensgefährtin bzw. führt mit dieser eine Lebensgemeinschaft. Es handelt sich um die türkische Staatsangehörige XXXX , XXXX geb., StA: Türkei. Sie scheint erstmals 2014 mit Wohnsitz im ZMR auf. Sie war stets legal aufhältig und verfügt aktuell über eine Rot-Weiß-Rot-Karte plus, gültig bis 22.05.2020. Sie ist in Karenz.
Aus dieser in Österreich geknüpften Beziehung resultiert ein gemeinsames Kind, geb. XXXX . Dabei handelt es sich ebenso um eine türkische Staatsangehörige. Sie verfügt über eine Rot-Weiß-Rot-Karte plus, gültig bis 01.11.2020.
Lt. vorgelegtem Grundbuchsauszug hat die bP am 10.05.2016 zu einem Kaufpreis von 123.000 Euro in Österreich ein Grundstück mit Haus, welches sie seither bewohnt, erworben und scheint ein Pfandrecht der R. Bank auf. Die Kreditrate bestreitet sie gemeinsam mit der Lebensgefährtin.
Die bP verfügt lt. Bundesamt über keine guten Deutschkenntnisse. Engagement in Vereinen oder ähnlichen Organisationen kamen nicht hervor. Die bP hat viele Bekannte und Freundschaften in Österreich.
Die bP hat Berufserfahrung im Bereich Reparaturservice von Geschirrspülern und Waschmaschinen sowie als Lkw-Fahrer.
Die bP ist strafrechtlich unbescholten. Verwaltungssstrafrechtliche Bestrafungen ergeben sich nicht aus dem Akt des Bundesamtes und wurden dem BVwG während des Beschwerdeverfahrens auch nicht von den Verwaltungsstrafbehörden bzw. Bundesamt mitgeteilt.
Mit Verfahrensanordnung vom 03.12.2019 wurde der bP für ein etwaiges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die ARGE Rechtsberatung amtswegig gem. § 52 Abs 1 BFA-VG zur Seite gestellt und wurde darin ua. darauf hingewiesen, dass sich die bP durch diese im Beschwerdeverfahren auch vertreten lassen kann.
Die bP hat sich im Beschwerdeverfahren durch eine von ihr gewählte Rechtsanwältin vertreten lassen und hat diese den Ersatz der dadurch entstandenen Kosten beantragt.
Zur Lage im Herkunftsstaat / im Zielstaat:
Die bP hat im Verfahren vor dem Bundesamt auch in der Beschwerde nicht vorgebracht, dass sie im Falle der Rückkehr in die Türkei dort auf Grund der aktuellen Lage einer in diesem Verfahren entscheidungsrelevanten Gefährdung ausgesetzt wäre. Sie verfügt dort auch noch über Familienangehörige. Auch amtswegig ergibt sich bei einer Einsicht in abschiebungsrelevante Berichte via www.ecoi.net (Abfrage 20.04.2020) keine Situation, die für Personen mit dem Profil der bP zu einer realen Gefährdung von Leib und/oder Leben führen würde.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus dem Akteninhalt sowie den zitierten, ergänzenden Einsichten des BVwG in die angeführten Datenbanken.
3. Rechtliche Beurteilung
I.
Kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen
Das Bundesamt führte spruchgemäß aus, dass der bP ein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG nicht erteilt werde.
Das Bundesamt argumentiert, dass gem. § 58 Abs 1 Z 5 AsylG das BFA die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 57 AsylG von Amts wegen zu prüfen habe, wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Ein Sachverhalt, wonach der bP gem. § 57 Abs 1 Z 1-3 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen wäre, liegt hier nicht vor, weshalb eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" vom Bundesamt zu recht nicht zu erteilen war.
Kein Aufenthaltstitel aus dem "Assoziationsabkommen EWR-Türkei"
Die Beschwerde ging auf Grund der Beschäftigung der bP davon aus, dass dieser eine Aufenthaltsbewilligung auf Grund des Assoziationsabkommen der Türkei mit der EWR zustehe.
Der Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 über die Entwicklung der Assoziation regelt im Wesentlichen welche Rechte türkischen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat auf dem Gebiet der Beschäftigung zustehen. Die Artikel 6 und 7 ARB 1/80 sind dabei die zentralen Vorschriften aus denen türkische Staatsangehörige, sofern die Voraussetzungen vorliegen, unmittelbar Ansprüche für rechtmäßigen Aufenthalt und Arbeitserlaubnis herleiten können.
Die Art 6 und 7 enthalten ihrem Wortlaut nach in erster Linie beschäftigungsrechtliche Regelungen. Der EuGH geht jedoch in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die beschäftigungsrechtlichen Vergünstigungen, die türkischen Staatsangehörigen verliehen werden, zwangsläufig auch ein Aufenthaltsrecht dieser Personen im jeweiligen EU-Mitgliedstaat beinhalten, weil sonst die in diesen Bestimmungen eingeräumten Arbeitsmarktzugangsrechte wirkungslos wären.
Artikel 6 ARB 1/80
(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat
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--nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
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--nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
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--nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.
(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt.
Artikel 7 ARB 1/80
Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,
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--haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben;
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--haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben.
Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war.
Artikel 13 ARB 1/80
Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.
Die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 schließt die Anwendbarkeit neu eingeführter Bestimmungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt nur dann aus, wenn eine restriktivere (verschärfte) Regelung getroffen wird, als sie eine frühere Rechtslage vorsah (vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2016/22/0099, 19.1.2012, 2011/22/0313), (VwGH 16.01.2018, Ra 2017/22/0209).
Die Stillhalteklausel nach Art. 13 des ARB 1/80 ist nicht nur auf die schon in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierten türkischen Staatsangehörigen anzuwenden (vgl. Urteile EuGH 21. Oktober 2003, C 317/01 - Abatay ua; und C-369/01 - N. Sahin; sowie Urteil EuGH 9. Dezember 2010, C-300/09 - Toprak; und C-301/09 - Oguz); allerdings muss die Absicht vorhanden sein, sich in den Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedstaates zu integrieren (vgl. Urteil EuGH Abatay; sowie Urteil EuGH 29. April 2010, C-92/07 - Kommission gegen Niederlande; wonach Art. 13 ARB 1/80 der Einführung neuer Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit einschließlich solchen entgegensteht, die die materiell- und/oder verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die erstmalige Aufnahme jener türkischen Staatsangehörigen im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats betreffen, die dort von dieser Freiheit Gebrauch machen wollen). Ferner kann sich auf die Stillhalteklausel nur berufen, wer die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats auf dem Gebiet der Einreise, des Aufenthalts und gegebenenfalls der Beschäftigung beachtet hat. Sie steht hingegen nicht einer Verstärkung der Maßnahmen entgegen, die gegenüber türkischen Staatsangehörigen getroffen werden können, die sich in einer nicht ordnungsgemäßen Situation befinden (vgl. Urteil EuGH Abatay), (VwGH 18.04.2018, Ra 2018/22/0004).
Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80, der hier grds. zur Anwendung gelangen könnte, enthält drei Voraussetzungen (vgl. EuGH Urteil 24. Jänner 2008 in der Rechtssache C-294/06; Payir):
Die erste dieser Voraussetzungen betrifft die Eigenschaft als Arbeitnehmer. Um diese Voraussetzung zu erfüllen, muss ein türkischer Staatsangehöriger eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausüben, wobei solche Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die wegen ihres geringen Umfangs völlig untergeordnet und unwesentlich sind. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.
Die zweite Voraussetzung bezieht sich auf die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt. Dieser Begriff bezeichnet die Gesamtheit der Arbeitnehmer, die den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats nachkommen und somit das Recht haben, eine Berufstätigkeit in dessen Hoheitsgebiet auszuüben (vgl. EuGH Urteil 26. November 1998, C-1/97, Birden).
Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 verlangt als dritte Voraussetzung eine ordnungsgemäße Beschäftigung, dh eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats und damit ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht (vgl. EuGH Urteil 19. November 2002, Kurz, C- 188/00, Slg. 2002, I-10691).
Mit Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 wurde ein System der abgestuften Eingliederung der türkischen Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats geschaffen. Aus der Systematik und der praktischen Wirksamkeit dieses Systems folgt, dass die in den drei Spiegelstrichen dieser Bestimmung jeweils aufgestellten Bedingungen von den Betroffenen
nacheinander erfüllt werden müssen (vgl. das Urteil des EuGH vom 10. Jänner 2006, C- 230/03, Sedef, Rnr. 37).
Aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 ergibt sich, dass der erste und der zweite Spiegelstrich dieser Bestimmung lediglich die Voraussetzungen regeln, unter denen ein türkischer Arbeitnehmer, der rechtmäßig in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingereist ist und dort die Erlaubnis erhalten hat, eine Beschäftigung auszuüben, seine Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat ausüben kann.
Nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung darf er weiterhin bei demselben Arbeitgeber arbeiten (erster Spiegelstrich) und nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung kann er sich - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten einzuräumenden Vorrangs - für den gleichen Beruf auf ein Stellenangebot eines anderen Arbeitgebers bewerben (zweiter Spiegelstrich). Im Gegensatz dazu verleiht Abs. 1 dritter Spiegelstrich (nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung) dem türkischen Arbeitnehmer nicht nur das Recht, sich auf ein vorliegendes Stellenangebot zu bewerben, sondern auch uneingeschränkten Zugang zu jeder von ihm frei gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis (vgl. das Urteil des EuGH vom 7. Juli 2005. C-383/03, Dogan, Rnr. 13; idS auch Urteil Sedef, Rnr. 36, je mwN).
Somit kann generell ein Recht nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 nicht allein aufgrund der Tatsache geltend gemacht werden, dass ein türkischer Staatsbürger im Aufnahmemitgliedstaat mehr als vier Jahre lang rechtmäßig eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausgeübt hat, wenn er nicht (1.) mehr als ein Jahr bei demselben Arbeitgeber und (2.) zwei weitere Jahre für diesen gearbeitet hat (Urteil Sedef, Rnr. 44).
Für die Phase der Entstehung der nach Maßgabe der Dauer der Ausübung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis schrittweise erweiterten Rechte, die unter den drei Spiegelstrichen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 festgelegt sind, und damit für die Zwecke der Berechnung der insoweit erforderlichen Beschäftigungszeiten, sieht Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 vor, dass sich verschiedene Fälle der Unterbrechung der Arbeit auf diese Zeiten auswirken. Anders als der erste und der zweite Spiegelstrich dieser Vorschrift verlangt der dritte Spiegelstrich nicht die grundsätzlich ununterbrochene Ausübung einer Beschäftigung. Von dem Zeitpunkt an, zu dem der türkische Arbeitnehmer die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 erfüllt und daher das in dieser Bestimmung vorgesehene uneingeschränkte Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis sowie das diesem entsprechende Aufenthaltsrecht bereits erworben hat, ist Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 nicht mehr anwendbar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. November 2011, 2011/23/0454, unter Hinweis auf das Urteil Dogan, Rnr. 15f und 18).
Das bedeutet aber, dass ein türkischer Arbeitnehmer, der noch nicht das Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 in Anspruch nehmen kann, im Aufnahmemitgliedstaat
grundsätzlich eine ununterbrochene ordnungsgemäße Beschäftigung während der erforderlichen Zeit ausüben muss, sofern er keinen legitimen Grund der in Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 genannten Art für die Unterbrechung seiner Beschäftigungszeiten anführen kann (Urteil Sedef, Rnr. 53).
Auf den vorliegenden Fall angewendet bedeutet das, dass die bP keine Rechte aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 ableiten könnte, weil seit der legalen Einreise schon keine hier maßgebliche Beschäftigungszeit gem. dem ersten Spiegelstrich des Art 6 Abs 1 ARB 1/80 beim gleichen Arbeitgeber vorliegt.
Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zum aktuellen Zeitpunkt
Gegenständlich hat die Bezirkshauptmannschaft gem. § 55 Abs 3 NAG, während der formalen Gültigkeitsdauer des erteilten Aufenthaltstitels, dem Bundesamt mitgeteilt, dass infolge der Scheidung bei der bP die Voraussetzungen für diesen Aufenthaltstitel gem. NAG nicht mehr vorliegen und hat folglich das BFA mit der Prüfung einer Aufenthaltsbeendigung befasst. Das Bundesamt erachtete im Folgenden die Voraussetzungen für eine Rückkehrentscheidung als gegeben.
Gemäß § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG darf eine Rückkehrentscheidung nicht verfügt werden, wenn es dadurch zu einer Verletzung des Privat- und Familienlebens in Österreich käme:
(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Art. 8 EMRK, Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."
Für die Beurteilung, ob ein relevantes Privat- und/oder Familienleben iSd Art 8 EMRK vorliegt, wird auf die im Erkenntnis des BVwG v. 16.01.2019, L504 1314867-3, dargestellte höchstgerichtliche Judikatur verwiesen.
Im gegenständlichen Fall kann hier von ganz erheblichen privaten und familiären Bindungen in Österreich ausgegangen werden. Die bP hat diese Anknüpfungspunkte während eines Zeitraumes erlangt als ihr Aufenthalt rechtmäßig war. Sie war in dieser Zeit und ist auch aktuell - letzter Informationsstand 20.04.2020 - erwerbstätig und selbsterhaltungsfähig.
Bereits 2016 war sie in der Lage Grundstücks- bzw. Hauseigentum in Österreich zu erwerben. Sie führt eine Lebensgemeinschaft mit einer aufenthaltsberechtigten türkischen Staatsangehörigen und resultiert aus dieser Beziehung auch ein gemeinsames, in Österreich geborenes Kind. Zwar kann in sprachlicher Hinsicht nicht davon ausgegangen werden, dass diesbezüglich besondere Fortschritte erzielt wurden, jedoch vermochte dies bislang keinen Grund darstellen ihre Selbsterhaltungsfähigkeit durch die aktenkundige Beschäftigung zu beeinträchtigen.
Würde es hier zu einer Aufenthaltsbeendigung kommen, so bestünde die reale Gefahr einer Trennung von der hier seit 2014 legal aufhältigen Lebensgefährtin und auch dem zweijährigen legal hier aufhältigen Kind. Zwar verfügen sie "nur" über ein befristetes Aufenthaltsrecht, mit der Möglichkeit der Beantragung einer Verlängerung, jedoch hat das Bundesamt nicht ausgeführt, aus welchen konkreten Fakten den beiden die vorzeitige Beendigung des Aufenthaltes im Bundesgebiet "zuzumuten" ist und geht dies auch aus dem Akteninhalt bzw. dem Ermittlungsergebnis der Behörde nicht hervor. Die Behörde belässt es hier bei der Behauptung der "Zumutbarkeit".
Resümierend ist somit festzuhalten, dass die bP in Österreich legal eingereist ist und während des legalen Aufenthaltes intensive private bzw. familiäre Anknüpfungspunkte geschaffen hat. Sie ist seit der Einreise - und auch aktuell - beschäftigt und selbsterhaltungsfähig. Die lt. Bundesamt nicht besonders ausgeprägten Deutschkenntnisse hinderten die bP bislang nicht stets am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Die bP hat in der Zeit des legalen Aufenthaltes auch Hauseigentum erworben und bestreitet gemeinsam mit der Lebensgefährtin die Kreditrate durch eigene Einkünfte. Während des bisherigen Aufenthaltes kamen keine strafrechtlichen oder verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen hervor. Anderweitige soziale Anknüpfungspunkte wurden ebenso auch während des legalen Aufenthaltes erlangt.
Den hier gegebenen intensiven privaten- und familiären Anknüpfungspunkten in Österreich kommt nach Ansicht des BVwG ein derart hohes Gewicht zu, dass sie über die vom Bundesamt angeführten öffentlichen Interessen - insbes. Gefährdung der öffentlichen Ordnung - obsiegen und somit eine Aufenthaltsbeendigung bzw. Rückkehrentscheidung aus den Gründen des § 9 BFA-VG nicht zulässig bzw. notwendig ist.
Es war daher der Beschwerde stattzugeben und sind die mit der Rückehrentscheidung zusammenhängenden Spruchpunkte ebenso von der Stattgabe bzw. Behebung betroffen.
Gem. § 55 Abs 4 NAG hat das Bundesamt das Unterbleiben einer Aufenthaltsbeendigung der Aufenthaltsbehörde mitzueilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.
Dass § 55 NAG 2005 auch für den Fall des nachträglichen Wegfalls der Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts gilt, wurde mit der Novellierung dieser Bestimmung durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009, BGBl. I Nr. 122, ausdrücklich klargestellt. Unterbleibt nach Befassung der Fremdenpolizeibehörde die Aufenthaltsbeendigung trotz Wegfalls der Voraussetzungen für das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht, so ist ein Aufenthaltstitel zu erteilen [vgl. ausdrücklich § 55 Abs. 4 und 5 NAG 2005 idF des FrÄG 2009 und FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38] (VwGH 17.11.2011, 2009/21/0378).
II.
Kein Kostenersatz
Gegenständlich wurde in der Beschwerde von der Rechtsfreundin der Ersatz der Kosten beantragt.
(1) Das Bundesamt hat den Fremden oder Asylwerber bei Erlassung einer Entscheidung, ausgenommen Entscheidungen nach § 53 BFA-VG und §§ 76 bis 78 AVG, oder einer Aktenvorlage gemäß § 16 Abs. 2 VwGVG mittels Verfahrensanordnung darüber zu informieren, dass ihm kostenlos ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt wird. Zugleich hat das Bundesamt den bestellten Rechtsberater oder die betraute juristische Person davon in Kenntnis zu setzen.
(2) Rechtsberater unterstützen und beraten Fremde oder Asylwerber jedenfalls beim Einbringen einer Beschwerde und im Beschwerdeverfahren gemäß Abs. 1 vor dem Bundesverwaltungsgericht, sowie bei der Beischaffung eines Dolmetschers. Rechtsberater haben den Beratenen die Erfolgsaussicht ihrer Beschwerde darzulegen. Auf deren Ersuchen haben sie die betreffenden Fremden oder Asylwerber auch im Verfahren, einschließlich einer mündlichen Verhandlung, zu vertreten.
(3) Der Bundeskanzler verordnet die Höhe der Entschädigung der Rechtsberater für den Zeit- und Arbeitsaufwand. Ist eine juristische Person mit der Rechtsberatung vor dem Bundesverwaltungsgericht betraut, verordnet der Bundeskanzler die Höhe der Entschädigung für den Zeit- und Arbeitsaufwand für die Rechtsberatung einschließlich der Dolmetschkosten in Form von Pauschalbeträgen pro beratenem Fremden oder Asylwerber. Die Entschädigung hat sich am zuvor eingeholten Angebot der betrauten juristischen Person zu orientieren.
Hat eine Partei in einem Verfahren vor dem VwG einen Rechtsanspruch auf Vertretung durch einen Rechtsberater (§ 52 Abs. 1 BFA-VG 2014), dann besteht kein Anspruch auf einen Verfahrenshilfeverteidiger (VwGH 26.04.2016, Ra 2016/20/0043).
Die bP hatte im Beschwerdeverfahren einen Rechtsanspruch auf Vertretung durch einen Rechtsberater, hat sich aber dessen ungeachtet einer gewillkürten Vertretung durch eine Rechtsanwältin bedient. Diesfalls kann dem Gesetz jedoch kein Antragsrecht bzw. Anspruch auf Ersatz der dadurch entstandenen Kosten entnommen werden.
Der Antrag war daher als unzulässig zurückzuweisen.
Absehen von einer mündlichen Beschwerdeverhandlung
Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gegenständlich war von einem hinreichend geklärten Sachverhalt auszugehen. Dem Beschwerdeantrag der bP wurde hiermit stattgegeben und das Bundesamt hat selbst keine Verhandlung beantragt. Es konnte somit eine solche unterbleiben.
Hinsichtlich des Antrages auf Kostenersatz konnte eine Verhandlung gem. § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen. Zudem bedurfte es zur Klärung dieser reinen Rechtsfrage keiner Erörterung im Rahmen einer Verhandlung.
Auf Grund der in der Beschwerde angegebenen Deutschkenntnisse konnte eine Übersetzung von Spruch und Rechtsmittelbelehrung entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Assoziationsabkommen Behebung der Entscheidung Interessenabwägung Kostenentscheidung - Gericht Kostenersatz - Antrag Lebensgemeinschaft Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung Rückkehrentscheidung behoben ZurückweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L504.2227032.1.00Im RIS seit
29.09.2020Zuletzt aktualisiert am
29.09.2020