TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/21 I403 2201901-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.04.2020
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Entscheidungsdatum

21.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I403 2201902-2/16E
I403 2201901-2/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Gambia, und 2. XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Gambia und Nigeria, beide vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.08.2019, Zl. 1048872902/140316810 und 1080425101/150977864 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben. XXXX wird der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Gambia zuerkannt. XXXX wird der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Gambia und den Herkunftsstaat Nigeria zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer eines Jahres erteilt.

IV. Der Beschwerde wird hinsichtlich der sonstigen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide stattgegeben und diese werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine volljährige Staatsangehörige von Gambia, stellte am 22.12.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Hinsichtlich ihres Fluchtgrundes gab die Beschwerdeführerin an, dass sie nach dem Tod ihrer Eltern mit ihren beiden Geschwistern unter die Obhut ihres Onkels gekommen sei. Dieser habe sie mit einem alten Mann verheiraten wollen. Dies habe sie abgelehnt. Daraufhin sei sie von ihrem Onkel mit dem Tod bedroht worden. Nach mehrmaliger Bedrohung durch ihren Onkel sei sie geflüchtet.

2. Am XXXX 2015 wurde der Zweitbeschwerdeführer als Sohn der Erstbeschwerdeführerin sowie eines nigerianischen Vaters geboren und wurde für diesen am 30.07.2015 durch die Erstbeschwerdeführerin als seine gesetzliche Vertreterin ein Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren eingebracht. Die Erstbeschwerdeführerin führte für den Zweitbeschwerdeführer keine eigenen Asylgründe an, sondern ersuchte um Behandlung des Antrages im Rahmen des Familienverfahrens.

3. Am 13.03.2017 wurde die Erstbeschwerdeführerin von der belangten Behörde einvernommen und wiederholte im Wesentlichen ihre Fluchtgründe.

4. Mit Bescheid vom 19.06.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Gambia (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie der Erstbeschwerdeführerin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen die Erstbeschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Gambia zulässig ist (Spruchpunkt V.). Des Weiteren setzte die belangte Behörde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

5. Mit Bescheid vom 19.06.2018 wies die belangte Behörde zudem den Antrag des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Zweitbeschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen den Zweitbeschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Gambia und Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Des Weiteren setzte die belangte Behörde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Im Bescheid wurde von einer nigerianischen Staatsangehörigkeit ausgegangen.

6. Gegen diese Bescheide erhoben die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, rechtzeitig und zulässig das Rechtsmittel einer Beschwerde. In der Beschwerde wurde unter anderem vorgebracht, dass aufgrund der nigerianischen Staatsbürgerschaft des Zweitbeschwerdeführers eine gemeinsame Rückkehr weder nach Nigeria noch nach Gambia möglich sei. Die belangte Behörde gehe davon aus, dass der dreijährige Zweitbeschwerdeführer nach Nigeria abgeschoben werde und die Erstbeschwerdeführerin als Mutter und Obsorgeberechtigte nach Gambia. Wenn die belangte Behörde davon ausgehe, dass sich der dreijährige Zweitbeschwerdeführer in einem jungen, mit einer sehr hohen Lern- und Anpassungsfähigkeit verbundenen Alter befinde und dass eine kurze abschiebungsbedingte Unterbrechung des Familienlebens zuzumuten sei, so entbehre dies jeder Grundlage. Wenn die Behörde anführe, dass der Zweitbeschwerdeführer Verwandte in seinem Heimatstaat (gemeint wohl: Nigeria) habe, so werde dazu angeführt, dass dies die Erstbeschwerdeführerin nie behauptet habe. Der Kindesvater halte sich in Österreich auf und die Erstbeschwerdeführerin habe keinerlei Informationen bezüglich etwaiger Familienmitglieder des Vaters des Zweitbeschwerdeführers in Nigeria. Sie habe nie in Nigeria gelebt und sei ihr dies als Staatsbürgerin von Gambia auch gar nicht möglich. Außerdem wurde angeführt, dass der Zweitbeschwerdeführer einen sehr guten Kontakt zu seinem (namentlich genannten) Vater habe und dieser ihn jedes Wochenende hole und auch immer wieder zwei Tage bei ihm bleibe. Der Vater des Zweitbeschwerdeführers verfüge über einen Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ und zahle – entgegen den Feststellungen im Bescheid - monatlich € 210 an Unterhalt. Eine Trennung der Familie würde einen massiven Eingriff in das Recht auf Familienleben darstellen.

7. Mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.08.2018 zu I404 2201901-1/4E
und zu I404 2201902-1/4E wurden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Der belangten Behörde wurde vorgeworfen, dass sie im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit des in Österreich - als Sohn einer Mutter, welche Staatsangehörige von Gambia ist, und eines nigerianischen Vaters - geborenen Zweitbeschwerdeführers keinerlei Ermittlungen durchgeführt habe, sondern in ihrem Bescheid von dessen nigerianischer Staatsbürgerschaft ausgegangen sei, ohne dies näher zu begründen. Entgegen den Ausführungen im Bescheid sei es zudem nicht zulässig, den dreijährigen Zweitbeschwerdeführer ohne einen Obsorgeberechtigten bzw. ohne seine Mutter in sein Herkunftsland abzuschieben. Weiters habe die belangte Behörde übersehen, dass der Zweitbeschwerdeführer auch über Familienangehörige in Österreich verfüge, zumal der Vater des Zweitbeschwerdeführers, der zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sei, in Österreich wohnhaft sei und dass somit eine Trennung zu einem Eingriff in das Familienleben des Zweitbeschwerdeführers führe und zwar unabhängig davon, ob der Zweitbeschwerdeführer mit seinem Vater in einem gemeinsamen Haushalt wohne.

8. Am 07.06.2019 wurde die Erstbeschwerdeführerin nochmals von der belangten Behörde einvernommen. Sie gab an, dass ihr Sohn „halb gambisch und halb nigerianisch“ sei, doch habe er wohl wegen seines Vaters die nigerianische Staatsbürgerschaft. Die belangte Behörde wies sie darauf hin, dass ihr Sohn aufgrund ihrer eigenen gambischen Staatsangehörigkeit wohl ebenfalls die gambische Staatsbürgerschaft inne habe. Die Erstbeschwerdeführerin hielt dem nichts entgegen und wiederholte, dass ihr Sohn keine eigenen Fluchtgründe habe. Sie führe keine Beziehung mehr mit dem Vater des Zweitbeschwerdeführers, doch seien diese in engem Kontakt. Am 01.07.2019 wurde der Vater des Zweitbeschwerdeführers niederschriftlich einvernommen und bestätigte, dass er sich um seinen Sohn kümmern würde. Die Erstbeschwerdeführerin habe er in Marokko kennengelernt, er wisse aber nicht, was sie dort gemacht oder warum sie Gambia verlassen habe.

9. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 22.08.2019 wurden die Anträge der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurden die Anträge auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Gambia abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihnen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Gambia zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Es wurde nicht als glaubhaft angesehen, dass die Erstbeschwerdeführerin in Gambia weiterhin von ihrem Onkel verfolgt werden sollte. Es sei ihr auch zuzumuten, für sich und ihren Sohn in Gambia eine Existenz aufzubauen. Der Zweitbeschwerdeführer könne den Kontakt zu seinem Vater mittels moderner Kommunikationsmedien oder durch Besuche seines Vaters in Gambia aufrechterhalten.

10. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht im Wege der rechtsfreundlichen Vertretung am 12.09.2019 Beschwerde erhoben und wiederholt, dass die Erstbeschwerdeführerin Gambia aus Furcht vor einer Zwangsverheiratung verlassen habe. Ihr Onkel habe ihr gedroht, sie umzubringen, wenn sie sich der geplanten Heirat mit einem älteren und wohlhabenden Mann widersetzen würde. Zudem sei das Kindeswohl unzureichend berücksichtigend worden, da die Trennung des Zweitbeschwerdeführers von seinem Vater nicht gerechtfertigt sei.

11. Beschwerde und Verwaltungsakte wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 18.09.2019 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer:

Die volljährige Erstbeschwerdeführerin ist Staatsangehörige Gambias, ihre Identität steht allerdings nicht fest. Sie stammt aus einem Dorf in der Nähe von Serekunda, wo sie einige Jahre die Schule besuchte. Etwa im Alter von 12 oder 13 Jahren begann sie Gelegenheitsarbeiten (Frisörarbeiten, Kellnerin, zuletzt Putzfrau in einem Motel) durchzuführen. Sie gehört zur Volksgruppe der Hausa und ist muslimischen Glaubens.

Der Zweitbeschwerdeführer wurde am XXXX 2015 in Österreich geboren. Sein Vater XXXX verfügt über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ in Österreich und ist nigerianischer Staatsbürger. Der Zweitbeschwerdeführer besitzt daher sowohl die nigerianische wie auch die gambische Staatsbürgerschaft.

Die Erstbeschwerdeführerin verließ Gambia 2013; ihr weiterer Reiseweg ist allerdings aufgrund widersprüchlicher Angaben nicht feststellbar. Am 23.12.2014 stellte sie im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

In Gambia leben die zwei jüngeren Schwestern und der jüngere Bruder der Erstbeschwerdeführerin. Sie hat Kontakt zu ihrem Bruder. Ihre Schwestern leben noch bei ihrem Onkel, bei dem die Erstbeschwerdeführerin nach dem Tod ihrer Eltern im Jahr 2007 aufgewachsen ist. Die Beschwerdeführerin hat ein schlechtes Verhältnis zu ihrem Onkel.

Die Erstbeschwerdeführerin führt keine Beziehung mehr mit dem Vater ihres Sohnes, den sie in Marokko oder in Libyen kennengelernt hatte; der Zweitbeschwerdeführer steht aber in regelmäßigem Kontakt mit seinem Vater. Dieser zahlt auch einen monatlichen Unterhalt von 210 Euro für den Zweitbeschwerdeführer. Die Unterhaltsvertretung für den Zweitbeschwerdeführer wurde von der Bezirkshauptmannschaft übernommen.

Die Erstbeschwerdeführerin hatte am 20.06.2019 eine andere Frau mit einer Körperverletzung bedroht, indem sie sinngemäß und wiederholt äußerte „I kill you!“ und drohte, ihre Landesleute zu holen und sie umbringen zu lassen. Sie wurde deswegen mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 25.06.2019, Zl. 12 Hv 66/19f-17 wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Die Erstbeschwerdeführerin hat am 28.01.2020 die A1-Prüfung abgelegt; der Zweitbeschwerdeführer besucht seit September 2019 den Kindergarten.

Der Zweitbeschwerdeführer wird am 04.06.2020 wegen kariöser Zähne operiert. Ansonsten wurden keine gesundheitlichen Einschränkungen bei den Beschwerdeführern vorgebracht.

Der Erstbeschwerdeführerin droht keine Gefahr, in Gambia von ihrem Onkel zu einer Ehe gezwungen oder umgebracht zu werden. Der Zweitbeschwerdeführer wird weder in Nigeria noch in Gambia verfolgt.

Die Beschwerdeführer würden bei einer Rückkehr nach Gambia allerdings in eine existentielle Notlage geraten. Eine Rückkehr des Zweitbeschwerdeführers ohne seine Mutter nach Nigeria würde ihn jedenfalls auch in eine Existenz bedrohende Notlage bringen bzw. ist dies aufgrund der Obsorge der Erstbeschwerdeführerin nicht zumutbar bzw. möglich.

1.2. Zur allgemeinen Situation in Gambia

1.2.1. Dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Gambia vom 02.10.2018 (zuletzt aktualisiert am 24.03.2020) ist im Wesentlichen zu entnehmen:

Politische Lage

Gambia ist eine Präsidialrepublik. Staatsoberhaupt und Regierungschef ist seit 2017 Adama Barrow von der United Democratic Party - UDP (AA 16.10.2018). Barrow gewann im Dezember 2016 die Wahl gegen den Amtsinhaver Jammeh, der nach einer knapp zweimonatigen innenpolitischen Krise schließlich zur Aufgabe seines Amtes bereit war (AA 5.8.2019).

Seit den Präsidentschaftswahlen vom 1.12.2016, die als weitgehend frei und fair bezeichnet werden (KAS 16.5.2018; vgl. HRW 18.1.2018; FH 4.2.2019), befindet sich das Land in einem tief greifenden und anhaltenden demokratischen Transformations- und Demokratisierungsprozess. Der seit 22 Jahren autoritär regierende Präsident, Yaya Jammeh, wurde abgewählt und durch Adama Barrow ersetzt (KAS 16.5.2018).

Seither befinden sich im Auftrag der CEDEAO/ECOWAS und auf Bitten der neuen Regierung Militärtruppen in Gambia (KAS 16.5.2018; vgl. FH 4.2.2019; HRW 18.1.2018), um die Sicherheit des Transformationsprozesses und der aktuellen Regierung zu gewährleisten (KAS 16.5.2018). Die internationale Gemeinschaft hat der Barrow - Regierung erhebliche finanzielle Unterstützung gewährt, einschließlich der Unterstützung bei der Untersuchung vergangener Menschenrechtsverletzungen und der Reform der Sicherheitskräfte und der Justiz (HRW 18.1.2018).

Barrow spricht von einem „neuen Gambia“ - öffnet seither das Land nach außen und reformiert es nach innen (KAS 16.5.2018; vgl. HRW 18.1.2018). Direkt nach seiner Amtsübernahme erklärte Barrow sein Land zur Republik und ließ den Zusatz „Islamische Republik“ streichen. Er stärkt die Freiheit der Bürger, indem Militär- und Polizei-Checkpoints im Land reduziert werden und der Stellenwert von Meinungs- und Pressefreiheit öffentlich beteuert wurde (KAS 16.5.2018). Am 13. 12.2017 wurde das Gesetz der Wahrheits-, Versöhnungs- und Reparationskommission (TRRC) von der Nationalversammlung verabschiedet und vom Präsidenten am 13.1.2018 bestätigt (LHG 2018). Unter der Leitung des Ministeriums für Justiz wurde eine „Truth, Reconciliation and Reparation Commission“ eingerichtet, welche an der Aufklärung der unter der Regierung Jammeh verübten Menschenrechtsverletzungen arbeitet (AA 5.8.2019; vgl. KAS 16.5.2018; LHB 2018). In den meisten Fällen gab es keine wirksamen Ermittlungen und die Täter wurden nicht vor Gericht gestellt. Das TRRC-Gesetz sieht die Erstellung einer historischen Aufzeichnung über Art, Ursachen und Ausmaß der im Zeitraum Juli 1994 bis Jänner 2017 begangenen Verstöße und Verletzungen der Menschenrechte und die Gewährung einer Entschädigung für die Opfer vor (LHG 2018).

Ein wichtiges Reformvorhaben der Regierung Barrow ist der am 6.2.2018 vorgestellte nationale Entwicklungsplan (The Gambia National Development Plan), der als Grundlage der Beratung der Geberkonferenz am 22.5.2018 in Brüssel gilt. Der Entwicklungsplan betont die Wichtigkeit von Demokratie, guter Regierungsführung, Menschenrechte, sowie Sicherheit und Wohlstand für alle (KAS 16.5.2018). Die innenpolitische Reformbereitschaft Barrows in Gambia wird auch durch das Moratorium zur Abschaffung der Todesstrafe deutlich, das am 18.2.2018 in Kraft trat. Vorerst wurden keine Hinrichtungen mehr vorgenommen, die Abschaffung der Todesstrafe soll noch folgen (KAS 16.5.2018).

In Gambia fanden am 12.4.2018 und am 12.5.2018 Lokal- und Kommunalwahlen statt. Die Wahlen verliefen friedlich ohne Zwischenfälle (KAS 16.5.2018; vgl. UNSC 29.6.2018). Als Bürgermeisterin in der Hauptstadt Banjul wurde mit Rohey Malick Lowe, erstmals eine Frau gewählt (KAS 16.5.2018). Die Vereinigte Demokratische Partei unter der Leitung von Außenminister Ousainou Darboe gewann die Mehrheit der Sitze, während die Alliance for Patriotic Reorientation and Construction of Ex-Präsident Yahya Jammeh weniger als 15 % der Sitze erlangte. In der Zwischenzeit hat die Regierung weitere Fortschritte gemacht bei der eine Reihe von Reformprozessen, unter anderem in den Bereichen Sicherheitssektor Reform und Übergangsjustiz, durchgeführt wurden (UNSC 29.6.2018).

Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen Gambias ähneln einer Herkulesaufgabe und stehen unter Zeitdruck. Die Bevölkerung erwartet sichtbare Resultate in der Dezentralisierung des Landes, in der Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen sowie in der Verbesserung ihrer persönlichen Lebenssituation. Dazu gehört auch ein Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum, die Reform des Sicherheitsapparates, die Aufarbeitung der Schreckenstaten während des Jammeh-Regimes und die sichtbare Entwicklung der Infrastruktur des Landes (KAS 16.5.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.10.2018): Gambia: Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/gambia-node/gambia/213610, Zugriff 26.11.2019

-        AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (5.8.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014284/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Gambia_%28Stand_Juli_2019%29%2C_05.08.2019.pdf, Zugriff 25.11.2019

-        FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Gambia, The, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2019/gambia, Zugriff 26.11.2019

-        HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Gambia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422435.html, Zugriff 18.9.2018

-        KAS – Konrad-Adenauer-Stiftung (16.5.2018): Ein Jahr Demokratie in Gambia, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52476-544-1-30.pdf?180516145500, Zugriff 4.9.2018

-        LHB - Law Hub Gambia (2018): Truth, Reconciliation and Reparations Commission (TRRC) Act, https://www.lawhubgambia.com/truth-reconciliation-reparations-commission/, Zugriff 27.9.2018

-        UNSC - UN Security Council (29.6.2018): Report of the Secretary-General on the activities of the United Nations Office for West Africa and the Sahel, https://www.ecoi.net/en/file/local/1438086/1226_1531382798_n1817627.pdf, Zugriff 6.9.2018

Sicherheitslage

Laut France Diplomatie wird im gesamten Staatsgebiet zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen (FD 14.1.2020; vgl. BMEIA 3.12.2019), vor allem wegen Aktivitäten krimineller Netzwerke in entlegenen Teilen entlang der südlichen Grenze zum Senegal (BMEIA 3.12.2019). Gambia blieb bisher von terroristischen Anschlägen verschont. Angesichts möglicher terroristischer Aktivitäten in der ganzen Region Westafrika können jedoch auch in Gambia Anschläge gegen westliche Einrichtungen oder Staatsangehörige nicht ausgeschlossen werden (AA 8.1.2020). Im Rest des Landes wird ein erhöhtes Sicherheitsrisiko ausgerufen (BMEIA 3.12.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (8.1.2020): Reise & Sicherheit - Gambia - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/gambia-node/gambiasicherheit/213624, Zugriff 16.1.2020

-        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (3.12.2019): Reise & Aufenthalt - Gambia - Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/gambia/, Zugriff 16.1.2020

-        FD - France Diplomatie (14.1.2020): Conseils par pays, Gambie, Sécurité, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/gambie/, Zugriff 16.1.2020

Sicherheitsbehörden

Die zivilen Behörden behalten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte. Das Militärpersonal der ECOWAS bleibt weiterhin im Land (USDOS 11.3.2020).

Die Gambia Armed Forces – GFA (Streitkräfte) sind für die externe Verteidigung zuständig und stehen unter der Aufsicht des Verteidigungsministers; der Präsident ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (USDOS 11.3.2020); vgl. EASO 12.2017). Der Nationale Geheimdienst untersteht direkt dem Präsidenten (EASO 12.2017). Das Innenministerium ist für die Gambia Police Force (GPF) verantwortlich, die die innere Sicherheit gewährleistet (USDOS 11.3.2020; vgl. EASO 12.2017).

Im Februar 2017 wurde die National Intelligence Agency (NIA), die unter der früheren Regierung Folter und willkürliche Inhaftierung praktizierte, in State Intelligence Services (SIS) umbenannt und ihre Haftbefugnisse wurde aufgehoben (AI 22.2.2018; vgl. EASO 12.2017). Laut Menschenrechtsorganisationen unterhielt die NIA ihre eigenen Haftanstalten. Menschenrechtsorganisationen und die Opposition warfen der NIA wiederholt Verbrechen wie übermäßige Gewaltanwendung, illegale Verhaftung, Folter und Tötung vor. Der neue Präsident Barrow ließ die Führungsspitzen der NIS verhaften und kündigte an, die Vorwürfe zu untersuchen (EASO 12.2017). Auch die Leiter von Polizei, Gefängnis und Militär wurden ausgetauscht (AI 22.2.2018). Selbst nach dem Regierungswechsel gibt es Berichte über die Anwendung von Gewalt durch die Polizei. Innerhalb des Innenministeriums wurde eine Stelle geschaffen, die Vorwürfe wegen Fehlverhaltens und Menschenrechtsverletzungen durch Polizeibeamte untersucht (EASO 12.2017).

Die Regierung hat effektive Mechanismen, um bei Missbrauch zu ermitteln und zu bestrafen, in Kraft gesetzt, jedoch kommen Straflosigkeit und inkonsistente Durchsetzung vor (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Gambia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425363.html, Zugriff 18.9.2018
-         EASO - European Asylum Support Office (12.2017): The Gambia - Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/1419801/90_1513324824_easo-201712-coi-report-gambia.pdf, Zugriff 18.9.2018
-         USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: The Gambia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/GAMBIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Der neue Präsident Adama Barrow machte deutlich, dass ein vorrangiges Ziel der neuen Regierung darin bestehen würde, die Achtung der Menschenrechte zu gewährleisten (EASO 12.2017). Zu den bedeutendsten Menschenrechtsproblemen gehören: harte und potenziell lebensbedrohliche Haftbedingungen; mangelnde Rechenschaftspflicht in Fällen von Gewalt gegen Mädchen und Frauen, einschließlich Vergewaltigung und weit verbreiteter weiblicher Genitalverstümmelung; Menschenhandel; und die Kriminalisierung einvernehmlichen gleichgeschlechtlichen Sexualverhaltens zwischen Erwachsenen, obwohl das Gesetz nicht durchgesetzt wird (USDOS 11.3.2020).Das Menschenrechtsklima in Gambia hat sich seit dem Amtsantritt von Präsident Barrow deutlich verbessert (HRW 18.1.2018). Die neue Regierung versprach, Gambia zur "Menschenrechtshauptstadt Afrikas" zu machen, ließ zahlreiche politische Gefangene frei und begann, die Justiz zu stärken und die Sicherheitsdienste zu reformieren. Die internationale Gemeinschaft leistete der Regierung Barrow erhebliche finanzielle Unterstützung, einschließlich der Unterstützung bei der Untersuchung früherer Menschenrechtsverletzungen und der Reform der Sicherheitskräfte und der Justiz (HRW 18.1.2018). Mitglieder des Jammeh-Regimes werden nicht systematisch verfolgt (EASO 12.2017).

Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit werden durch die Verfassung garantiert und seit Amtsübernahme der Regierung durch Barrow werden diese staatlicherseits respektiert und gewährleistet (AA 5.8.2019; vgl. FH 4.2.2019; HRW 18.1.2018; USDOS 11.3.2020). Die neue Regierung unternahm mehrere bedeutende Anstrengungen, um ein günstigeres Umfeld für die Meinungsfreiheit zu schaffen. Die Verfassung und das Gesetz sehen die Meinungsfreiheit, auch für die Presse, vor, und die Regierung respektierte dieses Recht (HRW 18.1.2018). Die Selbstzensur ist zurückgegangen und mehr Menschen ergreifen den Beruf des Journalisten, Journalisten kehren vermehrt aus dem Exil zurück (FH 4.2.2019; vgl. AI 22.2.2018). Dennoch bleiben restriktive Mediengesetze zumindest am Papier erhalten und es gibt vereinzelte Berichte über Verhaftungen und Polizeiübergriffe gegen Journalisten (FH 4.2.2019; vgl. JA 26.1.2020, AN 28.1.2020). Radioprogramme, Nachrichten-Websites und Fernsehsender sind in Gambia online zugänglich. Internationale Sender wie die BBC, Voice of America und Nachrichten-Websites aus der Diaspora, die der Regierung Jammeh sehr kritisch gegenüberstanden, bleiben eine wichtige Informationsquelle (EASO 12.2017).

Die gesetzlichen Regelungen aus der Jammeh-Ära, welche die Pressefreiheit stark eingeschränkt haben, wurden im Mai 2018 vom Obersten Gerichthof weitestgehend für verfassungswidrig erklärt. Die Barrow-Regierung hat das Gesetz seit Amtsantritt nicht angewendet. Seit dem Regierungswechsel liegen auch keine Hinweise auf Einschränkungen der Medienfreiheit vor. Die Regierung sucht den Austausch mit Journalisten und der „Gambia Press Union“. In Kooperation mit der Menschenrechts-NGO Article 19 erarbeitet die Regierung aktuell ein neues Mediengesetz (AA 5.8.2019). Allerdings hat die Regierung noch keine Gesetzesänderungen vorgenommen, die eine Genehmigung für öffentliche Kundgebungen erfordern, was eine Verletzung der Versammlungsfreiheit darstellt (HRW 18.1.2018). Die Regierung verpflichtete sich zur Reform mehrerer repressiver Mediengesetze (AI 22.2.2018).

Im Zuge von Protestveranstaltungen gegen Präsident Barrow im Jänner 2020 wurden ca. hundert Personen verhaftet, einige Medienunternehmen gesperrt und die Oppositionsgruppe „Three-Years JOTNA“ verboten. Bei der Auflösung der Demonstrationen wurde Tränengas eingesetzt (AN 27.1.2020, AN 28.1.2020, JA 26.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (5.8.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014284/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Gambia_%28Stand_Juli_2019%29%2C_05.08.2019.pdf, Zugriff 25.11.2019

-        AN – AfricaNews (27.1.2020): Gambia govt bans protests, silences critical media, https://www.africanews.com/2020/01/27/gambia-govt-bans-protests-silences-critical-media/, Zugriff 19.3.2020

-        AN – AfricaNews (28.1.2020): Unpacking Gambia's three-year pact: Constitution vs. Coalition MoU, https://www.africanews.com/2020/01/28/unpacking-gambia-s-three-year-pact-constitution-vs-coalition-mou/, Zugriff 19.3.2020

-        EASO - European Asylum Support Office (12.2017): The Gambia - Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/1419801/90_1513324824_easo-201712-coi-report-gambia.pdf, Zugriff 18.9.2018

-        FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Gambia, The, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2019/gambia, Zugriff 26.11.2019

-        HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Gambia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422435.html Zugriff 18.9.2018

-        JA – Jeune Afrique (26.1.2020): Gambie : le gouvernement durcit le ton face à la contestation anti-présidentielle, https://www.jeuneafrique.com/886852/politique/gambie-le-gouvernement-durcit-le-ton-face-a-la-contestation-anti-presidentielle/, Zugriff 19.3.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: The Gambia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/GAMBIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020

Relevante Bevölkerungsgruppen

Die Verfassung sieht die Gleichstellung aller Personen vor dem Gesetz vor (USDOS 11.3.2020). Gemäß Art.28 der gambischen Verfassung sind Frauen und Männer gleichberechtigt. Dieser Grundsatz erfährt jedoch durch Gesetzgebung, religiöse Traditionen und allgemeine gesellschaftliche Verhältnisse Einschränkungen. Frauen sind im politischen und wirtschaftlichen Leben unterrepräsentiert, auch weil sie häufig ein geringeres Bildungsniveau aufweisen als Männer (AA 5.8.2019).

Vergewaltigung und häusliche Gewalt sind illegal, aber weit verbreitet (FH 4.2.2019; vgl. AA 5.8.2019), trotz des „National Plan of action on gender-based violence 2013 - 2017“, mit dem die Regierung versucht, Gewalt gegen Frauen zu senken. Auch Vergewaltigung in der Ehe kommt vor und ist nicht kriminalisiert. Es gibt keine effektiven Beschwerdemechanismen für Gewalt gegen Frauen, was sich in einer niedrigen Verfolgungsrate und unzureichender Unterstützung von Opfern auswirkt (AA 5.8.2019).

Art. 33 der Verfassung lässt Diskriminierung in so zentralen Bereichen wie Adoption, Heirat, Scheidung und Erbe zu und nimmt zudem Stammes- und Gewohnheitsrecht vom Schutz vor Diskriminierung aus. In Gambia gilt dadurch für bestimmte Volksgruppen bspw. das Scharia-Recht, welches gerade hinsichtlich des Erbrechtes und der Anzahl der erlaubten Ehepartner Frauen benachteiligt (AA 5.8.2019). Es gibt keine Gesetze, die Polygamie oder Leviratsehe verbieten (in denen eine Witwe mit dem jüngeren Bruder ihres Ehepartners verheiratet ist) (FH 4.2.2019).

Das gambische Recht bietet formellen Schutz der Eigentumsrechte, obwohl die Scharia (islamisches Recht) Bestimmungen über Familienrecht und Erbschaft die Diskriminierung von Frauen erleichtern können. Frauen haben weniger Zugang zu Hochschulbildung, Justiz und Beschäftigung als Männer (FH 4.2.2019). Die Beschäftigung im formalen Sektor steht für Frauen mit denselben Gehältern wie für Männer offen. Es gibt keine gesetzliche Diskriminierung in der Beschäftigung, Zugang zu Krediten, Besitz und Führung eines Unternehmens sowie bei Wohnen oder Bildung (USDOS 11.3.2020.

Frauen sind im Parlament unterrepräsentiert: Drei Frauen wurden 2012 und 2017 gewählt. Darüber hinaus sind drei der fünf Personen, die Barrow 2017 nach der Verfassung direkt als Parlamentsmitglieder ernennen konnte, Frauen (EASO 12.2017).

Weibliche Genitalverstümmelung ist seit 2015 verboten, bleibt aber weiterhin ein Problem (AI 22.2.2018; vgl. AA 5.8.2019; EASO 12.2017; FH 4.2.2019; USDOS 11.3.2020). Jede Person, die trotz des Verbots FGM durchführt, beantragt, anregt, fördert oder Werkzeuge für das Verfahren bereitstellt, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren und/oder einer Geldstrafe von 50.000 Dalasi (rund 1.000 Euro) bestraft. Jede Person, die von FGM weiß und das verbotene Verfahren nicht meldet, muss 10.000 Dalasi zahlen. Eine lebenslange Freiheitsstrafe gilt für jeden, der eine FGM vornimmt, die zum Tod des betreffenden Mädchens führt (EASO 12.2017). Der Staat arbeitet mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, Anwälten, Frauengruppen und der Polizei zusammen, um mehr Bewusstsein und Wissen zu vermitteln. In der gebildeten Gesellschaftsschicht ist weibliche Genitalverstümmelung nach Regierungsangaben kaum verbreitet (AA 5.8.2019).

Statistiken zeigen, dass FGM im Kindesalter erfolgt, wobei 55 % der Frauen angaben, dass sie vor dem Alter von 5 Jahren beschnitten wurden, und 28 %, zwischen 5 und 9 Jahren. Weitere 7 % gaben an, dass sie im Alter von 10 bis 14 Jahren beschnitten wurden. FGM tritt in ländlichen Regionen (79 % der Frauen im Alter von 15-49 Jahren) häufiger auf als in urbanen Gebieten (72%). Allerdings gibt es eine Lücke im Gesetzestext, die genutzt werden kann, um das Gesetz zu umgehen: Der Gesetzestext verbietet nicht ausdrücklich das Schneiden, welches beispielsweise im Senegal durchgeführt wird (EASO 12.2017). FGM bleibt weit verbreitet, da ein Beharren auf dieser „Tradition“ eine wirkliche Verbesserung verhindert (AA 5.8.2019; vgl. EASO 12.2017).

Die Verfassung und das Gesetz schreiben eine obligatorische, gebührenfreie Ausbildung durch die Sekundarstufe vor. Im Rahmen des gebührenfreien Bildungsplans müssen Familien jedoch oft für Bücher, Uniformen, Mittagessen, Schulgeld und Prüfungsgebühren zahlen. Schätzungsweise 75 % der Kinder im Grundschulalter sind an Grundschulen eingeschrieben (USDOS 11.3.2020). Mit dem „Children‘s Act“ wurde 2005 eine umfangreiche Gesetzgebung erlassen, die Kinderrechte und deren Durchsetzung regelt (AA 5.8.2019). Der dem Gesundheitsministerium angegliederte „Social Welfare Service“, der in allen Fragen von Kinderrechten bzw. Kindeswohlverletzungen eingeschaltet werden kann, ist gut organisiert und geht seiner Aufgabe gewissenhaft nach (AA 5.8.2019).

Die Ehe von Kindern unter 18 Jahren ist illegal. Etwa 34 % der Mädchen unter 18 Jahren und 10 % unter dem Alter von 15 Jahren sind verheiratet (USDOS 11.3.2020 vgl. AA 5.8.2019). Die Verheiratung von Minderjährigen wird vor allem im dörflichen Umfeld unter Berufung auf islamische Gesetze praktiziert (AA 5.8.2019). Eine Informationskampagne durch die Regierung soll vor allem im ländlichen Raum die Bevölkerung für das Gesetz sensibilisieren (USDOS 11.3.2020). Das Gesetz sieht eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren wegen sexueller Ausbeutung von Kindern und fünf Jahre wegen Beteiligung an Kinderpornografie vor. Das Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr liegt bei 18 Jahren (USDOS 11.3.2020).

Kinderarbeit bleibt, vor allem zur Unterstützung im familiären Bereich, weit verbreitet (AA 5.8.2019). Obwohl Kinderarbeit und Zwangsarbeit illegal ist, sind einige Frauen und Kinder dem Sexhandel, der häuslichen Knechtschaft ausgesetzt. Die Regierung hat in jüngster Zeit verstärkte Anstrengungen unternommen, um gegen den Menschenhandel vorzugehen, unter anderem durch die Schulung von Sicherheitsbeamten und Grenzschutzbeamten zur Identifizierung von Opfern und durch die Bereitstellung besserer Dienstleistungen für die Betroffenen; jedoch waren die Erfolge bescheiden (FH 4.2.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (5.8.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014284/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Gambia_%28Stand_Juli_2019%29%2C_05.08.2019.pdf, Zugriff 25.11.2019

-        EASO - European Asylum Support Office (12.2017): The Gambia - Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/1419801/90_1513324824_easo-201712-coi-report-gambia.pdf, Zugriff 19.9.2018

-        FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Gambia, The, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2019/gambia, Zugriff 26.11.2019

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: The Gambia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/GAMBIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020

Grundversorgung

Gambia ist im internationalen Vergleich eines der ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Lediglich ein Drittel der Bevölkerung verfügt über eine garantierte Ernährungssicherheit. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren zwischen 2014 und 2016 über 200.000 Gambier gezwungen, sich auf humanitäre Hilfe zu verlassen (EASO 12.2017). Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist v.a. in ländlichen Gegenden nur beschränkt gewährleistet (EASO 12.2017). Das staatliche „Social Welfare Service“ bietet für bedürftige Frauen und Kinder Unterbringung, Nahrung und Kleidung. Nach Angaben der Weltbank sind knapp 40 % der Kinder unter 5 Jahren akut unterernährt. Sozialhilferegelungen etc. bestehen nicht (AA 5.8.2019).

Gambia ist wirtschaftlich schwach. Etwa drei Viertel der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft. Familien bauen auch in kleinem Umfang Produkte für den Eigenbedarf an. Viele führen kleine Einzelhandelsgeschäfte (EASO 12.2017).

Die Wirtschaft des Landes ist aufgrund von Rückschlägen abgewürgt (KAS 16.5.2018). Zudem ist die Landwirtschaft anfällig für Überschwemmungen und Dürren (EASO 12.2017). Die schlechte landwirtschaftliche Ernte führte 2016/2017 zu Ausfällen (KAS 16.5.2018). Der Landwirtschaftssektor ist nicht vielfältig genug aufgestellt, 91 % der Landbevölkerung sind Kleinbauern, mehrheitlich durch Subsistenzwirtschaft geprägt. Das Land ist stark importabhängig, praktisch alle Güter des täglichen Gebrauchs werden importiert. Die Preise sind entsprechend hoch (KAS 16.5.2018).

Negativ wirkte sich auch die politische Krise des Jahres 2017 aus. Der jüngste Länderbericht des Internationalen Währungsfonds schätzt, dass die Tourismuseinnahmen im ersten Quartal 2017 aufgrund der politischen Turbulenzen um rund ein Drittel (8,8 Mio. $) gesunken sind (EASO 12.2017) und sich nur zögerlich erholten (KAS 16.5.2018). Die Überweisungen (Geldtransfers) von Auswanderern in ihr Heimatland werden auf rund 10% des BIP geschätzt. Im internationalen Handel haben China und Indien die EU (insbesondere Frankreich und Großbritannien) als Hauptexporteur teilweise abgelöst (EASO 12.2017).

Eine zerstörte Wirtschaft, ausgebeutete Staatsressourcen, eine ineffiziente Infrastruktur, enorme soziale Herausforderungen sowie ein Mangel an Möglichkeiten für die junge Bevölkerung waren die Rahmenbedingungen, unter denen Barrow seine Präsidentschaft angetreten hat (KAS 16.5.2018).

Als Jammeh Anfang 2017 ins Exil nach Äquatorialguinea ging, nahm er Vermögenswerte mit unbekanntem Wert mit (EASO 12.2017). Der systematische Diebstahl von Staatseigentum wurde rückwirkend seit 2014 auf 4 % des BIP jährlich geschätzt (KAS 16.5.2018). Laut Medien sei das Land "fast bankrott". Niedrige Ernteerträge, ängstliche Touristen und Investoren sowie wachsende Staatsverschuldung tragen zur weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation bei (EASO 12.2017). Das Land ist auf finanzielle Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Nach Angaben der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) machten die Hilfen ausländischer Geber 2013 11% des BIP aus (EASO 12.2017). Die externe Schuldenlast beläuft sich auf über 1 Mrd. US-Dollar (20 % des BIP). Aufgrund der Schuldennotlage können keine neuen Investitionen im Land getätigt werden, der Privatsektor erhält auch keinen Zugang zu Krediten auf dem Finanzmarkt. Die Elektrizitätskrise mit mehrmals täglichen Stromausfällen behindert zudem wirtschaftliche Aktivitäten und Investitionen (KAS 16.5.2018).

Ausländische Geber versprachen der Barrow-Regierung finanzielle Unterstützung unter der Bedingung, dass die Entwicklung der Demokratie gefördert und die Menschenrechte geachtet werden (EASO 12.2017).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (5.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014284/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Gambia_%28Stand_Juli_2019%29%2C_05.08.2019.pdf, Zugriff 25.11.2019

-        EASO - European Asylum Support Office (12.2017): The Gambia - Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/1419801/90_1513324824_easo-201712-coi-report-gambia.pdf, Zugriff 20.9.2018

-        KAS - Konrad-Adenauer-Stiftung (16.5.2018): Ein Jahr Demokratie in Gambia, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52476-544-1-30.pdf?180516145500, Zugriff 20.9.2018

Rückkehr

Staatliche Einrichtungen zur Aufnahme von Rückkehrerinnen und Rückkehrern existieren nicht. Rückkehrer werden in der Regel wieder von ihrer (Groß-) Familie aufgenommen. Zwischen der International Organisation of Migration (IOM) und der EU wurde eine Vereinbarung zum Schutz und zur Wiedereinbürgerung von Migranten getroffen (EU-IOM Initiative on Migrant Protection and Reintegration), welche Unterstützung für freiwillig oder zwangsweise zurückgekehrte Gambier vorsieht. Der erhebliche Rückstau bei den Reintegrationsmaßnahmen wegen unerwartet hohen Rückkehrerzahlen v.a. aus Libyen und Anlaufschwierigkeiten des 2017 eingerichteten IOM-Büros konnte seit Mitte 2018 in etwa halbiert werden. Zum Stand März 2019 erhielten knapp 2.500 von insgesamt ca. 4.100 Rückkehrern Reintegrationsunterstützungsmaßnahmen. Des Weiteren gibt es zahlreiche NGOs, die in Gambia tätig sind, hauptsächlich im Grundbildungsbereich (AA 5.8.2019).

Rückkehrer bzw. wiedereingebürgerte Personen unterliegen keiner besonderen Behandlung. Fälle von Misshandlung oder Festnahmen sind nicht bekannt. Bei Rückkehr muss nicht mit staatlichen Maßnahmen aufgrund der Asylantragstellung gerechnet werden. Der „Social Welfare Service“ unterhält eine Einrichtung zur Unterbringung von Minderjährigen, dürfte sich aber eher an Kinder jüngeren Alters richten. Ob eine Unterbringung von abgeschobenen Minderjährigen dort möglich ist, muss im Einzelfall geklärt werden (AA 5.8.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (5.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014284/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Gambia_%28Stand_Juli_2019%29%2C_05.08.2019.pdf, Zugriff 25.11.2019

1.2.2. Das Auswärtiges Amt (AA – Auswärtiges Amt (Deutschland): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Gambia (Stand: Juli 2019), 5. August 2019, abrufbar unter: https://www.ecoi.net/en/file/local/2014284/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Gambia_%28Stand_Juli_2019%29%2C_05.08.2019.pdf (Zugriff am 21. April 2020)) hält darüber hinaus zum Menschenhandel fest:

Es ist davon auszugehen, dass Gambia Ausgangs-, Transit und Zielland für Menschenhandel insbesondere von Frauen und Kindern in Zwangsarbeit und Prostitution, einschließlich SexTourismus ist. Die Regierung unternimmt Anstrengungen, Menschenhandel zu unterbinden, die jedoch aufgrund geringer Ressourcen nicht ausreichend sind. Menschenhandel ist in den Gesetzen über die Bekämpfung von Menschenhandel (2007 und 2010), die Rechte der Kinder (2005) und Tourismusstraftaten (2003) strafrechtlich sanktioniert. Allerdings werden diese Gesetze nicht hinreichend umgesetzt.

2. Beweiswürdigung:

Zentrales Beweismittel des gegenständlichen Verfahrens sind das Protokoll der Erstbefragung vom 23.12.2014 sowie das Protokoll der Einvernahme durch das BFA am 13.04.2017 und am 07.06.2019. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.1. Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Asyl und Fremdenwesen (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Zur Person der Beschwerdeführer:

Da die Erstbeschwerdeführerin den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht ihre Identität nicht zweifelsfrei fest. Die Erstbeschwerdeführerin legte zwar eine am 18.04.2017 ausgestellte Geburtsurkunde vor, doch kann durch diese ihre Identität nicht abschließend bestätigt werden, auch wenn eine Untersuchung der LPD ergab, dass es sich um ein Originaldokument handelt – das Dokument enthält aber keine identitätsbezeugenden Merkmale wie Lichtbild oder Fingerabdruck.

Die Identität des Zweitbeschwerdeführers und die Vaterschaft von XXXX ergibt sich aus der vorgelegten Geburtsurkunde. Der Aufenthaltstitel des Vaters des Zweitbeschwerdeführers ergibt sich aus der im Akt einliegenden Kopie seines Aufenthaltstitels. Die Verpflichtung zur Unterhaltszahlung bzw. die Unterhaltsvertretung ergibt sich aus einem Schreiben der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 23.08.2017 und dem Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 19.07.2017, Zl. XXXX .

Die Erstbeschwerdeführerin hatte in der Erstbefragung am 23.12.2014 erklärt, den Vater ihres – zu diesem Zeitpunkt noch ungeborenen – Kindes in Libyen kennengelernt zu haben und seinen Aufenthaltsort nicht zu kennen. Dagegen hatte XXXX erklärt, sie während eines zweiwöchigen Aufenthaltes in Marokko getroffen zu haben. Daher können ihr genauer Reiseweg und ihre Aufenthaltsorte zwischen der Ausreise aus Gambia im Jahr 2013 und der Asylantragstellung am 23.12.2014 nicht festgestellt werden.

Der Kontakt zwischen dem Zweitbeschwerdeführer und seinem Vater ergibt sich aus den Aussagen der Erstbeschwerdeführerin am 07.06.2019 und der Befragung des Vaters durch die belangte Behörde am 01.07.2019.

Die Feststellungen zur Schulbildung, zur beruflichen Tätigkeit, zum Wohnort und zur Familie der Erstbeschwerdeführerin in Gambia sowie zu ihrer Volksgruppe und ihrer Religion ergeben sich aus ihren Aussagen gegenüber der belangten Behörde am 13.04.2017.

Die Feststellung zur Verurteilung der Erstbeschwerdeführerin ergibt sich aus dem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 22.11.2019, Zl. XXXX .

Die Feststellung zur Staatsbürgerschaft des Zweitbeschwerdeführers ergibt sich aus der nigerianischen und der gambischen Verfassung. In der Verfassung Gambias von 1997, Chapter III, Section 10 (vgl. http://hrlibrary.umn.edu/research/gambia-constitution.pdf) ist vorgesehen, dass eine Person, die außerhalb Gambias geboren ist, die Staatsbürgerschaft des Landes inne hat, wenn einer der Elternteile Staatsbürger Gambias ist („a person born outside The Gambia after the coming into force of this Constitution shall be a citizen of The Gamba by descent if at the time of his or her birth either of his or her parents is a citizen of The Gambia…“). Auch in Artikel 25 der nigerianischen Verfassung von 1999 (abrufbar unter http://www.nigeria-law.org/ConstitutionOfTheFederalRepublicOfNigeria.htm ) ist festgelegt, dass man nigerianischer Staatsbürger wird, wenn ein Elternteil ebenfalls Staatsbürger des Landes ist („(c) every person born outside Nigeria either of whose parents is a citizen of Nigeria“). Sowohl die nigerianische wie auch die gambische Verfassung erlauben in einem Fall wie dem gegenständlichen eine Doppelstaatsbürgerschaft (vgl. dazu Art. 28 der nigerianischen Verfassung und Section 12a der gambischen Verfassung). Daher verfügt der Zweitbeschwerdeführer sowohl über die gambische wie auch über die nigerianische Staatsbürgerschaft.

Dass beim Zweitbeschwerdeführer am 04.06.2020 eine Zahnoperation geplant ist, ergibt sich aus den vorgelegten Schreiben eines Krankenhauses vom 18.02.2020.

2.3. Zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer:

Die Erstbeschwerdeführerin hatte im gegenständlichen Verfahren erklärt, nach dem Tod ihrer Eltern bei ihrem Onkel aufgewachsen zu sein, der sie zur Eheschließung mit einem älteren Mann habe zwingen wollen. Nachdem sie sich geweigert habe, habe ihr Onkel sie mit dem Tod bedroht, daher habe sie die Flucht ergriffen. Dies bzw. eine aktuelle Verfolgung durch ihren Onkel für den Fall der Rückkehr nach Gambia ist aus den folgenden Erwägungen nicht glaubhaft:

In der Einvernahme durch die belangte Behörde am 13.04.2017 erklärte die Erstbeschwerdeführerin, dass sie ungefähr 2007 (und damit als Jugendliche) begonnen habe, verschiedene Gelegenheitsarbeiten anzunehmen: „Ich habe gearbeitet, bis ich Gambia verlassen habe, das waren Gelegenheitsjobs, und ich habe viel Geld gebraucht, um Gambia zu verlassen, Ich habe so lang gearbeitet, bis ich genug Geld beisammen hatte, um wegzugehen.“ Diese Aussage erweckt den Eindruck, dass die Erstbeschwerdeführerin nicht plötzlich und fluchtartig das Land verließ, sondern ihre Ausreise lang geplant war. Dies lässt sich schwer damit in Einklang zu bringen, dass sie der belangten Behörde am 13.04.2017 erklärte, sie habe im Jänner 2013 plötzlich den Entschluss zur Ausreise gefasst, nachdem ihr Onkel ihr erklärt habe, dass sie heiraten müsse.

Im weiteren Verlauf der Einvernahme legte die Erstbeschwerdeführerin es dann aber ohnehin anders dar und erklärte, dass sie bereits 2007 zu einer Ehe gezwungen hätte werden sollen: „Mein Onkel wollte mich dann an einen Mann verheiraten, der älter war als ich. Das war 2007, als er mich dem alten Mann geben wollte. Er sagte, wenn ich den Mann nicht heiraten würde, würde er mich töten, dann bin ich zu Baboukar gelaufen, das ist ein Freund, und habe ihm das erklärt, und er meinte, es wäre besser, wenn ich Gambia verlassen würde. Ich habe dann begonnen zu arbeiten, um Geld zu verdienen, um Gambia verlassen zu können. Ich habe dann bei einer alten Frau gelebt, Boh, sechs Monate lang, in X, 20 Minuten im Auto von X (dem Heimatdorf der Erstbeschwerdeführerin), dann hat mein Onkel gesagt, ich sollte zurückkommen, er hätte nur Spaß gemacht und ich sollte zurückkommen. Er wusste, wo ich war, er hat dort angerufen. Ich bin zurückgekommen und es hat erst so ausgesehen, als ob er seine Meinung geändert hätte und ich habe wieder bis 2013 beim Onkel gelebt und manchmal gearbeitet. Er hat immer wieder davon gesprochen, dass ich diesen Mann heiraten sollte oder er würde mich töten. Dann bekam ich Angst und musste weg, um 2013 herum, als er jedes Mal sagte, er würde mich töten. Nachgefragt gebe ich an, dass es zwei Männer waren, erst sollte ich einen Fischverkäufer heiraten, und weil der wusste, dass ich nicht will, hat er aufgegeben 2013. Der zweite hatte Geld, 2013 ist er aufgetaucht, nachdem der andere nicht mehr gekommen ist, gleich danach, und da wurde mein Onkel richtig interessiert, weil der Geld hatte. Das war, als ich weg bin, als er mir gesagt hat, er würde mich töten, wenn ich den zweiten nicht heiraten würde.“ Dieses Vorbringen scheint insgesamt vage und wenig nachvollziehbar.

Die Erstbeschwerdeführerin konnte in der Einvernahme durch die belangte Behörde am 13.04.2017 auch nicht beantworten, warum ihre beiden jüngeren Schwestern (zum Zeitpunkt der damaligen Einvernahme laut Erstbeschwerdeführerin 12 und 15 Jahre alt) vom Onkel nicht verheiratet wurden. In der Einvernahme durch die belangte Behörde am 07.06.2019 sagte sie zudem, dass es ihren Schwestern gut gehen würde – obwohl diese noch immer bei ihrem Onkel bzw. in dessen Einflussbereich verblieben sind. Wenn ihr Onkel tatsächlich ein Interesse daran gehabt hätte, die Erstbeschwerdeführerin gegen Geld an einen älteren Mann zu verheiraten, erscheint es wenig plausibel, dass deren jüngere Schwestern unbehelligt bei ihm leben können und zu keiner Ehe gezwungen wurden.

Der belangten Behörde ist auch zuzustimmen, wenn sie darauf hinweist, dass es unlogisch erscheint, dass es der Erstbeschwerdeführerin als dreizehnjährigem Mädchen im Jahr 2007 möglich gewesen sein sollte, sich den Wünschen ihres Onkels zu entziehen und dass sie dann als volljährige Frau im Jahr 2013 nur mehr die Möglichkeit sah, das Land zu verlassen.

Die Erstbeschwerdeführerin gab in der Einvernahme durch die belangte Behörde am 13.04.2017 auch gar nicht an, dass ihr Onkel sie noch verfolgen würde; sie meinte, befragt nach ihren Rückkehrbefürchtungen, nur, dass sie keinen Ort habe, an dem sie bleiben könne; auf Vorhalt der belangten Behörde, dass sie sich ja auch woanders in Gambia hätte niederlassen können, antwortete sie: „Ja, auch das ist wahr. Ich wollte aber einfach weit weg von ihnen sein.“ Eine noch andauernde, landesweite Bedrohung durch ihren Onkel brachte die Erstbeschwerdeführerin daher in der Einvernahme nicht vor.

Auch in der zweiten Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin durch die belangte Behörde am 07.06.2019 wurden keine besonderen Rückkehrbefürchtungen geäußert; sie erklärte nur: „Ich kann mit meinem Sohn nicht hin, weil wir dort niemanden haben. Nur meine zwei Schwestern und ein Bruder sind noch dort.“ Wenn die Erstbeschwerdeführerin tatsächlich befürchten würde, dass ihr Onkel sie töten würde, wäre davon auszugehen, dass sie dies im Laufe der zwei Einvernahmen erwähnt hätte.

Es kann aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht ausgeschlossen werden, dass die Erstbeschwerdeführerin bei ihrem Onkel aufgewachsen ist und von diesem schlecht behandelt wurde; dass sie in Gefahr ist, von diesem getötet zu werden, ist allerdings aufgrund der angeführten Erwägungen nicht glaubwürdig.

In der Beschwerde wurde das Vorbringen nur wiederholt, ohne es näher zu substantiieren; dass es in Gambia Fälle von Zwangsverheiratungen Minderjähriger gibt, wurde von der belangten Behörde auch gar nicht bestritten. Soweit in der Beschwerde behauptet wird, dass sich das Interesse des Onkels an einer Verheiratung der Erstbeschwerdeführerin erst 2013 derart gesteigert habe, weil es sich bei diesem zweiten Ehekandidaten um einen vermögenden Mann gehandelt habe, so dass sie erst dann um ihr Leben gefürchtet habe und geflüchtet sei, steht dies im Widerspruch zu den Angaben der Erstbeschwerdeführerin selbst, die bereits hinsichtlich der ersten Eheschließung 2007 von Todesdrohungen durch den Onkel gesprochen hatte. Das Beschwerdevorbringen war daher nicht geeignet, das Vorbringen rund um die Bedrohung durch den Onkel zu stützen.

Zudem wäre, selbst wenn das Vorbringen rund um die Bedrohung durch den Onkel im Jahr 2013 glaubwürdig wäre, nichts gewonnen, da es ihr jedenfalls nicht gelungen ist, glaubhaft zu machen, dass diese Bedrohung aktuell, nach sieben Jahren, noch immer existieren würde: Die belangte Behörde wies nämlich zu Recht darauf hin, dass, wenn man dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin folgen würde, kaum noch von einem Interesse des Onkels, die inzwischen alleinerziehende Mutter zwangsweise zu verheiraten, auszugehen wäre und dass es diesem jedenfalls nicht möglich wäre, die Erstbeschwerdeführerin im ganzen Land zu finden. Der Bruder der Erstbeschwerdeführerin, der ihren Angaben nach vom Onkel auch schlecht behandelt wurde, hat sich inzwischen einen eigenen Wohnsitz gesucht und lebt unabhängig vom Onkel. Es besteht daher keine Veranlassung davon auszugehen, dass sich nicht auch die Erstbeschwerdeführerin vom Einflussbereich ihres Onkels befreien könnte.

Soweit in der Beschwerde zudem vorgebracht wurde, dass sich die Erstbeschwerdeführerin keine Hilfe von staatlicher Seite erwarten könnte, wurde dies nur damit begründet, dass der Geheimdienst sich Folter und willkürlicher Verhaftungen bediene und dass staatliche Institutionen, die selbst Menschenrechtsverletzungen begehen, keine Hilfestellung bieten könnten. Dies greift aber zu kurz; aus dem Umstand, dass der Geheimdienst Folter anwendet, kann nicht automatisch geschlossen werden, dass die Beschwerdeführerin keine Unterstützung durch die Polizei erfahren würde, wenn ihr Onkel ihr tatsächlich nach dem Leben trachten würde. Nur der Vollständigkeit halber sei zudem darauf hingewiesen, dass sich Gambia seit den Präsidentschaftswahlen vom 1.12.2016, die als weitgehend frei und fair bezeichnet werden, in einem tief greifenden und anhaltenden demokratischen Transformations- und Demokratisierungsprozess befindet und die Führungsspitze des Geheimdienstes aufgrund der in der Vergangenheit begangenen Menschenrechtsverletzungen entlassen wurde (siehe dazu oben Punkt 1.2.1).

Zu den unionsrechtlichen Anforderungen an das in Art. 4 der Richtlinie 2011/95 (Statusrichtlinie) vorgesehene Verfahren zur Prüfung der Tatsachen und Umstände hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in seiner Rechtsprechung (vgl. EuGH 4.10.2018, C-56/17, Fathi, Rn. 84 bis 87) wie folgt festgehalten: „Erforderlich ist allerdings, dass der Antragsteller sein Vorbringen [...] gebührend substantiiert, da bloße Behauptungen [...] nur den Ausgangspunkt des in Art. 4 der Richtlinie 2011/95 vorgesehenen Verfahrens zur Prüfung der Tatsachen und Umstände bilden“ (vgl. entsprechend Urteile vom 2. Dezember 2014, A u. a., C-148/13 bis C 150/13, EU:C:2014:2406, Rn. 49, sowie vom 25. Januar 2018, F, C-473/16, EU:C:2018:36, Rn. 28). Soweit im Rahmen der Prüfung der zuständigen Behörden nach Art. 4 dieser Richtlinie für Aussagen einer Person, die internationalen Schutz beantragt, Unterlagen oder sonstige Beweise fehlen, können diese Aussagen nur berücksichtigt werden, wenn die kumulativen Voraussetzungen von Art. 4 Abs. 5 Buchst. a bis e der Richtlinie erfüllt sind. Zu diesen Voraussetzungen gehören u. a. die Tatsache, dass festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen, sowie der Umstand, dass die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Januar 2018, F, C-473/16, EU:C:2018:36, Rn. 33). Das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin ist aber weder gebührend substantiiert noch kohärent und plausibel.

Für den Zweitbeschwerdeführer wurden zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens Fluchtgründe vorgebracht; in der Einvernahme durch die belangte Behörde am 07.06.2019 schloss die Erstbeschwerdeführerin eine Verfolgung ihres Sohnes explizit aus. Es kann daher keine Verfolgung seiner Person in Ga

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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