Entscheidungsdatum
30.04.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
L504 2216087-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX auch XXXX , XXXX geb., StA Libanon, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.01.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrenshergang
Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte mit ihrem zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen Sohn am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
Es handelt sich dabei um eine Frau, welche ihren Angaben nach Staatsangehörige des Libanon mit muslimischen Glaubensbekenntnis ist, der Volksgruppe der Sunniten angehört und aus XXXX XXXX /Al XXXX stammt.
Aus dem unbestritten gebliebenen Verfahrensgang des angefochtenen Bescheides ergibt sich in Bezug auf die bP Folgendes:
"[...]
Sie reisten an einem der erkennenden Behörde unbekannten Zeitpunkt, gemeinsam mit Ihrer Familie (Ehemann und vier Kinder) illegal in das Bundesgebiet der Republik Österreich ein.
Am XXXX stellten Sie beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG. Dabei gaben Sie an, dass Sie den Namen XXXX führen, Staatsangehörige des Libanon wären und am XXXX geboren seien.
Bei der Erstbefragung am XXXX durch die Polizei in XXXX , führten Sie bezüglich Ihrer Fluchtgründe aus:
"...
Meine Tochter XXXX hatte Probleme mit Schiiten. Diese wollten sie mitnehmen, da sie sie verdächtigten Waffen und dergleichen an Sunniten weitergegeben zu haben. Sie sind bewaffnet zu uns nach Hause gekommen. ..."
Bei einer Rückkehr hätten Sie folgende Befürchtungen:
"...
Dass meine Tochter mitgenommen oder getötet wird.
..."
In Ihrem Fall wurden Dublin Konsultationen mit Deutschland geführt, die allerdings keine Zuständigkeit von Deutschland ergaben.
Ihre drei Töchter entzogen sich im April 2017 dem weiteren Verfahren. Auskünfte der deutschen Behörden ergaben, dass Sie sich dort aufhalten würden. Eine Rücküberstellung fand bis zum heutigen Tag allerdings nicht statt.
Ihr Ehemann verstarb am XXXX 2018 hier in Österreich.
Am XXXX wurden Sie vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , Außenstelle XXXX , in der Außenstelle XXXX , im Beisein einer Dolmetscherin der Sprache Arabisch von einem Organwalter des Bundesamtes zu Ihrem Asylantrag befragt. Die Einvernahme gestaltete sich wie folgt:
"...
F: Wie geht es Ihnen. Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu Ihrem Asylverfahren zu machen?
A: Ja, ich bin dazu in der Lage. Ich habe keine physischen oder psychischen Probleme.
F: Haben Sie irgendwelche Krankheiten und wenn ja, welche?
A: Ich leide an Depressionen und Bluthochdruck.
F: Wurden Sie bereits im Heimatland diesbezüglich medizinisch behandelt? Wenn ja, wo, seit wann und in welcher Form? Welche Medikamente nehmen Sie ein?
A: Ich hatte dies auch früher schon in Deutschland. Ich bekomme deswegen Medikamente und habe diese auch schon früher bekommen, insgesamt seit 17 Jahren.
F: Wurden Ihnen Medikamente verschrieben oder nehmen Sie Medikamente zu sich?
A: Ich bekomme diese hier in Österreich von einem Arzt verschrieben.
Paroxt Hexal - Für meine Nerven - Eine Tablette am Tag
Euthyrox - Die muss ich nehmen weil meine Schilddrüse entfernt wurde - Eine halbe am Tag
Isoptin - Für den Bluthochdruck - Täglich eine Tablette, wenn es mir aber nicht gut geht, nehme ich eine zweite.
F: Sind Sie in Österreich in ärztlicher Behandlung? Wie lange wird die Behandlung noch dauern?
A: Ich habe einen Hausarzt, den Namen weiß ich aber nicht. Ich habe aber medizinische Unterlagen dabei von einem Aufenthalt im Krankenhaus in XXXX . Es gibt noch einen Bericht, diesen hat mein Sohn. Mein Sohn weiß aber wie er heißt, weil er selbst dort Patient ist.
F: Können Sie Unterlagen zu Ihrem Gesundheitszustand wie etwa ärztliche Schreiben, Befunde, Überweisungen, Rezepte, etc. vorlegen? Wenn nein, werden Sie aufgefordert, innerhalb von zwei Wochen aktuelle ärztliche Bescheinigungen vorzulegen.
A: Mein Sohn hat noch Unterlagen.
[...]
F: Befürchten Sie wegen Ihrer Krankheit Probleme im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland und wenn ja, welche?
A: Natürlich, gestern ist ein Kind bei uns in der Heimat verstorben, weil er nicht ins Krankenhaus durfte. Die Mutter von ihm ist Libanese, der Vater Palästinenser, weil der Vater Palästinenser ist, durfte das Kind nicht ins Krankenhaus.
F: Warum haben Sie diesbezüglich Sorgen?
A: Nein, ich bin ursprünglich Palästinenserin, aber weil mein Mann Libanese war, habe ich über ihn die Staatsbürgerschaft bekommen.
F: Haben Sie im Verfahren bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?
A: Welche Befragung ist gemeint?
Anmerkung: Gemeint ist die Erstbefragung bei der Polizei.
A: Ich wurde nicht befragt, meine beiden Töchter wurden befragt weil diese gut Deutsch konnten. Ich selbst wurde nicht befragt. Ich glaube ich habe damals auch nichts unterschrieben. Ich war dort bei der Polizei, es war kein Dolmetscher anwesend und ich weiß nicht ob ich etwas unterschrieben habe oder nicht. Meine Töchter konnten aber Deutsch. Meine beiden Töchter sind in Deutschland aufgewachsen und eine ist sogar dort geboren.
F: Haben Sie sich mittlerweile irgendwelche Dokumente besorgt?
A: Nein, ich habe keine Dokumente.
F: Haben Sie irgendwelche Personaldokumente oder andere Dokumente in Österreich, die Sie noch nicht vorgelegt haben?
A: Ich habe einen ungültigen libanesischen Reisepass hier in Österreich. Sonst habe ich nichts.
Aufforderung: Sie werden innerhalb von 2 Wochen aufgefordert den besagten Reisepass der Behörde vorzulegen.
F: Besitzen Sie einen Führerschein, und wenn ja, wann, wo und von wem wurde dieser ausgestellt?
A: Nein und ich habe noch nie einen gehabt.
F: Besitzen Sie einen Reisepass, und wenn ja, wann, wo und von wem wurde dieser ausgestellt?
A: Ich habe ihn 2015 bekommen als wir das Land verlassen haben. Ich habe ihn beim Passamt in XXXX im Libanon bekommen. Wir wurden nur befragt warum wir das Land verlassen wollten.
F: Was war Ihre Antwort gegenüber den Behörden?
A: Ich habe meine Gründe warum ich das Land verlassen will.
F: Die Behörden haben nicht weiter nachgefragt?
A: Nein.
Erklärung: Sie haben am XXXX beim BFA um Asyl ersucht.
Anmerkung: Es wurde damals vermerkt, dass Sie auf Grund der Probleme einer Ihrer Töchter das Land verlassen haben. Ist dies korrekt?
A: Ja.
F: Welche Ihrer Töchter hatte das Problem?
A: XXXX .
F: Sie haben gemeint es hätte keine Erstbefragung gegeben, wie ist es damals bei der Polizei abgelaufen?
A: Ich meinte meine Tochter hat für mich übersetzt und ich habe geantwortet.
F: Es gab aber ein Protokoll?
A: Ja,
F: Gab es irgendwelche Probleme in der Erstbefragung?
A: Nein.
Datenaufnahme:
Name XXXX
Geschlecht weiblich
Vorname XXXX
geboren am XXXX
Geburtsort/Geburtsstaat Flüchtlingsquartier XXXX und es ist nördlich von XXXX , Libanon
Staatsangehörigkeit Libanon
Volksgruppe Araber - Palästinenserin
Religion Moslem Sunnitisch
Familienstand verwitwet - mein Mann ist vor kurzem verstorben. Ich habe insgesamt XXXX Kinder und sind alle volljährig.
Dokumente:
Verwandte im Herkunftsland:
Drei meiner Kinder sind noch im Libanon, in Beirut.
Eine Schwester im Libanon. Meine Brüder sind alle verstorben.
Mein Vater wurde 1975 umgebracht, zusammen mit meinen Brüdern. Meine Mutter lebt noch
und sie lebt in einem Altersheim im Libanon.
Mutter XXXX
Alter 93 Jahre alt
Adresse Es ist so wie ein Krankenhaus die sich um alte Leute kümmern. Es ist im Flüchtlingsquartier XXXX .
Anmerkung Sie bekommt eine Pension von ihrem verstorbenen Sohn.
Schwester XXXX
Alter um die 50
Adresse Im Flüchtlingsquartier XXXX
Anmerkung Sie hat ein kleines Geschäft und verkauft dort ein Dollar Produkte. Sie hat 5 Kinder und ist verwitwet.
Sohn XXXX
Alter 39
Adresse Flüchtlingslager XXXX Beirut
Anmerkung Er arbeitet in einer XXXX . Er hat 2 Kinder und ist verheiratet.
Sohn XXXX
Alter 34
Adresse Flüchtlingslager XXXX Beirut
Anmerkung Er hat ein Fahrzeug gemietet und betreibt einen XXXX . Er hat 2 Kinder (Sohn und Tochter) und ist verheiratet.
Sohn XXXX
Alter 26
Adresse Flüchtlingslager XXXX Beirut
Anmerkung Ist verlobt mit einer Frau in Deutschland und er möchte gerne zu ihr. Er lackiert beruflich Autos.
Verwandte außerhalb des Heimatlandes:
Ich habe zwei Söhne hier in Österreich und noch eine weitere Tochter. 4 meiner Töchter sind in
Deutschland. Eine in Berlin, drei in Bocholt. Ich habe 3 Schwestern in Syrien. Sie sind verwitwet.
Sohn XXXX
Alter 37
Adresse XXXX
Anmerkung Seit 2006 in Österreich. Er hat einen befristeten Aufenthalt und muss den Titel alle 3 Jahre verlängern, jetzt hat er beantragt unbefristet hier sein zu dürfen.
Sohn XXXX
Alter Als wir nach Österreich gekommen sind, war er 15, jetzt müsste er 18 sein.
Geburtsort In Deutschland, im Dorf XXXX
Anmerkung Er ist wie ich Asylwerber und er geht zur Schule.
Tochter XXXX
Alter 31 Jahre alt
Anmerkung Sie kam einen Monat vor uns nach Österreich und ist seit etwa 3 Jahren hier. Sie hat Asyl bekommen.
Vorhalt: Warum haben Sie diese Mitglieder Ihrer Familie in der Erstbefragung nicht erwähnt?
A: Wir wurden nicht gefragt.
Vorhalt: Sie wurden sogar ausdrücklich danach gefragt.
A: Meine Tochter war bereits da. Wir wurden nicht gefragt.
Tochter XXXX
Alter 32
Adresse Berlin, wo genau weiß ich nicht.
Anmerkung Seit 5 Jahren dort. Sie arbeitet, aber hat noch keinen Aufenthaltstitel. Ihr Anwalt meinte sie würde was bekommen. Sie hat dort geheiratet und über den Ehemann einen Aufenthaltstitel.
Tochter XXXX
Alter XXXX geboren
Adresse XXXX
Anmerkung Sie kam mit uns nach Österreich. Sie hat sich in einen Mann verliebt und hat ihn geheiratet. Der Mann lebt in Deutschland und ist dort Staatsbürger.
Tochter XXXX
Alter XXXX geboren
Anmerkung Sie kam mit uns nach Österreich. Sie hat auch nach Deutschland geheiratet.
Tochter XXXX
Alter XXXX geboren
Anmerkung Sie kam mit uns nach Österreich. Sie hat auch nach Deutschland geheiratet.
Schulausbildung: Keine
Sonstige Ausbildungen: Keine
Militärdienst: Keinen
F: Waren Sie jemals an Kampfhandlungen beteiligt?
A: Nein, aber meine Brüder sind im Krieg gestorben.
Sprachen: Arabisch - Muttersprache
Deutsch - ich kann meine Probleme beim Arzt erklären.
Wort und Schrift: Arabisch - Nur noch meinen Namen
Beruflicher Werdegang:
Ich habe niemals gearbeitet. Ich habe mit 18 geheiratet und habe 10 Kinder bekommen. Dies
war viel Arbeit. Ich habe auch den Haushalt geführt.
F: Möchten Sie eine Pause machen?
A: Nein.
Angaben zur Person und Lebensumständen:
Ich bin im Flüchtlingsquartier XXXX geboren und dort bei meinen Eltern aufgewachsen. Uns ging es finanziell nicht sehr gut um zu sagen schlecht. Mit 18 habe ich dann geheiratet. Mein Ehemann war Gemüsehändler, weil er eine Behinderung an der Hand hatte.
F: Sie sind später nach Deutschland gezogen?
A: Ab 1990 waren wir dort, bis 2006.
F: Was haben Sie in Deutschland gemacht?
A: Meine Kinder waren noch jung. Ich bin mit 6 Kindern nach Deutschland. In Deutschland habe ich 4 weitere Kinder bekommen.
F: Aus welchem Grund waren Sie in Deutschland?
A: Es war damals Krieg in Libanon. Es herrschte Krieg und wir haben um Asyl angesucht.
F: Warum haben Sie Deutschland nach sechzehn Jahren wieder verlassen?
A: Wir haben das Land nicht verlassen, wir wurden abgeschoben, nachdem meine Kinder groß geworden sind. Man hat uns mitgeteilt, dass wir eine große Familie mit 12 Personen wären und dass man uns nicht versorgen könnte. Die Sozial- und Krankenversicherung. Die ersten 4 Kinder können anfangen zu arbeiten, mein Mann hat damals wegen seiner Behinderung nicht gearbeitet, aber er hat für die Gemeinde einen 1-Euro Job gehabt.
F: Wo haben Sie im Libanon gelebt bis Sie wieder ausgereist sind?
A: XXXX , es ist in der Nähe von Al XXXX
F: Von was hat Ihre Familie damals gelebt?
A: Mein Mann hat angefangen Gemüse zu verkaufen und meine Kinder haben gearbeitet. XXXX hat in einer Schockladenfabrik mit dem Namen XXXX gearbeitet.
F: Wie ging es Ihnen finanziell?
A: Null. Ich will nicht lügen, es war sehr wenig bzw. Null.
F: Haben Sie noch Kontakt zu Ihren Verwandten im Libanon?
A: Ja, sie rufen mich an, auf das Telefon meiner Tochter. Natürlich gibt es Kontakt.
F: Haben Sie Probleme mit Ihren Verwandten?
A: Nein.
F: Hat Ihr Ehemann Kinder aus anderen Beziehungen?
A: Nein, ich war die einzige die ihn geheiratet hat.
F: Welche Ihrer Kinder sind in Deutschland geboren?
A: XXXX im Libanon, XXXX im Libanon, XXXX im Libanon, XXXX im Libanon, XXXX im Libanon, XXXX im Libanon, XXXX in Deutschland, XXXX in Deutschland XXXX in Deutschland, XXXX in Deutschland
F: Zu Ihren Kindern in Deutschland haben Sie auch Kontakt?
A: Ja.
F: Warum haben Ihre 3 Töchter die hier in Österreich um Asyl angesucht haben, Ihr Verfahren nicht abgewartet?
A: Sie haben geheiratet und sollten zu ihren Männern.
F: Haben Sie noch Freunde oder Bekannte in der Heimat?
A: Nein, aber es gibt in XXXX zwei Schwestern von meinem Ehemann.
F: Waren Sie nur in Ihrem Heimatort oder kennen Sie sich in Libanon aus und wenn ja, wo haben Sie sich im Libanon schon aufgehalten bzw. wohin sind Sie gereist (z.B. Verwandtenbesuche, Schulaufenthalte etc.?)
A: Nur in meinem Heimatort und in Beirut. Man sagt es wäre ein schönes Land, dies haben wir aber nicht gesehen.
F: Inwieweit sind Ihnen die gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten Ihres Heimatlandes vertraut?
A: Natürlich bin ich damit vertraut.
Angaben zum Fluchtweg:
F: Wann haben Sie sich entschlossen die Heimat zu verlassen?
A: Dies war am 26.09.2015
F: Wann sind Sie ausgereist?
A: Am 20.10.2015 in die Türkei.
F: Können Sie sich an Ihre Angaben zum Reiseweg, die Sie in der Erstbefragung am XXXX bei der Polizeiinspektion XXXX gemacht haben, erinnern?
A: Nein, ich kenn mich nicht gut nicht. Über Griechenland oder Österreich. Auf dem Weg war ich krank.
F: Wie haben Sie den Libanon verlassen?
A: Wir haben uns Reisepässe ausstellen lassen, haben uns Tickets besorgt und sind damit in die Türkei geflogen.
F: Was war Ihr Zielland als Sie den Libanon verlassen?
A: Nein, erst als wir in der Türkei waren, haben wir uns entschlossen nach Österreich zu kommen weil meine Tochter und mein Sohn bereits hier waren.
F: Warum sind Sie damals nicht in der Türkei geblieben?
A: Es ist kein Land für Leute wie mich.
F: Wie meinen Sie dies?
A: Ich habe das Land verlassen wegen der Probleme meiner Tochter, und dazu konnten meine Kinder Deutsch und wir dachten sie könnten mit der Sprache weiterlernen und einen guten Job bekommen.
F: Wie viel mussten Sie für die Schleppung bezahlen?
A: Für 6 Personen 11000 Dollar.
F: Woher haben Sie das Geld?
A: Von meinem Ehemann der Bruder lebt seit 30 Jahren in Deutschland, er hat uns das Geld geschickt.
F: Mit welchem Dokument sind Sie gereist?
A: Ich bin mit meinem libanesischen Reisepass gereist.
F: Haben Sie in einem anderen Land schon einmal einen Asylantrag gestellt?
A: In Deutschland und hier in Österreich. Als wir in Deutschland aufgefordert wurden 2006 das Land zu verlassen, bin ich mit meinen Kindern und meinem Ehemann nach Norwegen. Nach 10 Monaten habe ich die Behörden gebeten uns nach Deutschland zurück zu bringen, weil meine Kinder Depressionen hatten und sie dort niemanden kannten. Die Sprache war fremd.
F: Möchten Sie zum Fluchtweg noch etwas angeben, was Ihnen wichtig ist?
A: Nein, das war alles.
Anmerkung: Der Antragstellerin wird eine Vollmacht über das Einholen von Auskünften über die Asylverfahren in Norwegen und Deutschland ausgehändigt, von der Dolmetscherin übersetzt und von Beiden unterschrieben.
Angaben zum Fluchtgrund:
F: Sind Sie in Ihrer Heimat oder in einem anderen Land vorbestraft bzw. haben Sie im Herkunftsland, oder hier Strafrechtsdelikte begangen?
A: Nein.
F: Werden Sie in der Heimat von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht?
A: Nein, aber von der Hisbollah.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals von den Behörden angehalten, festgenommen oder verhaftet?
A: Nein.
F: Hatten Sie in Ihrer Heimat Probleme mit den Behörden?
A: Nein.
F: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei?
A: Nein.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer politischen Gesinnung verfolgt?
A: Nein.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Rasse verfolgt?
A: Nein.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Religion verfolgt?
A: Nein.
F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt?
A: Nein.
F: Was war der konkrete Grund, warum Sie die Heimat verlassen haben? Erzählen Sie bitte möglichst chronologisch über alle Ereignisse, die Sie zum Verlassen der Heimat veranlasst haben (freie Erzählung)!
A: Im Jahr 2015 hat meine Tochter XXXX in XXXX geholfen beim Roten Kreuz. Dort wurde syrischen Flüchtlingen mit Essen geholfen. Die Frauen haben gesprochen und jemand hat der Hisbollah gesagt, dass XXXX freiwillig beim Roten Kreuz hilft. Es kamen Männer von der Hisbollah zu meiner Tochter und sie wollten ihr eine Kamera geben. Sie hätte mit der Kamera Fotos von bestimmten Syrern gemacht und sie wollte, dass Sie Informationen über diese Syrer und Sunniten sammelt die sich in XXXX befinden. Sie hat dies abgelehnt. Man hat Sie dann bedroht und nach zwei Tagen kamen Sie auch zu uns nach Hause und haben nach XXXX gefragt. Sie waren bewaffnet. Mein Mann hatte auch ein Gewehr zuhause und wollte uns damit schützen. Mit der Hisbollah kann man nicht reden bzw. verhandeln und wir haben uns anschließend entschieden das Land zu verlassen. Sie hatten auch gedroht meine Tochter zu entführen, wenn Sie nicht mit ihr kooperieren.
(Ende der freien Erzählung)
F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas vorbringen möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe?
A: Dies ist alles. Wir sind erst nach Beirut gefahren und blieben einige Tage bei meiner Schwester, wo wir uns auf die Reise vorbereitet haben. Danach sind wir in die Türkei. Da war meine Tochter XXXX bereits in Europa und sie hat uns von einem Schlepper erzählt der uns helfen kann. Ich habe keine weiteren Gründe mehr vorzubringen.
F: Gab es jemals bis zu den besagten Vorfällen auf Sie irgendwelche Übergriffe oder ist an Sie persönlich jemals irgendwer herangetreten?
A: Auf mich persönlich nicht, aber auf meine Tochter.
F: Können Sie Ihr Vorbringen mit Beweismitteln untermauern?
A: Nein.
F: Ist Ihre Tochter XXXX aus den gleichen Gründen geflohen, oder hatte Sie eigene Gründe?
A: Nein, sie hat das Land verlassen, weil Ihr Ehemann Probleme mit einem XXXX hatte.
F: Haben Sie sich bezüglich der erwähnten Probleme jemals an die staatlichen Behörden oder anderweitige Organisationen gewandt und diese um Hilfe ersucht?
A: Bei uns kann man nicht zur Polizei oder Behörden gehen, um die Hisbollah anzuzeigen, sie sind selbst die Behörden.
F: Was hätten Sie im Falle einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat konkret zu befürchten?
A: Ich mache mir Sorgen um meinen Sohn XXXX . Die Hisbollah könnte ihn mir wegnehmen und rekrutieren. Sie schicken Männer für die Ausbildung in den Iran.
F: Haben Sie selbst keine Rückkehrbefürchtungen?
A: Ich bin eine alte Dame und habe niemanden unten. Ich bin eine alte Dame. Ich habe unten nichts mehr, kein Haus, keine Medikamente, selbst meinen Ehemann habe ich begraben. Meine Tochter XXXX hilft mir wenn ich hier krank bin.
Vorhalt: Sie haben selbst erwähnt noch Söhne und eine Schwester hier zu haben, ebenso gibt es im Libanon eine grundsätzliche, solide medizinische Versorgung.
A: Keiner kümmert sich um den anderen. Ich höre meinen Sohn nur einmal im Jahr am Telefon. Ich bin sehr traurig. Keiner kümmert sich um die Mütter wenn sie älter ist. Ich bin sehr traurig. Ich habe umsonst 10 Kinder bekommen.
F: Hätten Sie Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden im Falle Ihrer Rückkehr?
A: Nein.
F: Warum sind Sie nicht in eine andere Stadt oder in einen anderen Landesteil gezogen?
A: Die Hisbollah ist überall zu finden. Vielleicht hört ihr nichts von der Hisbollah und ihrer Macht.
F: Um was ging es der Hisbollah bei der Hilfe durch Ihre Tochter?
A: Informationen, wie eine Spionin. Informationen über die Kämpfer. Es gab dort fast nur Kämpfer.
F: Warum sollte die Hisbollah diese Informationen nicht von selbst bekommen können?
A: Dort kann nicht jeder rein, meine Tochter konnte dort nicht hin, weil Sie Sunnitin ist, sonst hätte sie dies nicht gekonnt.
Vorhalt: Ihre Angaben stehen im klaren Widerspruch zu einander betreffend der Macht und Einfluss der Hisbollah.
A: Sie durften nicht in das syrische Flüchtlingslager. Meine Tochter hat dort aber geholfen.
Vorhalt: Ihre Tochter selbst hat in der Erstbefragung andere Gründe genannt warum Sie mit der Hisbollah Probleme hatten, als Sie heute. Was sagen Sie dazu?
A: Nein, sie hat das gleiche gesagt.
F: War Ihr Sohn XXXX bei diesen Vorfällen dabei?
A: Er war noch ein Kind, wir haben ihm aber erzählt warum wir das Land verlassen wollten. XXXX war auch 17. Die beiden haben uns gefragt warum wir das Land verlassen sollen, wir haben es ihnen gesagt.
F: Wo war XXXX als die Hisbollah bei Ihnen zuhause war?
A: Er hat im Viertel gespielt. Die Jungs gehen immer raus spielen.
F: Wie hat die Hisbollah darauf reagiert, dass Ihr Ehemann versucht hat die Familie mit einer Waffe zu verteidigen?
A: Es war zwar ein Gewehr, aber es war für die Jagd gedacht. Mein Mann war alt, sie haben ihn gestoßen und meinten sie kommen wieder.
Vorhalt: Ihre Söhne befinden sich nach wie vor im Libanon und können dort offensichtlich Ihr Leben bestreiten. Es wird also offensichtlich nicht ihre ganze Familie von der Hisbollah verfolgt. Was meinen Sie dazu?
A: Meine drei Söhne haben damit nichts zu tun. Sie wohnen in einem anderen Flüchtlingsquartier. Die Hisbollah hat mit Flüchtlingsquartieren nichts zu tun.
F: Warum solle die Hisbollah an Ihnen Interesse haben?
A: Es ist meine Tochter, sollte ich sie ihnen geben um sie einzusetzen.
F: Sie haben ausgeführt, die Sorge zu haben, dass die Hisbollah Ihren Sohn rekrutiert. Er ist Sunnit, die Hisbollah sind eine schiitische Bewegung. Was meinen Sie dazu?
A: Sie nehmen auch die Sunniten. Vor allem wenn die Jungs keine Arbeit und kein Geld haben, dann machen Sie alles für die Hisbollah. Hier macht er eine Ausbildung zum Kochen. Er hat ein Praktikum gemacht. Man war sehr zufrieden mit seiner Arbeit.
F: Wissen Sie über die aktuelle politische Lage und über die Sicherheitslage in Ihrer Heimat Bescheid?
A: Nein, ich habe 16 Jahre in Deutschland gelebt und ich habe mich damit nicht beschäftigt.
[...]
Angaben zum Privat- und Familienleben:
F: Wann sind Sie nach Österreich eingereist?
A: 30 Oktober 2015. Ich war seit dem nur in Österreich im Flüchtlingslager.
F: Hatten Sie in Österreich oder in der EU jemals einen gültigen Aufenthaltstitel oder Visum zur Begründung eines legalen Aufenthaltes?
A: Nur bei meinem Verfahren in Deutschland und hier in Österreich. In Deutschland hatte ich keinen Aufenthaltstitel.
F: Waren Sie dort 16 Jahre Asylwerberin?
A: Ja, in der Duldung.
F: Wie sieht Ihr Alltag in Österreich aus?
A: Haushalt, ich gehe etwas bei Lidl und Hofer einkaufen. Ich schaue fern. Ich wohne im gleichen Haus wie meine Tochter und spiele mit ihren Kindern.
F: Sind Sie seit Ihrer Einreise nach Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen?
A: Nein, ich kümmere mich um die Kinder meiner Tochter.
F: Wie würden Sie Ihren Lebensunterhalt in Österreich bestreiten, falls Sie hier bleiben könnten?
A: Ich hoffe es, ich bin bereit hier als Reinigungskraft zu arbeiten. Es wäre eine Abwechslung.
F: Von welchen finanziellen Mitteln leben Sie hier in Österreich? Welche Unterstützungen beziehen Sie?
A: Ich bekomme 220 Euro Unterstützung.
F: Sind Sie gegenüber jemandem unterhaltspflichtig?
A: Nein.
F: Haben Sie Schulden in Österreich?
A: Nein.
F: In welcher Unterkunft leben Sie, wer kommt für die Miete auf?
A: Ich lebe privat. Der Staat bezahlt 300 Euro für die Miete, der Rest übernimmt eine Deutsche Freundin.
F: Haben Sie in Österreich einen Deutschkurs besucht und können Sie dafür Beweismittel in Vorlage bringen?
A: Nein, aber ich lerne mit den Kindern.
F: Wie schätzen Sie Ihre Deutschkenntnisse ein?
A: Für Arztbesuche genügt es. Wenn er aber mit mir redet verstehe ich ihn nicht.
F: Haben Sie in Österreich eine Schule, Kurse oder sonstige Ausbildungen absolviert? Wie war das Ergebnis, bzw. was resultierte daraus?
A: Nein.
F: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder in einer Organisation?
A: Nein.
F: Besuchen Sie hier in Österreich eine Moschee und wenn ja, welche und wie oft bzw. was machen Sie dort?
A: Nein.
F: Können Sie irgendwelche sonstigen Gründe namhaft machen, die für Ihre Integration in Österreich sprechen?
A: Ich versuche mit den Nachbarinnen zu reden. Wir treffen uns zum Cafe und reden.
F: Haben Sie Freunde oder Bekannte, die Sie bereits aus Ihrem Heimatland her kennen, in Österreich?
A: Nein.
F: Haben Sie nahe Verwandte oder Familienangehörige in Österreich?
A: Meine Tochter, ihre Kinder, ihr Ehemann und zwei meiner Söhne sind hier in Österreich, ebenso zwei Schwestern meines Ehemannes. Mein Sohn XXXX hat auch vier Kinder.
F: Wo leben Ihre Verwandten?
A: Wie bereits ausgeführt.
F: Haben Sie mit diesen Personen jemals in einem gemeinsamen Haushalt gelebt und wenn ja, wann, wo und wie lange?
A: Ich lebe jetzt nur noch mit XXXX zusammen. Früher war noch mein Ehemann dabei, ebenso wie meine Töchter bevor diese nach Deutschland gegangen sind.
F: Leben Sie mit jemand in Familiengemeinschaft oder in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft? Wenn ja, beschreiben Sie diese Gemeinschaft!
A: XXXX geht zur Schule, fast täglich. Ich gehe meine Tochter XXXX besuchen und einkaufen.
F: Waren Sie jemals Zeuge oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel?
A: Nein.
F: Wurden Sie in Österreich jemals Opfer von Gewalt und haben Sie sich diesbezüglich an die örtlichen Sicherheitsbehörden bzw. an ein Gericht (§382e EO - Allgemeiner Schutz vor Gewalt) gewandt?
A: Nein.
F: Ihre Tochter hat gegenüber den deutschen Behörden gesagt es hätte Probleme mit einem Bruder, geboren 1984, gegeben. Was wissen Sie davon?
A: Es waren normale Probleme zwischen Geschwistern. Man kann es nicht Probleme nennen. Es sind Kleinigkeiten zwischen Geschwistern.
F: Ihre Tochter führte auch aus, dass Sie drei Tage in einen Keller eingesperrt worden wäre.
A: Dies stimmt nicht. Es gab normale Diskussionen. Er hat ihr verboten alleine in die Stadt zu gehen. Dies ist normal bei uns, dass ein Bruder sich Sorgen macht.
F: Ihr Sohn XXXX ist XXXX geboren?
A: XXXX ist XXXX geboren.
F: XXXX ist aktuell wo?
A: Im Libanon. Gott soll den deutschen Behörden verzeihen. XXXX war ein guter Fußballspieler.
[...]
F: Die Befragung wird hiermit beendet. Wollen Sie zu Ihrem Asylverfahren sonst noch etwas vorbringen, was Ihnen von Bedeutung erscheint?
A: Nein, ich habe alles gesagt. Ich möchte mich nur bedanken, insbesondere bei den österreichischen Behörden. Sie sind sehr Menschlichkeit.
F: Hatten Sie die Gelegenheit alles zu sagen, was Sie wollten?
A: Ja, das hatte ich. Ich hatte die Gelegenheit alles vorzubringen, was mir wichtig war.
[...]
Ihre Einvernahme richtig und vollständig protokolliert?
A: Ich möchte anmerken, dass ich nicht 3 Schwestern in Syrien, sondern nur 2 Schwestern in Syrien habe. Ich habe aber die Bitte, dass die österreichischen Behörden darauf achten, dass mein Sohn hier eine Chance bekommt, er ist ein guter Koch.
Sonst war alles korrekt. Es hat alles gepasst. Ich habe nichts mehr hinzuzufügen.
Frage an den Sohn: Möchten Sie nach Rückübersetzung der Niederschrift Ihrer Mutter Stellung beziehen?
A: Ich möchte erwähnen, dass eine der Schwestern meine Mutter im Libanon verstorben ist, dies habe ich in meiner eigenen Einvernahme nicht erwähnt.
Frage an den Sohn: Wie heißt der von Ihrer Mutter erwähnte österreichische Hausarzt?
A: Ich habe in meiner Einvernahme bereits den Namen und die Adresse erwähnt.
[...]
Am 21.12.2018 legten Sie medizinischen Unterlagen vor.
Am 04.01.2019 legten Sie Ihren Reisepass vor.
Mit Verfahrensanordnung wurde Ihnen ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
[...]"
Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt.
Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon nicht zugesprochen.
Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig sei.
Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ebenso ergebe sich aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Abschiebungshindernisse lägen demnach nicht vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien nicht gegeben. Ein die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung übersteigendes Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen und wurde daher eine Rückkehrentscheidung verfügt.
Der Antrag des zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährigen und zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides volljährigen Sohnes wurde im Rahmen eines Familienverfahrens (§ 34 AsylG) im Ergebnis gleichlautend entschieden.
Dagegen wurde Beschwerde erhoben. Bei der Erstbefragung hätte ausschließlich die Tochter ( XXXX ) gesprochen, weshalb man der bP die unterschiedlichen Angaben zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme nicht vorhalten könne. Dies sei auch der Grund, warum der Gatte der bP bei der Erstbefragung von einer Bedrohung mit der Tötung durch die Hisbollah nichts gesagt habe. Im Libanon würde eine Gruppe von Sunniten namens SARAYA AL-Quds, Sunniten für die Hisbollah rekrutieren. Die Tochter der bP sei von der Hisbollah aufgefordert worden, Informationen über die Waffenschmuggler zu sammeln. Die bP habe sporadischen Kontakt zu ihren Söhnen im Libanon. Hinsichtlich der Abstammung aus einer beduinischen Volksrasse und das Verschweigen von diversen in Europa aufhältigen Verwandten werde auf die Beschwerde von ihrem Sohn verwiesen. Bezüglich der unterschiedlichen Angaben zum Aufenthalt des Sohnes während des Aufsuchens der Hisbollah werde auf das Vorbringen von ihm verweisen.
Die von Verein Menschenrechte Österreich (VMÖ) vertretene bP hat sich am 22.05.2019 zur freiwilligen Rückkehr in den Libanon angemeldet und reiste sie mit Unterstützung des VMÖ am 21.06.2019 mittels Flugzeug freiwillig aus Österreich nach Beirut/Libanon aus. Dies wurde vom VMÖ am 02.07.2019 mitgeteilt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.
1. Feststellungen (Sachverhalt)
1.1. Identität und Herkunftsstaat
Name und Geburtsdatum stehen lt. Bundesamt fest. Die bP bezeichnete sich der Volksgruppe der Araber-Palästinenser und dem muslimisch-sunnitischen Glauben zugehörig.
Ihre Staatsangehörigkeit und der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist der Libanon.
1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise
Die bP ist im Flüchtlingsquartier XXXX am XXXX geboren und verfügt über keine Schulbildung. Sie ist mittlerweile Witwe und Mutter von XXXX Kindern, welche alle volljährig sind und zum Teil im Libanon, in Österreich und in Deutschland leben.
Die bP wohnte vor ihrer Ausreise in XXXX , in der Nähe von Al XXXX .
Der am XXXX 2018 in Österreich verstorbene Gatte der bP verdiente zuletzt als Gemüsehändler die Lebensgrundlage für seine Familie. Die im erwerbsfähigen Alter befindlichen Kinder gingen ebenfalls Tätigkeiten nach und steuerten so zum Familieneinkommen bei.
1.3. Familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat
Im Libanon halten sich die Mutter und eine Schwester sowie drei Söhne der bP auf. Die Mutter der bP ist 93 Jahre alt, lebt im Flüchtlingslager XXXX in einem Altersheim und bekommt von ihrem verstorbenen Sohn eine Pension.
Die Schwester der bP ist ca 50 Jahre alt, lebt ebenfalls im Flüchtlingsquartier XXXX , wo sie ein kleines Geschäft betreibt. Sie hat fünf Kinder und ist Witwe.
Zwei der drei im Libanon lebenden Söhne sind verheiratet, haben Kinder und nehmen am Arbeitsleben teil. Der mittlere Sohn betreibt selbstständig einen XXXX , der älteste Sohn arbeitet an einer XXXX und der jüngere Sohn ist XXXX . Der letztgenannte ist mit einer in Deutschland lebenden Frau verlobt und möchte gerne bei ihr leben.
Die Schlepperkosten wurden vom Bruder des verstorbenen Gatten der bP bezahlt. Eine deutsche Freundin der bP kommt für einen Teil der in Österreich anfallenden Miete (? 200) auf.
Die bP hat regelmäßigen Kontakt zu ihren Kindern als auch zu ihren Verwandten. Die bP hat weder beim Bundesamt noch in der Beschwerde angegeben, dass bei der Rückkehr in den Herkunftsstaat kein für sie zugängliches familiäres bzw. soziales Netzwerk mehr bestünde.
1.4. Ausreisemodalitäten
Die bP flog am 20.10.2015 mit einem Reisepass in die Türkei/Istanbul. Weil ein Sohn und eine Tochter der bP in Österreich lebten, entschlossen sie sich ebenfalls für eine Reise nach Österreich. Von Istanbul reisten sie schlepperunterstützt mit einem Bus zur Küste, wo sie dann mit einem Schlauchboot nach Griechenland übersetzten.
Sie durchreisten auf ihrem Weg nach Österreich mehrere als sicher geltende Staaten. In diesen suchten sie nicht um Schutz an. Es wurde nicht behauptet, dass ihnen dort die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz nicht auch möglich gewesen wäre oder, dass Flüchtlinge dort keinen Schutz erlangen könnten.
1.5. Gesundheitszustand
Die bP hat im Verfahren behandlungsbedürftige Erkrankungen dargelegt, welche jedoch mittels Medikamenten behandelt werden. Sie leidet demnach an Depressionen und Bluthochdruck, weswegen sie seit 17 Jahren Tabletten nehmen muss.
Die bP hat nicht dargetan, dass diese Erkrankung nicht auch im Herkunftsstaat behandelbar oder die Behandlung für sie nicht leistbar/zugänglich wäre.
1.6. Privatleben / Familienleben in Österreich
Art, Dauer, Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthaltes
Die bP begab sich mit Unterstützung einer kriminellen Schlepperorganisation und ohne Vorhandensein eines Einreise- bzw. Aufenthaltstitels am 30. Oktober 2015 in das Bundesgebiet.
Mit der am XXXX erfolgten Stellung des Antrages auf internationalen Schutz erlangte die bP eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. AsylG, die nach Antragsabweisung durch die Beschwerdeerhebung verlängert wurde.
Da ihr in diesem Verfahren weder der Status eines Asylberechtigten noch jener eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, erweist sich die Einreise als rechtswidrig und stellt grds. gem. § 120 Abs 1 u. Abs 7 FPG eine Verwaltungsübertretung dar.
Familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich:
In Österreich halten sich außer dem mit ihr antragstellenden damals mj. Sohn noch 1 Sohn im Alter von 37 und eine Tochter im Alter von 31 Jahren auf. Der ältere Sohn lebt seit 2006 mit einem auf drei Jahre befristeten Aufenthaltstitel in Österreich, welcher ihm immer wieder verlängert wurde. Die Tochter hat in Österreich Asyl bekommen.
Grad der Integration
Die bP verfügt trotz eines 16jährigen Aufenthaltes in Deutschland und ihres nunmehr fast vierjährigen Aufenthaltes in Österreich über keine relevanten Deutschkenntnisse. Den Großteil ihrer Zeit verbringt sie mit den Kindern ihrer in Österreich lebenden Tochter. Regelmäßigen Kontakt zu anderen Personen außerhalb der Familie wurde seitens der bP nicht dargetan.
Teilweise oder gänzliche wirtschaftliche Selbsterhaltung während des Verfahrens bzw. Teilnahme an möglicher und erlaubter Erwerbstätigkeit für Asylwerber (https://www.ams.at/unternehmen/service-zur-personalsuche/beschaeftigung-auslaendischer-arbeitskraefte/beschaeftigung-von-asylwerberinnen-und-asylwerbern#wieknnenasylwerberinnenundasylwerberbeschftigtwerden) oder Abhängigkeit von staatlichen Leistungen:
Die bP ist auf die staatliche Grundversorgung angewiesen.
Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Familienleben; die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren:
Die bP hat diese privaten/familiären Anknüpfungspunkte in Österreich während einer Zeit erlangt, in der der Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet stets prekär war.
Bindungen zum Herkunftsstaat:
Die bP ist im Herkunftsstaat geboren, kann sich im Herkunftsstaat - im Gegensatz zu Österreich - problemlos verständigen und hat ihr überwiegendes Leben in diesem Staat verbracht. Sie kennt die dortigen Regeln des Zusammenlebens.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die beschwerdeführende Partei als von ihrem Herkunftsstaat entwurzelt zu betrachten wäre.
Strafrechtliche/verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen:
In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheinen keine Vormerkungen wegen rk. gerichtlicher Verurteilungen auf.
Das Vorliegen von rk. Verwaltungsstrafen wurde dem BVwG nicht mitgeteilt und ergibt sich auch nicht aus dem Akteninhalt.
Sonstige Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts:
Da der bP weder der Status einer Asylberechtigten noch der einer subsidiär schutzberechtigten Person zukommt, stellt die rechtswidrige Einreise (bei strafmündigen Personen) gegenständlich auch grds. eine Verwaltungsübertretung dar (vgl. § 120 Abs 7 FPG).
Die beschwerdeführende Partei verletzte - trotz diesbezüglicher Belehrung - durch die nichtwahrheitsgemäße Begründung ihres Antrages auf internationalen Schutz ihre gesetzlich auferlegte Mitwirkungsverpflichtung im Asylverfahren. Sie versuchte dadurch die entscheidenden Instanzen zur Erlangung von internationalen Schutz zu täuschen.
Verfahrensdauer:
Gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz wurde am XXXX gestellt und erging der Bescheid vom Bundesamt am 25.01.2019. Nach eingebrachter Beschwerde erging mit heutigem Erkenntnis die Entscheidung im Beschwerdeverfahren.
Nicht unwesentlich für die Dauer dieses Beschwerdeverfahrens war insbesondere der Umstand, dass die beschwerdeführende Partei im Asylverfahren in Täuschungsabsicht falsche Tatsachen vorbrachte und damit ihre Mitwirkungsverpflichtung erheblich verletzte (vgl. § 15 Abs 1 AsylG: Ein Asylwerber hat am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken; insbesondere hat er 1. ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.[..]).
Es kann vertretbar davon ausgegangen werden, dass das Verfahren, wenn die beschwerdeführende Partei schon anfänglich wahrheitsgemäß ihre tatsächlichen Ausreise- Antragsgründe dargelegt hätte - der Berichtslage nach wären vor allem wirtschaftliche Überlegungen im Besonderen nachvollziehbar - das Verfahren in kürzerer Zeit abgeschlossen werden können.
1.7. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen bzw. nichtstaatlichen Akteuren und der von der bP problematisierten Rückkehrsituation aus maßgeblicher aktueller Sicht
Die bP kehrte wenige Monate nach Erlassung des gegenständlichen Bescheides und während des anhängigen Beschwerdeverfahrens, währenddessen sie weiterhin eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung besaß, freiwillig in ihren Herkunftsstaat zurück.
Das BVwG geht zweifelsfrei davon aus, dass die bP persönlich dort keine relevante Gefährdung im Falle der Rückkehr erwartete.
Die bP vermochte keine glaubhafte, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende asylrelevante Verfolgungsgefahr glaubhaft machen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle der Rückkehr in der Herkunftsstaat hinsichtlich der Versorgung mit Unterkunft, Nahrung oder Medizin nicht das Notwendige erlangen könnte und besteht somit nicht die reale Gefahr, dass sie in eine ausweglose Lage geraten würde.
Es kann nicht festgestellt werden, dass im Herkunftsstaat eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts bestünde.
1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat
Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat traf das Bundesamt auf Basis des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zum Libanon folgende relevante Feststellungen, denen seitens der bP im Verfahren vor dem Bundesamt nicht entgegen getreten wurde:
Politische Lage
Libanon ist eine parlamentarische Demokratie nach konfessionellem Proporzsystem. Politische Parteien sind zugelassen; sie sind jedoch in der Praxis meist Zweckbündnisse, die vor allem auf der Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe basieren. Die Verfassung des Landes schreibt eine Trennung der Gewalten vor. Parlamentswahlen sollen alle vier Jahre abgehalten werden; der Staatspräsident wird von den Abgeordneten für sechs Jahre gewählt. Das libanesische System wird von der Zusammenarbeit der verschiedenen religiösen Gruppen getragen; daneben spielen Familien- und regionale Interessen eine große Rolle (AA 1.3.2018).
Das politische System basiert auf der Verfassung von 1926, dem ungeschriebenen Nationalpakt von 1943 und dem im Gefolge der Taif-Verhandlungen am 30. September 1989 verabschiedeten "Dokument der Nationalen Versöhnung" (AA 1.3.2018). In diesem sogenannten Taif-Abkommen wurde festgelegt, dass die drei wichtigsten Ämter im Land auf die drei größten Konfessionen verteilt werden:
? Das Staatsoberhaupt muss maronitischer Christ sein
? Der Parlamentspräsident muss schiitischer Muslim sein
? Der Regierungschef muss sunnitischer Muslim sein
Dieser Proporz bestimmt die gesamte Verwaltung und macht auch vor der Legislative nicht halt. Das Parlament mit seinen 128 Mitgliedern setzt sich nach dem Grundsatz der konfessionellen Parität wie folgt zusammen:
34 Maroniten, 27 Schiiten, 27 Sunniten, 14 griechisch-orthodoxe Christen, 8 Drusen, 8 melikitische/griechisch-katholische Christen, 5orthodoxe Armeniern, 2 Alewiten, 1 armenischer Katholik, 1 Protestant und 1 weitere Minderheit (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 20.4.2018).
Bei der im Abkommen von Taif vorgesehenen allmählichen Entkonfessionalisierung des politischen Systems gibt es bisher keine Fortschritte (AA 1.3.2018).
Das Parlament des Libanon ist konfessionsübergreifend in zwei politische Blöcke gespalten, die einander im Libanon unversöhnlich gegenüberstehen:
* die von der schiitisch geprägten und vom Iran beeinflussten Hisbollah angeführte 8.März-Koalition und
* die eher westlich orientierte, sunnitisch geprägte und von Saad Hariri (Future Movement; arab.: (al-)Mustaqbal) angeführte 14. März-Bewegung (BBC 4.11.2014; vgl. GIZ 6/2018).
Die traditionelle Feindschaft zwischen diesen beiden Blöcken wurde durch den Konflikt im benachbarten Syrien zusätzlich vertieft, als schiitische Hisbollah-Kämpfer sich auf die Seite der syrischen Regierung stellten, während die 14. März-Bewegung die syrischen Rebellen unterstützte (BBC 4.11.2014; vgl. GIZ 6/2018).
Diese Polarisierung lähmt das Land politisch und ökonomisch, verstärkt konfessionelle Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten und erschwert bzw. verhindert außerdem die Erarbeitung notwendiger Lösungen für die ökonomischen, sozialen und politischen Herausforderungen (GIZ 6/2018).
Aufgrund schwer erzielbarer Mehrheiten war es auch jahrelang nicht möglich, ein Wahlgesetz zu verabschieden. Dies führte dazu, dass die Parlamentswahl 2013 ausgesetzt und das Mandat der Abgeordneten mehrfach verlängert wurde (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 20.4.2018).
Am 31. Oktober 2016 wurde nach zweieinhalb Jahren und 45 gescheiterten Versuchen ein neuer Präsident gewählt. Mit der Wahl des maronitischen Christen Michel Aoun kam Bewegung in die stark polarisierte libanesische Politik. Da Aoun als Kandidat der schiitischen Hisbollah für das Amt des Präsidenten galt, wurde er zunächst von Premierminister Saad Hariri abgelehnt. Seine Wahl wurde schließlich erst durch eine überraschende Kehrtwende Hariris ermöglicht. Im Gegenzug beauftragte Aoun Hariri, eine neue Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Zwei Monate nach der Präsidentschaftswahl wurde am 19. Dezember 2016 eine neue Regierung vereidigt (GIZ 6/2018).
Im Juni 2017 konnte sich das politische Establishment schließlich auf ein neues Wahlrecht einigen. Dieses sieht unter anderem vor, das Mehrheitswahlrecht durch das Verhältniswahlrecht abzulösen. Hierdurch sollten kleinere Parteien und Wählergruppen gestärkt werden, doch das von den Regierungsparteien außerhalb des Parlaments verhandelte Wahlgesetz enthält zahlreiche Einschränkungen der Verhältniswahl wie beispielsweise eine sehr hohe Einzugshürde bei zehn Prozent.
Positiv ist jedoch, dass die Parteien faktisch gezwungen werden, konfessionsübergreifende Listen zu bilden. Wenn es in einem Wahlkreis die Festlegung gibt, dass hier zwei Sitze für Christen und drei Sitze für Muslime vergeben werden, müssen hier die Parteien eine gemeinsame Liste bilden, um antreten zu dürfen.
Im neuen Wahlgesetz werden Jugendliche unter 21 ausgeschlossen. Auch wurde keine Quote für weibliche Parlamentsabgeordnete eingeführt, obwohl der Libanon eines der Länder mit der niedrigsten Zahl an weiblichen Abgeordneten ist. Der christlich-muslimische Proporz des Parlaments wird durch das Gesetz nicht berührt (GIZ 6/2018).
Am 6. Mai 2018 fanden nach jahrelanger Pattstellung schließlich erstmals seit 2009 erneut Parlamentswahlen statt.
77 Listen mit insgesamt 597 Kandidaten waren für die Wahl um 128 Parlamentssitze in 26 Distrikten registriert. Die Anzahl der weiblichen Kandidaten nahm gegenüber der letzten Wahl auf 86 zu und betrug somit nun 14,4 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag insgesamt bei 49,2 Prozent, nach 53,37 Prozent im Jahr 2009. Die offiziellen Ergebnisse weisen die Sitze wie folgt zu: Future Movement [Anm.: arab. - (al-)Mustaqbal], 21; Free Patriotic Movement, 20; Amal, 17; Libanese Forces, 15; Hisbollah, 12; Progressive Socialist Party, 8; die "Determination (Azem)" Bewegung des ehemaligen Premierministers Mikati, 4; Marada, die Syrian Social Nationalist Party, Kataeb und Tashnaq, jeweils 3 Sitze. Zum ersten Mal gewann ein Kandidat der Zivilgesellschaft einen Sitz durch die Wahlliste "Koulouna Watani" in Beirut. Die Zahl der gewählten Frauen im Parlament stieg von vier auf sechs (UN 13.7.2018; vgl. USDOS 29.5.2018).
Die Hisbollah und ihre politischen Verbündeten (darunter auch das Free Patriotic Movement FPM, eine christliche Partei unter der Führung von Präsident Michel Aoun, die wie 2009 knapp zwanzig Sitze erringen konnte), gewannen somit mit 65 knapp die Hälfte der 128 Sitze im Parlament, während der vom Westen unterstützte sunnitische Premierminister Saad al-Hariri zwar mehr als ein Drittel seiner Sitze verlor, aber mit 21 Parlamentsmitgliedern immer noch Führer des größten politischen Blocks ist. Zu diesem Block gehört auch die christliche, gegen die Hisbollah auftretende anti-syrische Partei "Libanese Forces", die als zweiter großer Sieger bei dieser Wahl ihre Mandate gegenüber der Wahl 2009 beinahe verdoppelte.
Insgesamt betrachtet haben somit die vom Iran unterstützte Hisbollah und ihre politischen Verbündeten bei den Parlamentswahlen etwas an Einfluss gewonnen (RFE 7.5.2018, vgl. ICG 9.6.2018), wenngleich sich an der grundsätzlichen Machtstruktur nichts geändert hat. Der bisherige Premier Hariri wurde trotz der Wahlverluste neuerlich damit beauftragt, eine Regierung zu bilden (GIZ 6/2018, vgl. USDOS 29.5.2018).
Im Libanon leben schätzungsweise zwischen 4,5 und 6,2 Millionen Menschen, je nachdem, inwieweit die große Zahl von Flüchtlingen mitberücksichtigt wird oder nicht (CIA 14.8.2018, vgl. GIZ 6/2018). Neben etwa 450.000 [Anm.: bei der UNRWA registrierten] palästinensischen Flüchtlingen - die Zahl der derzeit tatsächlich im Libanon aufhältigen palästinensischen Flüchtlinge beläuft sich laut einer aktuellen Volkszählung auf 174.422 Personen (Daily Star 21.12.2017) - sind im Libanon laut UNHCR etwa eine Million syrische Flüchtlinge registriert, was mehr als 25% der Wohnbevölkerung des Landes entspricht. Der Libanon beherbergt somit mehr syrische Flüchtlinge als jedes andere Land der Region. Der Krieg in Syrien hat nicht nur durch die große Flüchtlingswelle enorme Auswirkungen auf den Libanon, vielmehr droht der Konflikt das sensible Gefüge der libanesischen Gesellschaft zu zerreißen. Während die Hisbollah und ihre Anhänger den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad unterstützen, sympathisieren die Anhänger des Lagers 14. März mit den syrischen Rebellen, die Assad bekämpfen. Seit Beginn des militärischen Engagements der Hisbollah in Syrien zugunsten des Assad-Regimes hat sich die politische Spaltung des Libanon vertieft und führt zunehmend zu einem gewalttätigen konfessionellen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Gleichzeitig - und obwohl die Hisbollah das Hariri-Bündnis beschuldigt, die radikalen Sunniten zu decken und im Gegenzug das Hariri-Bündnis wiederum die Hisbollah beschuldigt, den Libanon in den Krieg in Syrien hineinzuziehen - bilden beide Kontrahenten derzeit mit anderen politischen Kräften eine zwar konfliktreiche, aber durchaus funktionierende Regierung der nationalen Einheit, die es tatsächlich geschafft hat, ein Überschwappen des Bürgerkrieges aus Syrien zu verhindern (GIZ 6/2018, vgl. AA 1.3.2018).