TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/20 L502 2216549-2

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Veröffentlicht am 20.05.2020
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Entscheidungsdatum

20.05.2020

Norm

BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs5
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L502 2216549-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RAe XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.03.2020, FZ. XXXX , zu Recht erkannt:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) reiste am 17.08.2002 im Rahmen des Familiennachzugs legal in das österreichische Bundesgebiet ein und hielt sich hier seither rechtmäßig auf.

2. Im Gefolge seiner rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung vom XXXX wurde er mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 14.11.2018 zur Abgabe einer Stellungnahme zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot aufgefordert.

3. Am 07.12.2018 brachte er hierzu eine Stellungnahme ein und legte ein Konvolut an Beweismitteln vor.

4. Mit Bescheid des BFA vom 21.02.2019 wurde gegen ihn gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung gewährt (Spruchpunkt II).

5. Gegen den durch Hinterlegung mit Wirksamkeit vom 28.02.2019 zugestellten Bescheid wurde durch den Rechtsvertreter des BF mit 22.03.2019 innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

6. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 13.06.2019 wurde der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

7. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 16.01.2020 wurde dem BF aufgetragen etwaige Änderungen seiner familiären und wirtschaftlichen Situation bekanntzugeben.

8. Die entsprechende Stellungnahme seiner nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertretung langte am 05.02.2020 beim BFA ein. Unter einem legte er mehrere Unterlagen als Beweismittel vor.

9. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 04.03.2020 wurde gegen den BF gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt II). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt III). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 1 FPG wurde gegen ihn ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV).

10. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 04.03.2020 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG von Amts wegen ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

11. Gegen den am 06.03.2020 zugestellten Bescheid des BFA wurde binnen offener Frist durch den Rechtsvertreter des BF Beschwerde erhoben.

12. Die Beschwerdevorlage des BFA langte am 09.04.2020 beim BVwG ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren in der Folge der Gerichtsabteilung L502 zugewiesen.

13. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister sowie dem Zentralen Melderegister (ZMR).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der og. Verfahrensgang steht fest.

1.2. Die Identität des BF steht fest. Er wurde am XXXX in der Türkei geboren und ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste am 17.08.2002 legal in das österr. Bundesgebiet ein, ist seither durchgehend im Bundesgebiet aufhältig und verfügt über einen Aufenthaltstitel für dieses und eine aufrechte Meldeadresse hierorts.

Er ist seit 18.12.2012 mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratet, mit der er zwei minderjährige Kinder hat. Alle seine Familienangehörigen verfügen über einen Daueraufenthaltstitel für das österreichische Bundesgebiet. Er lebt mit seiner Ehegattin und den Kindern im gemeinsamen Haushalt.

Abgesehen davon leben in Österreich noch seine Eltern, drei Brüder, eine Schwester, seine Schwiegerfamilie und mehrere weitere Verwandte.

Er spricht Deutsch, besuchte in Österreich die Schule und verfügt über einen Pflichtschulabschluss. Er hat eine Lehre der Elektrobetriebstechnik begonnen. Ob er diese Lehrausbildung erfolgreich abgeschlossen hat, war nicht feststellbar. Am 13.05.2017 wurde ihm ein Kranführerausweis ausgestellt. Er ist gesund und arbeitsfähig.

1.3. Er war von 01.07.2008 bis 02.07.2008, von 05.07.2008 bis 08.08.2008, von 06.06.2011 bis 01.07.2011, von 21.07.2011 bis 02.09.2011, von 17.10.2011 bis 28.10.2011, von 24.01.2012 bis 23.01.2013, von 09.09.2013 bis 09.07.2013, von 22.07.2013 bis 03.01.2014, von 17.03.2014 bis 23.01.2015, von 23.03.2015 bis 29.01.2016, von 04.04.2016 bis 13.01.2017, von 13.03.2017 bis 09.02.2018, von 21.03.2018 bis 08.02.2019 als Arbeiter bei mehreren Dienstgebern erwerbstätig, wobei die längste Beschäftigungsdauer zwölf Monate betrug. Er ist seit 11.03.2019 bis dato erneut als Arbeiter erwerbstätig. Von 16.11.2011 bis 29.11.2011 war er als geringfügig beschäftigter Arbeiter und von 29.09.2008 bis 21.04.2011 als Arbeiterlehrling erwerbstätig.

Er bezog von 22.04.2011 bis 05.06.2011, von 02.07.2011 bis 20.07.2011, von 03.09.2011 bis 16.10.2011, von 11.12.2011 bis 13.01.2012, von 17.01.2012 bis 23.01.2012, von 24.01.2013 bis 17.05.2013, von 23.05.2013 bis 08.07.2013, von 10.07.2013 bis 21.07.2013, von 04.01.2014 bis 20.02.2014, von 24.02.2014 bis 04.03.2014, von 10.03.2014 bis 10.03.2014, von 24.01.2015 bis 22.03.2015, von 29.02.2016 bis 03.04.2016, von 14.01.2017 bis 12.03.2017, von 10.02.2018 bis 20.03.2018 und von 09.02.2019 bis 10.03.2019 Arbeitslosengeld bzw. Notstands- und Überbrückungshilfe vom Arbeitsmarktservice.

1.4. Er wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX gemäß XXXX zu XXXX , wobei diese zur Gänze unter Verhängung einer XXXX Probezeit bedingt nachgesehen wurde.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde durch Einsichtnahme in den gg. Verfahrensakt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der schriftlichen Stellungnahmen des BF und der von ihm vorgelegten Beweismittel, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes, in die Entscheidung des BVwG im ersten Verfahrensgang und durch die amtswegige Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters, des IZR und des Grundversorgungsdatensystems den BF betreffend.

2.2. Der oben wiedergegebene Verfahrensgang sowie die Feststellungen zur Person des BF, seiner Einreise und seinem Aufenthalt im Bundesgebiet, seinen familiären Verhältnissen im Bundesgebiet, seinen Beschäftigungszeiten sowie seinen strafgerichtlichen Verurteilungen waren im Lichte des vorliegenden Akteninhalts unstrittig.

Nicht feststellbar war hingegen, ob der BF seine begonnene Lehrlingsausbildung auch abgeschlossen hat. Er brachte für den erfolgreichen Abschluss weder Nachweise in Vorlage noch gab er an, dass er eine Lehrabschlussprüfung absolviert habe, sondern führte lediglich aus, dass er die Berufsschule abgeschlossen habe.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde als gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Mit BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingerichtet.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idgF sowie § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Zu A)

1.1. Am 12. September 1963 schlossen die damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Rat der Europäischen Gemeinschaften mit der Türkei ein Abkommen zur Gründung einer Assoziation (Assoziierungsabkommen). Am 23. November 1970 verabschiedeten die Vertragsparteien das "Zusatzprotokoll zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation" (im Folgenden: ZP), das am 1. Januar 1973 in Kraft trat. In weiterer Folge wurde am 19.09.1980 durch den Assoziationsrat (dem durch das ZP Normsetzungskompetenz übertragen wurde) der Beschluss Nr. 1/80 über die Entwicklung der Assoziation (kurz: ARB 1/80) gefasst, welcher den vorangegangenen Beschluss Nr. 2/76 weitgehend ablöste.

In Art. 6 ARB 1/80 werden die Rechte türkischer Staatsangehöriger geregelt, welche je nach Beschäftigungsdauer in Österreich bestimmte Ansprüche im Hinblick auf ihre Weiterbeschäftigung und letztlich ihren Aufenthalt ableiten können.

Art 6 Abs. 1 ARB 1/80 lautet:

Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

Art 6 Abs. 2 ARB 1/80 lautet:

Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

Gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gilt dieser Abschnitt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.

1.2. In Anbetracht der festgestellten Erwerbstätigkeit des BF im Bundesgebiet hat dieser die in Art. 6 ARB 1/80 vorgesehene Rechtstellung erworben.

Sind Rechte aus dem ARB 1/80 erst einmal entstanden, kann ein türkischer Staatsangehöriger sie (nur) unter zwei Voraussetzungen wieder verlieren. Entweder er verlässt den Aufnahmemitgliedstaat ohne berechtigte Gründe für einen nicht unerheblichen Zeitraum oder er stellt wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit gemäß Artikel 14 dar (VwGH 28. Februar 2006, 2002/21/0130; sowie VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).

1.3. In seinem Erkenntnis vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, führte der VwGH unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung (vgl. insb. VwGH 27.6.2006, ZI. 2006/18/0138 und VwGH 26.09.2007, ZI. 2007/21/0215) zunächst aus, dass der Europäische Gerichtshof für die Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung ausgeführt hat, dass darauf abzustellen sei, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind, ausgelegt wird; Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 setze den zuständigen nationalen Behörden Grenzen, die denen entsprechen, die für eine gegenüber einem Angehörigen eines Mitgliedstaats getroffene Ausweisungsentscheidung gelten (EuGH 10.2.2000, Nazli, C-340/97, Rn. 56 ff, sowie EuGH 11.11.2004, Cetinkaya, C-467/02, Rn. 43 ff). Im Hinblick auf die somit in Bezug auf die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen angeordnete Gleichbehandlung von ARB-berechtigten türkischen Staatsangehörigen einerseits und - im Ergebnis - EWR-Bürgern andererseits folgerte der VwGH für das FPG in der Stammfassung, dass solche Maßnahmen gegen ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige nur nach Maßgabe des § 86 Abs. 1 FPG, mit dem die Unionsbürger-RL umgesetzt wurde und der demnach umschrieb unter welchen Voraussetzungen (insbesondere) gegen EWR-Bürger ein Aufenthaltsverbot erlassen werden könne, in Betracht kämen und maß die Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes gegen diese Personen an den Kriterien dieser Bestimmung (siehe etwa VwGH 27.06.2006, ZI. 2006/18/0138).

Im Weiteren legte der VwGH dar:

"Dass in Bezug auf den Umfang der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung darauf abzustellen ist, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgelegt wird, hat der Europäische Gerichtshof auch in seiner jüngeren Judikatur zum Ausdruck gebracht (vgl. EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, Rn. 67). Im eben genannten Urteil wurde aber erkannt, dass der erhöhte Ausweisungsschutz, wie er in Art. 28 Abs. 3 lit. a der Unionsbürger-RL festgelegt ist (umgesetzt ursprünglich durch § 86 Abs.1 fünfter Satz FPG, jetzt durch § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG), nicht auch auf Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu übertragen sei (Rn. 74).

Demgegenüber sei - gemäß den Rn. 79 ff des genannten Urteils Ziebell - für ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige, die sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedsstaat aufhalten, Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG (Daueraufenthalts-RL) maßgeblich, sodass es darauf ankomme, ob der Betreffende eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt" (VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009)."

Aus diesen Ausführungen leitete der VwGH ab, dass seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige nur nach Maßgabe jener Norm in Frage komme, die Aufenthaltsverbote gegen EWR-Bürger regelt, sohin in Form eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG idgF, nicht mehr aufrechterhalten werden könne.

Infolge der Novelle des FPG durch das FrÄG 2011 sie es vielmehr zu einer grundsätzlichen Neuordnung des Systems aufenthaltsbeendender Maßnahmen gekommen, der zufolge in Umsetzung der Rückführungs-RL die neuen Institute der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots in das nationale Recht eingeführt wurden. Schließlich sei dieses neue System mit dem FNG-Anpassungsgesetz (BGBl I 68/2013) weiter verändert worden, weshalb mit Wirksamkeit vom 01.01.2014 die Rechtsinstitute der Ausweisung und des Aufenthaltsverbotes nach den §§ 66 und 67 FPG idgF ausschließlich gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige in Betracht kämen. Für alle sonstigen Drittstaatsangehörigen komme hingegen nur mehr eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, allenfalls in Verbindung mit einem Einreiseverbot gemäß § 53 FPG, als aufenthaltsbeendende Maßnahme in Betracht.

Daran anknüpfend hielt der Verwaltungsgerichtshof erstmals fest, dass türkische Staatsangehörige mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 "sonstige" Drittstaatsangehörige darstellen und daher dem Wortlaut des § 52 FPG folgend dem Anwendungsbereich dieser Bestimmung unterliegen.

Erläuternd führte der VwGH aus: "Vor allem aber ist zu bedenken, dass türkische Staatsangehörige, gegen die in Einklang mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, zu illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen werden, denen daher nach der Rückführungs-RL im Wege einer Rückkehrentscheidung eine Rückkehrverpflichtung in ihr Herkunftsland, ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder in ein anderes Drittland, in das sie freiwillig zurückkehren wollen und in dem sie aufgenommen werden, aufzuerlegen ist (Art. 6 Abs. 1 und 6 iVm Art. 3 Z 3 und 4 Rückführungs-RL). Das wird im österreichischen Rechtsbereich (seit 1. Jänner 2014 zur Gänze) nur mehr durch die Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG umgesetzt, die nach dem 8. Absatz dieser Bestimmung den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde, verpflichtet. Demgegenüber verpflichten Ausweisungen nach § 66 FPG und Aufenthaltsverbote nach § 67 FPG nur zur Ausreise aus Österreich (siehe § 70 Abs. 1 FPG)" (VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).

1.4. Aus diesen Ausführungen des VwGH ergibt sich nunmehr, dass gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, anders als nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung, allenfalls samt Einreiseverbot, zu erlassen ist.

2.1. § 52 FPG idgF lautet:

(1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

1a. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.

§ 9 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.

Art. 8 EMRK lautet:

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

§ 55 FPG lautet:

(1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.

(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.

2.2. Im gg. Fall stützte die belangte Behörde die Erlassung der Rückkehrentscheidung in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf § 52 Abs. 5 FPG und führte hierzu aus, dass der BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle und Art 8 EMRK der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn nicht entgegenstehe.

2.3. Wie oben dargelegt wurde, hat der BF Rechte aus Art 6 ARB 1/80 erworben und verfügt über einen Daueraufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU", weshalb eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 5 FPG voraussetzt, dass die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass von ihm eine gegenwärtige und hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgeht.

Schon die Erlassung einer Rückkehrentscheidung an sich gegen den BF setzt sohin eine Gefährdungsprognose voraus, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt, oder wie sich aus der Rechtssache Ziebell (C-371/08, vom 08.12.2011) des EuGH ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht, sohin, dass von ihm eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit ausgeht (vgl. VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).

Hierzu hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom 21.06.2018, Ra 2016/22/0101 festgehalten:

Gemäß § 52 Abs. 5 FrPolG 2005 ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen bestimmte Drittstaatsangehörige nur dann zulässig, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FrPolG 2005 die Annahme rechtfertigen, dass der weitere Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden (vgl. VwGH 22.3.2018, Ra 2017/22/0194). Dabei ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit) gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289). Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109; 31.8.2017, Ra 2017/21/0120).

Zudem ist bei der Gefährdungsprognose - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des BF - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist. Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen (vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/18/0203 mit Hinweis auf VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002).

Hinsichtlich des - hier maßgeblichen - § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0049 festgehalten:

Wird der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 1 FrPolG 2005 (idF FrÄG 2017), der auf die gerichtliche Verurteilung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe "von mindestens sechs Monaten" abstellt, gerade noch mit einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten erfüllt, so reicht dies für sich genommen nicht zur Annahme einer schwerwiegenden Gefahr iSd letzten Halbsatzes des § 66 Abs. 1 FrPolG 2005 aus. Liegen die Straftaten des (bis dahin unbescholtenen) Fremden bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses mehr als sechs bzw. fünf Jahre zurück, wobei sich der Fremde seither wohlverhalten hat, ist die Annahme einer - erhöhten (siehe zu den abgestuften Gefährdungsmaßstäben etwa VwGH 26.1.2017, Ra 2016/21/0370) - Gefährdung iSd § 66 Abs. 1 letzter Halbsatz FrPolG 2005 keinesfalls gerechtfertigt.

Allerdings kann nach der hg. Rechtsprechung auch aus einem einmaligen Fehlverhalten - entsprechende Gravidität vorausgesetzt - eine maßgebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit abgeleitet werden. Im Hinblick darauf ist die Verhängung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes, auch gegen langjährig rechtmäßig in Österreich aufhältige Fremde, gegebenenfalls nicht zu beanstanden (vgl. VwGH 03.07.2018, Ra 2018/21/0099 mit Hinweis auf VwGH 29.6.2017, Ra 2016/21/0338; VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0021).

Die fremdenpolizeiliche Beurteilung ist unabhängig und eigenständig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Es obliegt dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Es geht bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119). Selbiges gilt auch für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot.

Ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters ist der ständigen Judikatur des VwGH zufolge grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug der Freiheitsstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. VwGH vom 25.01.2018, Ra. 2018/21/0004 sowie VwGH vom 19. April 2012, Zl. 2010/21/0507, und vom 25. April 2013, Zl. 2013/18/0056, jeweils mwN).

Das gilt auch im Fall einer (erfolgreich) absolvierten Therapie (VwGH vom 26.01.2017, Zl. Ra 2016/21/0233 - vgl. E 22. September 2011, 2009/18/0147; B 22. Mai 2014, Ro 2014/21/0007; B 15. September 2016, Ra 2016/21/0262).

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Entscheidung nur nach Einzelfallbeurteilung erfolgen kann, weshalb insoweit die abstrakte allgemeine Festlegung eines Wohlverhaltenszeitraumes nicht in Betracht kommt. Dass es aber grundsätzlich eines Zeitraums des Wohlverhaltens - regelmäßig in Freiheit - bedarf, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, was grundsätzlich Voraussetzung für die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes ist, kann nicht mit Erfolg in Zweifel gezogen werden (VwGH vom 17.11.2016, Ra 2016/21/0193; vgl. auch VwGH vom 22. Jänner 2013, 2012/18/0185 und vom 22. Mai 2013, 2013/18/0041); ebenso wenig, dass dieser Zeitraum üblicherweise umso länger anzusetzen sein wird, je nachdrücklicher sich die für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Gefährlichkeit manifestiert hat (VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0009; 28.01.2016, Ra 20015/21/0013). Wenn sich die Gefährdung über einen - beginnend mit der Haftentlassung - Zeitraum von mehr als 8 Jahren nicht erfüllt, kann die diesem Aufenthaltsverbot zugrundeliegende Zukunftsprognose grundsätzlich nicht mehr aufrechterhalten werden (vgl. VwGH vom 09.09.2013, 2013/22/0117). Auch diese Ausführungen lassen sich auf eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot übertragen.

2.4.1. In seiner Stellungnahme im ersten Verfahrensgang brachte der BF im Wesentlichen vor, dass er sich seit 2002 ununterbrochen legal in Österreich aufhalte. Er habe hierorts seine schulische und berufliche Ausbildung absolviert und habe hier zahlreiche Familienangehörige. Er lebe derzeit mit seiner Ehegattin und seinen beiden Kindern im gemeinsamen Haushalt und sei erwerbstätig. Sein Lebensmittelpunkt befinde sich in Österreich, hingegen habe er zur Türkei keine Beziehung. Er begehre daher die Einstellung des gegen ihn geführten Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.

In der jüngsten Stellungnahme vom 31.01.2020 verwies er im Wesentlichen auf die nach wie vor bestehenden familiären Anknüpfungspunkte und seine Erwerbstätigkeit. Durch das erwirtschaftete Einkommen würde er den Lebensunterhalt für sich und seine Familie absichern. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass er sich seit dem abgeurteilten Vorfall wohlverhalten habe und sohin keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit von ihm ausgehe.

Im bekämpften Bescheid führte die belangte Behörde aus, dass sein Verhalten eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bewirke. Seine Verurteilung zeuge von einer erheblichen Gewaltbereitschaft und Gefährlichkeit. Er habe im Zusammenwirken mit zwei Mittätern eine Person absichtlich schwer verletzt. Die besondere Gefährlichkeit resultiere aus der hohen Gewaltanwendung gegenüber dem Opfer und dem Zusammenwirken mit anderen Tätern. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis sich sein Verhalten erneut in einer Verletzung eines unbeteiligten Dritten manifestiere.

Dem wurde in der Beschwerde, neben dem Verweis auf die stark ausgeprägten familiären und privaten Interessen des BF, entgegengehalten, dass es sich um seine erste strafgerichtliche Verurteilung handle und die verhängte Freiheitsstrafe zur Gänze bedingt nachgesehen worden sei. Er habe sich seit dem Vorfall vor beinahe zweieinhalb Jahren nichts mehr zuschulden kommen lassen und bedauere den Vorfall zutiefst. Es handle sich auch um einen einmaligen Vorfall, als bei einer Verhandlung vor Gericht ein Streit eskaliert sei. Die Gewalttätigkeit sei nicht ihm selbst vorgeworfen worden. Von einer Wiederholungsgefahr könne zudem nicht ausgegangen werden, weil er weder davor noch danach straffällig geworden sei. Insgesamt sei durch das einmalige Fehlverhalten keinesfalls von einer gegenwärtigen, hinreichend schweren Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auszugehen.

2.4.2. Der BF wurde unstrittiger Weise am XXXX rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt. Diese Verurteilung hatte eine XXXX zur Folge, weshalb der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG durch diese Verurteilung erfüllt war, was nach der hg. Rechtsprechung das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit indizierte (vgl. VwGH 24.05.2018, Ra 2017/19/0311).

Dem Standpunkt des BFA, das auf die brutale Vorgehensweise des unmittelbaren Täters iZm mit dem der Verurteilung (auch) des BF zugrundeliegenden Delikt hinwies, war jedoch zu entgegnen, dass diese eben vorrangig vom Bruder des BF als unmittelbarem Täter ausging. Der Tatbeitrag des BF hingegen bestand aus dem XXXX , was es dem unmittelbaren Täter ermöglichte, dessen Verletzung XXXX herbeizuführen. Folglich wurde der BF entgegen den Ausführungen der belangten Behörde nicht als Mittäter, sondern als Beitragstäter iSd XXXX verurteilt. Auch wurde er nicht wegen absichtlich schwerer Körperverletzung, sondern gemäß § 84 Abs. 4 StGB verurteilt.

Nun ist der belangten Behörde zwar grundsätzlich beizupflichten, dass auch in Anbetracht der konkreten Tatumstände von einer nicht von der Hand zu weisenden kriminellen Energie und einer gewissen Gewaltbereitschaft des BF ausgegangen werden konnte, allerdings war diese nicht derart ausgeprägt wie beim unmittelbaren Täter, der noch dazu einschlägig vorbestraft war. Der BF selbst trug zwar durch eigene Anwendung körperlicher Gewalt dazu bei, dass das Opfer eine schwere Körperverletzung erlitt, allerdings fügte er diese seinem Opfer nicht selbst zu. Zwar resultiert auch aus dieser Gewaltausübung grundsätzlich eine gewisse Gefahr für die öffentliche Sicherheit, allerdings kann alleine aus diesem Verhalten noch nicht auf eine nachhaltige und hinreichend schwere Gefahr für die körperliche Integrität anderer geschlossen werden. Immerhin war der BF vor dieser Tat strafgerichtlich gänzlich unbescholten und führte von 2002 bis 2017 sowie seit der strafgerichtlichen Verurteilung einen ordentlichen Lebenswandel. Diesen Umstand berücksichtigte auch das Strafgericht bei der Strafbemessung mildernd, weshalb gegen ihn auch eine vergleichsweise geringe Strafe verhängt wurde, zumal der Strafrahmen des § 84 Abs. 4 StGB bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe umfasst.

Für das BVwG erhellte zudem nicht, wie die belangte Behörde angesichts der vorherigen Unbescholtenheit zur Auffassung gelangte, dass es beim BF nur eine Frage der Zeit sei, bis sich sein Verhalten erneut in einer Verletzung eines unbeteiligten Dritten manifestiere, zumal dies eben seine erste Straftat war. Der Umstand, dass die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe zur Gänze bedingt nachgesehen wurde, ließ darauf schließen, dass auch das Strafgericht nicht davon ausging, dass es des Haftübels bedarf, um den BF künftig von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten.

Zwar liegt die strafgerichtliche Verurteilung erst etwa ein Jahr und acht Monate zurück, allerdings stellte sich sein Verhalten, was das Ausmaß der angewandten Gewalt betrifft, nicht so gravierend dar wie jenes des unmittelbaren Täters, weshalb trotz des insoweit relativ kurzen Zeitraums des Wohlverhaltens gerade wegen seines bis zur Verurteilung ordentlichen Lebenswandels keine akute Wiederholungsgefahr anzunehmen war. Abgesehen davon nutzte der BF die Zeit nach seiner Verurteilung um weiterhin einer Erwerbstätigkeit als Arbeiter nachzugehen. Insoweit war der für eine positive Zukunftsprognose erforderliche Zeitraum des Wohlverhaltens im Falle des BF entsprechend kürzer zu veranschlagen, zumal der Zeitraum des notwendigen Wohlverhaltens umso länger anzusetzen ist, je nachdrücklicher sich die für die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme maßgebliche Gefährlichkeit manifestiert hat (vgl. etwa zum Aufenthaltsverbot VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0009; 28.01.2016, Ra 20015/21/0013).

Insgesamt ließ das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild des BF daher nicht den Schluss zu, dass der BF durch sein künftiges Verhalten im Falle des Weiterverbleibes im österreichischen Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit im erforderlichen Ausmaß gefährden werde.

2.4.3. Vor dem rechtlichen Hintergrund, dass das persönliche Verhalten des BF "eine tatsächliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit" gemäß Artikel 14 ARB 1/80 darzustellen hat, damit gegen ihn als begünstigten Drittstaatsangehörigen gemäß § 52 Abs. 5 iVm § 53 Abs. 3 eine Rückkehrentscheidung erlassen werden kann, fanden sich sohin keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das bisherige Verhalten des BF diesen Kriterien entspricht.

2.5.1. Überdies war zu bedenken, ob bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegt.

Das Recht auf Achtung des Familienlebens iSd Art 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR Kroon, VfGH 28.06.2003, G 78/00).

Wie der Verfassungsgerichtshof in zwei Erkenntnissen vom 29.09.2007, Zl. B 328/07 und Zl. B 1150/07, dargelegt hat, sind die Behörden stets dazu verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegen die persönlichen Interessen des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich am Maßstab des Art. 8 EMRK abzuwägen, wenn sie eine Ausweisung verfügt. In den zitierten Entscheidungen wurden vom VfGH auch unterschiedliche - in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) fallbezogen entwickelte - Kriterien aufgezeigt, die in jedem Einzelfall bei Vornahme einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht:

die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft wird (EGMR 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 16.09.2004, Ghiban, Zl. 11103/03, NVwZ 2005, 1046),

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80, 9473/81, 9474/81, EuGRZ 1985, 567; 20.06.2002, Al-Nashif, Zl. 50963/99, ÖJZ 2003, 344; 22.04.1997, X, Y und Z, Zl. 21830/93, ÖJZ 1998, 271) und dessen Intensität (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00),

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (vgl. EGMR 04.10.2001, Adam, Zl. 43359/98, EuGRZ 2002, 582; 09.10.2003, Slivenko, Zl. 48321/99, EuGRZ 2006, 560; 16.06.2005, Sisojeva, Zl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554; vgl. auch VwGH 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124; 11.10.2005, Zl. 2002/21/0124),

die Bindungen zum Heimatstaat,

die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (vgl. zB EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 11.04.2006, Useinov, Zl. 61292/00), sowie

auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR 24.11.1998, Mitchell, Zl. 40447/98; 05.09.2000, Solomon, Zl. 44328/98; 31.01.2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer, Zl. 50435/99, ÖJZ 2006, 738 = EuGRZ 2006, 562; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind die Staaten im Hinblick auf das internationale Recht und ihre vertraglichen Verpflichtungen befugt, die Einreise, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden zu überwachen (EGMR 28.05.1985, Abdulaziz ua., Zl. 9214/80 ua, EuGRZ 1985, 567; 21.10.1997, Boujlifa, Zl. 25404/94; 18.10.2006, Üner, Zl. 46410/99; 23.06.2008 [GK], Maslov, 1638/03; 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07). Die EMRK garantiert Ausländern kein Recht auf Einreise, Aufenthalt und Einbürgerung in einem bestimmten Staat (EGMR 02.08.2001, Boultif, Zl. 54273/00).

In Ergänzung dazu verleiht weder die EMRK noch ihre Protokolle das Recht auf politisches Asyl (EGMR 30.10.1991, Vilvarajah ua., Zl. 13163/87 ua.; 17.12.1996, Ahmed, Zl. 25964/94; 28.02.2008 [GK] Saadi, Zl. 37201/06).

Hinsichtlich der Rechtfertigung eines Eingriffs in die nach Art. 8 EMRK garantierten Rechte muss der Staat ein Gleichgewicht zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen der Gesellschaft schaffen, wobei er in beiden Fällen einen gewissen Ermessensspielraum hat. Art. 8 EMRK begründet keine generelle Verpflichtung für den Staat, Einwanderer in seinem Territorium zu akzeptieren und Familienzusammenführungen zuzulassen. Jedoch hängt in Fällen, die sowohl Familienleben als auch Einwanderung betreffen, die staatliche Verpflichtung, Familienangehörigen von ihm Staat Ansässigen Aufenthalt zu gewähren, von der jeweiligen Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse ab. Von Bedeutung sind dabei das Ausmaß des Eingriffs in das Familienleben, der Umfang der Beziehungen zum Konventionsstaat, weiters ob im Ursprungsstaat unüberwindbare Hindernisse für das Familienleben bestehen, sowie ob Gründe der Einwanderungskontrolle oder Erwägungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung für eine Ausweisung sprechen. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10).

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen beeinträchtigt das Recht auf Privatsphäre eines Fremden dann in einem Maße, der sie als Eingriff erscheinen lässt, wenn über jemanden eine Ausweisung verhängt werden soll, der lange in einem Land lebt, eine Berufsausbildung absolviert, arbeitet und soziale Bindungen eingeht, ein Privatleben begründet, welches das Recht umfasst, Beziehungen zu anderen Menschen einschließlich solcher beruflicher und geschäftlicher Art zu begründen (vgl. Wiederin in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg., 2002, Rz 52 zu Art 8 EMRK).

Nach der Rechtssprechung des EGMR (vgl. aktuell SISOJEVA u.a. gg. Lettland, 16.06.2005, Bsw. Nr. 60.654/00) garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (zB. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht (wie im Fall SISOJEVA u.a. gg. Lettland) oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. dazu BAGHLI gg. Frankreich, 30.11.1999, Bsw. Nr. 34374/97; ebenso die Rsp. des Verfassungsgerichtshofes; vgl. dazu VfSlg 10.737/1985; VfSlg 13.660/1993).

2.5.2. Der BF ist verheiratet und hat mit seiner Ehegattin zwei gemeinsame minderjährige Kinder. Er lebt mit diesen Angehörigen in einem gemeinsamen Haushalt und kommt durch seine Erwerbstätigkeit für deren Lebensunterhalt in Österreich auf. Es besteht daher insofern ein iSd Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben.

2.5.3. Beachtlich war noch das in Österreich bestehende Privatleben des BF. Er reiste im August 2002 im Wege der Familienzusammenführung im Alter von elf Jahren legal in das österreichische Bundesgebiet ein und hielt sich seither hier auf. Es war sohin von seiner sozialen Vernetzung in Österreich auszugehen, nicht zuletzt spricht er sehr gut Deutsch. Er hat in Österreich die Schule besucht und verfügt über einen Pflichtschulabschluss. Danach hat er eine Berufsschule abgeschlossen und war mehrfach für mehrere Monate erwerbstätig, wobei die längste durchgehende Anstellung etwa zwölf Monate andauerte. Wenngleich er auch in jüngerer Vergangenheit jeweils für mehrere Monate erwerbslos und damit von staatlicher Unterstützung abhängig war, geht er seit Dezember 2019 erneut einer Erwerbstätigkeit nach. Es konnte daher auch von seiner beruflichen Integration ausgegangen werden, auch soweit er in der Beschwerde aufzeigte, dass es sich bei seiner Erwerbstätigkeit um eine saisonale Tätigkeit handelt, was die wiederkehrenden mehrmonatigen Zeiträume der Erwerbslosigkeit seit 2013 erklärt.

In Anbetracht der obenstehenden Erwägungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen erfuhren diese Integrationsaspekte und nicht zuletzt auch das Gewicht seiner hiesigen familiären Anknüpfungspunkte zwar eine gewisse Relativierung, zumal ihn auch seine familiären Beziehungen im Bundesgebiet nicht von der Straffälligkeit abgehalten hatten. Allerdings stellt sich die von ihm ausgehende Gefahr nicht derart gravierend dar, dass das erhöhte öffentliche Interesse an der Hintanhaltung von strafbarem Verhalten die umfassenden familiären und privaten Interessen des BF im Bundesgebiet überwiegen würde. Dies nicht zuletzt deshalb, weil aus aktueller Sicht keine hinreichende Gefahr der künftigen Begehung weiterer Straftaten anzunehmen war und auch das seiner Verurteilung zugrundeliegende Verhalten nicht jene Gravidität erreichte, die zu einem anderslautenden Ergebnis geführt hätte.

Die vom BFA vorgenommene Interessensabwägung zu Lasten des BF stellte daher einen unverhältnismäßigen Eingriff in seine Rechte nach Art 8 EMRK dar. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit der eingangs angeführten hg. Rechtsprechung, zumal sogar das BFA selbst im angefochtenen Bescheid einräumte, dass die behördliche Entscheidung in diesem Fall "entgegen der überwiegenden Rechtsprechung getroffen wurde".

2.6. In einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Aspekte war sohin die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den BF gemäß § 52 Abs. 5 FPG rechtswidrig.

2.7. In Erledigung der Beschwerde war Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides daher zu beheben.

2.8. Folgerichtig waren auch die Spruchpunkte II bis IV des angefochtenen Bescheides zu beheben.

3. Gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG kann eine mündliche Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwan

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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