TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/29 W155 2177005-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.05.2020
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Entscheidungsdatum

29.05.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W155 2177005-1/20E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KRASA über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.11.2019, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), Staatsangehöriger der islamischen Republik Afghanistan, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 17.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am Tag der Antragstellung gab der BF an, am XXXX geboren zu sein und in XXXX die Grundschule besucht und in der Landwirtschaft seiner Familie gearbeitet zu haben. Zum Fluchtgrund führte er im Wesentlichen aus, dass in seinem Heimatdorf immer wieder Unruhen und Krieg geherrscht hätten. Sein Vater habe als Polizist und nebenbei in der Landwirtschaft und seine Mutter als Lehrerin gearbeitet, sie wären immer von den Taliban bedroht worden. Die Taliban hätten den Umgang mit Maschinengewehren und den islamischen Gesetzen (bzw. talibanischen Gesetzen) erzwingen wollen. Er habe sich unsicher gefühlt uns sei geflüchtet. Die Taliban würden ihn im Falle seiner Rückkehr töten.

Im Rahmen einer medizinischen Altersfeststellung wurde ein fiktives Geburtsdatum mit „ XXXX “ errechnet.

Vom 24.11.2016 bis 15.05.2017 wurde dem BF vom AMS XXXX eine Beschäftigungsbewilligung als Küchengehilfe erteilt.

Am 11.08.2017 erfolgte die Einvernahme des BF im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) zum Ablauf und Finanzierung der Flucht und zu den Familien- und Lebensverhältnissen. Der BF wiederholte seine bisherigen Angaben und führte ergänzend aus, dass er aus dem Dorf XXXX , Provinz XXXX stamme, der Volksgruppe der Hazara angehöre und schiitischer Moslem sei. Seine Eltern und seine beiden Brüder seien vor ca. 7 Monaten aus Afghanistan geflüchtet und würden sich in der Türkei aufhalten ( XXXX ). Es sei eine Wiedervereinigung der Familie in Österreich gewollt. In Afghanistan, lebe noch eine Tante vs, ein Onkel ms hielte sich in Norwegen auf. Zu seiner Familie habe er regelmäßigen Kontakt. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte er zusammengefasst aus, dass seine Eltern auf Grund ihrer Berufe (Polizist, Lehrerin) von den Taliban bedroht worden wären und daher der BF im Visier der Taliban gestanden se. Er wäre mit Sicherheit entführt worden. Er habe nicht gegen die Regierung kämpfen wollen, daher habe sein Vater seine Ausreise beschlossen. Auch sein Vater habe mit der restlichen Familie aus Angst vor den Taliban das Land verlassen. Die Polizei habe das Vorhaben der Taliban, die Schule, in der seine Mutter unterrichtet habe, in Brand zu setzen, verhindern können. Eine konkrete persönliche Bedrohung des BF durch die Taliban sei nicht erfolgt. Zu seinen sozialen Kontakten in Österreich befragt, gab der BF an, dass er auch Kirchen besuche, um zu sehen, wie die Leute beten und damit er „so die österreichische Gesellschaft verstehen“ könne. Außerdem betreibe er Sport mit österreichischen Freunden.

Mit angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status als Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Sie erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung fest (Spruchpunkt III). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV).

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde die unzureichende Auseinandersetzung der belangten Behörde mit dem Vorbringen des BF und eine nicht nachvollziehbare Beweiswürdigung moniert. Es sei zumindest der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.

In einer Beschwerdeergänzung vom 05.11.2019 gab der BF bekannt, zum Christentum konvertiert zu sein und legte einen Taufschein vor, die Taufe und zugleich Firmung fand am 20.04.2019 statt. Außerdem legte er das ÖSD Zertifikat A1 vom Oktober 2019 sowie eine Schulbesuchsbestätigung der HAK XXXX vor (Übergangsstufe für Flüchtlinge).

Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) führte am 08.11.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF und sein Rechtsberater teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung. Der BF wurde im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari u.a. zu seinem gesundheitlichen Befinden, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen persönlichen Verhältnissen und seinem Leben in Afghanistan, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen sowie zur Konversion und seinem Leben in Österreich ausführlich befragt.

Als Beilagen zum Protokoll der mündlichen Verhandlung wurden ein Empfehlungsschreiben der Taufeltern vorgelegt sowie ein Bestätigungsschreiben des Taufspenders.

Die Befragung des Taufspenders XXXX als Zeuge erfolgte am 09.12.2019 im Beisein des bevollmächtigten Vertreters des BF.

Mit Schreiben vom 28.04.2020 nahm die belangte Behörde Stellung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

?        Einsicht in den den BF betreffenden und dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt der belangten Behörde, insbesondere in die Befragungsprotokolle;

?        Befragung des BF im Rahmen der öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 09.12.2019;

?        Einsicht in die in das Verfahren eingeführte Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat (Fassung 13.11.2019) und in die vom BF vorgelegten Unterlagen;

?        Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

Zur Person des Beschwerdeführers und zum Nachfluchtgrund:

Der BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Der BF lebte bis zu seiner Ausreise in seinem Heimatdorf in der Provinz XXXX . Er besuchte die Grundschule und hat in der Landwirtschaft seiner Eltern gearbeitet.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder oder andere Sorgepflichten.

Der BF entstammt einer schiitisch-muslimischen Familie, hat sich jedoch vom Islam abgewandt und ist zum Christentum konvertiert.

Der BF ist getauft und gefirmt.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

Zur Situation in Afghanistan (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 04.06.2019 – Anm.: die Quellenangaben finden sich in den Länderberichten selbst):

Sicherheitslage:

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil.

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung – USBV) und andere Arten von Vorfällen.

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben.

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung.

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheits-operationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren.

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten „high-profile“-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen.
Rekrutierung durch die Taliban:

Menschen schließen sich den Taliban zum einen aus materiellen und wirtschaftlichen Gründen zum anderen aus kulturellen und religiösen Gründen an. Die Rekruten sind durch Armut, fehlende Chancen und die Tatsache, dass die Taliban relativ gute Löhne bieten, motiviert. Es spielt auch die Vorstellung, dass die Behörden und die internationale Gemeinschaft den Islam und die traditionellen Standards nicht respektieren würden, eine zentrale Rolle, wobei sich die Motive überschneiden. Bei Elitetruppen sind beide Parameter stark ausgeprägt. Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junger Männer, deren Motiv der Wunsch nach Rache, Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind. Aus Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlenden Zukunftsperspektiven schließen sich viele den Taliban an. Die Billigung der Taliban in der Bevölkerung ist nicht durch religiöse Radikalisierung bedingt, sondern Ausdruck der Unzufriedenheit über Korruption und Misswirtschaft.

Die Taliban sind aktiver als bisher bemüht Personen mit militärischem Hintergrund sowie mit militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Die Taliban versuchen daher das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte auf ihre Seite zu ziehen. Da ein Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrungen gelegt wird, ist mit einem Anstieg des Durchschnittsalters zu rechnen. Durch das Anwerben von Personen mit militärischem Hintergrund bzw. von Mitgliedern der Sicherheitskräfte erhalten Taliban Waffen, Uniformen und Wissen über die Sicherheitskräfte. Auch Personen die über Knowhow und Qualifikationen verfügen (z.B. Reparatur von Waffen), können von Interesse für die Taliban sein.

Die Mehrheit der Taliban sind Paschtunen. Die Rekrutierung aus anderen ethnischen Gruppen ist weniger üblich. Um eine breitere Außenwirkung zu bekommen, möchte die Talibanführung eine stärkere multiethnische Bewegung entwickeln. Die Zahl der mobilisierten Hazara ist unerheblich, nur wenige Kommandanten der Hazara sind mit Taliban verbündet. Es ist für die Taliban wichtig sich auf die Rekruten verlassen zu können.

Die Taliban waren mit ihrer Expansion noch nicht genötigt Zwangsmaßnahmen zur Rekrutierung anzuwenden. Zwangsrekrutierung ist noch kein herausragendes Merkmal für den Konflikt. Die Taliban bedienen sich nur sehr vereinzelt der Zwangsrekrutierung, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen. Die Taliban betreiben eine Zwangsrekrutierung nicht automatisch. Personen die sich gegen die Rekrutierung wehren, werden keine rechtsverletzenden Sanktionen angedroht. Eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis steht auch den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen. Es kommt nur in Ausnahmefällen und nur in sehr beschränktem Ausmaß zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Zudem ist es schwierig einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen. Die Mehrheit der Taliban sind Paschtunen. Die Rekrutierung aus anderen ethnischen Gruppen ist weniger üblich. Um eine breitere Außenwirkung zu bekommen, möchte die Talibanführung eine stärkere multiethnische Bewegung entwickeln. Die Zahl der mobilisierten Hazara ist unerheblich, nur wenige Kommandanten der Hazara sind mit Taliban verbündet. Es ist für die Taliban wichtig sich auf die Rekruten verlassen zu können.

Die Taliban waren mit ihrer Expansion noch nicht genötigt Zwangsmaßnahmen zur Rekrutierung anzuwenden. Zwangsrekrutierung ist noch kein herausragendes Merkmal für den Konflikt. Die Taliban bedienen sich nur sehr vereinzelt der Zwangsrekrutierung, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen. Die Taliban betreiben eine Zwangsrekrutierung nicht automatisch. Personen die sich gegen die Rekrutierung wehren, werden keine rechtsverletzenden Sanktionen angedroht. Eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis steht auch den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen. Es kommt nur in Ausnahmefällen und nur in sehr beschränktem Ausmaß zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Zudem ist es schwierig einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen.
Ghazni:

Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl, die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird.

Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv. In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen.

Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt. Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv. Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein. Basierend auf geheimdienstlichen Informationen, bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei. Für den Zeitraum 1.1.15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet - insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert.
Wirtschaft:

Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu.

Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Sogar für gut ausgebildete und gut qualifizierte Personen ist es schwierig ohne ein Netzwerk einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man nicht empfohlen wird oder dem Arbeitgeber nicht vorgestellt wird. Vetternwirtschaft ist gang und gebe. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018)

In Kabul und in großen Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten. Dies ist billiger als eine Wohnung zu mieten. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018).
Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück.

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können. IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben – alle Leistungen sind kostenfrei. Diejenigen, die es benötigen und in abgelegene Provinzen zurückkehren, erhalten bis zu fünf Skype-Sitzungen von IPSO. Für psychologische Unterstützung könnte auch ein Krankenhaus aufgesucht werden; möglicherweise mangelt es diesen aber an Kapazitäten.

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile „universell“ geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen. Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.
Religionsfreiheit:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben.

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung – die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) -religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischenden involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018). Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtssprechungnter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018). Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht- Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017).

Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nichtmuslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017). Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für

Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen

(USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017). Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017). Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).
Schiiten:

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara. Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an.

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Einige schiitische Muslime bekleiden höhere Regierungsposten. Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern. Die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen.

Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet. In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS.

Es kann nicht festgestellt werden, dass Angehörige der Schiiten in Afghanistan allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind.
Christentum und Konversionen zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha‘i, Hindus und Christen machen ca. 0.3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen und Bahai-Gemeinschaften sind nicht vorhanden (USDOS 15.8.2017; vgl. USCIRF 2017). Die einzige im Land bekannte christliche Kirche hat ihren Sitz in der italienischen Botschaft (USCIRF 2017) und wird von der katholischen Mission betrieben (FT 27.10.2017; vgl. AIK o.D.). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung einer katholischen Kapelle unter den strengen Bedingungen, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Form des Proselytismus vermieden werde (vertrauliche Quelle 8.11.2017). Öffentlich zugängliche Kirchen existieren in Afghanistan nicht (USDOS 15.8.2017). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen (AA 5.2018). Ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben (FT 27.10.2017). Berichten zufolge gibt es im Land weiterhin keine christlichen Schulen (USDOS 15.8.2017); ein christliches Krankenhaus ist in Kabul aktiv (NYP 24.4.2014; vgl. CNN 24.4.2014, CURE o.D.). Auch gibt es in Kabul den Verein „Pro Bambini di Kabul“, der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht, und eine Schule für Kinder mit Behinderung betreibt (PBK o.D.; vgl. FT 27.10.2017). Des Weiteren sind je zwei jesuitische und evangelische Missionare in Afghanistan aktiv (FT 27.10.2017). Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft

ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 5.2018). Christen berichteten von einer feindseligen Haltung gegenüber christlichen Konvertiten und der vermeintlichen christlichen Proselytenmacherei (USDOS 15.8.2017). Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel nur deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. In städtischen Gebieten sind Repressionen gegen Konvertiten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften (AA 9.2016). Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und Proselytismus betreiben (USDOS 15.8.2017). Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 5.2018). Quellen zufolge müssen Christen ihren Glauben unbedingt geheim halten. Konvertiten werden oft als geisteskrank bezeichnet, da man davon ausgeht, dass sich niemand bei klarem Verstand vom Islam abwenden würde; im Falle einer Verweigerung, zu ihrem alten Glauben zurückzukehren, können Christen in psychiatrische Kliniken zwangseingewiesen, von Nachbarn oder Fremden angegriffen und ihr Eigentum oder Betrieb zerstört werden; es kann auch zu Tötungen innerhalb der Familie kommen. Andererseits wird auch von Fällen berichtet, wo die gesamte Familie den christlichen Glauben annahm; dies muss jedoch absolut geheim gehalten werden (OD 2018). Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die oft während ihres Aufenthalts im Ausland konvertierten, üben aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung ihre Religion alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern aus (USDOS 15.8.2017). Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie (USDOS 15.8.2017). Der Druck durch die Nachbarschaft oder der Einfluss des IS und der Taliban stellen Gefahren für Christen dar (OD 2018). Die im Libanon geborene Rula Ghani, Ehefrau von Staatspräsident Ashraf Ghani, entstammt einer christlich-maronitischen Familie (NPR 19.2.2015; vgl. BBC 15.10.2014). Einige islamische Gelehrte behaupten, es gebe keine öffentlichen Aufzeichnungen ihrer Konvertierung zum Islam (CSR 13.12.2017).
Apostaten (Abfall vom Islam):

Es gibt viele Personen die freitags nicht beten oder während des Ramadans nicht fasten. Dies ist eine heiklere Angelegenheit in den ländlichen Gebieten, als in den städtischen Gebieten. Für das Nichtbeten des Freitagsgebetes werden solche Personen nicht bestraft und von den staatlichen Behörden nicht angewiesen, dies zu tun. Für das Nichtfasten während des Ramadans würden staatliche Behörden bzw. die Gesellschaft dem Nichtfastenden-des-Ramadan anraten und anweisen den Ramadan einzuhalten. Die Gesellschaft behandelt dies als kleine Vergehen (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan, 12.07.2017, S. 5f).

Für gebürtige Muslime ist ein Leben in der afghanischen Gesellschaft möglich, ohne, dass sie den Islam praktizieren würden und auch dann, wenn sie Apostaten oder Konvertiten sind. Solche Personen sind dann in Sicherheit, wenn diese Stillschweigen bewahren. Es kann zu einer Gefährdung kommen, wenn öffentlich bekannt wird, dass diese aufgehört haben an den Islam zu Apostasie und Blasphemie stellen Kapitalverbrechen dar, bei denen Todesstrafe droht. In beiden Fällen haben die Betroffenen vor Gericht drei Tage Zeit um ihre „Tat“ zu widerrufen.
Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: „Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet.“ (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018). Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).
Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (az?raj?t) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat

leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016). Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban- Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017). So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist – außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara – nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016). Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018). Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 in der aktuellen Fassung vom 18.05.2020, enthält keine entscheidungsrelevanten Änderungen in diesen erwähnten Punkten.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und dem Verfahrensakt des BVwG.
Zur Feststellungen zur Person des BF und den geltend gemachten Fluchtgründen:

Mangels Vorlage eines Identitätsdokumentes konnte die Identität des BF nicht verifiziert werden. Der im Spruch angeführte Namen sowie das angeführte Geburtsdatum dienen lediglich zur Identifizierung des BF als Verfahrenspartei.

Die Feststellungen zur Person des BF, insbesondere hinsichtlich seiner Nationalität, Volksgruppenzugehörigkeit, Schulbildung, Arbeitstätigkeit und seinen Familienverhältnissen, ergeben sich aus den übereinstimmenden Angaben des BF im Rahmen des Verfahrens vor der belangten Behörde sowie aus den glaubhaften Angaben im Rahmen der Beschwerdeverhandlung. Diese werden in der Beschwerde nicht bestritten und konnten daher auch der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden, zumal der BF diese anlässlich der Beschwerdeverhandlung selbst bestätigte.

Die Feststellung, dass sich der BF vom (schiitischen) Islam abgewandt hat und zum Christentum konvertiert ist, ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des BF im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung, und der Einvernahme des oben genannten Zeugen, der auch die Taufe und zugleich Firmung vorgenommen hat.

Die Taufe und Firmung des BF ergeben sich aus der Taufurkunde und der Fotodokumentation über die erfolgte Taufe, in die vom erkennenden Gericht Einsicht genommen wurde.

Schon aus den Angaben des BF im behördlichen Verfahren geht hervor, dass der BF Kirchen besucht hat „um zu sehen, wie die Leute beten und damit ich so die österreichische Gesellschaft verstehen kann“ (AS. 240). Aus den Aussagen des BF und des persönlich hinterlassenen Eindrucks im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung lässt sich ableiten, dass er sich während seines Aufenthaltes in Österreich mit der christlichen Glaubenslehre auseinandergesetzt hat und die christliche Wertvorstellung in den Alltag integriert. Er hat in überzeugender Art und Weise seine Hinwendung zum christlichen Glauben und Abkehr vom Islam dargelegt, indem er die Besonderheiten des Christentums und die Bedeutung - vor allem das Gebet zu Gott - für sein Leben hervorhob. Zudem hat er christliche Inhalte wiedergegeben (Kreuzigung von Jesus, Gleichnisse aus der Bibel). Er gab glaubhaft an, einen Kurs - zumindest eine Zeit lang - in der Stadt XXXX und einen Taufkurs bei seinem Pfarrer(Zeuge) absolviert zu haben. Daher sind die von der belangten Behörde aufgelisteten Busverbindungen von geringer Relevanz. Wie vom Taufspender bestätigt, besucht der BF regelmäßig Gottesdienste. Dem Argument der belangten Behörde, der plötzliche Glaubenswechsel Ende 2017 stehe in Verbindung mit der negativen Asylentscheidung vom Oktober 2017 werden die Aussagen des BF entgegengehalten, wonach der BF im Zuge seines Ortswechsels XXXX im September 2017 mit einem Konvertiten und weiterer Folge mit dem Zeugen in Kontakt getreten ist und sich zu einem Glaubenswechsel entschlossen hat (VH-Schrift, S. 10). Davor wurde er von einem Freund über das Christentum und die Unterschiede zum Islam informiert. Eine Verbindung zum negativen Asylbescheid kann auch das Gericht nicht erkennen. Zur Frage, wie seine Familie auf die Zuwendung zum Christentum reagieren würde, führte der BF glaubhaft aus, dass ihn sein Vater verstoßen oder töten werde. Überzeugend gab er zu verstehen, dass er seine (christliche) Religion „sicher nicht“ wechseln werde, sollte sein Vater nach Österreich kommen. Er verstärkte seine Argumentation: „Es gibt hier Gesetze und Sicherheit, er kann mir hier nichts machen“ (VH-Schrift, S. 15).

Dass der BF aus Überzeugung zum christlichen Glauben übergetreten ist, konnte auch der Zeuge bestätigen: „Ich halte seine Absichten für ernsthaft, sonst hätte ich ihn nicht getauft“ (Zeugeneinvernahme, S.7). Der Zeuge bestätigte die Teilnahme des BF an der vorgeschriebenen Katechese, in der elementare theoretische und praktische Inhalte des Glaubens vermittelt wurden und die regelmäßige Teilnahme am Dienstagabendgottesdienst. Er gab aber zu bedenken, dass den theoretischen Anforderungen wenige Gläubige in seinen Pfarrgemeinden entsprechen und die Anwesenheit beim sonntäglichen Gottesdienst kein Indiz für die Ernsthaftigkeit am Christentum darstellen. Er schreibt die innere Überzeugung des BF im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit Gott und Jesus im Gebet zu und „dass das wirklich vom Herzen kommt und wenn es mit eigenen Worten gesagt ist und nicht von der Lyrik nachgesprochen“. Zwar schreibt er dem BF eine gewisse Nachlässigkeit und Ungeordnetheit zu, betont aber die ihm vermittelte Abneigung bzw. Abscheu vor dem Islam, die der BF mit Gewalt verbindet. Der Zeuge hob auch hervor, dass das Gebet bzw. das Gespräch mit Jesus und die Beziehung zu Gott für den BF wichtig ist. Auch dem Vorhalt des Gerichtes, dass die Konversion oft als Mittel zum Zweck der Asylerlangung angestrebt wird, begegnet der Zeuge damit, dass er auf die innerste Intention schaut und ohnehin viel höhere Anforderungen anstellt als an „getaufte einheimische“ Jugendliche (VH-Schrift, S. 5, 6). Dass sich der Zeuge gewissenhaft mit Konvertiten auseinandersetzt, ist auch seiner Aussage zu entnehmen, dass er beim BF überlegt hat, noch ein Jahr mit der Taufe zu warten aber schlussendlich zur Überzeugung gelangte, dass – wie schon oben angeführt – die Absichten des BF ernst sind. Insgesamt konnte der Zeuge dem erkennenden Gericht die Ernsthaftigkeit des BF nachvollziehbar vermitteln.

Die Angaben des BF im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung waren in sich stimmig und wurden diese durch die vorgelegten Unterlagen (Bestätigungsschreiben des Zeugen und Taufpaten) und dessen Aussagen in der Einvernahme gestützt. Es kann dem BF letztlich nicht abgesprochen werden, sich tatsächlich dem Islam abgewendet zu haben und aus Überzeugung zum christlichen Glauben übergetreten zu sein. Es erwies sich, dass der BF sich weniger auf der intellektuellen Ebene, sondern auf der spirituellen Ebene intensiv mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt, diesen verinnerlicht und praktiziert hat.

Aus den dargelegten und plausiblen Gründen ist in gesamthafter Betrachtung davon auszugehen, dass sich der BF aus freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen zum christlichen Glauben hingewendet hat

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergeben sich aus den durch das erkennende Gericht eingeholten Auszügen aus den amtlichen Datenbanken

Zu den Länderberichten:

Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen inhaltlich auch nicht ausreichend entgegengetreten wurde, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Insbesondere wurden die neuesten Informationen vom 13.11.2019 mit den aktuellen Letztinformationen vom 18.05.2020 berücksichtigt und ergaben für das Gericht keine für das vorliegende Verfahren entscheidungsrelevante Änderungen gegenüber der Fassung vom Juni 2019. Beziehungsweise nicht in einer Weise und in einem Ausmaß verändert, die für den BF asylrechtlich von Relevanz und für die Frage der Schutzgewährung entscheidungswesentlich wäre.

Weder seitens des BF noch seitens seiner Rechtsvertretung wurden im Verfahren substantiierte Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Zweifel haben aufkommen lassen, womit die vorliegenden Berichte den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011).

Für eine „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (vgl. VwGH 16.02.2000, 99/01/0397). Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (vgl. VwGH 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (vgl. VwGH 16.06.1994, 94/19/0183).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die Furcht des BF vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention wohl begründet ist.

Hinsichtlich des BF, der zum christlichen Glauben konvertiert ist, bestünde im Hinblick auf die Feststellungen im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ein erhebliches Verfolgungsrisiko betreffend seine persönliche Sicherheit und physische Integrität sowohl von privater als auch von staatlicher Seite, zumal sich aus den Feststellungen ergibt, dass Nichtmuslimen (u.a. Christen) Belästigungen ausgesetzt sind und Gewalt droht. Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber konvertierten Christen ist zudem ablehnend und wird Konversion als Akt der Abtrünnigkeit und Verbrechen gegen den Islam gesehen, der mit dem Tod bestraft wird, sodass der BF in Afghanistan asylerhebliche Eingriffe in seine körperliche Integrität zu fürchten hätte. Im Fall des BF liegt das dargestellte Verfolgungsrisiko in seiner religiösen Überzeugung begründet (vgl. AsylGH 21.06.2011, Zahl C18 407.576-1/2009/16E und viele andere).

Anhand der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass sich der BF aus wohlbegründeter Furcht, wegen seines Religionsbekenntnisses verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Anhaltspunkte für das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative bestehen – aufgrund des gültigen islamischen Rechts und der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Intoleranz Konvertiten gegenüber – nicht.

Das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

Asyl auf Zeit

Gemäß § 3 Abs. 4 iVm § 75 Abs. 24 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu, wenn er einen Antrag auf internationalen Schutz nicht vor dem 15.11.2015 gestellt hat. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.

Der gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz wurde am 17.11.2015, sohin nicht vor dem 15.11.2015, gestellt; dem Beschwerdeführer kommt daher eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu.

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung befristete Aufenthaltsberechtigung gesamtes Staatsgebiet Konversion Nachfluchtgründe Religion wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W155.2177005.1.00

Im RIS seit

29.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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