TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/9 W108 2183446-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.06.2020
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Entscheidungsdatum

09.06.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W108 2183446-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. BRAUCHART als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Peter LECHENAUER, Dr. Margit SWOZIL, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.12.2017, Zl. 1096798110 - 151867196/BMI-BFA_SZB_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang, Sachverhalt und Vorbringen:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, stellte nach illegaler Einreise in Österreich am 23.11.2015 den Antrag, ihm internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 (AsylG) zu gewähren (in der Folge auch Asylantrag).

Er gab im Zuge der Erstbefragung seine Religionszugehörigkeit mit „Islam“ an und führte aus: Er habe den Iran vor 12 Tagen illegal verlassen. Er sei ein Kurde und gehöre zu keinem Staat, weder zum Iran noch zum Irak. Er habe im Iran eine Freundin gehabt und als deren Familie erfahren hätte, dass er Kurde sei, habe die Familie seiner Freundin ihn bei der Behörde im Iran verraten. Die bei der Behörde einflussreiche Familie sei gegen ihre Heirat gewesen, habe ihn mit dem Tod bedroht und habe ihn sogar vernichten lassen wollen. Er habe Angst vor der Familie seiner Freundin.

Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) brachte der Beschwerdeführer u.a. folgende Urkunden in Vorlage:

?        Eine Bestätigung des Vereins „ XXXX “ (in der Folge Christliche Gemeinde) in XXXX (in der Folge S.), wonach der Beschwerdeführer auf sein Bekenntnis zu Jesus Christus hin getauft worden sei und er regelmäßig die Gottesdienste der Christlichen Gemeinde in S. besuche und mitarbeite.

?        Eine Bestätigung der Christlichen Gemeinde in S., wonach der Beschwerdeführer in der ersten Jahreshälfte des Jahres 2016 den ersten Kontakt zur Christlichen Gemeinde gehabt habe und sich nach Gottesdienstbesuchen und Taufkurs am 11.09.2016 aufgrund seines Bekenntnisses zu Jesus Christus in der Christlichen Gemeinde habe taufen lassen. Seitdem besuche er regelmäßig die Gottesdienste und nehme auch an anderen Veranstaltungen teil. Bei einem ehemaligen iranischen Pastor besuche er in XXXX regelmäßig einen Glaubenskurs, der in der Muttersprache des Beschwerdeführers Farsi monatlich durchgeführt werde.

?        Ein Schreiben der Christlichen Gemeinde in S. über den Taufspruch anlässlich der Taufe des Beschwerdeführers am 11.09.2016.

?        Fotos von der Taufe des Beschwerdeführers und anderer Personen.

?        Eine Bescheinigung der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 28.09.2017 über den rechtswirksamen Austritt des Beschwerdeführers aus der islamischen Kirche.

Der Beschwerdeführer gab bei der Einvernahme im Wesentlichen an: Er sei ledig, habe keine Kinder und habe im Iran zuletzt in der Stadt XXXX gelebt. Im Iran habe er 12 Jahre lang die Schule besucht, maturiert und anschließend eine XXXX ausbildung absolviert. Danach habe er gearbeitet. Im Iran seien seine Mutter, zwei Brüder, eine Schwester und weitere Verwandte aufhältig, zu seiner Mutter und zu seinem jüngeren Bruder habe er regelmäßig Kontakt. In Österreich oder in der EU habe er keine Verwandten oder Familienangehörigen und er lebe von der Grundversorgung.

Zu den Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer – in freier Erzählung - an, er habe im Iran ein Mädchen namens XXXX kennengelernt und er habe vorgehabt, sie zu heiraten. Sie hätten sich geliebt und auch miteinander geschlafen, sie habe auch seine Lebensgeschichte gekannt. Er habe ihr erzählt, dass er nicht mehr ein Moslem sei und in eine Hauskirche gehe. Eines Tages, als die beiden spazieren gewesen seien, habe ein Familienmitglied seiner Freundin sie zusammen gesehen und das deren Eltern gemeldet. Deren Eltern hätten wissen wollen, ob ihre Tochter noch Jungfrau sei, und hätten sie zur Kontrolle zum Arzt gebracht. Dort hätten sie erfahren, dass sie keine Jungfrau mehr gewesen sei. Danach sei seine Freundin unter Druck gesetzt worden, alles zu erzählen, sodass seine Freundin ihren Eltern mitgeteilt habe, dass er kein Moslem mehr sei und eine Hauskirche besuche. Seine Freundin habe anschließend mit ihm telefonisch Kontakt aufgenommen und ihm erzählt, dass ihre Familie nun über ihre sexuelle Beziehung und über die Hauskirchenbesuche des Beschwerdeführers Bescheid wisse. Seine Freundin habe ihn vor ihrem Vater, einem Mitglied des iranischen Geheimdienstes, gewarnt. Daraufhin habe der Beschwerdeführer sein Geschäft geschlossen und sei zu einem Freund gegangen, der außerhalb von XXXX gelebt habe. Am Folgetag habe der Beschwerdeführer seine Mutter angerufen, die ihm gesagt habe, dass Beamte des Geheimdienstes zu Hause gewesen seien und nach ihm gesucht hätten, um ihn festzunehmen, da der Beschwerdeführer die Tochter eines Geheimdienstmitarbeiters vergewaltigt hätte. Der Freund des Beschwerdeführers habe gemeint, dass dem Beschwerdeführer wegen der ihm angelasteten Taten – Vergewaltigung und Abtrünnigkeit vom Islam – eine schwere Bestrafung drohe und er dafür gehängt werden würde. Der Beschwerdeführer habe verstanden, dass er in Lebensgefahr sei, und habe anschließend das Land verlassen.

Befragt zu den Gründen, warum der Beschwerdeführer eine Hauskirche im Iran besucht habe, gab dieser an, er habe nicht mehr ein Moslem sein wollen und er habe einige Freunde gehabt, die ihn zur Hauskirche hingebracht hätten. Diese Freunde, die er noch aus der Schulzeit gekannt habe und gute Freunde gewesen seien, seien konvertiert und hätten ihm eine Bibel auf Farsi gegeben, die er noch im Iran gelesen habe. Er habe über Jesus und dessen Bestrebungen, dass die Menschen zueinander finden und nett zueinander sein sollen, gelesen. Das habe ihm gefallen und er habe sich entschieden, zu konvertieren. Das erste Mal sei er neun Monate vor der Ausreise aus dem Iran zu einer Hauskirche gegangen. Sie hätten sich manchmal Filme über das Christentum angeschaut und hätten die Bibel gelesen. Das sei eine katholische Kirche gewesen, der Priester sei als Christ geboren worden. Er habe jeden Sonntag an Hausmessen teilgenommen, es habe ausschließlich katholische Gottesdienste gegeben. Im Iran sei er im Herzen Christ gewesen. Er habe gedacht, er könne nur durch die Taufe ein Christ sein, weil der Priester gepredigt habe, dass damit die Sünden abgewaschen würden und eine neue Geburt verliehen werde.

Er sei erst in Österreich getauft worden. In Österreich habe er sich nicht der katholischen Kirche angeschlossen, weil er damals im Iran die verschiedenen Zweige des Christentums nicht gekannt habe und er in Österreich jene Person kennengelernt habe, die ihn zur Freien Christengemeinde gebracht habe. Der Auslöser für sein Interesse am Christentum sei das ewige Leben und die Empfindung von mehr Liebe und Zuneigung für den Mitmenschen gewesen. Da er keine Zuneigung für die islamische Religion empfunden und dadurch verzweifelt gewirkt habe, seien seine Freunde an ihn herangetreten und hätten ihm vorgeschlagen, eine neue Religion anzunehmen, um einen besseren Weg durch das Leben zu finden. Er habe versucht, seine Lebensart zu ändern, er habe nicht mehr getrunken und sei bestrebt gewesen, anderen behilflich zu sein, weil immer gepredigt worden sei, dass man Liebe erfahre, wenn man anderen helfe und Liebe zeige.

Mittlerweile wisse seine Familie von seiner Konversion. In Österreich sei er durch einen Taufvorbereitungskurs auf die Taufe vorbereitet worden, wobei der Kurs 17 Unterrichtseinheiten umfasst habe. Er besuche Bibelstunden, nehme an kirchlichen Veranstaltungen teil und besuche wöchentlich regelmäßig die Kirche. Zudem versuche er anderen möglichst zu helfen und die Liebe weiterzugeben. Fünf Monate lang habe er auch freiwillig bei der „ XXXX “ gearbeitet und älteren Personen geholfen. Als Christ sei er ruhiger und hoffnungsvoller geworden, er habe gelernt, dass man die Liebe, die man empfange, weitergeben könne. Er glaube an Jesus und daran, dass dieser der Menschen wegen gekreuzigt worden sei.

Im Falle einer Rückkehr in den Iran drohe ihm der Tod, weil ihm vorgeworfen werde, jemanden vergewaltigt zu haben, und weil er konvertiert sei. Im Iran sei er bisher nicht strafgerichtlich verfolgt oder verurteilt worden.

2. Mit dem vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wies sie den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran ab (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran gemäß 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die belangte Behörde bestimmte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde traf neben Länderfeststellungen Sachverhaltsfeststellungen zur Identität und zu den persönlichen/familiären Umständen des Beschwerdeführers, wobei sie die Angaben des Beschwerdeführers zu Grunde legte, und zu seinem Vorbringen, das er zur Begründung seines Asylantrages erstattet hatte, wobei die belangte Behörde davon ausging, dass der Beschwerdeführer illegal aus dem Iran ausgereist sei, dass die von ihm in der Erstbefragung und in der Einvernahme unterschiedlich angegebenen Fluchtgründe (Erstbefragung: die Familie der XXXX sei nicht mit der Eheschließung einverstanden gewesen, da der Beschwerdeführer Kurde sei; Einvernahme: der Beschwerdeführer sei wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung der XXXX , der Tochter eines Angehörigen des Geheimdienstes, und wegen seines Abfalls vom Islam/seiner Zuwendung zum Christentums bereits im Iran zu Hause gesucht worden) in allen Facetten völlig unglaubwürdig seien und dass es sich bei der Konversion des Beschwerdeführers um eine Scheinkonversion zum Christentum handle. Die belangte Behörde führte dazu aus, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft machen können, dass er bereits im Iran zum Christentum konvertiert sei, denn das alleinige Interesse an einer anderen Religion, sofern dies tatsächlich stattgefunden hätte, bedeute an sich keine Konversion. Die Kenntnisse des Beschwerdeführers als angeblicher Christ seien derart oberflächlich und seine Beweggründe zu einer Konversion derart vage, dass in seinem Fall nur von einer Scheinkonversion ausgegangen werden könne, um sich Vorteile im Asylverfahren zu verschaffen. Es sei somit von einer Umgehung der Einwanderungs- und Niederlassungsvorschriften zu sprechen. Der Beschwerdeführer hätte keine Furcht vor Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) im Iran zu gewärtigen, wäre im Iran nicht politisch tätig gewesen und hätte keine asylrelevanten Probleme auf Grund seiner Religionszugehörigkeit, seiner Rasse, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder Volksgruppe gehabt und auch keine solchen zu befürchten. Probleme mit Ämtern und Behörden hätte er ebenfalls nicht gehabt. Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass es in seiner Abwesenheit vom Iran zu keiner Anzeige oder Verurteilung seiner Person gekommen wäre. Der Beschwerdeführer sei im Iran keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt (gewesen).

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer innerhalb offener Frist Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG an das Bundesverwaltungsgericht, in der im Wesentlichen vorgebracht wurde, der Beschwerdeführer sei aus wohlbegründeter Furcht aus seiner alten Heimat geflohen, da er um sein Leben habe fürchten müssen. Die belangte Behörde behaupte, der Beschwerdeführer habe „banale Gründe“ für seinen Glaubenswechsel. Es stelle sich jedoch lebensnah die Frage, weshalb „banale Gründe“ nicht einen Glaubenswechsel begründen sollten. Der Beschwerdeführer habe klar vermittelt, dass er den Islam nicht gutheiße und er sehr an den islamischen Grundsätzen zweifle. Das alleine könne bei einem Menschen bewirken, dass er sich von seiner ursprünglichen Religion abwende und sich einer neuen Religion oder überhaupt zu gar keiner Religion mehr zuwende. Der Beschwerdeführer sei als Angehöriger der Kurden im Iran immer wieder diskriminiert und benachteiligt worden, dies möge ebenso ein Grund dafür sein, dass er sich der christlichen Religion als eine Art Zufluchtsort zugewendet habe, weil ihn die christliche Glaubensgemeinschaft - anders als die islamische Gesellschaft im Iran - gleichberechtigt und mit „Nächstenliebe“ behandelt habe. Die Annahme der belangten Behörde, es handle sich lediglich um eine Scheinkonversion und ein Konstrukt, sei nicht nachvollziehbar, da der Beschwerdeführer nach wie vor seine christliche Überzeugung regelmäßig praktiziere und nachweislich am christlichen Leben der Christlichen Gemeinde teilhabe. Ebenso sei die pauschale Behauptung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe sich nur oberflächlich dem Christentum zugewendet, unsubstantiiert, zumal der Beschwerdeführer allein aufgrund seiner Überzeugung, frei seinen Glauben ausüben zu dürfen, im Iran verfolgt werden würde. Sein sozial-christliches Interesse lasse sich auch anhand der freiwilligen Tätigkeit für die „ XXXX “ erkennen. Die Familie des Beschwerdeführers werde seit seiner Flucht immer wieder von der Polizei behelligt und befragt, wo sich der Beschwerdeführer aufhalte. Dass keine offizielle Verurteilung (nach Wissenstand des Beschwerdeführers) vorliege, könne keinesfalls bedeuten, dass der Beschwerdeführer nicht verfolgt werde. Weiters sei der Beschwerdeführer verhältnismäßig gut integriert. Gerade im Hinblick auf seine Aufenthaltsdauer in Österreich könne man seine Integrationsfortschritte als überdurchschnittlich gut bezeichnen. Bezüglich der in Österreich geknüpften sozialen Kontakte sei auszuführen, dass der Beschwerdeführer über gute Deutschkenntnisse (A2 Niveau) verfüge, regelmäßig ehrenamtlicher Arbeit nachgehe und regelmäßig die Messe in seiner christlichen Gemeinde besuche und gleichzeitig bereits einen großen Freundeskreis in Österreich aufgebaut habe.

4. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerde samt den bezughabenden Akten des Verwaltungsverfahrens zur Entscheidung vor.

5. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung an.

Nach Anberaumung der Verhandlung teilte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter mit, er sei aus wohlbegründeter Furcht aus seiner alten Heimat geflohen, da er um sein Leben habe fürchten müssen. Zum einen verweise er auf die bereits vorgebrachten Asylgründe in der Einvernahme, zum anderen müsse der Beschwerdeführer darauf aufmerksam machen, dass er nach wie vor Angst habe, von den iranischen Sicherheitskräften aufgesucht zu werden (wobei auf ein nicht beigelegtes bzw. nicht aktenkundiges Video verwiesen wurde). Weiters führe er seit 2017 eine Beziehung mit der Österreicherin XXXX (in der Folge V.Q.).

Der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung u.a. folgende Urkunden vor:

•        Schreiben der XXXX vom 16.05.2019, wonach ihre Tochter V. Q. und der Beschwerdeführer eine tragfähige Beziehung aufgebaut hätten und eine Familie gründen wollen würden. Dies werde vom Pastor der XXXX (in der Folge: Baptistengemeinde), die der Beschwerdeführer und ihre Tochter regelmäßig besuchen würden, unterstützt. In der Baptistengemeinde hätten sie den geistlichen Rückhalt gefunden, den sie in dieser ungewissen Lebensphase gesucht hätten.

•        Schreiben der XXXX vom 19.05.2019, wonach der Beschwerdeführer der Lebenspartner ihrer Schwester V.Q. sei. Die besondere Eigenschaft des Beschwerdeführers sei sein religiöser Glaube. Bereits seit ihrem ersten Kennenlernen habe sie erfahren dürfen, wie wichtig ihm die Ausübung des baptistischen Glaubens sei. Er habe oft von Gottesdiensten erzählt, die der Beschwerdeführer besucht habe, und sie habe ihn und ihre Schwester auch nach dem Gottesdienst von der Baptistenkirche abgeholt. Der Beschwerdeführer habe immer wieder eine sehr vertrauensvolle und innige Beziehung zu einer österreichischen, christlichen Familie aus dem XXXX , die ihn nach seiner Flucht bei sich aufgenommen habe und zu der er noch eine starke Verbindung habe, erwähnt.

•        Zwei gleichlautende, als „kirchliche Bestätigung“ bezeichnete, Schreiben der Baptistengemeinde vom 14.05.2019 an das Bundesverwaltungsgericht. Mit diesen Schreiben bestätigte der Pastor XXXX , dass der Beschwerdeführer die Baptistengemeinde seit August 2018 besuche. Der Beschwerdeführer glaube an Jesus als Herrn und Retter und nehme am Abendmahl teil. Er sei sehr beliebt, sei freundlich und zeige Interesse an Jesus, der Bibel und am Gemeindeleben. Er sei sehr dankbar, dass der Beschwerdeführer Teil der Gemeinschaft sei. Als er den Beschwerdeführer zum ersten Mal getroffen habe, sei er schon ein bekennender Christ gewesen. Er sei in der Christlichen Gemeinde getauft worden. Diese Gemeinde sei eine bekenntnisverwandte Gemeinde und die Taufe und die Taufvorbereitung würden in der Baptistengemeinde anerkannt. Der Beschwerdeführer besuche regelmäßig den persischsprachigen Gottesdienst. Er bringe seine Verlobte oft mit. Der Beschwerdeführer habe ihm erzählt, dass es ihm wichtig sei, dass seine Verlobte auch seinen Glauben teile. Seine Verlobte sei traditionell christlich erzogen worden, sie habe aber grundsätzlich viele Glaubensfragen. Der Beschwerdeführer versuche diese zu beantworten, um ihr zu helfen, dass auch sie in ihrem persönlichen Glauben wachse. Die beiden hätten sich mit ihm bezüglich der geplanten Ehe getroffen, denn sie würden in der Baptistengemeinde heiraten wollen.

•        Lichtbilder, die mehrere Personen, darunter den Beschwerdeführer, bei einer Wanderung und in der Kirche zeigen.

In der Verhandlung verwies der Beschwerdeführer auf einen Videofilm auf seinem Mobiltelefon und führte dazu aus, er habe dieses Video ca. seit Mai 2018. Der Videofilm sei vor ca. einem Jahr und zwei oder drei Monaten von seiner Schwester versteckt aufgenommen worden und diese habe es ihm über WhatsApp geschickt, nach Erhalt habe er das Video gleich seinem Rechtsvertreter per E-Mail übermittelt. Das Video zeige, dass Polizisten im Iran in die Wohnung, in der er mit seiner Mutter, seinem Bruder und seiner Schwester gemeinsam gelebt habe, gestürmt seien und ihn gesucht hätten. Die Personen, die auf dem Video zu sehen seien, seien seine Mutter und seine Schwester sowie drei Beamte, zwei in Uniform und einer in Zivilkleidung.

Der Videofilm wurde in der Verhandlung mehrmals abgespielt, wobei folgendes festgestellt wurde: Das Video zeigt Personen offensichtlich in einer Wohnung. Erkennbar sind eine Frau in einem Tschador mit Blumenmuster und jedenfalls zwei Männer ihr gegenüber in Uniform. Eine Person ist im Hintergrund zu erkennen, die in der Wohnung herumgeht. Der Mann in Uniform, der in Farsi spricht, schlägt während des Gesprächs mehrmals mit der Hand auf eine Ablage in der Wohnung. Das Video ist teilweise bedeckt und lässt vermuten, dass es unter bzw. versteckt unter einem Kleidungsstück oder Stoff aufgenommen wurde. Die Dolmetscherin übersetzte das Gesprochene im Videofilm dahingehend, dass ein Mann in Uniform sage: Er, XXXX , muss zu uns kommen und sich vorstellen.“ Die Frau sage: „Wie oft habe ich euch schon gesagt, er ist nicht da, ich schwöre bei Gott er ist seit langem nicht hier, wie oft wollt ihr noch kommen“. Der Mann in Uniform antworte: „Nein, er ist da und er muss kommen.“

Zu seinem Glaubensleben befragt sagte der Beschwerdeführer u.a. aus, er glaube an Jesus Christus und gehöre einer protestantischen Freikirche an. Er sei nach seiner Ankunft in Österreich in S. von der Freikirche eingeladen worden und sei so zum ersten Mal mit der Freikirche in Kontakt gekommen. Dort habe er diese Kirche und auch die Unterschiede zwischen den christlichen Kirchen kennengelernt. Er glaube mit dem Herzen an seine Kirche. Er sei in S. im See getauft worden. Er habe den Heiligen Geist mit seinem ganzen Körper gespürt, danach habe sich sein ganzes Leben verändert, er habe gelernt, wie man richtig nach der Religion, als Christ, leben und zu anderen nett sein könne. Er habe Taufvorbereitungskurse absolviert und die Bibel gelesen. Dadurch habe sich seine Sicht auf das Leben und die Welt geändert. Früher sei er schnell aufgeregt gewesen, aber nun hätte er gelernt, zu verzeihen, sich zu entschuldigen und anderen Personen Liebe zu geben. Er bete in der Früh nach dem Aufstehen, lese in der Bibel, besuche regelmäßig die Heilige Messe am Sonntag, nehme an Bibelkursen teil und helfe anderen. Er wolle die Liebe, die er von Gott empfangen habe, weitergeben. Seine Verlobte habe er missioniert, er besuche mit ihr und ihrer gesamten Familie die Kirche (Baptistengemeinde), lese mit ihr gemeinsam in der Bibel und spreche mit ihr und mit ihrer Familie regelmäßig über den Glauben. Seine Verlobte habe nun Interesse, Protestantin zu werden. Er helfe in der Kirche immer mit, wenn er gebraucht werde, auch durch sein Einkommen unterstütze er seine Kirche. Seine Religion sei ihm wichtig. Als er im Iran vom Islam abgefallen sei, hab er sich verloren gefühlt. Durch seine Freunde habe er Kontakt mit dem Christentum bekommen. Er sei egoistisch gewesen und habe sich oft aufgeregt, das habe er in Liebe und Großzügigkeit verwandelt. In der Kirche bekomme er seine innere Ruhe und Energie, sein Glaube ermögliche das. Er habe durch seinen Glauben seinen Weg gefunden.

Zu den in der Beschwerdeverhandlung auf Grundlage von Länderberichten erörterten Verhältnissen im Iran gab der Beschwerdeführer keine Stellungnahme ab.

Nach der Verhandlung übermittelte der Beschwerdeführer das Video und eine Sendebestätigung, wonach der Beschwerdeführer seinem Rechtsvertreter (der die Beschwerdeschrift namens des Beschwerdeführers am 12.01.2018 eingebracht hat) das Video am 17.01.2018 (mit dem Hinweis [Fehler wie im Original] „Das ist letzte Woche passiert, dass durch meine Schwester aufgenommen hat Sie sind Regierungsagenten, die normalerweise unser Haus angreifen, um nach mir zu suchen“) per E-Mail übermittelt hätte.

In weiterer Folge brachte der Beschwerdeführer noch seine Meldebestätigung und jene seiner Verlobten, eine Bestätigung der Schwangerschaft seiner Verlobten und deren Mutter-Kind-Pass in Vorlage.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Es wird von den Darlegungen oben unter Punkt I. zum Verfahrensgang/Verwaltungsgeschehen ausgegangen.

1.2. Hinsichtlich der Lage im Iran:

Religionsfreiheit

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen. Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist.

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Muslime, die keine Schiiten sind, dürfen weder für das Amt des Präsidenten kandidieren noch andere hochrangige politische Ämter bekleiden. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt. Personen, die zum Christentum übertreten, können hohe Gefängnisstrafen erhalten, die in einigen Fällen von zehn bis 15 Jahren reichen. Es gibt weiterhin Razzien in Hauskirchen.

Anerkannten ethnisch christlichen Gemeinden ist es untersagt, konvertierte Christen zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache sind in Iran verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden.

Laut der in den USA ansässigen NGO „United for Iran“ waren 2017 mindestens 102 Mitglieder von religiösen Minderheiten aufgrund ihrer religiösen Aktivitäten inhaftiert, 174 Gefangene wegen „Feindschaft gegen Gott“, 23 wegen „Beleidigung des Islam“ und 21 wegen „Korruption auf Erden“.

Personen, die sich zum Atheismus bekennen, können willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt werden. Sie laufen Gefahr, wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 14.06.2019).

Situation für Konvertiten

Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht. Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel „mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ („Verdorbenheit auf Erden“), oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie selten, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten zehn Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen „mohareb“. Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt. Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen. Anklagen lauten meist auf „Organisation von Hauskirchen“ und „Beleidigung des Heiligen“, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden. Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Nach anderen Quellen wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (10 und mehr Jahre) verhängt [Anmerkung der Staatendokumentation: Verurteilungsgrund unklar]. Laut Weltverfolgungsindex 2019 wurden im Berichtszeitraum viele Christen, besonders solche mit muslimischem Hintergrund, vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt bzw. warten noch auf ihren Prozess. Ihre Familien sind während dieser Zeit öffentlichen Demütigungen ausgesetzt.

Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen. Laut der iranischen NGO Article 18 wurden von Jänner bis September 2018 37 Konvertiten zu Haftstrafen wegen „Missionsarbeit“ verurteilt. In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind.

Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 14.06.2019).

Apostasie ist derzeit nicht nach kodifiziertem Recht, aber nach der Scharia strafbar. Letztere ist entsprechend Art. 4 der Verfassung Grundlage des iranischen Rechts. Richter in Iran sind nach Art. 167 der Verfassung gehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf kodifiziertes Recht zurückzugreifen. Sind solche Gesetze nicht vorhanden, so müssen sie ihren Urteilsspruch auf Grundlage der authentischen islamischen Quellen oder der gültigen Rechtsurteile fällen.

Apostasie ist nach herrschender Meinung ein sog. Hadd-Delikt (Hadd-Strafen sind Strafen, die in der Scharia festgelegt sind). Folgende Prophetenworte werden im islamischen Recht dahingehend ausgelegt, dass Apostasie zu bestrafen ist: „...tötet den, der seine Religion wechselt“ und „Das Blut eines Muslims (zu vergießen) ist nicht erlaubt, außer in einem dieser drei (Fälle): der verheiratete Ehebrecher, Leben um Leben und der seinen Glauben Verlassende und von der Gemeinschaft sich Trennende.

Die Scharia bietet dem Richter demzufolge bereits heute eine Rechtsgrundlage, um Apostaten in Iran zum Tode zu verurteilen. Die Apostasie ist der normalen Strafgerichtsbarkeit zugewiesen, Eingangsinstanz sind die allgemeinen Strafgerichte der Provinzen. Ein Todesurteil aufgrund des Vorwurfs der Apostasie erging zuletzt im November 2002 gegen den regimekritischen Hochschulprofessor Aghajari, seine Strafe wurde aber – unter verändertem Strafvorwurf - im Frühjahr 2005 in eine Haftstrafe umgewandelt. Fälle einer Vollstreckung der Todesstrafe wegen Apostasie wurden in den letzten Jahren nicht mehr bekannt. Der ehemalige Chef der iranischen Judikative, Ayatollah Sharoudi, hatte die Staatsanwaltschaften und die Gerichte angewiesen, niemanden wegen Religionswechsel zur Todesstrafe zu verurteilen. Eine derartige Verurteilung ist daher derzeit unwahrscheinlich. Die Direktive des ehemaligen Chefs der Justiz könnte jedoch kurzfristig zurückgenommen werden.

Indes ist zu beachten, dass es trotzdem zur Anklage und Einleitung von gerichtlichen Strafverfahren wegen Konversion kommen kann. Eine Anschuldigung wegen Apostasie kann schwerste Sanktionen nach sich ziehen. Oftmals lautet die Anklage auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“, „Organisation von Hauskirchen" und „Beleidigung des Heiligen" wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Länderreport 10 Iran, Situation der Christen, Stand 3/2019).

Willkürliche Verhaftungen durch iranische Behörden

Trotz Fehlens einer strafrechtlichen Grundlage kommt es immer wieder zu willkürlichen Verhaftungen von Konvertierten. Die ehemalige UN-Sonderberichterstatterin für die Lage der Menschenrechte in Iran, Asma Jahangir, hat in ihrem Bericht an den UN-Menschenrechtsrat (UNHRC) vom März 2017 betont, dass seitens der iranischen Behörden und vom Klerus gezielt mit strengen Maßnahmen und willkürlichen Verhaftungen gegen christliche Konvertiten mit vormals muslimischen Hintergrund vorgegangen wird. Auch Christians in Parliament APPG und APPG for International Freedom of Religion or Belief weisen auf willkürliche Verhaftungen von christlichen Personen hin. Danach ist es in den letzten zehn Jahren beispielsweise üblich geworden, dass während der Weihnachtszeit in verschiedenen Städten Irans christliche Konvertiten von den Sicherheitskräften festgenommen werden. In einem Interview mit UK Home Office im Juli 2017 wies die Organisation Article 18 darauf hin, dass bei den Verhaftungen von Konvertierten die gesetzlichen Vorschriften nur selten eingehalten werden. In den meisten Fällen würden Betroffene weder vorgeladen, noch werde ihnen bei ihrer Verhaftung ein Haftbefehl vorgelegt. Auch würden sie nicht über die Anklagepunkte informiert.

Konvertierte werden bei Razzien in Hauskirchen, Privathäusern oder an beliebigen anderen Orten festgenommen. Gemäß Zeugenaussagen an Christians in Parliament APPG und APPG for International Freedom of Religion or Belief sind Razzien und Festnahmen in Privathäusern von christlichen Personen in Iran weit verbreitet. Personen, die ihren Glauben in Hauskirchen praktizieren, sind von Razzien betroffen. Voraussetzung sind Informationen aus dem Umfeld der Hauskirchen. BosNewsLife zufolge haben Sicherheitskräfte allein im Monat August 2016 in mindestens vier Hauskirchen Razzien durchgeführt. Die Behörden beabsichtigen mit solchen Aktionen ein Klima der Angst zu schaffen. Gemäß Aussagen von Elam Ministries werden bei Razzien in Hauskirchen alle Anwesenden festgenommen: Sowohl diejenigen, die neu und inaktiv sind, als auch die Kirchenführenden (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Länderreport 10 Iran, Situation der Christen, Stand 3/2019).

Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es kann jedoch nicht klargestellt werden, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 14.06.2019).

Berichten zufolge sollen auch Kautionszahlungen absichtlich sehr hoch angesetzt werden, um den Familien von Konvertiten wirtschaftlich zu schaden. Im Anschluss an die Freilassung wird Konvertiten das Leben erschwert, indem sie oft ihren Job verlieren bzw. es ihnen verwehrt wird, ein Bankkonto zu eröffnen oder ein Haus zu kaufen. Die Regierung nutzt Kautionszahlungen, um verurteilte Christen vorsätzlich verarmen zu lassen, und drängt sie dazu, das Land zu verlassen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 14.06.2019).

Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob er/sie auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder andere Personen im Glauben zu unterrichten, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden i.d.R. nicht über ihn Bescheid wissen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 14.06.2019).

Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung habe, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein könnte (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 14.06.2019).

Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein, und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 14.06.2019).

Anzahl verhafteter Konvertierter

Christen im Exil haben gemäß dem US Department of State von zahlreichen Festnahmen, insbesondere von evangelikalen und vom Islam konvertierten Christen berichtet. Laut der USCIRF und der in Budapest ansässigen Nachrichtenagentur BosNewsLife haben iranische Sicherheitskräfte zwischen Mai und August 2016 ungefähr 80 Christen verhaftet. Die Mehrheit der Inhaftierten wurde laut USCIRF verhört und nach wenigen Tagen freigelassen, aber ein Teil der Verhafteten wurde über Monate ohne Anklage festgehalten. Mehrere Betroffene seien weiterhin in Haft. Menschenrechtsgruppen gehen allerdings davon aus, dass es eine Dunkelziffer gibt und die Zahl der Christen, welche von den Behörden aufgegriffen werden, viel höher liegen könnte. Im Dezember 2016 waren rund 90 christliche Personen wegen ihren religiösen Tätigkeiten oder ihrem Glauben inhaftiert oder saßen in Untersuchungshaft (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Länderreport 10 Iran, Situation der Christen, Stand 3/2019).

Familienangehörige Konvertierter

Auch Familienangehörige von konvertierten Personen sind Ziel staatlicher Schikane und Drohungen. Verschiede Quellen geben an, dass Familienmitglieder von christlichen Konvertierten Opfer von Schikanen durch staatliche Akteure werden können. Elam Ministries berichtet von einem 12-jährigen Jungen, der über seinen Glauben befragt und geschlagen wurde und zusammen mit seinen konvertierten Eltern verhaftet wurde. Gemäß Angaben der internationalen Organisation in der Türkei an das DIS riskieren Familienmitglieder von Konvertierten den Verlust der Arbeitsstelle oder eine Verweigerung des Hochschuleintritts. Als weiteres Beispiel werden Eltern fortgeschrittenen Alters erwähnt, die wegen der Konversion ihres Kindes durch staatliche Behörden schikaniert werden. Wenn der Ernährer der Familie verhaftet wird, bringe dies außerdem finanzielle Folgen mit sich mit, zumal große Summen Geld als Kaution für die temporäre Freilassung aufgetrieben werden müsste. Diese Beträge werden so hoch festgesetzt, um der Familie möglichst hohen finanziellen Schaden zuzufügen. Berichte weisen auf Verwandte von einem ins Ausland geflohenen und von Verhaftung bedrohten christlichen Pastors hin, die fast täglich bedroht wurden und in eine andere Stadt ziehen mussten, weil der iranische Geheimdienst MOIS die lokale Gemeinde informierte, dass sie Apostaten seien (Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 07.07.2018: Iran: Gefährdung von Konvertiten).

Soziale Folgen einer Konversion

Neben den strafrechtlichen Folgen einer Konversion besteht die Möglichkeit, dass bei Bekanntwerden des Glaubenswechsels der Arbeitsplatz in Gefahr gerät. Insbesondere bei staatlichen Unternehmen, in denen Angehörige des „Herasat“ (Aufsichtsgruppe des iranischen Geheimdienstministeriums) regelmäßig vertreten sind und auch in Privatunternehmen ab einer bestimmten Größe, die die Anwesenheit des „Herasat“ dulden müssen. Dabei ist es auch möglich, dass Familienangehörige des Konvertiten ebenfalls eine Kündigung erhalten.

Unabhängig von der gesellschaftlichen Umgebung besteht für Konvertiten die Gefahr, dass sie sich, wenn sie sich innerhalb der eigenen Familie erkennbar zum Christentum bekennen, erheblichen Widerständen bis hin zur aktiven Denunziation bei den Sicherheitskräften seitens eines Angehörigen der Familie aussetzen. Darüber hinaus riskieren sie auch den Ausschluss aus der Familie. Dies trifft insbesondere auf Konvertiten zu, deren Familienangehörige innerhalb des Regierungsapparates arbeiten, da diese in der Furcht leben, die Arbeit zu verlieren. Auch das Recht auf die Kindererziehung wird in solchen Fällen möglicherweise von der Familie in Frage gestellt, da die Erziehung eines muslimischen Kindes für Andersgläubige ausgeschlossen ist.

Grundsätzlich kann aber auch davon ausgegangen werden, dass diese Konflikte ausbleiben, wenn die Familie einem eher säkularen Umfeld entspringt, wie es in der iranischen Gesellschaft oftmals oder zunehmend der Fall ist. Daher kann auch davon ausgegangen werden, dass außerhalb des beruflichen Umfelds ein mangelhafter Moschee-Besuch oder die Verweigerung der Teilnahme an muslimischen Ritualen nicht zwingend den Verdacht einer Konversion aufkommen lässt. Dennoch ist es nicht verwunderlich, dass viele Konvertiten den Glaubenswechsel gegenüber ihren Familien verschweigen, um mögliche Konflikte zu umgehen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Länderreport 10 Iran, Situation der Christen, Stand 3/2019).

Rückkehr von Konvertiten

Die Rückkehr von Konvertiten in den Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung. In den vergangenen zehn Jahren wurde seitens der in Iran vertretenen westlichen Botschaften, die grundsätzlich Rückführungen iranischer Staatsangehöriger vor Ort kontrollieren, kein Fall der Festnahme eines Konvertiten bei der Einreise gemeldet.

Allgemein wird eine Unterscheidung zwischen dem Konvertiten, der bereits vor einer Ausreise in den Fokus der Sicherheitskräfte geraten ist und demjenigen, der nach der Ausreise einen Glaubenswechsel tätigte, vorgenommen.

Konvertiten, die aus einer Gefährdungs- oder Konfliktsituation heraus die Ausreise betrieben haben, werden als gefährdet betrachtet, da möglicherweise seitens der Behörden eine Akte über sie angelegt wurde und dies bei der Einreise über das Informationssystem angezeigt wird. Auch Konvertiten, die im Ausland in der Öffentlichkeit für ihr christliches neues Leben bekannt wurden, laufen Gefahr, dass die iranischen Sicherheitskräfte eine solche Ermittlungsakte angelegt haben. Dabei genügt es nicht, über die sozialen Medien den Glaubenswechsel zu verbreiten; vielmehr wird angenommen, dass bei entsprechender Aufmerksamkeit für die iranischen Dienste entscheidend ist, ob der Glaubenswechsel nachvollziehbar ist oder lediglich eine „copy/paste“-Entscheidung getroffen wurde, um eine Annäherung zum westlichen Leben zu erreichen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Länderreport 10 Iran, Situation der Christen, Stand 3/2019).

Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 14.06.2019).

Konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, werden für die Behörden nicht von Interesse sein. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, könnte dies anders sein. Wenn er den Behörden nicht bekannt war, dann wäre eine Rückkehr nach Iran kein Problem. Konvertiten, die ihre Konversion aber öffentlich machen, können sich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen, einschließlich Facebook berichtet, können die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang würde davon abhängen, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein „high-profile“-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, wird der Konvertit wohl keine harsche Strafe bekommen. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein, würde nicht zu einer Verfolgung führen, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, würde er/sie nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das zu einem Problem werden (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 14.06.2019).

Menschenrechtslage/Sanktionen

Der Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Lage der Menschenrechte, die jedoch besser ist als in der Mehrzahl der Nachbarländer. Die Menschenrechtsbilanz der Regierung bleibt schlecht und verschlechterte sich in mehreren Schlüsselbereichen. Zu den Menschenrechtsfragen gehören Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard der "schwersten Verbrechen" entsprechen, zahlreiche Berichte über rechtswidrige oder willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte, harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen, systematische Inhaftierungen einschließlich Hunderter von politischen Gefangenen. Weiters unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets, einschließlich Zensur, Blockieren von Webseiten und Kriminalisierung von Verleumdungen; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit, wie z.B. die restriktiven Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGO); Einschränkungen der Religionsfreiheit, Beschränkungen der politischen Beteiligung, weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen, rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien, Menschenhandel, strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten, Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten, Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen LGBTI-Personen beinhalten, und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften. Die Regierung unternahm wenige Schritte um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Viele dieser Missstände sind im Rahmen der Regierungspolitik zu verantworten. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet.

Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze in Frage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB sowie Staatsschutzdelikte insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden. Besonders unter Druck stehen Mitglieder bzw. Gründer von Menschenrechtsorganisationen (zumeist Strafverteidiger bzw. Menschenrechtsanwälte), wie etwa des „Defenders of Human Rights Center“, deren Gründungsmitglieder nahezu allesamt wegen ihrer Tätigkeit hohe Haftstrafen verbüßen. Zum Teil wurden auch Körperstrafen sowie Berufs- und Reiseverbote über sie verhängt. Es ist davon auszugehen, dass sie in Haftanstalten physischer und schwerer psychischer Folter ausgesetzt sind. Oft werden auch Familienmitglieder und Freunde von Strafverteidigern unter Druck gesetzt (verhört oder verhaftet). Die Tätigkeit als Frauen- und Menschenrechtsaktivist wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt (Vorwurf der Propaganda gegen das Regime o.ä.) und hat oft die Verurteilung zu Haft- oder auch Körperstrafen zur Folge (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 14.06.2019).

Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik. in welcher versucht wird. demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt. dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden. Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den sogenannten Chef der Judikative. Dieser ist laut Art.157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben. unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich. dass Exekutivorgane. v.a. der Sicherheitsapparat. trotz des formalen Verbots. in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten. dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“;IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt. Die Liste der Verteidiger in politischen Verfahren ist auf 20 Anwälte beschränkt worden, die z. T dem Regime nahe stehen. Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen. Obwohl das Beschwerderecht rechtlich garantiert ist, ist es in der Praxis eingeschränkt, insbesondere bei Fällen, die die nationale Sicherheit oder Drogenvergehen betreffen.

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen. Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet. Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft.

In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden.

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt.

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

-        Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

-        Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

-        Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

-        Spionage für fremde Mächte;

-        Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

-        Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen.

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten.

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt. Nach Art. 278 iStGB können in bestimmten Fällen des Diebstahls Amputationen von Gliedmaßen auch für Ersttäter - vom Gericht angeordnet werden. Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten.

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon sieben Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat.

Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten, ihre Familien werden nicht oder sehr spät informiert. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch. Hinsichtlich der Ausübung von Sippenhaft liegen gegensätzliche Informationen vor, sodass eine belastbare Aussage nicht möglich ist.

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen.

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Es gibt zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen  Druck erzwungene Geständnisse.

Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran vom 14.06.2019; Auswärtiges Amt: Bericht über die Lage in der Islamischen Republik Iran vom 12.01.2019).

1.3. Hinsichtlich des Beschwerdeführers:

1.3.1. Der Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger des Iran, Zugehöriger der Volksgruppe der Kurden und stammt aus XXXX . Er ist im Entscheidungszeitpunkt 31 Jahre alt und gebürtiger Moslem. Er ist illegal aus dem Iran ausgereist und in das österreichische Bundesgebiet eingereist und seither nicht mehr in den Iran zurückgekehrt. Am 23.11.2015 stellte er in Österreich den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er ist strafrechtlich unbescholten.

1.3.2. Der Beschwerdeführer bekennt sich zum christlichen (protestantischen) Glauben, er ist Mitglied einer christlichen Freikirche (Baptistengemeinde). Er ist ernsthaft aus innerer Überzeugung vom Islam zum Christentum übergetreten. Er hat seine christliche Überzeugung (Konversion) öffentlich gemacht und lebt seinen Glauben offen aus, wobei er rege kirchliche Aktivität entfaltet und mit anderen Menschen seinen Glauben teilt. Er ist ernstlich gewillt, seine christliche Religion weiterhin (auch im Iran) auszuleben und auszuüben.

Nach seiner Ankunft in Österreich kam der Beschwerdeführer mit der Christlichen Gemeinde in S. in Kontakt und er besuchte diese Gemeinde seit April 2016. Er wurde von Mitgliedern dieses Vereins dazu eingeladen, die Glaubensinhalte und Aktivitäten dieser Glaubensgemeinschaft kennenzulernen. Er besuchte regelmäßig die Gottesdienste, nahm auch an anderen Veranstaltungen der Christlichen Gemeinde in S. teil und half bei anfallenden kirchlichen Arbeiten mit. Weil er vom Christentum überzeugt war, ließ sich der Beschwerdeführer nach Absolvierung einer Taufvorbereitung (Teilnahme am Taufvorbereitungskurs der Gemeinde und eines Priesters) nach dem Ritus der Christlichen Gemeinde in S. am 11.09.2016 taufen. Er nahm auch danach an Kursen über das Christentum teil. Seit August 2018 besucht der Beschwerdeführer die Baptistengemeinde. Der Beschwerdeführer ist ein gut integrierter Christ und geschätztes Mitglied der Kirchengemeinde, er betet, liest regelmäßig die Bibel, besucht Bibelkurse, beteiligt sich regelmäßig (jeden Sonntag) am Gottesdienst und nimmt am Abendmahl und kirchlichen Veranstaltungen teil. Er verfügt über Wissen über seine neue Religion, beschäftigt sich mit Glaubensinhalten und Texten, spricht mit anderen über das Christentum und ist bestrebt, das Evangelium weiterzugeben. Die Ausübung des christlich-baptitischen Glaubens und dessen Verbreitung sind dem Beschwerdeführer wichtig. Die Beschäftigung mit dem christlichen Glauben veränderte die Einstellung des Beschwerdeführers im positiven Sinne. Der Beschwerdeführer beabsichtigt die Fortsetzung seiner kirchlichen/religiösen Aktivitäten, da dies für seine Glaubensüberzeugung von zentraler Bedeutung ist. Der Beschwerdeführer ist vom Christentum ehrlich überzeugt und ein Widerruf seines nunmehrigen religiösen Bekenntnisses kommt für ihn nicht in Betracht. Am 28.09.2017 ist der Beschwerdeführer aus der islamischen Kirche ausgetreten.

1.3.3. Der Beschwerdeführer ist gefährdet, wegen seiner Konversion/Religionsausübung im Iran asylrelevant in das Blickfeld der iranischen Behörden/der iranischen muslimischen Gesellschaft zu geraten und aus politischen/religiösen Gründen Opfer schwerster Menschenrechtsverletzungen zu werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der Verfahrensgang/das Verwaltungsgeschehen ergibt sich aus dem Inhalt der Akten der Verwaltungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die Feststellungen zur Situation im Iran beruhen auf den dort jeweils angeführten Quellen. Die herangezogenen Länderberichte basieren wiederum auf Berichten anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der entscheidungswesentlichen Situation im Iran ergeben. Angesichts der Seriosität der Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend üb

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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