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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art139 Abs1 / IndividualantragLeitsatz
Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Teilen der MineralwasserV 1994 bezüglich der angenommenen Weitergeltung des Glasflaschengebots mangels Legitimation; keine rechtliche Betroffenheit aufgrund gegenteiligen Inhalts der angefochtenen Verordnungsstelle; keine Fortgeltung des Glasflaschengebots aufgrund des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts iSd auf den EG-Vertrag gestützten Rechtsprechung des EuGHSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1.1. Mit dem auf Art139 B-VG gestützten Antrag begehrt die antragstellende Gesellschaft die Aufhebung des letzten Halbsatzes (:"; sie tritt mit 1. Jänner 1997 in Kraft") des §6 der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz über natürliche Mineralwässer, BGBl. 552/1994, (im folgenden: Mineralwasserverordnung 1994).
1.2. Die auf Grund der §§10 Abs1 und 2 sowie 19 Abs1 Lebensmittelgesetz 1975, BGBl. 86 idF BGBl. 756/1992, (LMG 1975), erlassene Mineralwasserverordnung 1994 lautet in den hier maßgeblichen Teilen: (Der angefochtene Halbsatz ist hervorgehoben.)
"§1. Die Absätze 1 bis 2.3, 3 bis 4.4, 5 bis 7.1, 11 bis 12.2 ... des Lebensmittelbuches, III. Auflage, Kapitel B 17, Abschnitt A Teilkapitel 'natürliches Mineralwasser' werden als Verordnung erlassen. ...
1. Dieses Kapitel regelt das Inverkehrbringen von natürlichem Mineralwasser, soweit es in zur Abgabe an den Letztverbraucher bestimmte Behältnisse abgefüllt ist.
...
5. Das Inverkehrbringen eines natürlichen Mineralwassers darf nur erfolgen, wenn die in den Absätzen 5.1 bis 5.3 genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
...
5.2 Die Nutzungsbedingungen, insbesondere die Reinigungs- und Abfüllanlagen, müssen den hygienischen Anforderungen genügen. Die Behältnisse müssen so behandelt oder hergestellt sein, daß sie die mikrobiologischen und chemischen Merkmale natürlicher Mineralwasser nicht verändern.
...
7. Natürliches Mineralwasser darf nur in den zur Abgabe an den Letztverbraucher zugelassenen Behältnissen transportiert werden. Es muß in unmittelbarer Nähe zum Quellort abgefüllt werden.
...
§6. Die Bestimmung des §1 Abs7 erster Satz gilt - ungeachtet der weiterhin anzuwendenden Vorschriften des LMG 1975 über Gesundheitsschädlichkeit und Hygiene - nur für natürliches Mineralwasser, das dazu bestimmt ist, im Inland an Letztverbraucher abgegeben zu werden; sie tritt mit 1. Jänner 1997 in Kraft."
Die gemäß §77 Abs1 Z10 LMG 1975 als Bundesgesetz solange weiter in Kraft stehende "Verordnung vom 30. September 1935, BGBl. Nr. 526, über den Verkehr mit Mineralwasser", (Mineralwasserverordnung 1935), "bis ihren Gegenstand regelnde Verordnungen" in Wirksamkeit getreten sind, lautet:
"Es ist verboten, zum Verkauf als Lebensmittel bestimmte natürliche und künstliche Mineralwässer in anderen Behältnissen als in den zur Abgabe an Verbraucher dienenden verschlossenen Glasflaschen zu versenden."
1.3. Zur Begründung der Antragslegitimation verweist die antragstellende Gesellschaft darauf, daß ihr Unternehmen "Marktführer beim Vertrieb natürlicher Mineralwässer in Österreich" sei. Durch die angefochtene Verordnung werde ihr die Rechtspflicht auferlegt, "für das Inverkehrbringen von Mineralwasser Glasflaschen (zu) verwenden". Diese Rechtspflicht greife unmittelbar und aktuell in ihre Rechtssphäre ein, ohne daß ein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung stünde, die Verordnung zu bekämpfen.
1.4. Die antragstellende Gesellschaft geht davon aus, daß auf Grund der Mineralwasserverordnung 1994 das Glasflaschengebot für natürliches Mineralwasser bis 31. Dezember 1996 gilt. Es gebe aber "keinerlei sachliche Rechtfertigung dafür ..., daß Mineralwässer (bis 1.1.1997) ausschließlich in Glasflaschen an den Endverbraucher abgegeben werden dürfen; weder von Seiten der Verpackungsvermeidung, da ... auch Kunststoffflaschen wiederverwertbar sind, noch aus lebensmittelrechtlicher Sicht, zumal nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft auch Kunststoffverpackungen durchaus für die Verpackung von Mineralwässern geeignet sind".
Das Glasflaschengebot bewirke Umsatzeinbußen und daher eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unverletzlichkeit des Eigentums. Durch die unsachliche Diskriminierung im Vergleich mit anderen im Lebensmittelhandel angebotenen Getränken werde das Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Darüber hinaus sei es auf Grund der Übergangsfrist nicht gestattet, neue und innovative Verpackungen auf den Markt zu bringen. Dadurch sei es nicht möglich, durch Verpackungsveränderungen Umsatzzuwächse zu erringen, wodurch das Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung beeinträchtigt werde.
§6 der Mineralwasserverordnung 1994 widerspreche auch der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 15. Juli 1980, 80/777/EWG, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 229, vom 30. August 1980, (im folgenden: Mineralwasserrichtlinie), welche in ihrem Art6 über die zur Abfüllung natürlicher Mineralwasser zu verwendenden Behältnisse keinerlei Einschränkung enthalte, wonach dieses Mineralwasser nur in Glasflaschen vertrieben werden dürfe.
2. Der Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz hat eine Äußerung erstattet, in der er die Rechtmäßigkeit der Mineralwasserverordnung 1994 verteidigt.
Er führt aus, daß die Übergangsbestimmung in §6 "aufgrund massiver Einwände seitens des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie" zustande gekommen ist. In zahlreichen Gesprächen mit Vertretern des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie sei die abfallwirtschaftsrechtliche Problematik besprochen worden. Die Tatsache, daß seit 1990 abfallrechtliche Regelungen im Verpackungsbereich erlassen worden waren, änderte den seit 1935 bestehenden Rechtszustand betreffend Mineralwässer (Glasflaschengebot) nicht. Die Mineralwasserverordnung 1935 und die auf Grund dieser Verordnung langjährig etablierten Glas-Mehrweg-Systeme dienten vielmehr als Ausgangspunkt für die Festlegung der Zielvorgaben und Pflichten im Getränkebereich. Nur durch die schon bestehenden, sehr hohen Wiederbefüllungsanteile hätten die Zielvorgaben einschlägiger Verordnungen entsprechend hoch angesetzt und - wie die Überprüfung der Quoten für das Jahr 1993 ergab - auch erreicht werden können. Die auf Grund des Abfallwirtschaftsgesetzes erlassenen Verordnungen "legen die Verordnung aus 1935 betreffend Mineralwasser, Tafelwasser, Sodawasser zugrunde".
Daher seien die beiden "betroffenen Ressorts" übereingekommen, "daß künftig, das heißt ab dem Jahr 1997, mit einer entsprechenden Regelung im Abfallbereich Maßnahmen zu setzen sein werden". Es werde aus abfallrechtlicher Sicht sichergestellt werden müssen, daß aus der Mineralwasserabfüllung dem Vertriebssystem nicht mehr Abfälle entstehen als durch das derzeitige Glas-Mehrweg-System.
Auch die EG sehe in Aktionsprogrammen für den Umweltschutzbereich bzw. in Richtlinien vor, "daß geeignete Maßnahmen getroffen werden, um die Einschränkung der Abfallbildung sowie die Verwertung und Umwandlung von Abfällen zu fördern". In den Erwägungsgründen zur "Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1985 über Verpackungen für flüssige Lebensmittel (Amtsblatt Nr. L 176 vom 6. Juli 1985, S. 18)" werde ausgeführt, daß es notwendig sei, die Auswirkungen der Verpackungsabfälle auf die Umwelt zu verringern und die Einsparung von Energie von Rohstoffen zu fördern. Um diese Ziele zu verwirklichen, müßten die Mitgliedstaaten Programme zur Verringerung des Gewichts und/oder Volumens der Verpackungen von flüssigen Lebensmitteln, die später endgültig zu beseitigenden Hausmüll bilden, aufstellen.
Daher sei es nicht möglich gewesen, die Mineralwasserverordnung 1935 durch eine neue Verordnung aufzuheben, "ohne (vorher) ein Mehrwegsystem mit entsprechenden Rücklaufquoten zu etablieren". Zur Entwicklung und Untersuchung dieser Mehrwegsysteme einerseits und andererseits auf Grund der rasanten Entwicklung von neuen Materialien aus Kunststoff, die eine Wiederbefüllbarkeit von Kunststoffflaschen in absehbarer Zeit erwarten ließe, sei eine Übergangsfrist bis zum 1. Jänner 1997 festzulegen gewesen. In der Übergangsfrist bis 1. Jänner 1997 sei geplant, spezielle abfallwirtschaftliche Regelungen betreffend Mineralwasser zu treffen. Eine Wiederbefüllbarkeit von Kunststoffgebinden bei Mineralwasser sei derzeit aus hygienisch-gesundheitlicher Sicht nicht vertretbar.
Die Mineralwasserverordnung 1994 stelle die Umsetzung der im Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum enthaltenen Mineralwasserrichtlinie dar, wobei Gegenstand der "'alten' Vorschrift ist, daß Mineralwässer nur in Glasflaschen feilgehalten werden dürfen, Gegenstand der neuen Regelung ist (u.a.) die Zulässigkeit des Inverkehrbringens von Mineralwasser auch in anderen Behältnissen (gemäß den §§28 ff. LMG 1975) ab 1. Jänner 1997". Die Mineralwasserrichtlinie enthalte zwar "keinerlei Einschränkung, wonach natürliches Mineralwasser nur in Glasflaschen vertrieben werden darf", sie stehe in Österreich jedoch im Spannungsverhältnis zur Richtlinie über Verpackungen für flüssige Lebensmittel, die ebenfalls umzusetzen gewesen sei.
Die verordnungserlassende Behörde begehrt daher, den Antrag abzuweisen.
3. Auf diese Äußerung hat die antragstellende Gesellschaft repliziert. Sie verweist darauf, daß durch die Mineralwasserverordnung 1994 zwar die österreichische Rechtslage der Gemeinschaftsrechtslage angepaßt worden sei.
Gemeinschaftsrechtlich sei dabei vorgegeben gewesen, "daß die österreichische Beschränkung, als Verpackung für Mineralwasser nur Glasflaschen zuzulassen, nicht aufrecht erhalten werden konnte". Gestützt auf die entsprechenden Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes habe der Verordnungsgeber in der Mineralwasserverordnung 1994 daher auch bestimmt, daß natürliches Mineralwasser nur in den zur Abgabe an den Letztverbraucher zugelassenen Behältnissen transportiert werden dürfe. Lasse man die Übergangsbestimmung des §6 Mineralwasserverordnung 1994 einmal außer Betracht, bedeute dies, daß "zugelassenes Mineralwasser nicht mehr nur ausschließlich in Glasflaschen, sondern in sämtlichen Behältnissen verpackt in den Handel gebracht werden darf, die zur Abgabe an den Letztverbraucher zugelassen sind". Da die Mineralwasserverordnung 1994 die Einschränkung auf Glasflaschen nicht mehr enthalte, trete die Mineralwasserverordnung 1935 grundsätzlich außer Kraft.
Es sei damit zulässig, Mineralwässer auch in anderen Behältnissen als Glasflaschen an Letztverbraucher abzugeben, soferne diese Behältnisse die entsprechenden sanitätspolizeilichen Anforderungen erfüllen und auf Grund des Lebensmittelgesetzes behördlich anerkannt sind.
Der Mineralwasserverordnung 1994 dürfe kein Inhalt zugesonnen werden, der auf eine ausschließliche Zulassung bestimmter Verpackungsarten bei gleichzeitigem Ausschluß anderer im Hinblick auf die Gesundheitsverträglichkeit, Hygiene und Umweltverträglichkeit gleichwertiger Behältnisse hinausläuft. Der Gesichtspunkt der Abfallvermeidung dürfe nämlich nicht dazu führen, daß bestimmte auch sonst in abfallwirtschaftlicher Sicht als Verpackung für vergleichbare Lebensmittel anerkannte Materialien ausgeschlossen werden und damit der freie Handel mit Mineralwasser unzulässig behindert werde.
Die angefochtene Übergangsbestimmung des §6 der Mineralwasserverordnung 1994 setze nun aber diese Rechtswirkungen bis 31. Dezember 1996 aus und behalte bis dahin das Regime der Mineralwasserverordnung 1935 und damit die Beschränkung auf Glasflaschen als Verpackung für Mineralwasser bei. Weder sanitätspolizeiliche noch abfallwirtschaftliche Aspekte könnten aber eine sachliche Rechtfertigung für diese zweieinhalbjährige Benachteiligung von Mineralwasserunternehmen gegenüber anderen Herstellern flüssiger Lebensmittel bewirken.
II. 1. Gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Voraussetzung für die Zulässigkeit des Individualantrages nach Art139 Abs1 letzter Satz B-VG ist sohin, daß die angefochtene Verordnung dem Antragsteller gegenüber dergestalt anzuwenden ist, daß sie in jene Rechte des Antragstellers, deren Verletzung durch die angefochtene Verordnung von diesem behauptet wird, eingreift.
An einer derartigen Anwendbarkeit der antragstellenden Gesellschaft gegenüber fehlt es jedoch, - wie im folgenden darzustellen ist -, dem §6 letzter Halbsatz der Mineralwasserverordnung 1994.
2. §77 Abs1 Z10 LMG 1975 bestimmt, daß die "Verordnung vom 30. September 1935, BGBl. Nr. 526, über den Verkehr mit Mineralwasser" als Bundesgesetz so lange weiter in Kraft bleibt, "bis ihren Gegenstand regelnde Verordnungen auf Grund dieses Bundesgesetzes in Wirksamkeit getreten sind". In VfSlg. 12396/1990 sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß die in §77 Abs1 LMG 1975 aufgezählten Rechtsvorschriften, also auch die Mineralwasserverordnung 1935, unabhängig von ihrem bisherigen rechtlichen Schicksal im Range eines Bundesgesetzes so lange gelten, bis eine neue, auf Grund des LMG 1975 erlassene Verordnung ihren Gegenstand regelt. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg. 11632/1988 feststellte, wird durch eine derartige - verfassungsrechtlich unbedenkliche - Regelungstechnik keineswegs eine Verwaltungsbehörde zur Aufhebung eines Gesetzes ermächtigt. Vielmehr wird dadurch lediglich eine gesetzliche Bedingung für das Außerkrafttreten einer als Gesetz geltenden Verordnung dergestalt festgelegt, daß das Außerkrafttreten des Gesetzes von der gesetzlich angeordneten Erlassung einer ausreichend determinierten, das Gesetz näher konkretisierenden Verordnung durch die dazu berufene Behörde abhängig gemacht wird.
Die bis zur Erlassung einer den gleichen Gegenstand auf Grund des LMG 1975 regelnden Verordnung als Gesetz geltende Mineralwasserverordnung 1935 verbietet in ihrem §1,
"..., zum Verkauf als Lebensmittel bestimmte natürliche und künstliche Mineralwässer in anderen Behältnissen als in den zur Abgabe an Verbraucher dienenden verschlossenen Glasflaschen zu versenden".
In VfSlg. 12396/1990 hielt es der Verfassungsgerichtshof für sachlich gerechtfertigt und auch dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung nicht widersprechend, wenn der Gesetzgeber "Wasser, das mit einem besonderen Qualitätsanspruch in Verkehr gebracht wird und das als Lebensmittel auf besondere Erwartungen der Konsumenten stößt, lediglich in einer Verpackungsform abzugeben (gestattet), die diesen Ansprüchen in besonderer Weise dient"; dies ungeachtet des Umstands, "daß der Gesetzgeber für andere, ähnliche Lebensmittel, wie etwa ... mineralwasserhältige Limonaden, ein gleichartiges Verpackungsverbot nicht aufgestellt hat".
3. Da die Weitergeltung der Mineralwasserverordnung 1935 kraft §77 Abs1 LMG 1975 davon abhängt, daß keine "ihren Gegenstand regelnde Verordnungen auf Grund dieses Bundesgesetzes in Wirksamkeit getreten sind", ist zu prüfen, ob und inwieweit die Mineralwasserverordnung 1994 eine den Gegenstand der Mineralwasserverordnung 1935 regelnde Bestimmung enthält; dies vor dem Hintergrund des auf Aufhebung des letzten Halbsatzes des §6 der Mineralwasserverordnung 1994 gerichteten Antrags der antragstellenden Gesellschaft, die davon ausgeht, daß die Anordnung des Inkrafttretens der Bestimmung des §1 Abs7 erster Satz der Mineralwasserverordnung 1994 "mit 1. Jänner 1997" bewirkt, daß bis zu diesem Zeitpunkt das Glasflaschengebot für die Versendung natürlicher Mineralwässer kraft Mineralwasserverordnung 1935 bestehen bleibt.
4. Der Entstehungsgeschichte des §6 der Mineralwasserverordnung 1994 zufolge sollte durch den Aufschub des Geltungsbeginns der Mineralwassertransportvorschrift des §1 Abs7 erster Satz der Mineralwasserverordnung 1994 das Gebot der Mineralwasserverordnung 1935 über die Versendung natürlicher Mineralwässer in Glasflaschen - zeitlich bis dahin befristet - auch tatsächlich in Kraft bleiben: Während im ursprünglichen Entwurf einer Mineralwasserverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz, Z31.901/101-III/B/12/93, eine Vorschrift über das Inkrafttreten der Verordnung oder einzelner ihrer Teile überhaupt fehlte und in einem späteren, nicht näher bezeichneten Entwurf in einem §6 ausdrücklich "mit Wirksamwerden dieser Verordnung" das Außerkrafttreten der Mineralwasserverordnung 1935 vorgesehen war, sollte mit dem nunmehr in die geltende Mineralwasserverordnung 1994 aufgenommenen §6 durch die Anordnung einer Legisvakanz für die Bestimmung des §1 Abs7 erster Satz der Verordnung bewirkt werden, daß auch für natürliche Mineralwässer die Mineralwasserverordnung 1935 vorläufig weitergilt und daher das "'Glasflaschenmonopol' ... bis 1.1.1997 (bleibt)" (so im Verordnungsakt das "2. EB zu GZ AV 31.901/62-III/B/12/94"). Auch die Parteien des verfassungsgerichtlichen Verfahrens vertreten in ihren Schriftsätzen, wie oben dargelegt, eine derartige Auslegung des §6 letzter Halbsatz der Mineralwasserverordnung 1994.
5. Der sonstige Inhalt der Mineralwasserverordnung 1994, insbesondere deren §1 Abs5.2, erweckt allerdings erhebliche Zweifel, ob die unter 4. dargelegte Regelungsabsicht durch §6 letzter Halbsatz Mineralwasserverordnung 1994 hinreichend verwirklicht wurde:
Da sich die Mineralwasserverordnung 1994 lediglich auf "das Inverkehrbringen von natürlichem Mineralwasser" bezieht, bleibt die Mineralwasserverordnung 1935 zwar jedenfalls weiterhin in Kraft, soweit sie die Versendung künstlicher Mineralwässer zum Gegenstand hat. Für die Abfüllung natürlicher Mineralwässer, "soweit es in zur Abgabe an den Letztverbraucher bestimmte Behältnisse abgefüllt" wird (§1 Abs1), dürfte die Mineralwasserverordnung 1994 allerdings erschöpfende Regelungen treffen.
Bereits in VfSlg. 12396/1990 nahm der Verfassungsgerichtshof an, daß das "Versenden" gemäß §1 Mineralwasserverordnung 1935 so verstanden werden kann, "daß jedes Inverkehrbringen, ... des Wassers darunterfällt ..." (S. 652). Für das Inverkehrbringen eines natürlichen Mineralwassers, also für den diesbezüglichen Regelungsgegenstand der Mineralwasserverordnung 1935, nennt aber nunmehr §1 Abs5 der Mineralwasserverordnung 1994 nähere "Voraussetzungen". Abs5.2 zweiter Satz dieser Vorschrift lautet:
"Die Behältnisse müssen so behandelt oder hergestellt sein, daß sie die mikrobiologischen und chemischen Merkmale natürlicher Mineralwasser nicht verändern."
Daß die Behältnisse natürlicher Mineralwässer ausschließlich Glasflaschen sein dürfen, wird durch diese Vorschrift (schon im Hinblick auf die durch die Mineralwasserverordnung 1994 zu bewirkende Anpassung an das europäische Gemeinschaftsrecht, s. unten 6.) bewußt und gezielt nicht mehr angeordnet.
Das Verbot des §1 der Mineralwasserverordnung 1935, natürliche Mineralwässer "in anderen Behältnissen als in den zur Abgabe an Verbraucher dienenden verschlossenen Glasflaschen zu versenden", wurde durch die den gleichen Gegenstand regelnde, aber nicht mehr länger das ausschließliche Inverkehrbringen des natürlichen Mineralwassers in Glasflaschen gebietende Regelung des §1 Abs5.2 der Mineralwasserverordnung 1994 mit dem Inkrafttreten dieser Verordnungsbestimmung am 20. Juli 1994 ersetzt. Wenn aber natürliches Mineralwasser auch in (zur Abgabe an den Letztverbraucher bestimmten) Behältnissen in Verkehr gebracht werden darf, die keine Glasflaschen sind (, solange diese Behältnisse nur so behandelt oder hergestellt wurden, "daß sie die mikrobiologischen und chemischen Merkmale natürlicher Mineralwasser nicht verändern",) dürfte das Glasflaschengebot des §1 der Mineralwasserverordnung 1935 bezüglich natürlicher Mineralwässer (gemäß §77 Abs1 LMG 1975) als aufgehoben anzusehen sein.
Fraglich bleibt, ob der Umstand, daß die Spezialvorschrift des §1 Abs7 Mineralwasserverordnung 1994 über die beim Transport natürlichen Mineralwassers zugelassenen Behältnisse erst später (nämlich mit 1. Jänner 1997) in Kraft tritt, zu bewirken vermag, daß das Glasflaschengebot des §1 der Mineralwasserverordnung 1935 bis zum angegebenen Zeitpunkt in Kraft bleibt.
6. Eine dahingehende Auslegung des §6 letzter Halbsatz der Mineralwasserverordnung 1994, die der geschilderten Genese des §6 letzter Halbsatz der zitierten Norm Rechnung tragen würde, und derzufolge das Glasflaschengebot für die Abfüllung natürlicher Mineralwässer kraft Mineralwasserverordnung 1935 bis 31. Dezember 1996 in Kraft bliebe, ist aber jedenfalls deswegen zu verwerfen, weil dadurch ein Auslegungsergebnis bewirkt würde, das dem auch in Österreich geltenden europäischen Gemeinschaftsrecht widerstreitet:
Wie dem allgemeinen Teil der Erläuterungen zum Entwurf der Mineralwasserverordnung 1994 (vgl. diese im Verordnungsakt des Bundesministeriums für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz Z31.901/101-III/B/12/93) zu entnehmen ist, wurde durch die Mineralwasserverordnung 1994 die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 15. Juli 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern, 80/777/EWG, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 229 vom 30. August 1980, S. 1 ff., übernommen. In concreto wurden Teile der von der Kodexunterkommission B 17 erarbeiteten Umsetzung jener Mineralwasserrichtlinie gemäß §10 Abs2 LMG 1975 als Mineralwasserverordnung 1994 erlassen.
Gemäß Art3 der Richtlinie "müssen" "die Nutzung der natürlichen Mineralwässer ... Anhang II entsprechen". Im Anhang II zur Richtlinie werden "Bedingungen für die Nutzung der Quellen und den Handel mit natürlichem Mineralwasser" ua. dahin festgelegt, daß
"2. ...
a) - b) ...
c) die Nutzungsbedingungen, insbesondere die Reinigungs- und Abfüllanlagen, ... den hygienischen Anforderungen genügen (müssen). Die Behältnisse müssen so behandelt oder hergestellt sein, daß sie die bakteriologischen und chemischen Merkmale natürlicher Mineralwässer nicht verändern;
d) der Transport eines natürlichen Mineralwassers in anderen als den zur Abgabe an den Endverbraucher zugelassenen Behältnissen ... untersagt (ist).
..."
Als einzige Ausnahme von Z2. litd) ist gemäß dem letzten Satz der Z2. der Transport von natürlichem Mineralwasser in Großbehältern innerhalb eines Mitgliedstaates dann gestattet, wenn der Transport zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Richtlinie zulässig war.
Für die Umsetzung der Richtlinie sieht deren Art15 ua. vor, daß "das Inverkehrbringen von dieser Richtlinie entsprechenden Erzeugnissen spätestens zwei Jahre nach Bekanntgabe der Richtlinie erlaubt ist". Diese Frist ist am 1. September 1982 abgelaufen.
Die Richtlinie stützt sich, wie ihr Vorspruch zeigt, auf Art100 EG-Vertrag und ist diesem Vorspruch zufolge dahin zu verstehen, daß dadurch Hemmnisse für den freien Warenverkehr mit natürlichen Mineralwässern beseitigt werden sollen. Sie ist daher auch vor dem Hintergrund des Art30 des EG-Vertrages zu lesen, wonach "mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung ... zwischen den Mitgliedstaaten verboten (sind)". Wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) etwa in seinem Urteil vom 20.9.1988 - Kommission/Königreich Dänemark, Rs. 302/86, Slg. 1988, 4627, (Pfandflaschenurteil), dargetan hat, bilden nationale Verpackungssysteme für Getränke Handelshemmnisse, die dem Art30 des EG-Vertrages (als Maßnahmen gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen) widersprechen, sofern sie nicht notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen des Gemeinschaftsrechts gerecht zu werden. Anders als Regelungen, welche bloß bestimmte Verkaufsmodalitäten betreffen und die daher nach Meinung des EuGH (EuGH 24.11.1993 Keck und Mithouard, Rs. C-267/91 und C-268/91, EuZW 1993, 770) nicht geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern, können Vorschriften über Warenverpackungen sehr wohl den innergemeinschaftlichen Handel behindern (vgl. zuletzt EuGH 6.7.1995 - Mars GmbH, Rs. C-470/93, EuZW 1995, 611). Die Richtlinie ist sohin im Sinne der Warenverkehrsfreiheit zu verstehen. Das bedeutet aber, daß bei natürlichem Mineralwasser die Abfüllung für Letztverbraucher in allen Behältnissen zugelassen werden muß, wenn diese nur "die bakteriologischen und chemischen Merkmale natürlicher Mineralwässer nicht verändern".
Dagegen kann auch die Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 27. Juni 1985 über Verpackungen für flüssige Lebensmittel, 85/339/EWG, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 176 vom 6.7.1985, S. 18, wie dies die Antragsgegnerin versucht, nicht mit Erfolg ins Treffen geführt werden. Dem Vorspruch dieser Richtlinie zufolge müssen nämlich die von den Mitgliedstaaten zur Durchführung dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen "den Bestimmungen des Vertrages, insbesondere denen über den freien Warenverkehr, entsprechen". Eine Beschränkung der Abfüllung natürlicher Mineralwässer, soweit es zur Abgabe an Letztverbraucher bestimmt ist, auf Glasflaschen kann im übrigen schon deswegen nicht durch die angeführte Richtlinie gerechtfertigt werden, weil darin lediglich die Mitgliedstaaten zu Maßnahmen und Aktionsprogrammen verpflichtet werden, die auf die Verringerung der Umweltbelastung durch Abfälle von Verpackungen flüssiger Lebensmittel zielen, ohne daß die Richtlinie über die Art des Verpackungsmaterials eine Aussage trifft.
Auf Grund des aus Art5 EG-Vertrag abzuleitenden Gebots richtlinienkonformer Interpretation innerstaatlichen Rechts (vgl. dazu Rodriguez-Iglesias/Riechenberg, Zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, Festschrift Everling, 1995, 1213 ff.; Ress, Die richtlinienkonforme "Interpretation" innerstaatlichen Rechts, Die öffentliche Verwaltung, 1994, 489 ff.) sind die nationalen Gerichte, ist also auch der Verfassungsgerichtshof verhalten, das zur Umsetzung einer Richtlinie erlassene nationale Recht in deren Lichte und Zielsetzung auszulegen. Wie den Urteilen EuGH (EuGH 10.4.1984 - von Colson und Kamann, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891; EuGH 13.11.1990 - Marleasing SA, Rs. C-106/89, Slg. 1990, I-4135; sowie zuletzt EuGH 14.7.1994 - Faccini Dori, Rs. C-91/92, Slg. 1994, I-3325) zu entnehmen ist, verpflichtet Art5 EG-Vertrag alle nationalen Gerichte, das nationale Recht unter voller Ausschöpfung des richterlichen Beurteilungsspielraums in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden. Dieser Grundsatz kommt insbesondere zur Anwendung, wenn die Regelung eines Sachverhalts nicht nur Gegenstand einer nationalen Bestimmung, sondern auch einer Richtlinienbestimmung ist (vgl. Ress, aaO., 490, litd; von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur Europäischen Union, Art5. Rdnr. 55).
Der geschilderte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts führt im vorliegenden Fall dazu, die zur Umsetzung der Mineralwasserrichtlinie erlassene Mineralwasserverordnung 1994 im Sinne der Richtlinie auszulegen, um diese mit jener zu harmonisieren, soweit der Inhalt jener Verordnung angesichts ihrer Entstehungsgeschichte zweifelhaft bleibt.
Die mit §6 der Mineralwasserverordnung 1994 intendierte Fortgeltung des Glasflaschengebots für natürliche Mineralwässer kraft Mineralwasserverordnung 1935 ist (auch befristet bis 31. Dezember 1996) mit der dargestellten Rechtslage nach europäischem Gemeinschaftsrecht, insbesondere mit der Vorschrift des Anhangs II Z2 litc und d der Mineralwasserrichtlinie nicht vereinbar. Die Mineralwasserverordnung 1994 ist sohin dergestalt auszulegen und anzuwenden, daß im Sinne der zitierten Richtlinie alle Behältnisse für das Inverkehrbringen natürlicher Mineralwässer zuzulassen sind, sofern diese Behältnisse nur die mikrobiologischen und chemischen Merkmale natürlicher Mineralwässer nicht verändern.
4. Die antragstellende Gesellschaft ist in ihrem Antrag auf Aufhebung des §6 letzter Halbsatz der Mineralwasserverordnung 1994 davon ausgegangen, daß sie durch diese Bestimmung verhalten würde, das von ihr produzierte natürliche Mineralwasser in Glasflaschen abgefüllt in Verkehr zu bringen. Dieser Inhalt kommt, wie dargelegt, der angefochtenen Verordnungsstelle nicht zu. Die antragstellende Gesellschaft konnte sohin von vornherein durch die von ihr angefochtene Verordnungsbestimmung in den von ihr geltend gemachten Rechten nicht verletzt werden. Der Antrag war sohin als unzulässig zurückzuweisen.
5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
VfGH / Individualantrag, Lebensmittelrecht, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, EU-Recht Richtlinie, Auslegung völkerrechtlicher Verträge, Mineralwasser, Glasflaschen, Kunststoffflaschen, Umweltschutz, WarenverkehrsfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:V136.1994Dokumentnummer
JFT_10048788_94V00136_00