Entscheidungsdatum
15.06.2020Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15Spruch
W170 2202636-1/26E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.07.2018, Zl. 1180395010/180109125, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018, in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005,
BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2020
, stattgegeben und XXXX der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg.cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Gemäß § 3 Abs. 4 leg.cit kommt XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter für drei Jahre zu.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2020, nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
XXXX (in Folge: beschwerdeführende Partei), ein volljähriger syrischer Staatsangehöriger, hat am 31.01.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Dieser Antrag wurde mit (im Spruch bezeichneten) Bescheid des Bundesamtes vom 03.07.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem Antrag allerdings stattgegeben und der beschwerdeführenden Partei eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Der Bescheid wurde der beschwerdeführenden Partei am 06.07.2018 zugestellt.
Gegen den abweisenden Teil des gegenständlichen Bescheides wurde mit am 31.07.2018 bei der Behörde eingebrachtem Schriftsatz Beschwerde erhoben, diese wurde samt den bezugnehmenden Verwaltungsakten am 03.08.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
Am 27.02.2020 wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in weiterer Folge eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation eingeholt und den Parteien vorgehalten. Diese verzichteten mit Schreiben vom 13.05.2020 bzw. 20.05.2020 auf die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. XXXX ist ein volljähriger, syrischer Staatsangehöriger, dessen Identität feststeht. XXXX ist in Österreich unbescholten.
XXXX ist Kurde und Sunnit, er ist aber kein gläubiger Muslim. XXXX ist zum Entscheidungszeitpunkt 33 Jahre alt, er hat in Syrien bis dato noch keinen Militärdienst geleistet, ist davon aber als einziger Sohn der Familie zumindest formal befreit. XXXX hat sich bis zu seiner illegalen Ausreise aus Syrien am 31.01.2018 keiner anderen bewaffneten Organisation oder Gruppe angeschlossen.
XXXX stammt aus dem Gouvernement al-Hasaka, Stadt Al-Malikiya, Dorf XXXX , dieses Dorf gehört zum Stadtgebiet Al-Malikiya (in Folge: Herkunftsgebiet). Das Herkunftsgebiet des XXXX ist zum Entscheidungszeitpunkt nur über den Flughafen von Damaskus bzw. über die Grenzübergänge zum Libanon zu erreichen.
1.2. XXXX wurde biologisch als Mann geboren, empfindet sich selbst als Frau, möchte auch als Frau leben und ist in diesem Sinne transsexuell, hat aber weder in Syrien noch in Österreich personenstandsrechtlich das Geschlecht ändern lassen. Das Aussehen, die Bekleidung und das Verhalten von XXXX lässt die Transsexualität inzwischen für jedermann erkennbar sein. XXXX hat seit der Einreise Ende Jänner 2018 in Österreich insoweit eine Entwicklung durchgemacht, als es XXXX in Österreich möglich war und ist, die Identität als Frau auszuleben und dadurch zu verinnerlichen, insbesondere auch durch zumindest zwei Beziehungen zu Männern in Österreich, die XXXX im Gegensatz zur Beziehung in Syrien nicht geheim halten musste. XXXX ist in der entsprechenden Community in Österreich verwurzelt und besucht verschiedene LGBTQI-Lokale und -Veranstaltungen. Es wäre zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr zumutbar, XXXX zu zwingen, diese Identität geheim zu halten oder aufzugeben.
1.3. Zur Situation in Syrien wird festgestellt:
In Syrien besteht für männliche syrische Staatsbürger im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die gesetzliche Pflicht zur Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen. Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen, daher ist aktuell ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht. Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden, bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen. Nur der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Regierungsangestellte können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben, auch medizinische Gründe können Befreiung oder Aufschub bedingen. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden. Das Risiko der Willkür ist immer gegeben. Die Militärpolizei verhaftet in Gebieten unter der Kontrolle der Regierung junge Männer, die für den Wehrdienst gesucht werden. Nachdem die meisten fixen Sicherheitsbarrieren innerhalb der Städte aufgelöst wurden, patrouilliert nun die Militärpolizei durch die Straßen. Diese Patrouillen stoppen junge Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und durchsuchen Wohnungen von gesuchten Personen. Schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik. Die Unabhängige Untersuchungskommission der Vereinten Nationen (VN) für Syrien berichtete ebenfalls von außergerichtlichen Hinrichtungen in Gebieten unter Regierungskontrolle. Menschenrechtsorganisationen berichteten von summarischen Hinrichtungen mutmaßlicher Deserteure.
Die Einreise nach Syrien mit Ziel des gegenständlichen Herkunftsgebietes ist sicher und aus Sicht des syrischen Regimes legal im Wesentlichen über den Libanon und den Flughafen von Damaskus möglich, die entsprechenden Grenzkontrollstellen befinden sich in der Hand des Regimes. Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle wie einem Checkpoint von unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Checkpoint-Personals oder praktische Probleme, wie die Namensgleichheit mit einer von der Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite, wie Festnahme und im Zuge dessen auch Folter, riskieren.
Seit Juli 2014 gibt es in der Demokratischen Föderation Nordsyrien (die unter kurdischer Selbstverwaltung stehende Region in Nordsyrien, die von der Partei der Demokratischen Union (PYD) und ihrem militärischen Arm, den YPG dominiert wird) einen verpflichtenden Militärdienst von 12 Monaten für alle Männer von 18 bis 30 Jahren, die in dieser Region leben würden. Im Falle einer Wehrdienstverweigerung oder bei einer Festnahme würde ein verpflichtender Wehrdienst von 15 Monaten als Strafmaßnahme verhängt. Theoretisch ist auch hier ein Mann, wenn er der einzige Sohn in der Familie sei, von der Wehrpflicht ausgenommen. SDF und YPG führen zusätzlich zum Einberufungssystem in der Region unter ihrer Kontrolle (Demokratische Föderation Nordsyrien) Zwangsrekrutierungen bei Männern der Altersgruppe 18 bis 30 Jahren durch, um die Truppenstärke zu erhöhen. So ist zur Zeit der türkischen Offensive in Afrin ein Anstieg von Zwangsrekrutierungen durch die YPG und SDF verzeichnet worden, es kommt zu willkürlichen Festnahmen mit dem Ziel der Rekrutierung, auch in Fällen, in denen Personen eigentlich ein Wehrdienstaufschub aufgrund einer Ausbildung zugestanden worden sei, oder bei Personen, die aufgrund medizinischer oder anderer Gründe vom Wehrdienst befreit worden sind.
Gleichgeschlechtliches Sexualverhalten wird im syrischen Gesetz als „sexueller Verkehr wider die Ordnung der Natur“ kriminalisiert und kann mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. Auf Basis dieses Gesetzes sind 2019 aber keine Fälle von Strafverfolgungen bekannt, jedoch aus vergangenen Jahren. In früheren Jahren hat die Polizei diesen Tatbestand auch zur Verfolgung von LGBTQI-Personen verwendet. Seit 2011 haben Vorwürfe, wie der Missbrauch sozialer Werte, der Verkauf, Kauf oder Konsum illegaler Drogen und die Organisation und Bewerbung "obszöner" Partys zu Verhaftungen von LGBTQI-Personen geführt, oder die sexuelle Orientierung wurde benutzt, um Personen zu erpressen, zu belästigen oder zu misshandeln. Es liegen keine Informationen über die Häufigkeit solcher Vorfälle vor. Im Jahr 2018 wurde einer intersexuellen Person erlaubt, das Geschlecht zu ändern und einen neuen Geschlechtsstatus auf offiziellen Dokumenten zu registrieren. Es wurden keine Antidiskriminierungsgesetze erlassen, sodass es in Syrien keinen spezifischen rechtlichen Schutz für LGBTQI-Personen gibt. Zwar sind Verfolgungsfälle von LGBTI-Personen beschränkt bis nicht existent und das oben dargestellte Gesetz de facto ausgesetzt, aber nützen die syrischen Behörden die sexuelle Orientierung von Personen, um Mitglieder der LGBTQI-Gemeinschaft zu erpressen, zu belästigen und schließlich zu misshandeln. Strafverfolgungsbeamte haben null Toleranz gegenüber der LGBTQI-Gemeinschaft. Syrien ist weiterhin ein gefährlicher Ort für homosexuelle (und generell queere) Menschen. Vor Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 und während des darauffolgenden Konflikts sind die Behörden gezielt gegen Homosexuelle vorgegangen. In den Jahren 2011 bis 2016 traten Fälle von LGBTQI-Personen auf, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Vergewaltigung, Prügel, Inhaftierung und Folter an Checkpoints der syrischen Regierung ausgesetzt waren. Die zitierten Quellen berichten auch über gesellschaftliche Diskriminierung von sexuellen Minderheiten.
Es ist nicht davon auszugehen, dass die syrischen Sicherheitskräfte homo- von transsexuellen Personen unterscheidet und daher davon auszugehen, dass sie undifferenziert gegen LGBTQI-Personen vorgeht, denen sie Verhalten „wider die Ordnung der Natur“ unterstellt.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu 1.1. ergeben sich hinsichtlich der Identität der beschwerdeführenden Partei aus den durch die Vorlage von unbedenklichen Ausweisen gestützten Angaben, die zur Unbescholtenheit aus einer in das Verfahren eingeführten Strafregisterauskunft.
Die Feststellungen zur ethnischen und konfessionellen Zugehörigkeit (unter 1.1.) ergeben sich aus den glaubwürdigen Angaben der beschwerdeführenden Partei ebenso, wie deren Angaben, dass und warum sie in Syrien bis dato keinen Militärdienst geleistet und sich keiner bewaffneten Gruppe angeschlossen habe.
Das Herkunftsgebiet wurde von der beschwerdeführenden Partei immer gleichbleibend angegeben, es gibt keinen Grund, an diesen Angaben zu zweifeln; dass dieses nur über den Flughafen von Damaskus und/oder über einen Grenzübergang zum Libanon erreichbar ist, ergibt sich aus den Länderberichten, aus denen insbesondere derzeit eine Sperre des Grenzübergangs Fishkabour/Semalka hervorgeht.
Die Feststellungen zu 1.2. ergeben sich aus dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, das einerseits vom erkennenden Richter auf Grund seines Eindruckes hinsichtlich des Aussehens, der Bekleidung und des Verhaltens der beschwerdeführenden Partei als wahr beurteilt wird und dass diese andererseits durch Fotos – insbesondere auch hinsichtlich der Männer, mit denen sie eine Beziehung gehabt hat – bescheinigt hat; da dies vom erkennenden Richter als glaubhaft gemacht beurteilt und die Einvernahme der ehemaligen Partner nicht beantragt wurde, konnte auf diese verzichtet werden. Ebenso glaubhaft und logisch nachvollziehbar ist die Entwicklung der beschwerdeführenden Partei hinsichtlich des Auslebens ihrer Identität als Frau, da sie in Österreich diesbezüglich keine Verfolgung und (strukturelle) Diskriminierung fürchten musste, sondern vielmehr auch glaubhaft gemacht hat, dass sie Anschluss an die betreffende (LGBTQI-)Community gefunden hat. Daher hat sich die Identität der beschwerdeführenden Partei als Frau verfestigt, es kann der beschwerdeführenden Partei nach dem Eindruck des Bundesverwaltungsgerichtes nicht bzw. nur unter einem großen Leidensdruck zugemutet werden, diese Identität wieder zu verstecken, wie sie es zuvor in Syrien zumindest versucht hat, oder gar aufzugeben; nunmehr ist auf den ersten Blick klar, dass die beschwerdeführende Partei eine Identität als Frau lebt. Dies war in Syrien vor der Ausreise (noch) nicht der Fall, auch wenn das Verhalten der beschwerdeführenden Partei auch dort mit Sicherheit insoweit gewisse Indizien gezeigt hat.
Die Feststellungen zur Situation in Syrien ergeben sich hinsichtlich des Wehrdienstes im Wesentlichen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, hinsichtlich des verpflichtenden Militärdienstes bei der YPG aus diesen, sowie aus der eingeholten, einschlägigen Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, hinsichtlich der Behandlung von homosexuellen bzw. LGBTQI-Personen aus der eingeholten, einschlägigen Anfragebeantwortung der Staatendokumentation.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Gemäß § 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2020 (in Folge: AsylG), ist Asylwerbern auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesen im Herkunftsstaat – das ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder im Falle der Staatenlosigkeit, der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes und hier zweifellos Syrien – Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in Folge: GFK), droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat. Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, droht einer Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; ebenso droht entsprechende Verfolgung einer Person, die staatenlos ist und sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Es ist entscheidend, ob glaubhaft ist, dass den Fremden in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerber unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199).
2. Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass sich keine Hinweise auf das Vorliegen von Asylausschluss- oder -endigungsgründen finden und die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz durch das Bundesamt mangels einer diesbezüglichen relevanten Änderung der Rechts- oder Tatsachenlage einer Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative entgegensteht (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/18/0054).
3. In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird ausgeführt, dass drohende Bestrafung wegen der Weigerung der Teilnahme an einem von der Völkergemeinschaft verurteilten Kriegseinsatz dann zur Asylgewährung führen könne, wenn dem jeweiligen Asylwerber eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werde (siehe etwa VwGH 21.12.2000, 2000/01/0072). Der Verwaltungsgerichtshof vertritt darüber hinaus ausdrücklich die Auffassung, dass unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen – etwa gegen die Zivilbevölkerung – auch eine bloße Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung darstellen kann (VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009). Dies ist auch in Art. 9 Abs. 2 lit e der Richtlinie 2011/95/EU ausdrücklich festgehalten. Daher wäre eine (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 der genannten Richtlinie fallen, eine (drohende) asylrelevante Verfolgung.
Dies droht der beschwerdeführenden Partei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einerseits im Falle der Rückkehr über den Flughafen von Damaskus bzw. über einen Grenzübergang zum Libanon – andere sichere und legale Wege zurück nach Syrien sind derzeit nicht zu sehen – durch das syrische Regime und andererseits in seinem Herkunftsgebiet durch die YPG; letzteres unabhängig von der Frage, ob die beschwerdeführende Partei schon vor der Ausreise Ziel einer Rekrutierungsmaßnahme war oder nicht.
Hinsichtlich des Regimes verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass die beschwerdeführende Partei als einziger Sohn einer Familie zwar theoretisch vom Wehrdienst befreit ist, aber es kommt derzeit unter erheblichem Rekrutierungsdruck zu Willkür bei der Einziehung von Rekruten. Die beschwerdeführende Partei, die bei der Rückkehr schon mangels Reisepasses und somit wegen ihrer rechtswidrigen Ausreise auffallen und genauer überprüft werden wird, ist bei dieser Überprüfung in einer sehr gefährdeten Lage, da sich ihre Familie im Ausland befindet und sie somit niemand hat, der für sie einsteht. Es besteht daher das hinreichende Risiko, dass man die beschwerdeführende Partei trotz der Wehrdienstbefreiung zwingen wird, als Rekrut der syrischen Armee beizutreten. Dort wird sie unter Androhung einer Gefängnisstrafe gezwungen sein, auch an Menschenrechtsverletzungen mitzuwirken. Ob das syrische Regime bis dato versucht hat, die beschwerdeführende Partei einzuziehen, spielt daher keine Rolle, insbesondere, da sie bisher in einem Gebiet außerhalb der Einflusssphäre des Regimes gelebt hat.
Selbiges gilt auch im Herkunftsgebiet in Bezug auf die YPG, wenn auch in etwas verringertem Ausmaß; spätestens seit der Bedrohung durch die türkischen Militäroperationen gegen die YPG besteht hier ein besonderer Rekrutierungsdruck. Auch die YPG begeht Menschenrechtsverletzungen und würde die Nichtmitwirkung mit zumindest einer Gefängnisstrafe sanktionieren.
Schon aus diesen Gründen ist der Beschwerde jeweils stattzugeben und der beschwerdeführenden Partei jeweils der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, auszusprechen, dass ihm gemäß § 3 Abs. 5 AsylG damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft und gemäß § 3 Abs. 4 leg.cit eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter für drei Jahre zukommt.
4. Darüber hinaus hat der Europäische Gerichtshof vor dem Hintergrund der Statusrichtlinie (nunmehr: Richtlinie 2011/95/EU) in den verbundenen Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12 im Urteil vom 7. November 2013 zur Verfolgung wegen der sexuellen Orientierung folgende Vorgaben gemacht: Art. 10 Abs. 1 lit. d der Statusrichtlinie ist dahin auszulegen, dass das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung erlaubt, dass diese Personen als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind (siehe VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0043; VwGH 16.11.2016, Ra 2015/18/0295). Gleiches muss für Strafbestimmungen gelten, die sich gegen LGBTQI-Personen (und somit auch gegen Homo- und Transsexualität) richten. Solche Bestimmungen bestehen in Syrien („Jeder Verkehr, der gegen die Ordnung der Natur verstößt, kann mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden.“) und daher ist die beschwerdeführende Partei als Teil der sozialen Gruppe der Homo- bzw. Transsexuellen (LGBTQI-Personen) zu sehen.
Weiters führt der Europäische Gerichtshof aus, dass der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, noch keine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 iVm Art. 9 Abs. 2 lit. c der Statusrichtlinie darstellt. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar. Die nationalen Behörden haben, wenn ein Asylbewerber geltend macht, dass in seinem Herkunftsland Rechtsvorschriften bestünden, die homosexuelle Handlungen unter Strafe stellten, im Rahmen ihrer Prüfung der Ereignisse und Umstände nach Art. 4 der Statusrichtlinie, alle das Herkunftsland betreffenden relevanten Tatsachen einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften dieses Landes und der Weise, in der sie angewandt werden, zu prüfen, wie dies in Art. 4 Abs. 3 lit. a der Statusrichtlinie vorgesehen ist (abermals VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0043; VwGH 16.11.2016, Ra 2015/18/0295). In Syrien besteht die Strafdrohung für homosexuelle Handlungen, wobei nach den vorliegenden Berichten – im Gegensatz zu den vorangegangenen Jahren – keine Fälle von Strafverfolgung aufgrund dieses Gesetzes bekannt sind. Gleichzeitig nützen aber die syrischen Behörden die sexuelle Orientierung von Personen, um Mitglieder der LGBTQI-Gemeinschaft zu erpressen, zu belästigen und schließlich zu misshandeln. Strafverfolgungsbeamte haben null Toleranz gegenüber der LGBTQI-Gemeinschaft. So haben seit 2011 Vorwürfe, wie der Missbrauch sozialer Werte, der Verkauf, Kauf oder Konsum illegaler Drogen und die Organisation und Bewerbung "obszöner" Partys zu Verhaftungen von LGBTQI-Personen geführt, oder die sexuelle Orientierung wurde benutzt, um Personen zu erpressen, zu belästigen oder zu misshandeln. Syrien ist weiterhin ein gefährlicher Ort für homosexuelle Menschen. Vor Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011 und während des darauffolgenden Konflikts sind die Behörden gezielt gegen Homosexuelle vorgegangen. In den Jahren 2011 bis 2016 traten Fälle von LGBTQI-Personen auf, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Vergewaltigung, Prügel, Inhaftierung und Folter an Checkpoints der syrischen Regierung ausgesetzt waren.
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. VwGH vom 24.06.2014, Ra 2014/19/0046, mwN; VwGH 30.09.2015, Ra 2015/19/0066; VwGH 18.11.2015, Ra 2015/18/0220; VwGH 15.05.2003, 2001/01/0499, VwSlg. 16084 A/2003). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die beschwerdeführende Partei bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher die beschwerdeführende Partei im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. – im vorliegenden Fall – des Bundesverwaltungsgerichtes) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274). Daher und weil die beschwerdeführende Partei sich seit ihrem Aufenthalt in Syrien hinsichtlich des sichtbaren Auslebens ihrer weiblichen Identität erheblich weiterentwickelt hat, ist mit dem Argument der Behörde, die beschwerdeführende Partei sei in Syrien wegen ihrer Homo- bzw. Transsexualität nicht verfolgt worden, nichts zu gewinnen.
Das Bundesverwaltungsgericht ist davon überzeugt, dass die beschwerdeführende Partei, von der nicht erwartet werden kann, dass sie ihre Homo- bzw. Transsexualität in ihrem Herkunftsland geheim hält oder aufgibt, um eine Verfolgung zu vermeiden (siehe abermals VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0043; VwGH 16.11.2016, Ra 2015/18/0295), in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu ihrer Rückkehr, vermutlich bereits bei ihrer Einreise, wo sie – wie oben dargestellt – in einer besonders verletzlichen Situation ist, entweder der staatlichen Strafverfolgung (als Alternative zum Wehrdienst) unterworfen wird oder – was das Bundesverwaltungsgericht als wahrscheinlicher sieht – von den Sicherheitsorganen schon bei der Einreise erpresst, belästigt und schließlich misshandelt werden wird; dies erreicht jedenfalls die Schwere einer asylrelevanten Verfolgung.
Daran ändert auch die einmalige Erlaubnis für eine Person, ihr Geschlecht zu ändern, in Syrien nichts.
Auch aus diesen Gründen ist der Beschwerde – unabhängig von den Ausführungen unter 3. – stattzugeben und der beschwerdeführenden Partei der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, auszusprechen, dass ihr gemäß § 3 Abs. 5 AsylG damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft und gemäß § 3 Abs. 4 leg.cit eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter für drei Jahre zukommt.
5. Auf die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung wurde sowohl von der beschwerdeführenden Partei als auch vom Bundesamt verzichtet.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2020, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2020 (in Folge:
B-VG) zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht hat unter A) die relevante Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dargelegt und diese der Entscheidung zu Grunde gelegt. Es liegt daher keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor.
Schlagworte
Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Homosexualität mündliche Verhandlung sexuelle Orientierung unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht ZwangsrekrutierungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W170.2202636.1.00Im RIS seit
28.09.2020Zuletzt aktualisiert am
28.09.2020