TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/16 W282 2231898-1

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Veröffentlicht am 16.06.2020
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Entscheidungsdatum

16.06.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1 Z3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §28 Abs6
VwGVG §35 Abs1
VwGVG §35 Abs2
ZustG §16
ZustG §4
ZustG §5
ZustG §7

Spruch

W282 2231898-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , Staatsangehörigkeit: Serbien, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien vom XXXX , Zl.

XXXX und die Anhaltung in Schubhaft von XXXX 2020 bis XXXX 2020 zu Recht erkannt:

A)       

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG und § 28 Abs. 6 VwGVG stattgegeben und der Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2020, Zl. XXXX und die Anhaltung in Schubhaft von XXXX 2020 bis XXXX 2020 für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 35 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV hat der Bund, dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von
€ 737,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Feststellungen

1. Zum Vorverfahren:

1.1 Der volljährige Beschwerdeführer (BF) ist ein Staatsangehöriger der Serbiens, er ist nicht Asylwerber. Er trat erstmals Anfang Dezember 2019 fremdenrechtlich in Erscheinung, als er von Beamten der Landespolizeidirektion Wien einer Kontrolle unterzogen wurde. Dabei wurde festgestellt, dass sich der BF unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt, da er die 90-tägige visumfreie Aufenthaltsdauer mutmaßlich überschritten hatte.

1.2 Der BF wurde am 27.12.2019 vom Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien (Bundesamt oder belangte Behörde) hierzu niederschriftlich einvernommen. Er gab dabei u.a. an über einen französischen Aufenthaltstitel zu verfügen. Nachdem sich diese Angabe nach Überprüfung durch das Bundesamt als nichtzutreffend herausstellte, erließ das Bundesamt mit Bescheid vom XXXX 2020 zur Zahl XXXX gegen den BF u.a. eine Rückkehrentscheidung und stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Serbien fest.

1.3. Der Bescheid vom XXXX 2020 wurde dem BF vom Bundesamt mit der Zustellanweisung „zu eigenen Handen“ („Rsa“, §§ 13 iVm 21 ZustG) adressiert an die Adresse der ehemaligen Lebensgefährtin des BF in Wien XXXX an den Zustelldienst übergeben. In Folge verstieß das Zustellorgan des Zustelldienstes gegen § 21 ZustG, da der Zusteller den Bescheid am 10.01.2020 entgegen der Zustellanweisung „zu eigenen Handen“ an die ehemalige Lebensgefährtin des BF, XXXX , als Ersatzempfängerin ausfolgte, und auf dem Zustellnachweis (§ 22 ZustG) zusätzlich durch Ankreuzen des Feldes „Empfänger“ im Bereich „Übernahmebestätigung“ die Zustellung falsch beurkundete.

Festgestellt wird, dass der Bescheid vom XXXX 2020 hierdurch dem BF nicht rechtswirksam zugestellt wurde. Der BF wurde von seiner ehemaligen Lebensgefährtin auch in Folge nicht über die Entgegennahme dieses Dokuments in Kenntnis gesetzt und ihm der Bescheid von ihr auch nicht ausgefolgt. Der (falsch beurkundete) Zustellnachweis wurde dem Bundesamt rückübermittelt.

1.4. Am 28.01.2020 wurde vom Bundesamt ein Festnahmeauftrag hinsichtlich des BF verfügt, da davon ausgegangen wurde, dass der BF binnen der Frist für die freiwillige Ausreise nicht ausgereist sei. Der Festnahme- und Durchsuchungsauftrag wurde am 04.02.2020 von der Polizei an der Adresse Wien XXXX vollzogen, wobei der BF aber nicht festgenommen werden konnte, da er sich an dieser Adresse nicht aufhielt; die ehemalige Lebensgefährtin des BF, XXXX , gab weiters an, den BF seit dem Ende ihrer Beziehung im Dezember 2019 nicht mehr gesehen zu haben und keinen Kontakt zu ihm zu haben.

2. Zum gegenständlichen Verfahren:

2.1 Am XXXX 2020 wurde der BF erneut von der Polizei angehalten, kontrolliert und in Folge festgenommen, da vom Bestehen einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung auszugegangen wurde. In Folge wurde der BF am selben Tag in das Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel eingeliefert und über ihn mit dem angefochtenen Bescheid vom XXXX 2020, zur Zl. XXXX gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Die Schubhaftverhängung wurde hinsichtlich der Fluchtgefahr auf die Gründe des § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG gestützt.

2.3. Der BF wurde am XXXX 2020 zur Schubhaftverhängung einvernommen und gab dabei an, mangels eigener Geldmittel bisher nicht ausgereist zu sein. Ein Bekannter gebe ihm Geld, wenn er dieses brauche. Er übernachte in einem Haus der Caritas und halte sich bereits seit längerer Zeit nicht mehr an der Adresse der Lebensgefährtin in Wien XXXX auf, da diese ihn „hinausgeworfen“ habe. Am Ende der Einvernahme wurde dem BF mitgeteilt, dass gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bestehe und er nach Serbien abgeschoben werde. Der BF nahm dies zur Kenntnis, wies aber auch nicht drauf hin, dass ihm der Bescheid vom XXXX 2020 nicht zugegangen ist.

2.4 Am 19.02.2020 nahm der zwischenzeitig amtswegig beigegebene Rechtsberater des BF Akteneinsicht, ließ sich den Bescheid vom XXXX 2020 kopieren und brachte dessen Inhalt dem BF in Folge im Polizeianhaltezentrum im Wege einer gemeinsamen Erörterung des Bescheides zur Kenntnis.

2.5 Am XXXX 2020 wurde der BF auf dem Landweg via Ungarn nach Serbien abgeschoben.

2.6. Am 04.03.2020 erhob der BF durch seinen Rechtsberater Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom XXXX 2020, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist. In dieser Beschwerde wird u.a. die nicht erfolgte Zustellung des Bescheids vom XXXX 2020 durch die unwirksame (Ersatz-) Zustellung an der Adresse der ehemaligen Lebensgefährtin des BF in Wien XXXX vorgebracht und weiters angeführt, der BF habe erst am 19.02.2020 vom konkreten Inhalt des Bescheides vom XXXX 2020 erfahren, da an diesem Tag sein Rechtsberater Akteneinsicht genommen habe und den Bescheid kopiert habe.

2.6. In weiterer Folge lud das Bundesamt die ehemalige Lebensgefährtin des BF, XXXX für den 26.05.2020 zu einer Zeugeneinvernahme, bei der diese angab, den Bescheid vom XXXX 2020 tatsächlich vom Zustelldienst entgegengenommen zu haben und auch die Übernahmebestätigung unterschrieben zu haben. Sie habe danach mit dem BF keinen Kontakt aufgenommen um ihm den Bescheid auszuhändigen. Der BF sei aber jedenfalls zu diesem Zeitpunkt schon länger nicht mehr an ihrer Adresse in Wien XXXX aufhältig gewesen.

2.7. Am 12.06.2020 erhob der BF durch seinen amtswegig beigegebenen Rechtsberater eine Beschwerde gemäß § 22a BFA-VG gegen die Anhaltung des BF in Schubhaft von XXXX 2020 bis XXXX 2020. Darin wird vorgebracht, der Bescheid vom XXXX 2020 sei niemals rechtswirksam zugestellt worden, da eine rechtswidrige Ersatzzustellung an die ehemalige Lebensgefährtin des BF an deren Adresse in Wien XXXX vorgenommen worden wäre. Der BF habe sich zu diesem Zeitpunkt auch schon lange nicht mehr an der Adresse der ehemaligen Lebensgefährtin in Wien XXXX aufgehalten und sei ihm auch während der Schubhaft der Bescheid niemals ausgefolgt worden. Weiters werde eine mündliche Verhandlung und Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG beantragt.

2.8. Mit Schreiben vom 15.06.2020 nahm das Bundesamt zur Beschwerde Stellung und gab zusammengefasst an, dass auch die Behörde nun davon ausgehe, dass eine unwirksame Ersatzzustellung des Bescheides vom XXXX 2020 erfolgt sei. Dieser Zustellmangel sei nicht nicht erkannt worden, zumal der Zustellnachweis auch mit dem Vermerk der Übergabe an den „Empfänger“ rückübermittelt worden ist. Der BF habe aber bei seiner Einvernahme im Rahmen der Schubhaftverhängung auch nicht angegeben, dass ihm der Bescheid vom XXXX 2020 unbekannt sei, als er vom zuständigen Referenten darüber informiert wurde, dass gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bestehe. Letztlich werde aber dem Vorwurf, dass die Anordnung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung mangels eines rechtswirksamen Bescheides zu Unrecht erfolgt ist und der Bf. in weiterer Folge in sein Heimatland abgeschoben wurde, nicht entgegengetreten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde zur im Spruch angeführten GZ, in den Mandatsbescheid der belangten Behörde vom XXXX 2020 mit dem die Schubhaft verhängt wurde sowie in den Beschwerdeschriftsatz und die Stellungnahme der belangten Behörde vom 15.06.2020. Auskünfte aus dem Strafregister (SA), dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbundsystem „Zentrales Fremdenregister“ und aus der Anhaltedatei des Bundeministeriums für Inneres wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Die Feststellungen zur Identität des BF ergeben sich aus dem im Behördenakt einliegenden Kopien seines Reisepasses. Der Verfahrensgang und die Umstände der Erlassung des Bescheides vom XXXX 2020 ergeben sich ebenfalls widerspruchsfrei aus dem Behördenakt (AS 35f), so wie auch der Umstand der Festnahme des BF am XXXX 2020 (AS 62f), seiner Anhaltung in Schubhaft bis zum XXXX 2020 (AS 78f) und seiner Abschiebung nach Serbien an eben diesem Tag (OZ 5).

Die Umstände der unwirksamen Zustellung des Bescheides vom XXXX 2020 ergeben sich übereinstimmend aus den Angaben in der Beschwerde nach § 22a BFA-VG vom 12.06.2020 (OZ 1), aus der Beschwerde gegen den Bescheid vom XXXX 2020 im Akt der belangten Behörde (AS 122f), aus dem (falsch beurkundeten) Zustellnachweis des Bescheids vom XXXX 2020 (AS 48) sowie aus den Angaben der Zeugeneinvernahme der ehemaligen Lebensgefährtin des BF, XXXX vor dem Bundesamt (AS 143). Aus ihren Angaben ergibt sich zweifelsfrei, dass das Zustellorgan den zu eigenen Handen zuzustellenden Bescheid vom XXXX 2020 entgegen § 21 ZustG an sie übergeben hat. Auch das Bundesamt geht in seiner Stellungnahme (OZ 5) letztlich von einer nicht wirksamen Zustellung dieses Bescheides aus.

Die Feststellungen zum Zeitpunkt, in dem der BF vom Inhalt des Bescheids vom XXXX 2020 Kenntnis erlangte, sowie der Umstand, dass dies nur in Folge der Akteneinsicht und Anfertigung einer Kopie durch den Rechtsberater des BF erfolgte, basiert auf den insoweit glaubwürdigen Angaben in der im Behördenakt einliegenden Beschwerde gegen den Bescheid vom XXXX 2020 (AS 122f).

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG erkennt das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG.

Gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG hat der Fremde das Recht das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides anzurufen, wenn gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde. Für diese Beschwerden gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

Gemäß § 22a Abs. 2 leg. cit. hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

Nach § 22a Abs. 3 leg. cit hat, sofern die Anhaltung noch andauert, das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, wenn eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, vom Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.

Festzuhalten ist, dass sich der BF seit seiner Abschiebung am XXXX 2020 nicht mehr im Stande der Schubhaft befindet. Gegenständlich entfällt daher die Frist des § 22a Abs. 2 BFA-VG sowie der Fortsetzungsausspruch gemäß § 22a. Abs. 3 leg. cit.

Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde ist auszuführen, dass gemäß § 7 Abs. 4 letzter Satz VwGVG die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG sechs Wochen beträgt. Der Schubhaftbescheid wurde am XXXX 2020 erlassen; das Ende der Beschwerdefrist fiel somit in den Zeitraum nach 22.03.2020. Mit dem am 22.03.2020 in Kraft getretenen 2. COVID-19-G (BGBl. I Nr. 16/2020) wurde durch Art. 16 ein Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 im Verwaltungsverfahren, im Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes erlassen, dessen § 1 und 6 wie folgt lauten:

„§ 1. (1) In anhängigen behördlichen Verfahren der Verwaltungsbehörden, auf die die Verwaltungsverfahrensgesetze (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG, BGBl. Nr. 51/1991, Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG, BGBl. Nr. 52/1991, und Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 – VVG, BGBl. Nr. 53/1991) anzuwenden sind, werden alle Fristen, deren fristauslösendes Ereignis in die Zeit nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes fällt, sowie Fristen, die bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes noch nicht abgelaufen sind, bis zum Ablauf des 30. April 2020 unterbrochen. Sie beginnen mit 1. Mai 2020 neu zu laufen. Dies gilt auch für Verjährungsfristen, jedoch nicht für verfassungsgesetzlich festgelegte Höchstfristen und für Fristen nach dem Epidemiegesetz 1950, BGBl. Nr. 186/1950.

(2) Die Behörde (Art. II Abs. 1 des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 – EGVG, BGBl. I Nr. 87/2008) kann jedoch im jeweiligen Verfahren aussprechen, dass eine Frist nicht für die in Abs. 1 festgelegte Dauer unterbrochen wird. Diesfalls hat sie gleichzeitig eine neue angemessene Frist festzusetzen.

(3) Nach Abs. 2 ist nur vorzugehen, wenn nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände die Fortsetzung des Verfahrens zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben, Sicherheit und Freiheit oder zur Abwehr eines erheblichen und unwiederbringlichen Schadens einer Partei (§ 8 AVG) dringend geboten ist und nicht das Interesse der Allgemeinheit an der Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 sowie der Schutz der Aufrechterhaltung eines geordneten Verwaltungsbetriebes die Einzelinteressen überwiegen.

§ 6. (1) (Verfassungsbestimmung) Auf das Verfahren der Verwaltungsgerichte sind die §§ 1 bis 5 dann sinngemäß anzuwenden, wenn auf das jeweilige Verfahren zumindest auch das AVG anzuwenden ist. Im Fall des § 4 Abs. 2 hat der Verwaltungsgerichtshof ein anderes sachlich zuständiges Verwaltungsgericht, in Ermangelung eines solchen ein anderes Verwaltungsgericht zu bestimmen.

(2) Auf das Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes sind die §§ 1 bis 3 und 5 sinngemäß anzuwenden.“

Die Frist für die Erhebung der gegenständlichen Beschwerde gegen den ggst. Schubhaftbescheid war daher von 22.03.2020 bis 30.04.2020 unterbrochen und begann in vollem Umfang hiernach neu zu laufen. Die Beschwerde gilt daher als rechtzeitig erhoben.

Zu A)

3.1 Zum Schubhaftbescheid und der Anhaltung in Schubhaft:

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 und der mit „Gelindere Mittel“ betitelte § 77 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lauten auszugsweise:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen [..].

§ 77 Gelinderes Mittel

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen. [..]“

Weiters lauten die §§ 3 bis 5, sowie 7, 16 und 21 Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 idgF wie folgt:

„§ 3. Soweit die für das Verfahren geltenden Vorschriften nicht eine andere Form der Zustellung vorsehen, hat die Zustellung durch einen Zustelldienst, durch Bedienstete der Behörde oder, wenn dies im Interesse der Zweckmäßigkeit, Einfachheit und Raschheit gelegen ist, durch Organe der Gemeinden zu erfolgen.

§ 4. Wer mit der Zustellung betraut ist (Zusteller), handelt hinsichtlich der Wahrung der Gesetzmäßigkeit der Zustellung als Organ der Behörde, deren Dokument zugestellt werden soll.

§ 5. Die Zustellung ist von der Behörde zu verfügen, deren Dokument zugestellt werden soll. Die Zustellverfügung hat den Empfänger möglichst eindeutig zu bezeichnen und die für die Zustellung erforderlichen sonstigen Angaben zu enthalten.

[..]

§ 7. Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.

[..]

§ 16. (1) Kann das Dokument nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.

(2) Ersatzempfänger kann jede erwachsene Person sein, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die – außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt – zur Annahme bereit ist.

(3) Durch Organe eines Zustelldienstes darf an bestimmte Ersatzempfänger nicht oder nur an bestimmte Ersatzempfänger zugestellt werden, wenn der Empfänger dies schriftlich beim Zustelldienst verlangt hat.

(4) Die Behörde hat Personen wegen ihres Interesses an der Sache oder auf Grund einer schriftlichen Erklärung des Empfängers durch einen Vermerk auf dem Dokument und dem Zustellnachweis von der Ersatzzustellung auszuschließen; an sie darf nicht zugestellt werden.

(5) Eine Ersatzzustellung gilt als nicht bewirkt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.

[..]

§ 21. Dem Empfänger zu eigenen Handen zuzustellende Dokumente dürfen nicht an einen Ersatzempfänger zugestellt werden.“

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich infrage kommt. Die begründete Annahme, dass eine Aufenthaltsbeendigung erfolgen wird, ist dabei ausreichend. Dass die Effektuierung mit Gewissheit erfolgt, ist nicht erforderlich (vgl. dazu etwa VwGH 07.02.2008, Zl. 2006/21/0389; VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/21/0039). Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Anderenfalls erwiese sich die Schubhaft nämlich als für die Erreichung des Haftzweckes (der Abschiebung) "nutzlos".

3.2.1 Zur Zustellung des Bescheids vom XXXX 2020 als „Abschiebetitel“:

Einleitend ist festzuhalten, dass die Verhängung der Schubhaft zum Zweck der Abschiebung nach § 76 Abs. 2 Z 2 voraussetzt, dass gegen den Fremden, dessen Abschiebung gesichert werden soll, eine durchsetzbare (somit rechtswirksame) Rückkehrentscheidung samt Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung besteht. Vereinfacht ausgedrückt, muss gegen den Fremden ein gültiger „Abschiebetitel“ bestehen, da sonst von vornherein der Sicherungszweck der Sicherung der Abschiebung nicht gegeben ist und die Schubhaftverhängung daher auch nicht darauf gestützt werden kann.

Das Bundesamt sah diesen „Abschiebetitel“ bis zum Erkennen des Zustellmangels nach der Abschiebung des BF in Gestalt des Bescheids vom XXXX 2020, mit dem ggü. dem BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und ausgesprochen wurde, dass die Abschiebung nach Serbien zulässig ist. Nun gelten nach st. Rsp. des VwGH Bescheide aber erst ggü. dem Bescheidadressaten als rechtswirksam erlassen, wenn der Bescheid dem Bescheidadressaten tatsächlich auf eine dem Zustellgesetz entsprechende Art und Weise zugegangen ist bzw. zugestellt wurde. Der ordnungsgemäßen Zustellung des betreffenden Dokuments (§ 2 Z 2 ZustG) kommt demgemäß vor allem deshalb eminente Bedeutung für das Verwaltungsverfahren zu, weil sie nach der Rsp des VwGH Voraussetzung für die Erlassung und damit für die rechtliche Existenz eines schriftlichen Bescheides ist (§ 62 Rz 1, 18; VwGH 20. 3. 2001, 2000/11/0336; 26. 6. 2001, 2000/04/0190; 29. 4. 2010, 2008/21/0589). Danach kann hingegen die bloße Kenntnis (vgl hingegen § 7 ZustG) von Existenz und Inhalt eines Bescheides (etwa auch auf Grund einer Akteneinsicht [vgl VwSlg 11.762 A/1985; VwGH 30. 9. 2002, 2001/11/0136; 26. 6. 2001, 2000/04/0190]) die Wirkungen der Zustellung eines schriftlichen Bescheides nicht ersetzen (vgl § 18 Rz 26, § 62 Rz 19; VwGH 18. 11. 1994, 91/07/0099; 23. 5. 1995, 92/07/0183; ferner § 8 Rz 22) (Hengstschläger/Leeb, AVG § 21 Rz. 1). Die Frage, ob der Bescheid vom XXXX 2020 dem BF daher rechtswirksam zugestellt wurde, widrigenfalls, ob der Zustellmangel durch spätere Umstände gemäß § 7 ZustG geheilt wurde, stellt daher gegenständlich eine Vorfrage gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG dar, die wie folgt zu beantworten ist:

Aus dem Behördenakt und dem Zustellnachweis ergibt sich zweifelsfrei, dass das Bundesamt die Zustellung des Bescheides vom XXXX 2020 zu eigenen Handen (§§ 13, 21 ZustG) des BF verfügt hat. Als Zustelladresse wurde dabei die vom BF bei seiner Einvernahme genannte Adresse seiner ehemaligen Lebensgefährtin in Wien XXXX angegeben. Das Organ des Zustelldienstes (§ 4 ZustG) verstieß jedoch beim Zustellvorgang dieses Bescheids in rechtswidriger Art und Weise gegen § 21 ZustG, indem das Zustellorgan entgegen des klaren Wortlautes des § 21 leg. cit. tatsächlich eine (unwirksame) Ersatzzustellung iSd § 16 Abs. 1 ZustG durch Ausfolgung des Dokuments an die ehemalige Lebensgefährtin des BF vornahm. Schon aufgrund dieses Umstandes gilt die Zustellung des Bescheides vom XXXX 2020 mit diesem Zustellvorgang als jedenfalls nicht bewirkt.

Weiters beurkundete das Zustellorgan auch die Zustellung in falscher Art und Weise, als es auf dem Zustellnachweis (§ 22 ZustG) auf der Übernahmebestätigung das Feld „Empfänger“ markierte, obwohl das zuzustellende Dokument gerade eben nicht an den angegebenen Empfänger (den BF) übergeben wurde. Ein Versehen ist dabei auszuschließen, da es ich beim Vornamen des BF erkennbar um einen männlichen Namen handelt und die (unwirksame) Ersatzzustellung an eine weibliche Person erfolgte. Der falsch beurkundete Zustellnachweis wurde in dieser Form der belangten Behörde rückübermittelt, die letztlich nachvollziehbar von einer erfolgreichen und rechtskonformen Zustellung ausging. Nichts desto trotz muss sich die belangte Behörde aber das Verhalten des Zustellorgans zurechnen lassen (§ 4 ZustG) und somit die nicht wirksame Zustellung des Bescheids vom XXXX 2020 gegen sich gelten lassen.

Auch eine Heilung dieses Zustellmangels iSd § 7 ZustG trat in weiterer Folge bis zu Abschiebung des BF am XXXX 2020 nicht ein: Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass das Bundesamt dem BF den Bescheid vom XXXX 2020 zu einem späteren Zeitpunkt oder bei seiner Einlieferung in oder Einvernahme zur Schubhaft erneut (nachweislich) ausgefolgt hätte, zumal der BF bei Letzterer auch nicht angab, den Bescheid nie erhalten zu haben. Der BF erlangte letztlich vom konkreten Inhalt des Bescheids vom XXXX 2020 erst dadurch Kenntnis, dass sein Rechtsberater Akteneinsicht nahm und sich dabei eine Kopie dies Bescheids anfertigen ließ, die er in Folge mit dem BF im Rahmen eines Haftbesuchs erörterte. Dieser Vorgang bewirkt aber jedenfalls keine Heilung nach § 7 ZustG, da die Anfertigung einer Kopie anlässlich einer Akteneinsicht nicht die formelle Zustellung des Bescheides bewirken kann (VwGH 29.8.1996, 95/06/0128). Auch die Kenntnis des Vertreters vom Bescheidinhalt durch Übermittlung einer Telekopie oder einer Fotokopie stellt kein „tatsächliches Zukommen“ des Bescheides gegenüber dem Vertreter dar (VwGH 16.7.2014, 2013/01/0173; 11.11.2013, 2012/22/0120).

Zur gegenständlichen Vorfrage ist daher festzuhalten, dass der Bescheid vom XXXX 2020 dem BF nicht rechtswirksam zugestellt wurde und auch in Folge keine Heilung des Zustellmangels iSd § 7 ZustG eingetreten ist.

3.2.2 Zur Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides und der Anhaltung in Schubhaft

Aus den Ausführungen in Punkt 3.2.1 ergibt sich, dass jener „Abschiebetitel“ (Bescheid vom XXXX 2020) auf den sich das Bundesamt bei der Verhängung der Schubhaft gestützt hat, gegenüber dem BF niemals wirksam erlassen wurde. Hieraus resultiert aber unweigerlich die Rechtsgrundlosigkeit des Sicherungszwecks „Sicherung der Abschiebung“ iSd § 76 Abs. 2 Z 2 FPG, da gegenüber dem BF niemals ein entsprechender durchsetzbarer Abschiebetitel bestanden hat. Die Verhängung der Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung, die mangels eines gegenüber dem BF rechtwirksam erlassen Abschiebetitels rechtskonform nicht möglich ist, erweist sich daher per-se als rechtswidrig. Auf die Frage des Vorliegens von Fluchtgefahr iSd von der belangten Behörde herangezogenen Tatbestände des § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG ist daher nicht mehr weiter einzugehen, zumal die belangte Behörde letztlich selbst in ihrer Stellungnahme zugesteht, dass die Verhängung in Schubhaft ohne rechtswirksame Zustellung des Bescheides vom XXXX 2020 zu Unrecht erfolgte.

Der angefochtene Schubhaftbescheid vom XXXX 2020 war daher bereits vor einer konkreten Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Annahme der Fluchtgefahr iSd § 76 Abs. 3 FPG und der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft in Stattgabe der Beschwerde gemäß
§ 22a Abs. 1 Z 3 und Abs. 1a BFA-VG iVm § 28 Abs. 6 VwGVG für rechtswidrig zu erklären. War der Schubhaftbescheid rechtswidrig, so muss das auch für die auf den Schubhaftbescheid gestützte Anhaltung gelten (VwGH 11.06.2013, 2012/21/0114). Die Anhaltung des BF in Schubhaft von XXXX 2020 bis XXXX 2020 war daher rechtswidrig.

3.3 Zum Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen. Darüber hinaus war gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG bereits aufgrund der Aktenlange die mit Beschwerde angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären.

3.4 Zur Kostenentscheidung (Spruchpunkt II.):

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Im gegenständlichen Verfahren wurde sowohl gegen den im Spruch genannten Schubhaftbescheid als auch gegen die Anhaltung in Schubhaft Beschwerde erhoben. Nur der Beschwerdeführer hat einen Antrag auf Kostenersatz im Sinne des § 35 VwGVG gestellt. Da der Beschwerde stattgegeben und sowohl der angefochtene Bescheid als auch die Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig erklärt worden ist, ist der Beschwerdeführer die obsiegende Partei. Ihm gebührt daher gemäß § 35 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV Kostenersatz in der Höhe von EUR 737,60. Die darüber hinaus beantragte Zuerkennung von Kommissionsgebühren und Barauslagen iSd § 35 Abs. 4 Z 1 VwGVG kann entfallen, da Gebühren oder Auslagen, zu deren Entrichtung der BF verpflichtet ist, bis dato erkennbar nicht angefallen sind.

Zu B)

Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen (jeweils in der Begründung zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Ersatzzustellung Rechtswidrigkeit Schubhaft Zustellmangel Zustellnachweis Zustellung zu eigenen Handen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W282.2231898.1.00

Im RIS seit

01.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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