Entscheidungsdatum
19.06.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W214 2166860-1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Eva SOUHRADA-KIRCHMAYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch: Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH ARGE Rechtsberatung gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2017, Zl. XXXX ,
nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX (alias XXXX ) gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX (alias XXXX ) damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der Volksgruppe der Kurden, stellte am XXXX .07.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am XXXX .07.2014 gab der Beschwerdeführer an, ca. zwei Wochen vor Antragstellung sein Heimatland illegal zu Fuß in die Türkei verlassen zu haben und über ihm unbekannte Länder illegal und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet eingereist zu sein. Weiters gab er an, seine Heimat aus Angst vor der Regierung verlassen zu haben, er habe gemeinsam mit drei weiteren Freunden die Partei „Hezb-e Demokrate Kurdestan Iran“ unterstützt, die Behörde habe davon erfahren und zwei seiner Freunde festgenommen. Auch sein Freund XXXX (F.) und er seien von der iranischen Behörde deshalb verfolgt worden, ca. zwei Tage vor seiner Ausreise seien Beamten bei ihm zu Hause gewesen und hätten nach ihm gefragt. Er sei zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen, sondern habe sich die letzten zwei Tage im Iran bei einem Freund versteckt. Aus Angst vor der iranischen Behörde habe er sich zur Flucht aus seinem Heimatland entschlossen.
Am XXXX .01.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari/Farsi niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer gab zunächst an, herzkrank zu sein, Medikamente zu nehmen und in ärztlicher Behandlung zu stehen. In Österreich sei er deswegen auch drei Tage im Krankenhaus gewesen. Weiter einvernommen gab er an, in der Stadt XXXX in der Nähe von XXXX geboren zu sein, aufgewachsen sei er in der Stadt XXXX , dort habe er auch zuletzt gelebt. Er sei ledig und habe keine Kinder, seine Mutter, zwei Schwestern, zwei Brüder und sechs Onkel bzw. Tanten würden noch in XXXX leben, sein Vater sei bereits verstorben. Er habe etwa alle zwei bis drei Wochen Kontakt zu seinem Onkel und seiner Mutter. Zwei Onkel würden in Deutschland leben. Er gehöre der Volksgruppe der Kurden an und sei als sunnitischer Moslem geboren, aber nicht gläubig. Im Iran habe er zwölf Jahre lang die Schule besucht und nach der Matura in einem Goldgeschäft sowie als Basketballtrainer gearbeitet.
Nach dem Fluchtgrund befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er Mitglied der Kurdisch Demokratischen Partei Iran (KDPI; entspricht der Democratic Party of Iranian Kurdistan (PDKI)) gewesen sei, seine ganze Familie sei politisch interessiert, sie hätten an Demonstrationen teilgenommen und Familien in der Partei finanziell unterstützt, welche Angehörige verloren hätten. Sein Großvater sei auch Mitglied bei der Partei gewesen, er sei durch die iranische Regierung gefoltert worden.
Seine Familie und er hätten in unmittelbarer Nachbarschaft zur Volksgruppe der Mangur gewohnt, welche zunächst eine demokratische Partei gewesen, dann aber von der iranischen Regierung mit Waffen ausgestattet und unterstützt worden sei, gegen die Kurden zu kämpfen. Ein Nachbar sei ein Spion für die iranische Regierung gewesen, ein enger Freund des Beschwerdeführers (F.) habe direkt gegenüber dem Spion gewohnt und Informationen über diesen gesammelt. Nach ein paar Monaten habe sein Freund F. ihn gefragt, ob er mit ihm zusammenarbeite und den Spion ein bisschen kontrollieren wolle. Sie hätten dann ca. 8 Monate gearbeitet, er habe von seinem Fenster von seinem Zimmer aus das Haus des Spions genau beobachten können.
Ungefähr drei Wochen vor seiner Ausreise und dem Todestag des großen Kommandanten, des Führers der kurdischen Partei, Dr. GHASSEMLOU, hätten er, F. und eine andere Person für die Partei in der armenischen Straße von XXXX kleine Flugzettel gegen die Regierung verteilt. Sie hätten geschrieben, dass sie den Tod des Kommandanten nicht vergessen würden, er sei wegen der schlechten Politik der iranischen Regierung getötet worden. Am nächsten Tag seien zwei Personen von ihnen festgenommen worden. An diesem Tag sei er beim Basketballverein und anschließend essen gewesen, sein Bruder habe ihn angerufen und ihm gesagt, dass er nicht nach Hause kommen solle, weil es unsicher sei. Er habe sein Handy ausgeschalten und verstanden, dass das wegen der Verteilung der Zettel gewesen sei. Er sei dann zu Verwandten gegangen und über Nacht dortgeblieben. Am nächsten Tag sei er zu Freunden nach XXXX gefahren und habe von einem öffentlichen Telefon seine Freunde angerufen. Bei zweien, die verhaftet worden seien, sei das Handy ausgeschaltet gewesen, die dritte Person (F.) habe abgehoben und sei dann zu ihm nach XXXX gekommen, wo sie einen Schlepper organisieren hätten können, der ihnen bei der Ausreise geholfen habe.
Wegen seiner Zugehörigkeit zur sunnitischen Richtung des Islam gehöre er zudem zu einer Minderheit im Iran.
Bei einer Rückkehr würde er sicher getötet werden, sowohl ein Freund von ihm als auch ein Freund seines Bruders seien wegen deren politischen Einstellung getötet worden. Auch seine Familie sei unter Druck, sie hätten ihr Wohnhaus verkaufen wollen, aber wegen dieser Nachbarschaft, habe es niemand kaufen wollen.
In Österreich habe er bereits Deutschkurse absolviert und die Prüfung A1 abgelegt. Er habe sich auch bei einem Schmuckgeschäft beworben und warte diesbezüglich auf den Asylbescheid. Er sei im Basketballverein aktiv und habe Kontakt zu vielen Leuten dort. Er habe auch eine Lebensgefährtin. Weiters habe er für zwei Monate im Soma Sozialmarkt gearbeitet.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt III.) und setzte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Entscheidung (Spruchpunkt IV.).
Die belangte Behörde stellte neben allgemeinen herkunftsbezogenen Länderfeststellungen und der Identität des Beschwerdeführers fest, dass der Beschwerdeführer iranischer Staatsangehöriger, Zugehöriger der Volksgruppe der Kurden und muslimisch-sunnitischen Glaubens sei. Er sei ledig und habe keine Kinder. Weiters wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer Sympathisant der demokratisch-kurdischen Partei im Iran gewesen sei, sich jedoch nicht in leitender Funktion exponiert habe. Er sei illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist, bestreite seinen Lebensunterhalt aus der Grundversorgung und spreche schon ein wenig Deutsch. Er habe eine Herzkrankheit, sei aber deshalb derzeit nicht in Behandlung und nehme auch keine Medikamente ein.
Nicht festgestellt werden könne von der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer im Iran einer asylrelevanten Verfolgung durch die iranischen Behörden unterliege, auch aus den sonstigen Umständen habe keine asylrelevante Verfolgung iSd GFK festgestellt werden können.
Auch eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr könne nicht festgestellt werden. Es sei dem Beschwerdeführer als mobilem, jungen Mann zuzumuten, seinen Lebensunterhalt durch Arbeitsaufnahme zu bestreiten, vorübergehend auch durch Gelegenheitsarbeiten. Der Beschwerdeführer verfüge im Iran verfüge über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte.
Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer in Österreich weder Verwandte oder andere besonders enge Beziehungen habe. Er sei in einem Basketballverein als Trainingsgast tätig, befinde sich nicht in Ausbildung und sei nicht berufstätig. Er habe für zwei Monate im Soma Sozialmarkt ehrenamtlich gearbeitet.
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer glaubhaft habe darlegen können, dass er für ca. 8 Monate Mitglied der demokratisch-kurdischen Partei im Iran gewesen sei und dies durch die Vorlage einer Bestätigung habe belegen können. Er sei jedoch reiner Sympathisant gewesen und habe sich nicht in leitender Funktion exponiert. Auch stelle die Bestätigung keinen Nachweis für eine tatsächliche Tätigkeit für die Partei dar. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers betreffend führte die belangte Behörde aus, dass die zeitliche Abfolge der Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich der Flugzettel-Aktion nicht mit dem genauen Todestag des Dr. GHASSEMLOU in Einklang zu bringen seien. Es sei weder schlüssig noch nachvollziehbar, warum der Beschwerdeführer ein paar Wochen vor dem Todestag am 13.07. bereits Flugzettel verteilt haben hätten sollen. Darüber hinaus sei zu erwähnen, dass er nicht das genaue Datum der Verteilung der Flugzettel habe nennen können, obwohl es sich um das – seinen Angaben zufolge – kausale Ereignis für die Ausreise gehandelt habe.
Es könne aus objektiver Sicht auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass – bei Wahrunterstellung der Angaben des Beschwerdeführers – das einfache Verteilen von Flugblättern, selbst wenn dies durch Mitglieder der iranischen Behörden registriert worden sein sollte, die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung mit maßgeblicher Intensität mit sich bringe. Es handle sich beim Beschwerdeführer nicht um eine herausragende und führende Persönlichkeit im oppositionspolitischen Kampf gegen den iranischen Staat, weshalb davon auszugehen sei, dass er nicht von den iranischen Behörden gesucht werde und asylrelevante Schwierigkeiten bei der Wiedereinreise bekommen könnte.
Es werde von der belangten Behörde nicht verkannt, dass es im Alltag zu gewissen Einschränkungen und Diskriminierungen für die kurdische Bevölkerung im Iran komme, es habe jedoch im konkreten Fall des Beschwerdeführers keine individuelle Bedrohung durch das iranische Regime festgestellt werden können.
Zusammengefasst könne davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer seine Heimat verlassen habe, da seine Arbeit als Basketballtrainer nicht zum Leben gereicht habe und er auch kein Darlehen von einer Bank für die Eröffnung eines eigenen Schmuckgeschäftes bekommen habe.
Auch das Erfordernis der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde von der belangten Behörde verneint, grundsätzlich bestünden bezüglich Iran keine Anhaltspunkte dafür, dass dort gegenwärtig eine extreme Gefahrenlage herrsche, durch die praktisch jeder der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. Es sei dem Beschwerdeführer zuzumuten, im Falle einer Rückkehr einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und sich seinen Lebensunterhalt zu sichern.
Da die Gründe für eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG nicht vorlägen, wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen ebenfalls nicht erteilt.
Weiters erließ die belangte Behörde eine Rückkehrentscheidung und führte hierzu aus, dass diese zulässig sei, da der Beschwerdeführer dadurch nicht in seinem Recht auf Familienleben oder Privatleben verletzt sei. Er sei in einem Basketballverein aktiv, habe schon mehrere soziale Kontakte zu Österreichern, sei der deutschen Sprache schon ein wenig mächtig, verfüge jedoch sonst über keine nennenswerten gesellschaftlichen Anknüpfungspunkte in Österreich. In Abwägung sei dem Interesse der Öffentlichkeit an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens und der öffentlichen Ordnung und Sicherheit mehr Gewicht einzuräumen als den bloß privaten Interessen des Beschwerdeführers, weshalb die Rückkehrentscheidung nach § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG zulässig sei. Die Abschiebung in den Iran sei auch zulässig, da keine Hinderungsgründe des § 50 FPG vorlägen und habe die Ausreise des Beschwerdeführers binnen 14 Tagen ab Rechtskraft des Bescheides zu erfolgen (§ 55 FPG).
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 02.08.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und führte (nach Wiederholung des Sachverhalts und des Vorbringens bei der Einvernahme vor der belangten Behörde) aus, dass ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren vorliege, da die Länderfeststellungen sich nur unzureichend mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers beschäftigen würden und dadurch als Begründung zur Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz unzureichend seien. Insbesondere gebe es keinerlei Information darüber, wie mit politischen Gegnern – wie es der Beschwerdeführer sei – im Iran umgegangen werde. Zudem sei die Beweiswürdigung der belangten Behörde mangelhaft, die Verteilaktion finde immer ein paar Wochen vor dem Todestag statt, da an dem tatsächlichen Todestag die iranischen Behörden extrem aufmerksam seien und alle Aktivisten sofort verhaften würden. Aktionen solcher Art würden immer geheim organisiert und auch so durchgeführt.
Aus der ACCORD Anfragebeantwortung vom 18.11.2013 und dem (näher angeführten) Erkenntnis des AsylGH gehe zudem hervor, dass jede aktive politische Betätigung, die gegen das Regime gehe, strikt verfolgt werde.
Alles in allem hätte die belangte Behörde bei einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren und einer ordnungsgemäßen Beweiswürdigung zum Schluss kommen müssen, dass der Beschwerdeführer ein detailliertes, nachvollziehbares und gleichlautendes Vorbringen erstattet habe und ihm im Iran asylrelevante Verfolgung drohe. Jedenfalls hätte die Behörde dem Beschwerdeführer bei richtiger Beweiswürdigung zumindest subsidiären Schutz gewähren müssen.
4. Die Beschwerde wurde von der belangten Behörde– ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen – dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
5. Am XXXX 2019 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers, dessen rechtlicher Vertretung, eines Vertreters der belangten Behörde und eines Dolmetschers für die Sprache Kurdisch-Sorani statt. Der Beschwerdeführer legte in der mündlichen Verhandlung u.a. einen Mitgliedausweis der KDPI seines Onkels sowie die Sterbeurkunde seines Cousins vor, der bei der Verteilaktion involviert gewesen sei. Der Beschwerdeführer führte ergänzend zu seinen Angaben vor der belangten Behörde aus, dass seine Familienangehörigen im Iran vom Geheimdienst schikaniert würden, sie würden immer wieder vom iranischen Geheimdienst gerufen bzw. befragt, dies sei bis jetzt etwa sieben- oder achtmal vorgekommen, das letzte Mal vor einer Woche. Der iranische Geheimdienst sage seiner Familie, dass sie dafür sorgen solle, dass er in den Iran zurückkehre. Die Familie verwende eine unbekannte SIM-Karte, über die der Beschwerdeführer mit ihnen in Kontakt trete, früher sei dies über Freunde und Verwandte geschehen, damit die Familie nicht gefährdet werde. Zwei seiner Onkel seien nach Deutschland gegangen, weil sie ebenfalls politische Probleme gehabt hätten, einer habe bereits den Asylstatus. Seit seinem 18. oder 19. Lebensjahr sei er konfessionsfrei, er habe dies aber im Iran niemandem erzählt. Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer aus, dass er als Sympathisant für die KDPI gearbeitet habe, Mitglied sei er nicht gewesen. Sympathisant sei eine Personen, die heimlich für die Partei arbeite, Mitglieder seien diejenigen, die offen und bewaffnet bei der Partei seien. Er habe auf Vorschlag seines Freundes F., der von der Partei beauftragt worden sei, mitgearbeitet, ihre Ausgabe sei es gewesen, Informationen über einen Verräter in ihrer Nachbarschaft zu sammeln sowie Personen, welche in der Nacht zum Verräter gegangen seien und ihm Informationen gegeben hätten, zu fotografieren bzw. diese zu erkennen. Sie hätten ein paar Leute, die mit dem Verräter kooperiert und für die Basij gearbeitet hätten, ausgeforscht und diese Informationen an die Partei weitergegeben. Drei Wochen vor dem Erinnerungstag an den Mord von Dr. GHASSEMLOU habe er mit drei weiteren Personen im „Armenian“ Bezirk Flyer bzw. Plakate verteilt. Ein paar Tage vor dem Erinnerungstag werde die Stadt vom Militär überwacht, deswegen hätten sie die Flugzettel früher verteilt. Die Flyer hätte sein Cousin, der Eigentümer einer Buchhandlung gewesen sei, ausgedruckt, an dem Abend, an dem sie die Flyer verteilt hätten, seien sie dann nur zu dritt gewesen. Ein oder zwei Tage später habe dies der Geheimdienst in Erfahrung gebracht, zwei Personen seien verhaftet worden, ihm und seinem Freund F. sei es gelungen, zu fliehen. Sein Bruder habe ihn angerufen, dass Geheimdienstleute bei ihnen zu Hause gewesen seien und den Computer und andere Sachen des Beschwerdeführers mitgenommen hätten, er sei daraufhin zu Verwandten gegangen und habe dort übernachtet. Am nächsten Tag sei er in die Stadt XXXX zu einem Freund gefahren und habe von einer Telefonzelle aus seinen Freund F. aus der Partei angerufen. Eine der verhafteten Personen sei noch im Gefängnis, sein Cousin welcher zunächst verhaftet und dann gegen Zahlung einer hohen Kautionssumme freigekommen sei, sei inzwischen in seinem Geschäft getötet worden, nachdem der Geheimdienst bei ihm ein Buch von Dr. GHASSEMLOU gefunden habe. Dies habe er über Freunde und Verwandte in Erfahrung gebracht.
Es sei nicht richtig, dass er wegen der schlecht bezahlten Arbeit ausgereist sei, er habe als Goldschmied und drei Tage in der Woche für zwei Stunden auch als Basketballtrainer gearbeitet und ein relativ gutes Einkommen gehabt. Seinen Wohnort habe er auf Facebook veröffentlicht, da er gedacht habe, dass es sich bei Österreich um ein sicheres Land handle.
Im Iran sei er als Sunnit schikaniert worden, er sei über zwei Jahre hinweg von einem Amt zum nächsten geschickt worden, um einen Befreiungsbescheid für das Militär zu bekommen und in einer Bank sei er nach zwei Tagen gekündigt worden, weil er nicht den Basij angehöre.
Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers stellte den Antrag, eine Recherche zum Verhältnis der Volksgruppe der „Manguran“ zum iranischen Staat durchzuführen.
6. Mit Stellungnahme vom 08.10.2019 führte der Beschwerdeführer aus, dass sich aus den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten ergebe, dass die Demokratische Partei Kurdistan Iran (KDPI) im Iran als Terrororganisation eingestuft werde und verboten sei. Sie werde demnach vom Iran bekämpft und sei eine Parteiangehörigkeit folglich strafbar. Es sei den iranischen Behörden bekannt, dass der Beschwerdeführer als Sympathisant für die KDPI tätig gewesen sei und drohe ihm daher im Iran den Länderberichten zufolge die sofortige Verhaftung und die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren.
Als Angehöriger der ethnischen Minderheit der Kurden sei der Beschwerdeführer zusätzlich einer Gefährdung ausgesetzt, da es in der iranischen Provinz Kurdistan geheimdienstliche Präsenz und gezielte Überwachung gebe, wie sich aus den Länderberichten ergebe.
Nach Berichten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und UNHCR toleriere das iranische Regime keinerlei Aktivitäten in Zusammenhang mit kurdischen politischen Parteien, jegliche Verbindung mit einer dieser Parteien könne ein Grund für eine Verhaftung sein. Auch Unterstützer mit niedrigem Profil würden in Haft gesetzt und teilweise gefoltert werden. Berichten von Amnesty International zufolge würden Kurden weiterhin systematisch diskriminiert werden, das britische Home Office und die dänische Fact Finding Mission würden zu dem Schluss kommen, dass alleine die Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe nicht zu einem Risiko der Verfolgung oder Verletzung der in Art 3 EMRK genannten Rechte führe, dies sei jedoch anders, wenn eine politische Tätigkeit für eine Organisation, die sich für die Unterstützung kurdischer Rechte einsetze, ausgeübt werde.
Mit der Stellungnahme wurde ein Bestätigungsschreiben der KDPI vom 07.10.2019 vorgelegt, aus welchem sich ergibt, dass der Beschwerdeführer Sympathisant der KDPI ist.
7. Mit Schreiben vom 18.11.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht ein Abschluss-Bericht der LPD XXXX bezüglich eines behaupteten Verstoßes gegen das Verbotsgesetz durch den Beschwerdeführer übermittelt.
8. Mit Schreiben vom 4.12.2019, 30.04.2020 und 30.04.2020 wurde die zuständige Staatsanwaltschaft um Mitteilung des aktuellen Verfahrensstandes gebeten. Mit Schreiben vom 13.05.2020 wurde mitgeteilt, dass das diesbezügliche Verfahren bei der Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen ist.
9. Mit Schreiben vom 14.05.2020 wurde ein Unterstützungsschreiben der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers vorgelegt, in dem diese ausführt, dass sie krank ist und dass der Beschwerdeführer sie in verschiedenen Lebenssituationen unterstützt, was auch von ihrem Betreuer der Caritas im selben Schreiben bestätigt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der unter Punkt I. ausgeführte Verfahrensgang wird als maßgeblich festgestellt.
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und zum Fluchtvorbringen
Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der kurdischen Volksgruppe. Er trägt den im Spruch angeführten Namen und das im Spruchkopf genannte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er hat eine kranke Lebensgefährtin, die er unterstützt.
Der Beschwerdeführer war im Iran zuletzt in der Stadt XXXX wohnhaft. Er hat 12 Jahre lang die Schule im Iran besucht, diese mit Matura abgeschlossen und zuletzt drei Jahre lang parallel als Goldschmied und drei Tage in der Woche für jeweils zwei Stunden als Basketballtrainer gearbeitet.
Der Beschwerdeführer ist am XXXX .07.2014 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Im Herkunftsstaat leben noch die Mutter, die Geschwister sowie Tanten und Onkel des Beschwerdeführers. Zu seinen Verwandten, vor allem zu seiner Mutter, hat der Beschwerdeführer regelmäßigen, telefonischen Kontakt. Zwei Onkel des Beschwerdeführers leben in Deutschland, einem wurde bereits der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. In Österreich leben keine Verwandten des Beschwerdeführers, der Beschwerdeführer hat eine Lebensgefährtin, mit welcher er jedoch nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Der Beschwerdeführer ist in einem Basketballverein aktiv und verfügt über einen Bekanntenkreis. Er geht derzeit keiner legalen Arbeit nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Seit der Antragstellung befand sich der Beschwerdeführer lediglich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz durchgängig rechtmäßig im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der Grundversorgung des Bundes. Der Beschwerdeführer leidet an einer Herzkrankheit, nimmt regelmäßig Medikamente und steht in ärztlicher Behandlung.
Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse, er hat die Prüfung Level A1 mit gutem Erfolg bestanden und absolvierte zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen weiteren Deutschkurs.
Als maßgeblich wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Iran zumindest 8 Monate lang Sympathisant der KDPI war. Er wurde von seinem Freund F. für die Partei angeworben, zu seinen Aufgaben zählte die Informationsbeschaffung über einen seiner Nachbarn, der von der Partei als Spion der iranischen Regierung angesehen wurde, sowie die einmalige Verteilung von Flugblättern anlässlich des Todestages des ehemaligen Vorsitzenden der KDPI, Abdul Rahman Ghassemlou, ca. 3 Wochen vor seiner Ausreise. Die iranischen Behörden wurden auf letztere Aktion aufmerksam und verhafteten zwei Beteiligte dieser Aktion, Nawid XXXX (B.) und den Cousin des Beschwerdeführers Esmail XXXX , wobei B. nach wie vor in einem iranischen Gefängnis inhaftiert ist und der Cousin des Beschwerdeführers inzwischen getötet wurde. Die Behörden hielten beim Haus des Beschwerdeführers nach diesem Ausschau und beschlagnahmten seinen Computer. Dem Beschwerdeführer und sein Freund F., welcher ebenfalls bei der oben genannten Aktion mitwirkte, entgingen durch ihre Flucht der Verhaftung.
Im Falle einer Rückkehr in den Iran wäre der Beschwerdeführer aufgrund seiner Eigenschaft als Sympathisant der KDPI und Ausübung politischer Tätigkeit für diese mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zumindest der Verhaftung und Folter durch die iranischen Behörden ausgesetzt.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Es liegen keine Asylausschlussgründe vor.
1.2 Zur hier relevanten Situation im Iran
1. Politische Lage
Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution" [auch Oberster Rechtsgelehrter, Oberster Führer oder Revolutionsführer], Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt (AA 15.2.2019a, vgl. BTI 2018, ÖB Teheran 12.2018) und kann diesen theoretisch auch absetzen (ÖB Teheran 12.2018). Das Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 3.2019a).
Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani, wiedergewählt: Mai 2017). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 3.2019a).
Der Revolutionsführer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inklusive der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 12.2018). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel (AA 12.1.2019).
Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Islamische Beratende Versammlung oder Majles, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 12.2018).
Der Wächterrat (12 Mitglieder, sechs davon vom Obersten Führer ernannte Geistliche, sechs von der Judikative bestimmte Juristen) hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch insgesamt wesentlich mächtiger als ein westliches Verfassungsgericht. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei Wahlen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 15.2.2019a, FH 4.2.2019, BTI 2018). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 3.2019a).
Der Expertenrat wählt und überwacht den Revolutionsführer auf Basis der Verfassung. Die 86 Mitglieder des Expertenrats werden alle acht Jahre vom Volk direkt gewählt. Für die Zulassung der Kandidaten ist der Wächterrat zuständig (WZ 11.1.2017).
Der Schlichtungsrat besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Er hat zum einen die Aufgabe, im Streitfall zwischen verschiedenen Institutionen der Regierung zu vermitteln, zum anderen hat er festzustellen, was die langfristigen "Interessen des Systems“ sind. Diese sind unter allen Umständen zu wahren. Der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 3.2019a).
Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 12.1.2019). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahekommen (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a). Am 26. Februar 2016 fanden die letzten Wahlen zum Expertenrat und die erste Runde der Parlamentswahlen statt. In den Stichwahlen vom 29. April 2016 wurde über 68 verbliebene Mandate der 290 Sitze des Parlaments abgestimmt. Aus den Wahlen gingen jene Kandidaten gestärkt hervor, die das Wiener Atomabkommen und die Lockerung der Wirtschaftssanktionen nach dem “Implementation Day” am 16. Januar 2016 unterstützen. Zahlreiche Kandidaten waren im Vorfeld durch den Wächterrat von einer Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen worden. Nur Kandidaten schafften die Wiederwahl. Im neuen Parlament sind 17 weibliche Abgeordnete vertreten (AA15.2.2019a).
Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und aussortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.2.2019). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Die Wahlen an sich liefen im Prinzip frei und fair ab, unabhängige Wahlbeobachter waren aber nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 12.1.2019).
Die Erwartung, dass durch den 2015 erfolgten Abschluss des Atomabkommens (JCPOA) Reformkräfte im Iran gestärkt würden, hat sich in den Parlamentswahlen im Februar bzw. April (Stichwahl) 2016 erfüllt. Die Reformer und Moderaten konnten starke Zugewinne erreichen, so gingen erstmals alle Parlamentssitze für die Provinz Teheran an das Lager der Reformer. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was im ersten Halbjahr 2018 zu einer signifikanten Reduktion der vollstreckten Todesurteile (-60%) führte. Jedoch gab es 2018 mit der Einschränkung des Zugangs zu unabhängigen Anwälten in „politischen“ Fällen und der zunehmenden Verfolgung von Umweltaktivisten auch zwei eindeutig negative Entwicklungen (ÖB Teheran 12.2019).
Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt und unterstützen im Wesentlichen den im politischen Zentrum des Systems angesiedelten Präsidenten Rohani (AA 12.1.2019).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (15.2.2019a): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/-/202450, Zugriff 30.4.2019
- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 30.4.2019
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report — Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 30.4.2019
- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 31.5.2019
- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 30.4.2019
- ÖB – Österreichische Botschaften (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 30.4.2019
- WZ – Wiener Zeitung (11.1.2017): Das politische System des Iran, https://www.wienerzeitung.at/archiv/iran-2017/iran-hintergrund/524691-Das-politische-System-des-Iran.html?em_no_split=1, Zugriff 30.4.2019
2. Sicherheitslage
Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken.
Latente Spannungen im Land haben wiederholt zu Kundgebungen geführt, besonders im Zusammenhang mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es in verschiedenen iranischen Städten bisweilen zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben, wie beispielsweise Ende Dezember 2017 und im Januar 2018 (EDA 11.6.2019).
Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Am 22. September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte. Am 7. Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 11.6.2019, vgl. AA 11.6.2019b). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 11.6.2019b). Im ganzen Land, besonders außerhalb von Teheran, kann es immer wieder zu politisch motivierten Kundgebungen mit einem hohen Aufgebot an Sicherheitskräften kommen (BMEIA 11.6.2019).
In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen.
Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 20.6.2018b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 11.6.2019).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt bewaffnete Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und kurdischen Separatistenorganisationen wie PJAK und DPIK, mit Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK im September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 11.6.2019b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. (EDA 11.6.2019). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 12.2018).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (11.6.2019b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 11.6.2019
- BMeiA – Bundesminsterium für europäische und internationale Angelegenheiten (11.6.2019): Reiseinformation Iran, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/ , Zugriff 11.6.2019
- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (11.6.2019): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 11.6.2019
- ÖB – Österreichische Botschaften (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 11.6.2019
2.1 Verbotene Organisation
Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze in Frage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 12.1.2019).
Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komalah-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (DPIK), die aus Belutschistan stammende Jundallah, und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der PKK, zusammenarbeitet (AA 12.1.2019). Die politischen Gruppierungen KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 12.2018) und hat einen bewaffneten Flügel (AI 15.6.2018). Auch die Volksmudschahedin (MEK, MKO, PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019).
Im FFM-Bericht des Danish Immigration Service erklärt eine Quelle, dass sie noch nie davon gehört hätte, dass eine Person nur aufgrund einer einzigen politischen Aktivität auf niedrigem Niveau, wie z.B. dem Verteilen von Flyern, angeklagt wurde. Andererseits ist es aber laut einer anderen Quellen schon möglich, dass man inhaftiert wird, wenn man mit politischem Material, oder beim Anbringen von politischen Slogans an Wänden erwischt wird. Es kommt darauf an, welche Art von Aktivität die Personen setzen. Andauernde politische Aktivitäten können in einer Anklage enden (DIS/DRC 23.2.2018).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 11.6.2019
- AI – Amnesty International (15.6.2018): Urgent Action, Iranian Kurdish Woman denied Medical Care, UA: 151/14 Index: MDE 13/8598/201, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435509/1226_1529323691_mde1385982018english.pdf, Zugriff 11.6.2019
- AI – Amnesty International (11.2.2019): Amnesty International's written statement to the 40thsessionof theHuman RightsCouncil(25 February –22March 2019), MDE 13/9828/2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457788/1226_1550135137_mde1398282019english.pdf, Zugriff 11.6.2019
- DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf, Zugriff 11.6.2019
- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 11.6.2019
2.2 Kurdish Democratic Party of Iran (KDPI/PDKI) und Komala(h) (Kurdistan Organization of the Communist Party of Iran, Komala, SKHKI)
Neben der PJAK zählen insbesondere die marxistische Komalah-Partei und die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI) zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran (AA 12.1.2019). Letztere wird von der Regierung als konterrevolutionäre und terroristische Gruppe betrachtet, die vom Irak aus das Regime bekämpft (AA 9.12.2015, vgl. BMI 2015).
Die kurdischen Oppositionspartien, insbesondere die KDPI, sind in Iran nicht sehr stark durch Mitglieder repräsentiert, sondern am ehesten durch Sympathisanten (ACCORD 7.2015). Die KDPI wurde 1945 gegründet und vom Schah im Jahr 1953 verboten und dadurch in den Untergrund verbannt. Die KDPI fordert kurdische Autonomie (TRAC o.D.) innerhalb eines demokratischen Iran (MERIP o.D.). Das Hauptquartier der KDPI, die sich in ihrer Geschichte mehrmals gespalten hat, befindet sich im Irak (MERIP o.D., vgl. ACCORD 7.2015).
Komalah (SKHKI) hat ihre Zentrale in der Autonomen Kurdischen Region Irak. Es gibt Parteimitglieder und –sympathisanten. Organisiert ist sie in einzelnen Zellen, die von Mitgliedern geführt werden. Die Mitglieder einer Zelle teilen sich die Arbeit auf, aber nur eine Person nimmt Kontakt zur Zentrale auf. Sympathisanten hören das Parteiradio, schauen Komala TV und beteiligen sich an Aktivitäten, die von Komala empfohlen werden. Die Zellen fungieren als eine Art Schirmorganisation, die eine große Anzahl an Sympathisanten abdecken. Geheime Aktivitäten der Partei in Iran werden von der Einheit „Takesh“ durchgeführt. Komala erlaubt ihren Mitgliedern in Iran nicht, sich in größeren Gruppen als zwei oder drei Personen zu treffen (DIS/DRC 30.9.2013). Komala ist in Iran verboten (BMI 2015) und erscheint momentan weniger aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Zuletzt wurden im September 2018 drei angebliche Komala-Mitglieder wegen Terrorismus nach unfairen Verfahren und trotz internationaler Proteste hingerichtet, zeitgleich fanden Raketenangriffe auf einen Stützpunkt der KDPI in Nord-Irak statt (ÖB Teheran 12.2018).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 11.6.2019
- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 11.6.2019
- ACCORD (7.2015): COI compilation Iran: Political Opposition Groups, Security Forces, Selected Human Rights Issues, Rule of Law, http://www.ecoi.net/file_upload/4543_1436510544_accord-iran-coi-compilation-july-2015.pdf, Zugriff 11.6.2019
- BMI – Langanger, Simone (2015): Kurdish political parties in Iran, in: BMI - Bundesministerium für Inneres (Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter [eds.]): regiones et res publicae - The Kurds: History - Religion - Language - Politics,, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res-publicae-the-kurds-2015.pdf, Zugriff 11.6.2019
- DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf, Zugriff 11.6.2019
- DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (30.9.2013): Iranian Kurds, On Conditions for Iranian Kurdish Parties in Iran and KRI, Activities in the Kurdish Area of Iran, Conditions in Border Area and Situation of Returnees from KRI to Iran, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1380796700_fact-finding-iranian-kurds-2013.pdf, Zugriff 11.6.2019
- MERIP – Middle East Research and Information Project (o.D.): Major Kurdish Organizations in Iran, https://www.merip.org/mer/mer141/major-kurdish-organizations-iran, Zugriff 11.6.2019
- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 11.6.2019
- TRAC – Terrorism Research and Analysis Consortium (o.D.): Democratic Party of Iranian Kurdistan (DPKI), https://www.trackingterrorism.org/group/democratic-party-iranian-kurdistan-dpki, Zugriff 11.6.2019
3. Rechtsschutz / Justizwesen
Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 12.2018). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den sogenannten Chef der Judikative. Dieser ist laut Art.157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt. Die Liste der Verteidiger in politischen Verfahren ist auf 20 Anwälte beschränkt worden, die z. T. dem Regime nahe stehen (AA 12.1.2019). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.2.2019)
Obwohl das Beschwerderecht rechtlich garantiert ist, ist es in der Praxis eingeschränkt, insbesondere bei Fällen, die die nationale Sicherheit oder Drogenvergehen betreffen (BTI 2018).
Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 13.3.2019). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 17.1.2019). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft (AI 22.2.2018, vgl. HRW 17.1.2019).
In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 29.5.2018).
In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015, vgl. BTI 2018).
Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:
- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";
- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;
- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;
- Spionage für fremde Mächte;
- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;
- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).
Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).
Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019). Nach Art. 278 iStGB können in bestimmten Fällen des Diebstahls Amputationen von Gliedmaßen – auch für Ersttäter – vom Gericht angeordnet werden (AA 12.1.2019). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten (ÖB Teheran 12.2018).
Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon sieben Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).
Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten, ihre Familien werden nicht oder sehr spät informiert. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch. Hinsichtlich der Ausübung von Sippenhaft liegen gegensätzliche Informationen vor, sodass eine belastbare Aussage nicht möglich ist (AA 12.1.2019).
Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 12.1.2019).
Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Es gibt zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 12.1.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 24.5.2019
- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der
Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 24.5.2019
- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 24.5.2019
- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report — Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 24.5.2019
- FH – Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 31.5.2019
- HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html, Zugriff 24.5.2019
- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 24.5.2019
- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html, Zugriff 24.5.2019
- US DOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436871.html, Zugriff 24.5.2019
4. Sicherheitsbehörden
Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen in Städten und Dörfern, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten, die den strikten Moralkodex nicht befolgen, involviert (US DOS 13.3.2019). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen und Kinder an (AA 12.1.2019). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 12.2018).
Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften