Entscheidungsdatum
19.06.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W159 2184138-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten vom 11.12.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.05.2020, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß §§ 3 Abs. 1 iVm 34 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gem. § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer ein Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig, sunnitischen moslemischen Glaubens und traditionell verheiratet, gelangte mit seiner Ehefrau und seinen zwei Kindern (spätestens) am 07.10.2015 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Am gleichen Tag erfolgte die sicherheitsbehördliche Erstbefragung durch das XXXX .
Zu seinem Fluchtgrund befragt gab er an, die Sicherheitslage in Afghanistan sei schlecht gewesen. Seine Familie hätte keine finanziellen Probleme gehabt.
Am 09.08.2017 erfolgte die Niederschrift im Verfahren vor der belangten Behörde.
Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau beantragten für das nachgeborene Kind internationalen Schutz. Er brachte diverse Deutschkursbestätigungen, Empfehlungsschreiben, Arbeitsnachweise sowie Dokumente die Kinder betreffend in Vorlage.
Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, in der Provinz Parwan, Distrikt XXXX , in der Stadt XXXX geboren worden, der Volksgruppe der Tadschiken angehörig, und muslimischen Glaubens. Zuletzt habe er in XXXX , Parwan mit seiner Frau, den Kindern und der Mutter gelebt. Befragt nach dem Geburtsdatum der Kinder, wurde der Geburtstag der Tochter korrigiert.
Nachgefragt erzählte der Beschwerdeführer bis zum Tod des Vaters, der Beschwerdeführer sei etwa dreizehn Jahre alt gewesen, hätte er die Schule besucht, danach hätte er für seinen Lebensunterhalt sorgen müssen. Er habe nur in seinem Geburtsort gelebt, sei jedoch auch in Kabul unterwegs gewesen. Er habe Obst (z.B. Birnen und Trauben) nach Kabul gebracht. Er sei selbstständig gewesen und habe gut verdient.
Befragt zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, er habe Afghanistan wegen der schlechten Sicherheitslage und dem andauernden Krieg verlassen. Der Beschwerdeführer erzählte auch er habe seine Frau in Kabul, durch seine Tante kennengelernt. Als er seine Mutter zum Schwiegervater, einen reichen Mann, wegen der Hochzeitsverhandlungen geschickt habe, habe dieser die Einwilligung zur Ehe verweigert. Zu diesem Zeitpunkt erzählte der Beschwerdeführer dem Schwiegervater, dass er seine Tochter vor etwa acht Monaten kennen und lieben gelernt hätte. Der Schwiegervater und die Brüder seiner Frau hätten den Beschwerdeführer verprügelt und aus der Wohnung geworfen. Leute von der Straße hätten die Streitenden getrennt. Seine Frau habe ihn telefonisch mitgeteilt, dass der Vater beschlossen hätte, sie müsse den Cousin des Vaters heiraten. Da der Beschwerdeführer sie nicht heiraten hätte dürfen, sei seine Frau mit ihm in sein Heimatdorf geflüchtet. Der Beschwerdeführer habe seine Frau vor dem Mullah, nur in Anwesenheit seiner Mutter geheiratet. In Kabul sei er angefahren worden. Der Fahrer sei geflüchtet. Seine Heimatstadt ähnle einer Mafiastadt, jeder sei bewaffnet. Er hätte Angst um seine Familie gehabt.
Mit dem im Spruch angeführten Bescheid von 11.12.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § Abs. 8 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 Asyl wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Abschiebung nach Afghanistan sei zulässig. Es bestehe eine zweiwöchige Frist für eine freiwillige Ausreise.
Die belangte Behörde führte an, sie habe das Fluchtvorbringen nicht geglaubt. Es seien unterschiedliche oder widersprüchliche Angaben gemacht worden.
In der Beschwerde, welche fristgerecht am 10.01.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte, wurde die Bescheide des Beschwerdeführers, seiner Ehefrau und ihrer Kinder im vollen Umfang angefochten. Die belangte Behörde habe die Verfahrensvorschriften verletzt, indem sie mangelhafte Länderfeststellungen zugrunde gelegt habe. Die Beschwerdeführer würden mehrere Risikoprofile der UNHCR-Richtlinien erfüllen. Es seien die Beweise, besonders hinsichtlich der Steigerung des Fluchtvorbringens mangelhaft gewürdigt worden.
An der öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 26.05.2020 nahmen der Beschwerdeführer, seine Ehefrau als Beschwerdeführerin, die Rechtsvertretung der Familie und eine Dolmetscherin teil. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen.
Der Beschwerdeführer hielt seine Beschwerde und sein bisheriges Vorbringen aufrecht. Er korrigierte das Geburtsdatum seines ältesten Sohnes. Er sei am 05.03.2012 geboren worden.
Der Beschwerdeführer gab an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Tadschike angehörig und sunnitischer Moslem. Seit er in Österreich aufhältig sei, würde er seine Religion nicht ausüben, jedoch sei er sich aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten und habe sich nicht gänzlich vom Islam abgewandt.
Er sei in Parwan, in XXXX geboren worden und aufgewachsen und habe dort bis zur Ausreise gelebt. Er hätte sieben Jahre lang die Schule besucht und keine weiterführende Ausbildung gemacht. Danach hätte er Obst und Trockenfrüchte verkauft. Er hätte im Alter von etwa dreizehn Jahren zu Arbeiten begonnen.
Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, er habe vor ca. 10 Jahren habe seine Frau in Kabul kennen gelernt. Seine Tante mütterlicherseits hätte bei der Familie seiner Frau gelebt. Sie hätte von ihnen ein Zimmer gemietet. Er sei manchmal bei seiner Tante auf Besuch gewesen. Die Schwiegertochter seiner Tante hätte ihm erzählt, dass es hier ein hübsches Mädchen gäbe und sie hätte dem Beschwerdeführer das Mädchen vorgestellt. Der Beschwerdeführer hätte die Schwiegertochter seiner Tante angerufen und gesagt, dass er auf Besuch komme und seine spätere Frau sei in die Wohnung gebracht worden. Nachdem sie sich etwa acht Monate kennengelernt hätten, hätte der Beschwerdeführer seine Mutter zu der Familie seiner Frau geschickt. Diese hätten die Heirat abgelehnt, weil die Leute aus XXXX keinen guten Ruf hätten. Später hätte der Beschwerdeführer erfahren, dass der Schwiegervater seine Tochter jemand anderem zur Frau geben hätte wollen.
Der Beschwerdeführer habe auch versucht persönlich mit dem späteren Schwiegervater zu sprechen. „Zuerst haben sie mich beschimpft, dann haben sie begonnen mich zu schlagen. Es waren drei oder vier Personen aus der Familie meiner Frau. Sie haben meinen Finger gebrochen und sind mit einem Messer auf mich los gegangen. … Ich konnte nichts machen. Ich bin weggelaufen.“
Auf Ersuchen des Richters schilderte der Beschwerdeführer die „Entführung“ seiner Ehefrau: „Einige Zeit habe ich keinen Kontakt zu ihr gehabt. Sie mich eines Tages dann angerufen und gesagt, dass ihr Vater sie gegen ihren Willen an einen anderen Mann verheiraten möchte. Ich habe ihr versprochen, sie wegzubringen. Wir haben ausgemacht, es war nach Jahresanfang, dass wir uns vor einer Bäckerei treffen. Es war gegen Mittag, ihr Vater war nicht zu Hause und wir sind mit dem Taxi nach XXXX gefahren.
… Ca. zwei Tage nach der Entführung hat die religiöse Eheschließung stattgefunden.
… Ich habe einen Mullah gebracht, wir haben diesen gekannt. Es waren nur vier Personen anwesend: Der Mullah, meine Mutter, meine Frau und ich. Keine Zeugen.“
Vorhalt des Richters: „Das BFA bemängelt, dass bei der Hochzeit nicht alle islamischen Formvorschriften eingehalten wurden. Warum hat Sie der Mullah trotzdem getraut?“
Der Beschwerdeführer antwortete: „Ich weiß nicht, ich habe vorher nicht geheiratet. Ich habe mit dem Mullah gesprochen und gesagt, dass ich meine Frau entführt habe und er hat uns ohne Zeugen getraut. In Afghanistan legt jeder Mullah die Vorschriften anders aus.“
Der Beschwerdeführer gab an, er habe mit seiner Frau noch etwa vier Jahre in seinem Heimatort gelebt.
Vorhalt des Richters: „Beim BFA hätten Sie etwas erwähnt von einem Vorfall, bei dem jemand mit dem Auto auf Sie zugefahren ist.“
Der Beschwerdeführer antwortete: „Ich hatte Angst gehabt, vielleicht war es jemand von der Familie meiner Frau.“
Nach dem Tod seiner Mutter sei das Leben sehr schwierig geworden. Er habe arbeiten müssen, seine Frau sei mit zwei kleinen Kindern alleine zu Hause gewesen. Sie hätten sich zur Ausreise entschieden.
Der Beschwerdeführer gab an, es gehe ihm gut, er habe jedoch manchmal psychische Probleme und nehme deswegen manchmal Psychopharmaka. Er brachte dazu eine Bestätigung des behandelnden Facharztes für Psychiatrie XXXX vor. Weiters wurde ein Befund betreffend Schilddrüsenerkrankung Hashimoto in Vorlage gebracht.
In Österreich habe der Beschwerdeführer vor der Corona Krise Deutschkurse besucht und manchmal ehrenamtlich für die Gemeinde gearbeitet. Er habe gemäht und auch beim Friedhof oder im XXXX gearbeitet. Er habe die Deutschdiplome A1 und A2 erworben.
Auf die Frage des Richters, wie er die Veränderungen in der Lebensweise seiner Frau sehe, antwortete der Beschwerdeführer: „Es gibt viele Unterschiede in der Lebensweise zwischen Afghanistan und Österreich. Sie könnte in Afghanistan nicht alleine einkaufen gehen, das Haus verlassen oder sich schminken. In Afghanistan hat sie nie die Schule besucht. Sie hat hier Deutschkurse besucht und kann schon lesen und schreiben. Meine Frau freut sich sehr über ihr Leben in Österreich.
… Ich kann gar nicht daran denken. Das Leben meiner Frau wäre dort in Gefahr, auch das meiner Kinder“.
Auf die Frage des Richters, wie sich das Leben seiner Frau und seiner Tochter in Afghanistan darstellen würde, führte der Beschwerdeführer aus: „Das Leben für meine Frau war sehr schwierig in Afghanistan. Ihre Eltern waren sehr streng. Als wir bei mir waren, war es noch schlimmer, sie konnte nicht rausgehen. Für meine Tochter wäre es noch schlimmer. Ich habe Angst, dass sie jemand entführt. Ich habe kein Geld und keinen Einfluss sie davor zu schützen. Ich könnte sie auch nicht zur Schule schicken, sie hätte in Afghanistan keine Zukunft.“
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers wird folgendes festgestellt:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig, sunnitischer Moslem und traditionell verheiratet. Er ist mit seiner Ehefrau und zwei Kindern (alle zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig) am 07.10.2015 in das Bundesgebiet eingereist. Er hat gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Im Bundesgebiet hält er sich mit Ehefrau und seinen drei Kindern auf. Diese sind ebenso Staatsangehörige von Afghanistan.
Der BF hat Afghanistan wegen der allgemeinen schlechten Sicherheitslage und privater Probleme verlassen. Eine persönliche Verfolgungsgefahr und einen in der GFK genannten Grund hat der BF nicht dargetan.
Glaubhaft ist, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers eine westlich orientierte Frau ist, die seit ihrer Ankunft ein freies und selbstbestimmtes Leben lebt und von ihrem Mann unterstützt wird. Sie und der Beschwerdeführer, ihr Ehemann, sowie ihre Kinder sind dabei sich in Österreich zu integrieren.
Der BF leidet unter einer depressiven Anpassungsstörung und Morbus Hashimoto.
Der Ehefrau des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag der Status von Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Beweis wurde erhoben:
Beweis wurde erhoben durch Einvernahmen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau
- durch Beamte des XXXX am 07.10.2015 sowie
- durch das BFA, Regionaldirektion Kärnten am 09.08.2017,
- durch Befragung des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 26.05.2020 sowie durch Vorhalt des aktuellen LIBs der Staatendokumentation durch das Bundesverwaltungsgericht, weiters durch Vorlage eines Befundberichtes des Facharztes für Psychiatrie XXXX , eines Befundes über eine Schilddrüsenuntersuchung XXXX , von Deutschkursbestätigungen, des Zeugnisses zur Integrationsprüfung Sprachniveau A2, einer Arbeitsbestätigung des XXXX samt Arbeitsnachweisen, einer Bestätigung der Gemeinde XXXX über Mithilfe an archäologischen Grabungen samt Arbeitsnachweis, einer Teilnahmebestätigung am Fitnesscenter des XXXX durch den Beschwerdeführer sowie Einsichtnahme in den Strafregisterauszug.
2. Beweiswürdigung:
Der Beschwerdeführer hat als Ausreisegrund einerseits die allgemeine schlechte Sicherheitssituation, insbesondere in seiner Heimatstadt, durchaus glaubwürdig dargetan und andererseits private Probleme, insbesondere nach dem Tod seiner Mutter.
Nach einem tätlichen Angriff der Familie seiner Frau hat der Beschwerdeführer rund vier Jahre nahezu unbehelligt in seiner Heimatstadt in der Provinz Parwan gelebt. Der einmalige recht vage geschilderte Vorfall, dass ein Auto auf ihn zugefahren sei, konnte der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung selbst nicht einmal eindeutig der Familie seiner Frau zuordnen. Bei einem ernsthaften Verfolgungswillen der Familie seiner Frau hätte diese den Beschwerdeführer in der gar nicht so entfernten Provinz Parwan jedenfalls erreichen können, was aber nicht einmal nach den Schilderungen des Beschwerdeführers erfolgt ist.
Die Feststellungen zu den Erkrankungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Befundbericht des Facharztes für Psychiatrie XXXX sowie XXXX .
Der Ehefrau des Beschwerdeführers wurde der Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF zuerkannt, ihr kommt damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zu.
Aufgrund dessen war es auch nicht erforderlich, eigene Länderfeststellungen zu treffen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.03.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“ (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10)
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011; 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Der Beschwerdeführer hat keine individuelle asylrelevante und aktuelle Verfolgungsgefahr in Afghanistan dargetan.
Dem Beschwerdevorbringen ist weiters zu entgegnen, dass ein Mangel an asylrelevanten Fluchtgründen auch nicht durch Länderberichte (und Judikaturzitate) ersetzt werden kann, (vgl. auch BVwG vom 28.10.2016, W159 2110938-1/17E).
Aus der allgemeinen Sicherheitssituation (allein) in Afghanistan lässt sich nicht einmal die Gewährung von subsidiärem Schutz begründen (VwGH vom 23.02.2016 Ra2015/01/0134-7), umso weniger die Gewährung von Asyl (siehe auch BVwG vom 28.04.2016, W159 2101994-1/1E).
§ 34 Abs. 1 AsylG 2005 lautet:
„Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Z 22) von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist; einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.“
Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 122/2009 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7 AsylG 2005).
Familienangehörige sind gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.
Bei dem Begriff „Familienleben im Sinne des Art. 8 MRK“ handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention (vgl. EGMR, Urteil v. 13.6.1997, Fall MARCKX, Ser. A, VOL. 31, Seite 14, § 31).
Nach dem oben zitierten EGMR-Urteil sind sowohl die Beziehungen der Eltern untereinander, als auch jeweils jene zu den Kindern durch Art. 8 MRK geschützte familiäre Bande. Bei einer diesbezüglichen Familie ergeben sich die von der MRK-Rechtsprechung zusätzlich geforderten engen Bindungen der Familienmitglieder untereinander aus ihrem alltäglichen Zusammenleben, gemeinsamer Sorge und Verantwortung füreinander, sowie finanzieller und anderer Abhängigkeit.
Die Unmöglichkeit der Fortsetzung des Familienlebens in einem anderen Staat wird in der Regel dann gegeben sein, wenn kein anderer Staat ersichtlich ist, der dem Asylberechtigten und seinem Angehörigen Asyl oder eine dem Asylrecht entsprechende dauernde Aufenthaltsberechtigung gewährt.
Ehegatten führen ebenso wie Kinder mit ihren Eltern ipso iure ein Familienleben.
Mit seiner Ehefrau führt der Beschwerdeführer ein Familienleben (wovon auch schon die belangte Behörde ausgegangen sit). Er und seine Ehefrau sind Familienangehörige gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005.
Im Fall des Beschwerdeführers liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Asyl im Familienverfahren vor, weil dem Antrag seiner Ehefrau stattgegeben wurde. Das Ermittlungsverfahren betreffend die Ehefrau des Beschwerdeführers ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers eine „westliche Lebensweise“ angenommen hat. Sie konnte zum Entscheidungszeitpunkt eine entsprechende innere Wertehaltung glaubhaft dem Bundesverwaltungsgericht vermitteln. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die Furcht der Ehefrau des Beschwerdeführers vor Verfolgung im Sinne der GFK wohlbegründet ist.
Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau leben mit ihren Kindern zusammen. Es besteht ein enger Familienzusammenhalt. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, wonach dem Beschwerdeführer ein Familienleben getrennt von seiner Ehefrau und seiner Familie in einem anderen Staat zumutbar ist oder möglich wäre, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl im Zuge eines Familienverfahrens gegeben sind.
Dem Beschwerdeführer war daher Asyl zu gewähren.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 07.10.2015 – und somit vor dem 15.11.2015 – gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF BGBl. I 24/2016 („Asyl auf Zeit“) gemäß § 75 Abs. 24 AsylG 2005 im konkreten Fall keine Anwendung finden.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Wie unzweifelhaft der rechtlichen Beurteilung zu entnehmen ist, weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf den gegenständlichen Fall als uneinheitlich zu beurteilen wäre. Im Übrigen liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der im vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen vor.
Vielmehr wurden die in dem vorliegenden Fall zu lösenden Rechtsfragen auf Basis der bisherigen Judikatur der Höchstgerichte entschieden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Asylgewährung von Familienangehörigen FamilienverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W159.2184138.1.00Im RIS seit
29.09.2020Zuletzt aktualisiert am
29.09.2020