Entscheidungsdatum
19.06.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G309 2194761-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA: Irak, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.04.2018, Zl. XXXX , betreffend internationalen Schutz nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.02.2020, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) verließ seinen Herkunftsstaat Irak am 27.09.2015 und stellte nach seiner schlepperunterstützten Einreise ins Bundesgebiet am 04.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung gab der BF vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Kärnten, Polizeiinspektion XXXX , am 04.11.2015 an, den im Spruch genannten Namen zu führen, am 13.01.1996 im Irak geboren zu sein, Staatsangehöriger des Irak zu sein, der arabischen Volksgruppe anzugehören und Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung zu sein. Er sei ledig und habe keine Kinder. Zuletzt habe er in Bagdad im Irak gelebt. Er habe in Bagdad die Grundschule und das Gymnasium besucht.
Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, gab der BF an, dass er sein Heimatland verlassen habe, da dort Bürgerkrieg herrsche und der BF von mehreren maskierten bewaffneten Männern, in seinem Familienhaus schon östers bedroht worden sei. Der BF habe Angst vor dem Bürgerkrieg.
2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der BF am 05.04.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Außenstelle Wiener Neustadt, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.
Eingangs bestätigte der BF die arabische Sprache zu verstehen und auch ein bisschen Englisch und Deutsch zu sprechen und im Verfahren bislang wahrheitsgemäße Angaben gemacht zu haben. Er sei gesund, besuche auf der Universität einen Deutschkurs, möchte Pharmazie studieren und war gemeinnützig tätig. Seine Eltern, zwei Schwestern und ein Bruder würden in Bagdad leben. Zu seiner Person befragt gab der BF an, dass er in Bagdad geboren sei, habe mit seiner Familie im Bezirk XXXX in einem Haus gelebt. Er habe 12 Jahre eine Schule mit Maturaabschluss besucht, habe keinen Job ausgeübt. Seine Familie gehöre zur Mittelschicht und sein Vater, ein ehemaliger Militäroffizier, habe den BF finanziell unterstützt. Der BF sei Araber, Moslem und Sunnit.
Zu seinen Asylgründen befragt gab der BF an, dass man den BF drei Mal versucht habe zu entführen. Der BF kenne die Entführer nicht und er wisse auch nicht, warum man ihn entführen wollte. Das erste Mal sei es in April 2014 gewesen, als vor dem Haustor seines Elternhauses ein vermummter Mann mit einer Waffe in der Hand in die Richtigung des BF gekommen sei und mit der Hand gedeutet habe, er solle zu ihm kommen. Der BF sei schnell ins Haus geflüchtet, und sein Vater habe gesehen, dass dieser Mann in ein Auto mit zwei weiteren Männern, gestiegen sei. Der zweite Vorfall habe sich im März 2015 ereignet, als der BF mit seinem Vater zu einem Supermarkt gefahren sei. Als der BF auf dem Weg vom Auto zum Supermarkt gewesen sei, seien zwei Autos stehen geblieben und es seien mehrere bewaffnete Männer ausgestiegen und in seine Richtung gelaufen. Sie hätten zum BF gerufen, er solle stehen bleiben. Der BF habe es gesehen und sei schnell zu seinem Vater gelaufen. Als die Männer gesehen haben, dass der BF in Begleitung seines Vaters gewesen sei, seien sie wieder zum Auto zurückgegangen. Der dritte Vorfall habe sich im selben Monat ereignet, ungefähr am 25.03.2015. Der BF sei auf dem Nachhauseweg von einem Mann mit dem Motorrad verfolgt worden. Als der BF in der Nähe seines Hauses gewesen sei, habe er ein Auto gesehen, das ihm von dem zweiten Vorfall bekannt gewesen sei. Der Mann auf dem Motorrad habe dann umgedreht, der BF habe zu laufen begonnen und habe ins Haus flüchten können, bevor ihn das Auto erreicht habe. Sein Vater habe zu diesen Vorfällen gemeint, dass dahinter eine bewaffnete Gruppierung, die sich momentan im Irak befinde, stecken könnte. Eine genaue Gruppe könnte der BF nicht nennen, es seien viele. Der BF sei bei der Polizei gewesen, aber diese sei untätig geblieben.
Der BF brachte einen Zulassungsbescheid der Universität Wien vom 26.01.2017 in Vorlage.
3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA, dem BF zugestellt am 13.04.2018, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 04.11.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG [2005] (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG [2005] (Spruchpunkt I. 1.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG [2005] nicht erteilt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG [2005] iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt III.), und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des BF in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III. 2.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte das BFA nach Wiedergabe der Einvernahme des BF und den Feststellungen zu dessen Person aus, dass die vom BF angegebenen Fluchtgründe nicht glaubhaft seien. Das BFA habe nicht feststellen können, dass der BF im Herkunftsstaat einer persönlichen Verfolgung oder Gefährdung ausgesetzt gewesen sei. Im Falle einer Rückkehr verfüge der BF über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte, da die Eltern und Geschwister nach wie vor in Bagdad aufhältig seien und keine Probleme hätten. Eine zielgerichtete und systematische Verfolgung/Entführungsbedrohung aller jungen Männer in Bagdad sei nicht festzustellen gewesen. Der BF sei in der Lage eine Arbeit anzunehmen und für seinen Lebensunterhalt aufzukommen.
In rechtlicher Hinsicht folgerte das BFA, dass der BF keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen konnte, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem BF sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohe. Dem BF sei kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen, die Rückkehrentscheidung und seine Abschiebung gemäß § 50 FPG seien zulässig. Besondere Umstände, die die Verlängerung der Frist der freiwilligen Ausreise erforderlich machen, liegen keine vor.
4. Mit Verfahrensordnung vom 12.04.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater zur Verfügung gestellt.
5. Mit dem am 04.05.2018 beim BFA eingelangten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz erhob der BF vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid. In der Beschwerde wurde nach Darlegung der Beschwerdegründe beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den Bescheid dahingehend abändern, dass dem BF der Status eines Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 AsylG zuerkannt werde; je in eventu dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. §§ 55, 57 AsylG erteilen; den Bescheid ersatzlos beheben und zur neuerlichen Verhandlung an das BFA zurückverweisen; die Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak aufheben, sowie die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung anordnen.
In der Sache brachte der BF unter Zuhilfenahme von auszugsweise zitierten Berichten zur Sicherheitslage im Irak und Bagdad vor, dass der BF zu den Entführungsversuchen genaue Angaben gemacht habe, er habe diese zeitlich genau einordnen und chronologisch erzählen können, und habe gleichbleibende Angaben gemacht. Zum Vorwurf der widersprüchlichen Angaben in der Erstbefragung und in der Einvernahme wurde vorgebracht, dass es sich bei dem ersten Vorfall vor seinem Elternhaus und dem dritten Vorfall, bei welchem er bis zu seinem Elternhaus verfolgt worden sei, um dieselben Bedrohungssituationen gehandelt habe, auf welche sich der BF in der Erstbefragung bezogen habe.
Der BF habe sich nicht widersprochen, sondern habe in der Einvernahme die zentralen Punkte ohne wesentliche Abweichungen geschildert. Wie weit man bei einzelnen Fragen oder freier Erzählung ins Detail gehen müsse, könne der BF nicht wissen, da er deren asylrechtliche Relevanz nicht kennen könne.
Zur Integration wurde ausgeführt, dass sich der BF bemühe sich zu integrieren. Er habe Deutschkurse auf dem Niveau B 1 besucht, eine Zulassung an der Universität Wien erhalten und wolle sobald als möglich ein Studium der Pharmazie beginnen. Darüber hinaus habe der BF gemeinnützige Arbeit verrichtet, da er beim Ausmalen in einer Schule geholfen habe.
6. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 07.05.2018 vom BFA vorgelegt und langten am 09.05.2018 beim BVwG ein.
7. Am 27.11.2019 übermittelte das BVwG den Verfahrensparteien mitsamt der Ladung für den Verhandlungstermin aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur Lage im Irak (Stand 30.10.2019) zur Stellungnahme.
8. Am 28.02.2020 führte das BVwG in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein des BF, seines Rechtsvertreters und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durch. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem BF Gelegenheit gegeben seine Ausreisemotivation neuerlich umfassend darzulegen. Die Niederschrift der Verhandlung wurde dem BF im Anschluss ausgefolgt und dem BFA per E-Mail übermittelt. Dem BF wurde für eine allfällige schriftliche Stellungnahme zu den Länderdokumentationsunterlagen zur Lage im Irak und Vorlage etwaiger Prüfungszertifikate im Hinblick auf die Deutsche Sprache eine Frist von vier Wochen eingeräumt.
Der BF legte ein Zertifikat über die Teilnahme an einer Berufsorientierung an der Wiener Volkshochschule vom 18.11.2019, eine Teilnahmebestätigung an einem „Deutsch-Sprachkurs“ der Hilfswerk Akademie vom 12.07.2016, eine Kursbestätigung über die Teilnahme am „Deutschkurs für Anfänger ohne Vorkenntnisse“ im Rahmen des Vorstudienlehrganges der Wiener Universitäten vom 22.06.2017, eine Bestätigung der Beratung durch die Wiener Bildungsdrehscheibe vom 15.01.2020, ein Empfehlungsschreiben von XXXX vom 13.01.2020, einen Tätigkeitsnachweis vom Wiener Rotes Kreuz vom Jänner 2020, ein Secondary School Certificate der Republik Irak, sowie eine Bestätigung der XXXX Organization vom 27.11.2019, vor.
9. Mit dem am 24.03.2020 beim BVwG eingelangten und mit demselben Tag datierten Schriftsatz erstattete der BF durch seinen Rechtsvertreter eine Stellungnahme zu den aktuellen länderkundlichen Informationen zur Lage im Irak vom 30.10.2019 (fälschlicherweise mit 08.11.2019 angeführt) sowie zur Integration des BF. Der BF brachte im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass er im Falle einer Rückkehr nicht mit der nötigen Wahrscheinlichkeit seinen notdürftigen Lebensunterhalt erwirtschaften werde können. Die medizinische Versorgung sowie die Wasser- und Stromversorgung seien unzureichend. Außerdem befinde sich die Familie des BF nicht mehr im Irak und der BF habe derzeit keinen Kontakt zu ihnen. Zur Integration wurde ausgeführt, dass sich der BF bereits seit über vier Jahren in Österreich befinde. Er habe die Prüfung für das Niveau B1 erfolgreich bestanden und den Vorstudienlehrgang an der Universität Wien absolviert. Der BF wolle sobald wie möglich arbeiten und nicht dem Staat zur Last fallen. Er habe diverse ehrenamtliche Tätigkeiten verrichtet.
Der BF legte ein Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachniveau B1 vom 25.02.2020 sowie eine Einstellungszusage der XXXX GmbH vom 13.03.2020 vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des BF:
Der BF führt den im Spruch angeführten Namen, ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung. Er wurde am XXXX in Bagdad geboren. Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Bis zu seiner Ausreise am 27.09.2015 lag der private und familiäre Lebensmittelpunkt des BF in Bagdad. In Bagdad lebte der BF mit seinen Eltern und Geschwistern im gemeinsamen Haushalt. Das Haus ist im Besitz der Familie. Der BF verfügt mittlerweile über keine Familienmitglieder mehr, die sich im Irak aufhalten. Seine Eltern und Geschwister sind in die Türkei ausgewandert.
Im Bundesgebiet bzw. im Unionsgebiet hat der BF weder Verwandte, noch nahe Angehörige. Der BF spricht neben seiner Muttersprache Arabisch, Englisch und besitzt Sprachkenntnisse der deutschen Sprache auf Niveau B1.
Der BF besuchte im Herkunftsstaat 6 Jahre lang die Grundschule, drei Jahre die Mittelschule und 3 Jahre lang das Gymnasium. Der BF verfügt über einen Maturaabschluss. Er beabsichtigt in Österreich Pharmazie zu studieren.
Der BF verfügt weder über einen Reisepass noch über einen Personalausweis.
Der BF ist ein körperlich gesunder, arbeitsfähiger Mann mit abgeschlossener höherer Schulbildung mit Maturaabschluss.
Der BF verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat. Der BF verfügte bis vor wenigen Monaten über familiäre Anknüpfungspunkte im Irak, nunmehr befindet sich im Bagdad das derzeit unbewohnte Elternhaus, wo der BF auch bis zu seiner Ausreise wohnte.
Der BF verließ den Irak am 27.09.2015 mit dem Flugzeug von Bagdad in die Türkei, von dort mit dem Bus sowie schlepperunterstützt mit einem Schlauchboot weiter nach Griechenland. Schließlich reiste der BF mit dem Bus, Zug und zu Fuß über die Balkanroute nach Österreich, wo er am 04.11.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Er reiste rechtswidrig ins Bundesgebiet ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.
Der BF bezieht seit der Antragstellung bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und ist nicht erwerbstätig. Der BF verfügt über eine Einstellungszusage bei der XXXX , wonach er nach absolvierter Konzessionsprüfung als gewerblicher Geschäftsführer beschäftigt werde.
Der BF besuchte im Bundesgebiet einen Berufsorientierungskurs, wirkte ehrenamtlich für das Wiener Rotes Kreuz mit, nahm an Deutschkursen teil und legte die Deutschsprachprüfung auf dem Niveau B1 ab. Ansonsten pflegt er die üblichen sozialen Kontakte.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten und weist im Bundesgebiet durchgehend Wohnsitzmeldungen auf.
1.2. Zu den Fluchtmotiven des BF:
Das Vorbringen des BF vor dem BFA, in der Beschwerde, in der Stellungnahme und der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates wonach – im Wesentlichen zusammengefasst – er den Irak verlassen habe, weil unbekannte maskierte Männer drei Mal versucht hätten, den BF zu entführen, wird dieser Entscheidung nicht als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt. Weitere Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates wurden nicht vorgebracht.
Der BF war im Irak nicht politisch tätig und hatte weder mit den Behörden des Herkunftsstaates noch sonst Schwierigkeiten aufgrund seiner politischen Überzeugung, seiner Volksgruppenzugehörigkeit (Araber), seines Religionsbekenntnisses (sunnitischer Islam) oder sonstige Probleme zu gewärtigen.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Herkunftsstaat aus Gründen seines sunnitischen Glaubens oder aus anderen Gründen durch eine Miliz bedroht oder verfolgt worden wäre.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in seinem Herkunftsstaat einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.
Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des BF festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.
Ein konkreter Anlass für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates am 27.09.2015 konnte nicht festgestellt werden. Auch sonstige Gründe, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat allenfalls entgegenstehen würden, konnten nicht festgestellt werden.
1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat:
Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der gegenüber dem BF offengelegten Quellen und den Länderberichten (Stand 30.10.2019) getroffen:
„Vergleichende Länderkundliche Analyse (VLA) i.S. §3 Abs 4a AsylG
Erläuterung
Bei der Erstellung des vorliegenden LIB wurde die im § 3 Abs 4a AsylG festgeschriebene Aufgabe der Staatendokumentation zur Analyse „wesentlicher, dauerhafter Veränderungen der spezifischen, insbesondere politischen Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind“, berücksichtigt. Hierbei wurden die im vorliegenden LIB verwendeten Informationen mit jenen im vorhergehenden LIB abgeglichen und auf relevante, im o.g. Gesetz definierte Verbesserungen hin untersucht.
Als den oben definierten Spezifikationen genügend eingeschätzte Verbesserungen wurden einer durch Qualitätssicherung abgesicherten Methode zur Feststellung eines tatsächlichen Vorliegens einer maßgeblichen Verbesserung zugeführt (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt II). Wurde hernach ein tatsächliches Vorliegen einer Verbesserung i.S. des Gesetzes festgestellt, erfolgte zusätzlich die Erstellung einer entsprechenden Analyse der Staatendokumentation (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt IV) zur betroffenen Thematik.
Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen
vom 30.10.2019
Die folgende Karte von liveuamap zeigt die Einteilung des Irak in offiziell von der irakischen Zentralregierung kontrollierte Gouvernements (in rosa), die autonome Region Kurdistan (KRI) (in gelb) und Gebiete unter der weitgehenden Kontrolle von Gruppen des Islamischen Staates (IS) (in grau). Die Symbole kennzeichnen dabei Orte und Arten von sicherheitsrelevanten Vorfällen, wie Luftschläge, Schusswechsel/-attentate, Sprengstoffanschläge/Explosionen, Granatbeschuss, u.v.m.
Quelle: Liveuamap - Live Universal Awareness Map (1.10.2019): Map of Iraq, https://iraq.liveuamap.com/en/time/01.10.2019, Zugriff 1.10.2019
Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (The Portal 9.10.2019).
Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 7.8.2019). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019). Der IS setzt nach wie vor auf Gewaltakte gegen Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter sowie beispielsweise auf Brandstiftung, um Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften zu entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung zu untergraben und soziale Spannungen zu verschärfen (ACLED 7.8.2019).
Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 7.8.2019). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungseinheiten (PMF/PMU/Hashd al Shabi) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Am 7.7.2019 begann die „Operation Will of Victory“, an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilization Forces (PMF), Tribal Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der US-geführten Koalition teilnahmen (ACLED 7.8.2019; vgl. Military Times 7.7.2019). Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel (Diyaruna 7.10.2019; vgl. The Portal 9.10.2019). Die am 7. Juli begonnene erste Phase umfasste Anbar, Salah ad-Din und Ninewa (Military Times 7.7.2019). Phase zwei begann am 20. Juli und betraf die nördlichen Gebiete von Bagdad sowie die benachbarten Gebiete der Gouvernements Diyala, Salah ad-Din und Anbar (Rudaw 20.7.2019). Phase drei begann am 5. August und konzentrierte sich auf Gebiete in Diyala und Ninewa (Rudaw 11.8.2019). Phase vier begann am 24. August und betraf die Wüstenregionen von Anbar (Rudaw 24.8.2019). Phase fünf begann am 21.9.2019 und konzentrierte sich auf abgelegene Wüstenregionen zwischen den Gouvernements Kerbala, Najaf und Anbar, bis hin zur Grenze zu Saudi-Arabien (PressTV 21.9.2019). Eine sechste Phase wurde am 6. Oktober ausgerufen und umfasste Gebiete zwischen dem südwestlichen Salah ad-Din bis zum nördlichen Anbar und Ninewa (Diyaruna 7.10.2019).
Die folgende Grafik von Iraq Body Count (IBC) stellt die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar (IBC 9.2019).
Quelle: Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 15.10.2019
Die folgende Tabelle des IBC gibt die Zahlen der Todesopfer an. Für Juli 2019 sind 145 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im August 2019 wurden von IBC 93 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert und für September 151 (IBC 9.2019).
Quelle: Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 15.10.2019
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats Juli 2019 82 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 83 Tote und 119 Verletzten verzeichnet. 18 Tote gingen auf Leichenfunde von Opfern des IS im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im Juli auf 65 reduziert werden kann. Es war der zweite Monat in Folge, in dem die Vorfallzahlen wieder zurückgingen. Dieser Rückgang wird einerseits auf eine großangelegte Militäraktion der Regierung in vier Gouvernements zurückgeführt [Anm.: „Operation Will of Victory“; Anbar, Salah ad Din, Ninewa und Diyala, siehe oben], wobei die Vorfallzahlen auch in Gouvernements zurückgingen, die nicht von der Offensive betroffen waren. Der Rückgang an sicherheitsrelevanten Vorfällen wird auch mit einem neuerlichen verstärkten Fokus des IS auf Syrien erklärt (Joel Wing 5.8.2019).
Im August 2019 verzeichnete Joel Wing 104 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 103 Toten und 141 Verletzten. Zehn Tote gingen auf Leichenfunde von Jesiden im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der Todesfälle im August auf 93 angepasst werden kann. Bei einem der Vorfälle handelte es sich um einen Angriff einer pro-iranischen PMF auf eine Sicherheitseinheit von British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld bei Basra (Joel Wing 9.9.2019).
Im September 2019 wurden von Joel Wing für den Gesamtirak 123 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 122 Toten und 131 Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019).
Seit 1. Oktober kam es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019; Standard 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweilig, vom 2. bis zum 5. Oktober, wurde eine Ausgangssperre ausgerufen (Al Jazeera 5.10.2019; vgl. ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und eine Internetblockade vom 4. bis 7. Oktober implementiert (Net Blocks 3.10.2019; FAZ 3.10.2019; vgl. Rudaw 13.10.2019).
Nach einer kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25. Oktober weiter und forderten bis zum 30. Oktober weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte (BBC News 30.10.2019). Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte Bagdad, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala (BBC News 30.10.2019; vgl. Guardian 27.10.2019; Guardian 29.10.2019). Am 28. Oktober wurde eine neue Ausgangssperre über Bagdad verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten widersetzen (BBC 30.10.2019; vgl. Guardian 29.10.2019). Über 250 Personen wurden seit Ausbruch der Proteste am 1. Oktober bis zum 29. Oktober getötet (Guardian 29.10.2019) und mehr als 8.000 Personen verletzt (France24 28.10.2019).
BAGDAD
Der IS versucht weiterhin seine Aktivitäten in Bagdad zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Fast alle Aktivitäten des IS im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019). Im Juli gelang es dem IS zwei Selbstmordattentate im Gouvernement auszuführen, weswegen Bagdad die Opferstatistik des Irak in diesem Monat anführte (Joel Wing 5.8.2019). Sowohl am 7. als auch am
16. September wurden jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Während der Proteste im Südirak im Oktober 2019 ,von denen auch Bagdad betroffen war, stoppte der IS seine Angriffe im Gouvernement (Joel Wing 16.10.2019).
Im Juli 2019 wurden vom Irak-Experten Joel Wing im Gouvernement Bagdad 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 27 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im
August 2019 wurden 14 Vorfälle erfasst, mit neun Toten und elf Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 16.10.2019).
AUTONOME REGION KURDISTAN / KURDISCHE REGION IM IRAK
Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. Im Gouvernement Sulaimaniya attackierte er einen Checkpoint an der Grenze zu Diyala, der von Asayish [Anm.: Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan] bemannt war. Der Angriff erfolgte in drei Phasen: Auf einen Schussangriff folgte ein IED-Angriff gegen eintreffende Verstärkung, gefolgt von Mörserbeschuss. Bei diesem Angriff wurden fünf Tote und elf Verletzte registriert (Joel Wing 5.8.2019). Im August wurde in Sulaimaniya ein Vorfall mit einer IED verzeichnet, wobei es keine Opfer gab (Joel Wing 9.9.2019).
Die am 27. Mai initiierte türkische „Operation Claw“ gegen Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak hält an. Die erste Phase richtete sich gegen Stellungen in der Hakurk/Khakurk-Region im Gouvernement Erbil (Anadolu Agency 13.7.2019; vgl. Rudaw 13.7.2019). Die zweite Phase begann am 12. Juli und zielt auf die Zerstörung von Höhlen und Zufluchtsorten der PKK (Anadolu Agency 13.7.2019). Die türkischen Luftangriffe konzentrierten sich auf die Region Amadiya im Gouvernement Dohuk, von wo aus die PKK häufig operiert (ACLED 17.7.2019). Aktuell befindet sich die Operation in der dritten Phase (ACLED 4.9.2019)
Im Kreuzfeuer wurden in den vergangenen Wochen mehrere kurdische Dörfer evakuiert, da manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden (ACLED 4.9.2019; vgl. ACLED 7.8.2019).
Am 10. und 11. Juli bombardierte iranische Artillerie mutmaßliche PKK-Ziele im Subdistrikt Sidakan/Bradost im Gouvernement Sulaimaniya, wobei ein Kind getötet wurde (Al Monitor 12.7.2019). In dem Gebiet gibt es häufige Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und iranisch-kurdischen Aufständischen, die ihren Sitz im Irak haben, wie die “Partei für ein Freies Leben in Kurdistan‘‘ (PJAK), die von Teheran beschuldigt wird, mit der PKK in Verbindungen zu stehen (Reuters 12.7.2019).
NORD- UND ZENTRALIRAK
In den sogenannten “umstrittenen Gebieten“, die sowohl von Bagdad als auch von der kurdischen Autonomieregion beansprucht werden, und wo es zu erhebliche Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen, durchzuführen
(Kurdistan24 7.8.2019). Trotz der Zunahme der Sicherheitsvorfälle im gesamten Irak waren die Zahlen im Laufe des Monats August 2019 für den Zentral-Irak jedoch rückläufig (Joel Wing 9.9.2019).
Im Gouvernement Ninewa wurden im Juli 2019 sechs Vorfälle mit 24 Toten verzeichnet, wobei hier der Fund von 18 Leichen älteren Datums eingerechnet ist (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden neun Vorfälle mit 24 Toten und drei Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019). Im September wurden 22 Vorfälle mit 35 Toten und 27 Verletzten registriert, wobei bei fast allen diesen Vorfällen IEDs involviert waren. Außerdem wurde ein Mukhtar ermordet und Mossul mit Mörsergranaten beschossen (Joel Wing 16.10.2019).
Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 9.9.2019). Der IS ist stark in der Region vertreten und konnte seine operativen Fähigkeiten erhalten (Joel Wing 5.8.2019). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den rauen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.8.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019). Einerseits vertreibt der IS Zivilisten aus ländlichen Gebieten, um dort Basen zu errichten, anderseits greift er wiederholt die lokale Verwaltung und Sicherheitskräfte an (Joel Wing 9.9.2019). Ein Hauptproblem Diyalas ist die mangelhafte Kommunikation zwischen den vielen unterschiedlichen Sicherheitsakteuren in der Region (Joel Wing 9.9.2019), andererseits gibt es generell zu wenige Sicherheitskräfte in Diyala, was der IS auszunutzen versteht (Joel Wing 5.8.2019). Der IS hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten in Diyala, konzentriert sich aber besonders auf die Bezirke Khanaqin und Jalawla im Nordosten, welche die Zentralregierung nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum von 2017 übernommen hat (Joel Wing 5.8.2019). Die übrigen Vorfälle betreffen hauptsächlich den Norden und das Zentrum von Diyala. Im Süden und Westen gibt es hingegen kaum sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 9.9.2019).
Für Juli 2019 verzeichnete Joel Wing im Gouvernement Diyala 28 sicherheitsrelevante Vorfälle mit elf Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 41 Vorfälle – die höchste Anzahl seit August 2018, mit 21 Toten und 46 Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019) und im September 37 Vorfälle mit 21 Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019). Im September schlug der IS in fast allen Distrikten des Gouvernements zu (Joel Wing 16.10.2019).
Im Gouvernement Kirkuk gehen die Zahlen der sicherheitsrelevanten Vorfälle, bis auf wenige Spitzen, kontinuierlich zurück. Im Juli gab es eine Reihe von Raketen- und Mörserangriffen auf Städte und Sicherheitskräfte, ansonsten handelte es ich bei den Vorfällen meist um Schießereien und den Einsatz von IEDs (Joel Wing 5.8.2019). Wie im benachbarten Diyala handelte es sich bei Vorfällen in Kirkuk meist um Schießereien, Angriffe auf Kontrollpunkte, Überfälle auf Städte und Vertreibungen aus ländlichen Gebieten, wobei sich der IS auf den Süden des Gouvernements konzentrierte. Unter anderem wurden eine Polizeistation und ein Armeestützpunkt angegriffen, sowie ein Polizeihauptquartier mit Mörsern beschossen (Joel Wing 16.10.2019).
Im Gouvernement Kirkuk wurden im Juli 2019 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und 13 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 19 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September 22 Vorfälle mit elf Toten und 19 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).
Im Gouvernement Salah ad-Din wurden im Juli 2019 acht Vorfälle mit zehn Toten und acht Verletzten registriert. Zu den Vorfällen zählten zwei Feuergefechte und ein Angriff auf einen Checkpoint (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden sieben Vorfälle mit vier Toten und fünf Verwundeten verzeichnet (Joel Wing 9.9.2019) und im September zehn Vorfälle mit 13 Toten und zehn Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).
Das Gouvernement Anbar, früher ein IS-Zentrum, wird nun hauptsächlich für den Transit von IS-Kämpfern zwischen dem Irak und Syrien genutzt (Joel Wing 16.10.2019). Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Anbar hat in den vergangenen Monaten stark fluktuiert (Joel Wing 5.8.2019).
Im Gouvernement Anbar wurden im Juli 2019 fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und 14 Verletzten registriert (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 waren es vier Vorfälle mit sechs Toten und neun Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September vier Vorfälle mit 19 Toten (Joel Wing 16.10.2019).
SÜDIRAK
Das Gouvernement Babil ist ein einfaches Ziel für die Aufständischen des IS, in das sie von Anbar aus leichten Zugang haben. Insbesondere der Distrikt Jurf al-Sakhr, in dem es keine Zivilisten gibt und der als PMF-Basis dient, ist ein beliebtes Ziel des IS (Joel Wing 9.9.2019).
Im Gouvernement Babil wurden im Juli 2019 drei sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August waren es acht Vorfälle mit fünf Toten und 48 Verletzten. Es handelt sich dabei um die höchste Zahl an Vorfällen seit Juni 2018. Darunter befand sich ein schwerer Angriff mit einer Motorradbombe (VBIED) auf einen Markt im Norden des Gouvernements (Joel Wing 9.9.2019). Im September waren es wieder drei Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).
Im Gouvernement Kerbala wurde im Juli ein Vorfall mit einem Toten und drei Verletzten verzeichnet. Es handelte sich dabei um den Einsatz einer Haftbombe an einem Auto (Joel Wing 5.8.2019). Im September wurde ein sicherheitsrelevanter Vorfall mit zwölf Toten und fünf Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019). Hierbei wurde an einem Checkpoint im Norden von Kerbala Stadt eine Autobombe gezündet (Joel Wing 16.10.2019; vgl. VOA 21.9.2019). Von Sicherheitskräften entdeckte Waffenlager des IS weisen darauf hin, dass dieser über eine große Menge an Sprengmitteln verfügt (Joel Wing 16.10.2019).
In Basra wurde im August ein Vorfall ohne Opfer registriert. Es handelte sich dabei um eine gegen British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld gerichtete IED (Joel Wing 9.9.2019). Demonstrationen gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und mangelnde Grundversorgung halten an, wobei iranisch unterstützte PMFs beschuldigt werden, sich an der Unterdrückung der Proteste zu beteiligen und Demonstranten und Menschenrechtsaktivisten anzugreifen (Diyaruna 7.8.2019; vgl. Al Jazeera 25.10.2019).
Quellen:
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- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (4.9.2019): Regional Overview – Middle East 4 September 2019, https://www.acleddata.com/2019/09/04/regional-overview-middle-east-4-september-2019/, Zugriff 2.10.2019
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (17.7.2019): Regional Overview – Middle East 17 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/17/regional-overview-middle-east-17-july-2019/, Zugriff 2.10.2019
- Al Jazeera (25.10.2019): Dozens killed as fierce anti-government protests sweep Iraq, https:// www.aljazeera.com/news/2019/10/dozens-killed-fierce-anti-government-demonstrations-sweep-iraq-191025171801458.html, Zugriff 28.10.2019
- Al Jazeera (5.10.2019): Iraq PM lifts Baghdad curfew, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/iraq-pm-lifts-baghdad-curfew-191005070529047.html, Zugriff 28.10.2019
- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 2.10.2019
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Politische Lage
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.2.2018), der aus 18 Provinzen (muhafaz?t) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).
Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005).
Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da‘wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).
Der Premierm