Entscheidungsdatum
23.06.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W170 2217328-1/39E
Beantragte schriftliche Ausfertigung des am 04.06.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.03.2019, Zahl: 1109729110 - 180174046 , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018, in Verbindung mit §§ 7, 8, 9, 10 und 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2020, § 9
BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. Nr. 29/2020, und §§ 52 f Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I. 27/2020, stattgegeben und der Bescheid ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2020, nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX (in Folge: Beschwerdeführer) ist ein syrischer Staatsangehöriger, dem bis dato der Status des Asylberechtigten zukam und der in Österreich mit Urteilen des Landesgerichtes Steyr vom 17.05.2018, 28.11.2018 und 28.01.2020 wegen der Verbrechen des Raubes, der schweren Körperverletzung und der Vergehen der Körperverletzung, der Sachbeschädigung, des Diebstahls, der Nötigung, sowie des Angriffs auf Bedienstete öffentlicher Verkehrsmittel zu drei mehrmonatigen, teilweise bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafen verurteilt wurde.
2. Gegenstand des anhängigen Beschwerdeverfahrens ist die Frage, ob die mit im Spruch bezeichneten Bescheid verhängte Aberkennung des Status des Asylberechtigten samt der Feststellung, dass XXXX die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt, die nicht erfolgte Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Syrien, die Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise, sowie die Erlassung eines auf sechs Jahre befristeten Einreiseverbotes rechtmäßig sind, da XXXX gegen den am 12.03.2019 zugestellten Bescheid das Rechtsmittel der Beschwerde mit am 02.04.2019 per Fax bei der belangten Behörde eingelangten Schriftsatz ergriffen hat.
3. Das Verfahren wurde am 11.04.2019 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt und der Gerichtsabteilung W170 zugewiesen.
4. Mit Beschluss vom 08.08.2020 wurde eine Sachverständige aus dem Fachgebiet Gerichtsmedizin zur Erstellung eines Gutachtens bestellt, welches am.26.11.2019 beim Bundesverwaltungsgericht einlangte (Oz. 14), am 04.06.2020 wurde in der Beschwerdesache eine mündliche Verhandlung durchgeführt und im Anschluss erfolgte eine mündliche Verkündung des nunmehr schriftlich auszufertigenden Erkenntnisses. Es wurde sogleich und mit Schreiben vom 05.06.2020 die schriftliche Entscheidungsausfertigung von der belangten Behörde beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. XXXX , ein inzwischen volljähriger syrischer Staatsangehöriger, ist spätestens seit 15.07.2016 – er befand sich damals im XXXX Lebensjahr – in Österreich aufhältig und wurde diesem nach einem Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 02.02.2017, Zahl XXXX , der Status des Asylberechtigten zuerkannt; dieser Status wurde bis dato nicht rechtskräftig aberkannt.
XXXX stammt aus Hasakah, dieses Gebiet befindet sich derzeit in der Hand der Kurden. Er hat Syrien wegen des Krieges verlassen, derzeit finden in Hasakah keine Kampfhandlungen statt. Derzeit droht dem Beschwerdeführer in Syrien allenfalls, zum syrischen Militär eingezogen zu werden.
1.2. XXXX lebt gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern in Steyr.
Er hat weitere Verwandte in Syrien, zu denen er aber selten Kontakt hat.
Vor seiner Einreise nach Österreich war XXXX auf Grund seines jugendlichen Alters nicht berufstätig.
Er hat in Österreich ca. 1 Jahr die Handelsakademie in Steyr besucht, jedoch nicht abgeschlossen, er hat ein Jahr eine Produktionsschule besucht. XXXX steht derzeit in einem Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen XXXX und arbeitet in der XXXX in XXXX als Koch
XXXX spricht verkehrstaugliches, gutes Deutsch.
XXXX hat in Österreich Bekannte, die er nicht als Freunde bezeichnet, zumal er angegeben hat, sich von seinem früheren Freundeskreis getrennt zu haben.
1.3. XXXX wurde mit rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts Steyr vom 17.05.2018, Gz. XXXX , wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 und 2 StGB und des tätlichen Angriffs auf mit bestimmten Aufgaben betraute Bedienstete einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt nach § 91a Abs. 1 StGB unter Anwendung des Jugendgerichtsgesetzes zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 2 Monaten verurteilt, weil er am 19.11.2017 und am 01.12.2017 fremde Sachen der Tabaktrafik XXXX beschädigte, indem er eine Glasflasche gegen die Werbetafel der Trafik warf, die Überwachungskamera verdrehte und eine Rauchbombe in das Innere der Trafik warf. Zudem habe er eine Person durch Faustschläge gegen die linke Gesichtshälfte am 27.11.2017 verletzt und am 26.02.2018 einen Buslenker der Stadtbetriebe-Steyr tätlich angegriffen, indem er dessen Pullover erfasste und daran riss. Mildernd wurde die Unbescholtenheit und das teilweise geständige Verhalten gewertet.
1.4. XXXX wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Steyr vom 28.11.2018, Gz. XXXX , wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1, erster Fall StGB, der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB, des Diebstahls nach § 127 StGB und wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 4 StGB unter Anwendung des Jugendgerichtsgesetzes zu einer Freiheitsstrafe von zwanzig Monaten verurteil. Die verhängte Freiheitsstrafe wurde im Ausmaß von vierzehn Monaten bedingt nachgesehen. Dem Urteil liegt zu Grunde, dass XXXX am 23.06.2018 in Steyr gemeinsam mit zwei anderen Personen im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Gewalt gegen eine Person oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben einem anderen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen oder abgenötigt hat, um durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern. Er ist gemeinsam mit XXXX und XXXX nach einem Gerangel dem späteren Opfer XXXX nachgelaufen und haben diesen zu Boden gerissen, auf ihn eingeschlagen und eingetreten. Sie haben anschließend dem Opfer ein Paar Converse-Schuhe, ein Mobiltelefon und eine Uhr weggenommen. Zum Tatzeitpunkt war XXXX mäßig alkoholisiert.
Der Raub hat „nur“ zu einer leichten Verletzung des Opfers geführt, was für einen Raub eine typische Folge ist.
Zudem wurde im Urteil angeführt, dass XXXX das Opfer XXXX in der Nacht auf den 01.01.2018 mit einem Fußtritt gegen den Oberkörper verletzte und ebenfalls der gleichen Person bei einer erneuten Begegnung an einer Bushaltestelle am 15.06.2018 durch mehrere Schläge ins Gesicht eine schwere Verletzung in Form einer operativ noch zu sanierenden Verschiebung der Nasenscheidewand herbeiführte. Allerdings bestand nicht eine realistische Gefahr einer schwereren Verletzung und wurde auch keine Waffe verwendet.
Weiters hat er das Opfer anschließend mit zumindest der Zufügung einer Körperverletzung gefährlich bedroht, um dieses zur Unterlassung der Anzeige der Körperverletzung vom 15.06.2018 zu nötigen.
Schließlich hat XXXX ebenfalls im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einer anderen Person am 08.06.2018 einen 6-er Tray Fruchtsaft des Pfarramtes der Katholischen Kirche am XXXX mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.
Mildernd wurde das stückweise geständige, der Wahrheitsfindung dienliche Auftreten, sowie die teilweise Schadensgutmachung gewertet, erschwerend wurde hingegen das Zusammentreffen von zwei Verbrechen und drei Vergehen, die einschlägige Vorverurteilung, der rasche Rückfall sowie die Tatbegehung während offener Probezeit beurteilt.
1.5. XXXX wurde mit rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts Steyr vom 28.01.2020, Gz. XXXX , wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteil, weil er am 27.12.2019 in Steyr eine Person mit Faustschlägen am Körper verletzte. Mildernd wurden das Geständnis, das Mitverschulden und das Alter unter 21 Jahren, als erschwerend die zwei einschlägigen Vorstrafen gewertet.
1.6. Für die mit gegenständlichen Urteilen bestraften Tathandlungen übernimmt XXXX formal die Verantwortung, die Taten würden ihm leidtun, er findet aber für praktisch jeden Vorfall eine außerhalb seiner Sphäre liegende Entschuldigung, entweder, weil er provoziert, angegriffen worden oder betrunken gewesen sei. Eine echte Verantwortungsübernahme war nicht feststellbar, auch wenn einzuräumen ist, dass XXXX sich derzeit bemüht, von solchen Handlungen Abstand zu nehmen. Das Bundesverwaltungsgericht stellt aber fest, dass insbesondere bei Vorliegen einer auch unbedeutenden Provokation wieder die Gefahr der Gewaltausübung besteht, zumal der Beschwerdeführer auch nach einem längeren Anti-Gewalt-Training wieder straffällig geworden ist. Die Schmerzensgeldforderungen vom Urteil des Landesgerichts Steyr, XXXX und die Regressforderung der OÖGKK begleicht er mittels monatlicher Ratenzahlung. Die unbedingte Freiheitsstrafe von 6 Monaten wurde XXXX unter Erteilung von Weisungen aufgeschoben. Diese umfassten den Besuch einer Produktionsschule, die Absolvierung eines Antigewalt-Trainings sowie die Anordnung von Bewährungshilfe. XXXX zeigt positive Entwicklungstendenzen in der allgemeinen Lebensführung, da er nunmehr einer geregelten Beschäftigung nachgeht, die Termine mit der Bewährungshilfe zuverlässig einhält und weiterhin die Unterstützung seiner Familie genießt.
1.7. XXXX wurde in Österreich wegen keiner anderen gerichtliche strafbaren Handlung, allerding mit Bescheid der LPD Oberösterreich vom 27.03.2018, XXXX , der Besitz von Waffen und Munition verboten und mit Strafverfügung der LPD Oberösterreich vom 03.04.2018, XXXX , wegen einer Verwaltungsübertretung bestraft, da er am 26.02.2018 einen Buslenker der Stadtbetriebe Steyr im Bus beschimpft und tätlich angegriffen hat; diese Bestrafung betrifft aber den gleichen Vorfall wie die letzte Tathandlung im unter 1.3. dargestellten Urteil.
1.8. XXXX ist an Alkohol und Suchtmittel gewöhnt, auch wenn das Bundesverwaltungsgericht derzeit eine Sucht nicht erkennen kann. Er gibt an, seit einem halben Jahr keine Suchtmittel mehr genossen zu haben, aber es ist auf Grund der Gewöhnung von einem hohen Rückfallrisiko auszugehen, wenn XXXX in der Zukunft wieder in eine schwierige Lebenssituation kommt.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus der im Rahmen der mündlichen Verhandlung erfolgten Beweisaufnahme aufgenommenen Beweise, insbesondere aus dem Eindruck des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung, aus den Aussagen Beschwerdeführers, aus den in das Verfahren eingeführten Strafurteilen, dem Sachverständigengutachten und den Länderberichten.
2.1. Die Feststellungen zur Person und zum asylrechtlichen Status des Beschwerdeführers unter 1.1. ergeben sich aus der Aktenlage und dem vorgelegten „Laissez-Passer“; diesen sind die Parteien in der mündlichen Verhandlung trotz Vorhalt nicht entgegengetreten.
Dass der Beschwerdeführer aus der Stadt Hasakah stammt, ist glaubwürdig, da dies durchgehend und nachvollziehbar sowohl im Grundverfahren (im Rahmen der Familienzusammenführung) als auch im Aberkennungsverfahren behauptet wurde. Hinsichtlich der Feststellungen zum Herkunftsort ergeben sich die aktuellen Machtverhältnisse in der Stadt Hasakah aus einer am 20.05.2020 durchgeführten Nachschau auf https://syria.liveuamap.com/. Das Ergebnis dieser Nachschau wurde den Parteien in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen vorgehalten.
Die Feststellungen zu den Fluchtgründen ergeben sich aus den gleichbleibenden und diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers und aus den ins Verfahren eingeführten Länderberichten zur Lage in Syrien ergibt sich die allenfalls drohende Gefahr, dass der Beschwerdeführer derzeit im Alter von 19 Jahren in Syrien allenfalls zum syrischen Militär eingezogen wird, zumal derzeit eine Einreise in die von den Kurden kontrollierten Gebieten nur über den Flughafen von Damaskus oder die Grenze zum Libanon möglich ist.
2.2. Die Feststellungen zur Situation in Österreich, zu den Deutschkenntnissen, zu den familiären und sozialen Kontakten, zur Ausbildung und beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers unter 1.2. basieren einerseits auf die gleichbleibenden Angaben im Administrativverfahren und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, der Tatsache, dass der Beschwerdeführer nahezu alle Fragen in der Verhandlung auf Deutsch beantwortet hat und andererseits insbesondere auf den vorgelegten Arbeitsvertrag zwischen der XXXX und dem Beschwerdeführer (Oz. 25), der Lohn- und Gehaltsabrechnung vom Februar 2020 (Anlage 2) und der Anwesenheitsbestätigung von der Produktionsschule „ XXXX “(Anlage 1). Zum bisherigen Freundeskreis gab der Beschwerdeführer glaubhaft an, dass er den Kontakt abgebrochen habe, weil sie unter anderem auch mit den Problemen zu tun hatten, die zu mehreren Verurteilungen führten (vgl. Verhandlungsprotokoll Seite 7).
2.3. Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen rechtskräftigen Urteilen und den sonstigen Verwaltungsübertretungen unter 1.3., 1.4., 1.5. und 1.7. ergeben sich zum einen aus dem eingeholten Strafregisterauszug vom 19.05.2020 (Anlage 3), zum anderen aus den im Verwaltungsakt befindlichen Strafurteilen des Landesgerichts Steyr, dem Bescheid über das verhängte Waffenverbot der LPD Oberösterreich und der Strafverfügung der LPD Oberösterreich, wegen einer Verwaltungsübertretung. Die einzelnen Straftaten des Beschwerdeführers wurden in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ausführlich behandelt und seine Stellungnahme dazu im Detail eingeholt. Weiters wurde ein – schlüssiges und vollständiges – gerichtsmedizinisches Sachverständigengutachten, dem die Parteien nicht entgegengetreten sind, eingeholt, dem die Feststellungen zugrunde liegt, dass bei dem Verbrechen der schweren Körperverletzung allerdings nicht eine realistische Gefahr einer schwereren Verletzung des Opfers bestand. Im Gutachten wird zusammengefasst ausgeführt, dass die Verletzungen einzeln und auch in ihrem Zusammenwirken medizinisch dem Grade nach als leicht eingestuft werden können und kein reales Risiko bestand, dass das Opfer schwere Dauerfolgen erleidet oder lebensgefährlich verletzt wird.
2.4. Die Feststellungen zur Verantwortungsübernahme für die gegenständlichen Urteile, die Schadenswiedergutmachung und den Entwicklungstendenzen des Beschwerdeführers unter 1.6. ergeben sich insbesondere aus dem Aussageverhalten des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und dem gewonnenen Eindruck durch den erkennenden Richter (vgl. auszugsweise das Verhandlungsprotokoll Seite 8 zur mehrmaligen Sachbeschädigung einer Trafik, P: „Ich war besoffen, ich habe mir nichts dabei gedacht.“ Seite 10 zum Raub, P: „Ich war so betrunken, dass ich nicht mehr stehen konnte und sie sind weggelaufen. Ich war dabei, wo wir getrunken haben und der erste Faustschlaf ausgeteilt wurde, aber dann nicht mehr. Ich war nicht beim Raub dabei.“ Seite 11 zum Angriff auf XXXX , P: „Er hat mich mit SMS als Hurensohn beschimpft und schrieb. Wir haben uns getroffen und er war voll auf Drogen, er war wie ein Psychopath und hat mich geschlagen. Ich habe ihn dann auch geschlagen, dass er weggeht. Nachgefragt zum anderen Vorfall, er hat mich als „scheiß Asylant“ beschimpft und ich solle mich „verpissen, da habe ich ihn mit dem Fuß am Bauch getroffen. Bezüglich der Nötigung. Ich habe das so gemeint, dass wir dann alle beide Probleme kriegen. Wir sind wieder Freunde.“). Bezüglich der erst kürzlich erneuten, einschlägigen Verurteilung gab der Beschwerdeführer an, dass er hineingeraten sei und er von drei fremden Personen angegriffen worden sei, es sei Notwehr gewesen und er habe keine Anzeige gemacht, da er sie nicht gekannt habe (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 12). Wiederrum lag die Ursache für sein mehrmaliges straffälliges Verhalten in einer außerhalb seiner beeinflussbaren Entscheidungssphäre, wie dem Alkohol, Provokation, Notwehr oder dem Pech, dass er zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sei (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 13). Andererseits ist den Stellungnahmen der Bewährungshilfe vom Verein XXXX vom 03.03.2020 (Oz. 25) und vom 28.05.2020 (Oz. 36) zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer zuverlässig zu den Terminen erscheine, die Tagesstruktur, welche er durch die Arbeit erhalten habe, positiv auf ihn auswirke und der Umgang mit Risikosituationen, Provokationen sowie die gewaltfreie Lösung von Konflikten erarbeitet werden. Der Beschwerdeführer habe positive Entwicklungstendenzen im Verhalten und in der allgemeinen Lebensführung gezeigt. Zudem belegen eine Stellungnahme des Vereins XXXX , die Teilnahmebestätigung des Anti-Gewalt-Trainings von 09.10.2019 – 12.02.2020 und die erfolgten Schmerzensgeld- und Regresszahlungen des Beschwerdeführers das Bemühen für eine positive Entwicklung.
Gesamt betrachtet waren positive Entwicklungstendenzen des Beschwerdeführers festzustellen, wobei gleichzeitig das erkennende Gericht den Eindruck gewonnen hat, dass weiterhin von einer Gefahr einer erneuten Gewaltausübung auszugehen ist, da der Beschwerdeführer auch nach dem Besuch der Produktionsschule, den regelmäßigen Bewährungshilfeterminen und der Teilnahme an einem Anti-Gewalt-Training straffällig geworden ist.
2.5. Die Feststellungen zur Alkohol- und Suchtmittelgewöhnung des Beschwerdeführers unter 1.8. gründen sich auf den aufgrund der diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen Eindruck des erkennenden Richters, da der Beschwerdeführer mehrmals von einem erheblichen Alkohol- und Suchtmittelkonsum berichtet. Weiters gab der Beschwerdeführer an, seit Silvester 2019/2020 keine Suchmittel (THC) mehr konsumiert zu haben (vgl. Verhandlungsprotokoll, Seite 13), sodass ein entsprechender Zeitraum, der auf einen gänzlichen Verzicht auf Suchtmittel schließen lassen würde, nicht vorliegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zu Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides (Aberkennung des Status des Asylberechtigten und Ausspruch, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt):
Gemäß § 7 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 29/2020 (in Folge AsylG) ist einem Fremden der Status des Asylberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn (1.) ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt, (2.) einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder (3.) der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.
Gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe zuletzt VwGH 23.03.2020, Ra 2019/14/0334; 05.04.2018, Ra 2017/19/0531-5) müssen für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden und drittens gemeingefährlich sein, und schließlich müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Es genügt nicht, wenn ein abstrakt als „schwer“ einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. In gravierenden Fällen schwerer Verbrechen ist bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose zulässig (vgl. etwa VwGH 14.02.2018, Ra 2017/18/0419; VwGH 05.12.2017, Ra 2016/01/0166; VwGH 01.03.2016, Ra 2015/18/0247; VwGH 21.9.2015, Ra 2015/19/0130; VwGH 23.09.2009, 2006/01/0626, mit Hinweis auf die zur Vorläuferbestimmung ergangene und auch für die aktuelle Rechtslage weiterhin maßgebliche Rechtsprechung).
Der Beschwerdeführer ist unter anderem mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Steyr vom 28.05.2018, Gz. XXXX , wegen des Verbrechens des Raubes und des Verbrechens der schweren Körperverletzung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt worden. Des weiteren liegen Verurteilungen lediglich von Vergehen, nämlich das der Körperverletzung, der Sachbeschädigung, des Diebstahls und der Nötigung zu Grunde; diese Verurteilungen wegen Vergehen können das Vorliegen eines besonders schweren Verbrechens jedenfalls nicht begründen und haben außer Acht zu bleiben.
Aus asylrechtlicher Sicht ist hier zu prüfen, ob insbesondere das Verbrechen des Raubes und der schweren Körperverletzung ein besonders schweres Verbrechen, sowohl im objektiven, als auch im subjektiven Sinn darstellt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ iSd § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen und stellt zum Beispiel ein Tötungsdelikt, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel und bewaffneter Raub „typischerweise“ ein schweres Verbrechen dar (VwGH 26.02.2019, Ra 2018/18/0493). Im gegenständlichen Fall handelt es sich um einen einfachen Raub und auch aus subjektiver Hinsicht ist zu bedenken, dass der Beschwerdeführer bei der Begehung des Verbrechens nicht volljährig, sondern erst17 Jahre alt war und sich um Schadenswiedergutmachung bemühte. Es liegt hier „nur“ ein einfacher Raub vor, der „nur“ zu einer typischerweise mit einem Raub verbundenen leichten Körperverletzung geführt hat. Insbesondere lag auch keine Bewaffnung vor.
Hinsichtlich der schweren Körperverletzung ist anzuführen, dass dem gerichtsmedizinischen Sachverständigengutachten zu entnehmen ist, dass kein reales Risiko bestanden hat, dass das Opfer beim gegenständlichen Vorfall schwere Dauerfolgen, eine erhebliche Verstümmelung oder auffallende Verunstaltung, ein schweres Leiden, Siechtum oder Berufsunfähigkeit erleidet oder lebensgefährlich verletzt wird. Auch hier wurde keine Waffe verwendet.
Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen, insbesondere des damals jugendlichen Alters des Täters, dass es zu keinen schweren Verletzungen des Raubopfers kam und es sich nicht um einen bewaffneten Raub handelte, die schwere Körperverletzung ebenfalls unbewaffnet erfolgte und kein reales Risiko bestanden hat, dass das Opfer schwere Dauerfolgen, eine erhebliche Verstümmelung oder auffallende Verunstaltung, ein schweres Leiden, Siechtum oder Berufsunfähigkeit erleidet oder lebensgefährlich verletzt hätte werden können, sind die Tathandlungen im gegenständlichen Fall zwar als schwere Verbrechen, nicht aber als besonders schwere Verbrechen iSd § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG zu werten und kann gerade noch nicht zu einer Aberkennung des Status des Asylberechtigten führen.
Dies, obwohl nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts weitere Straftaten des Beschwerdeführers durchaus realistisch sind, insbesondere, wenn dieser seine Arbeit verlieren würde, der er gerade vier Monate nachgeht. Diesfalls würde er einerseits wieder dem Alkohol- und Suchtmittelmissbrauch anheimfallen und andererseits seine Bestätigung wieder in strafbaren Handlungen suchen. Daher kann der Beschwerdeführer als allgemein gefährlich gesehen werden.
Daher würden auch die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen, mangels eines besonders schweren Verbrechens und anderer, nicht im Ansatz zu erkennender Aberkennungsgründe ist der Beschwerde gg. Spruchpunkt I. stattzugeben.
Da die anderen Spruchpunkte voraussetzen, dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten nicht mehr zukommt, sind diese ebenso ohne weitere Prüfung aufzuheben und ist insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gegenständlich liegt keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor, weil die Frage der subjektiven Schwere eines Verbrechens in Bezug auf das Vorliegen der Voraussetzungen im Einzelfall in dieser Art eben nur im jeweiligen Einzelfall zu beantworten ist und dieser Frage daher über den Einzelfall hinausgehend keine und somit keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Auch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Daher ist die Revision nicht zulässig.
Schlagworte
Aberkennung des Status des Asylberechtigten Aberkennungsverfahren Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel Behebung der Entscheidung berücksichtigungswürdige Gründe besonders schweres Verbrechen Diebstahl Einreiseverbot ersatzlose Behebung freiwillige Ausreise Frist Gewalttätigkeit Haft Haftstrafe Kassation Körperverletzung Kumulierung mündliche Verhandlung mündliche Verkündung negative Beurteilung Nötigung Raub real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung Sachbeschädigung Sachverständigengutachten schriftliche Ausfertigung schwere Straftat Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft Straftat subsidiärer Schutz tätlicher Angriff unzulässige Abschiebung Verbrechen ZukunftsprognoseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W170.2217328.1.00Im RIS seit
28.09.2020Zuletzt aktualisiert am
28.09.2020