TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/24 W256 2179279-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.06.2020
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Entscheidungsdatum

24.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W256 2179279-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA Somalia, gegen den aufgrund einer Säumnisbeschwerde betreffend den am 1. Februar 2016 zur Zl. XXXX gestellten Antrag auf internationalen Schutz ergangenen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 25. Oktober 2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A) I. Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit ersatzlos aufgehoben.

II. In Erledigung der Säumnisbeschwerde wird der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen.

III. Der Antrag auf internationalen Schutz wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen.

IV. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wird gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist.

V. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wird die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft dieses Erkenntnisses festgelegt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG (jeweils) nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 1. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005).

Am 2. Februar 2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt (wortwörtlich wiedergegeben) Folgendes an: „Ich bin aus meinem Heimatland geflüchtet, weil ich Angst vor den AL Shabaab gehabt habe. Ich hatte Angst, dass sie mich umbringen. Sie haben neue Rekruten gebraucht, haben Freunde von mir mitgenommen, als nächster wäre ich dran gewesen, um für sie zu kämpfen. Sie haben mir mit dem Umbringen gedroht, wenn ich nicht bereitstünde. Mein Vater hat mir diese Reise organisiert, weil er nicht wollte, dass ich mit diesen Leuten kämpfe. Er hat deshalb sein Vieh verkauft, um mir das Geld zu geben. Sonst habe ich keine weiteren Angaben.“

Am 6. Juni 2017 langte eine Säumnisbeschwerde des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein.

Der Beschwerdeführer wurde am 9. August 2017 durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Darin gab er zunächst an, dass seine Eltern und sein Bruder sowie zwei Schwestern nach wie vor in XXXX leben würden. Sein Vater komme für den Lebensunterhalt der Familie auf und stehe er mit diesem in Kontakt. Seiner Familie gehe es gut. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer ergänzend an, dass er von Al Shabaab zur Teilnahme am Jihad aufgefordert worden sei, was er auch bejaht hätte. Zwei Tage später sei er gemeinsam mit seinem mittlerweile verstorbenen Bruder von Al Shabaab mitgenommen worden und nach neun Tagen sei ihm die Flucht gelungen. Sein Vater habe ihn darüber informiert, dass Al Shabaab bereits nach ihm gesucht und im Zuge dessen vier Kühe mitgenommen hätte. Insofern sei der Beschwerdeführer mit Unterstützung seiner Familie aus Somalia ausgereist. Unter einem legte er diverse Integrationsunterlagen vor.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia zulässig sei. Dieser Bescheid wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am 2. November 2017 zugestellt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Darin wird zunächst ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid außerhalb der Nachfrist des § 16 Abs. 1 VwGVG erlassen worden und deshalb rechtswidrig sei. Weiters brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen wie bisher vor. Es sei ihm der Status des Asylberechtigten, zumindest aber der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Dabei wurde auf die allgemeine schlechte Versorgungslage in Somalia hingewiesen.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden den Parteien diverse Länderberichte, darunter u.a. das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17. September 2019 (im Folgenden: LIB) sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 11. Mai 2018 "Humanitäre Hilfe, Arbeitsmarkt, Versorgungslage in Mogadischu" (im Folgenden: Anfragebeantwortung vom 11. Mai 2018) zum Parteiengehör übermittelt.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde durch die erkennende Richterin in der gegenständlichen Rechtssache am 4. März 2020 eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

zur Person

Der – im Spruch genannte – Beschwerdeführer besitzt die somalische Staatsangehörigkeit, und ist Moslem (Verhandlungsschrift Seite 5).

Er ist in XXXX in der Region XXXX geboren und aufgewachsen (AS 83; Verhandlungsschrift Seite 5).

Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Marehan an (Verhandlungsschrift Seite 5). Er spricht Somalisch und ein wenig Deutsch (Verhandlungsschrift Seite 11 und die darin vorgelegten Unterlagen).

Er ist ledig und hat keine Kinder (Verhandlungsschrift Seite 5).

Die Familie des Beschwerdeführers besteht aus seinen Eltern und seinen Geschwistern. Der Beschwerdeführer verfügt nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte in Somalia. Der Beschwerdeführer kann zu seiner Familie in Somalia und zu seinem in Schweden lebenden Onkel Kontakt aufnehmen (siehe dazu die Beweiswürdigung).

Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig und gesund (Verhandlungsschrift Seite 4).

Er hat die Grund- und Mittelschule sowie auch die Koranschule in XXXX absolviert. Anschließend hat er – ebenfalls in XXXX – EDV studiert. Der Beschwerdeführer hat in Somalia nicht gearbeitet. Für seinen Lebensunterhalt ist sein Vater aufgekommen, welcher als Koranlehrer und als Tierzüchter tätig war und die gesamte Familie ernähren konnte (AS 83; Verhandlungsschrift Seite 5 f).

Im Falle einer Rückkehr nach Somalia kann der Beschwerdeführer mit (auch finanzieller) Unterstützung durch seine Familie rechnen (siehe die Beweiswürdigung).

Der Beschwerdeführer hat Ende 2015 seine Heimat über Mogadischu aus verlassen. Um die Finanzierung seiner Ausreise hat sich sein Vater und sein Onkel gekümmert (AS 85 und AS 89; Verhandlungsschrift Seite 7 und Seite 16).

Er ist frühestens seit seiner Antragsstellung am 1. Februar 2016 im Bundesgebiet aufhältig (AS 9).

Der Beschwerdeführer wird im Rahmen der Grundversorgung versorgt (Auszug aus dem Grundversorgungssystem vom 24. Juni 2020). Zudem ist er strafgerichtlich unbescholten (Strafregisterauszug vom 24. Juni 2020).

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine Verwandten und hat auch sonst keine engen Kontakte in Österreich (Verhandlungsschrift Seite 11 f).

Der Beschwerdeführer hat bereits Deutschkurse absolviert und besucht derzeit einen weiteren Deutschkurs. Auch hat er diverse andere Kursveranstaltungen absolviert und hat in Österreich bereits ehrenamtlich bei der XXXX gearbeitet. Der Beschwerdeführer besucht auch gelegentlich das Spielcafé, welches wöchentlich vom Pfarramt XXXX angeboten wird (Verhandlungsschrift Seite 11 f sowie die darin vorgelegten Unterlagen).

zur Lage in Somalia

Das Gebiet von Somalia ist faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird, aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert. Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (LIB, Seite 8).

Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (LIB, Seite 8).

Bundesstaat Jubaland (Gedo, Lowe Juba, Middle Juba)

Nominell gehören zum Machtbereich von Jubaland die Regionen Lower und Middle Juba sowie Gedo. Die Regierung von Jubaland verfügt aber nicht über die entsprechenden Kapazitäten, um ganz Jubaland kontrollieren zu können. Viele der ländlichen Teile von Jubaland werden von al Shabaab kontrolliert. Angriffe der al Shabaab richten sich vor allem gegen Regierungskräfte und deren Alliierte (LIB, Seite 21).

Gedo: Die Städte Baardheere, Belet Xaawo, Doolow, Luuq und Garbahaarey sowie die Orte Ceel Waaq und Buurdhuubo werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert. Die Städte Luuq, Garbahaarey, Doolow und Baardheere können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (LIB, Seite 22).

Mogadischu:

Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM. Die vormals für Verbesserungen in der Sicherheitslage verantwortliche Mogadishu Stabilization Mission (MSM) wurde nunmehr deaktiviert. Ihre Aufgaben wurden erst an die 14th October Brigade übertragen, mittlerweile aber von der wesentlich verstärkten Polizei übernommen. Letztere wird von Armee, AMISOM und Polizeikontingenten von AMISOM unterstützt. Nach wie vor reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte aber nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (LIB, Seite 28 f).

Für al Shabaab bietet die Stadt schon alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele. Diesbezüglich ist es der Regierung nicht gelungen, eine erfolgreiche Strategie zur Bekämpfung von al Shabaab in der Stadt umzusetzen. Die Gruppe ist in der Lage, in weiten Teilen des Stadtgebiets Anschläge durchzuführen (LIB, Seite 29).

Im September und Oktober 2018 ging die Anzahl an Anschlägen vorübergehend zurück; dahingegen nahm in diesem Zeitraum die allgemeine Kriminalität zu. Danach hat die Zahl an größeren Anschlägen in und um Mogadischu zugenommen. Es kommt regelmäßig zu Sprengstoffanschlägen oder aber zu gezielten Tötungen. Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf Offizielle, Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und –Gebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM. Betroffen sind Regierungseinrichtungen, Restaurants und Hotels, die von nationalen und internationalen Offiziellen frequentiert werden. Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg der Aktivitäten, fast täglich war ein Anschlag mit einem improvisierten Sprengsatz zu verzeichnen. Vereinzelt kommt es zu großangelegten komplexen Angriffen durch al Shabaab, so etwa am 9.11.2018 auf das Sahafi Hotel (50 Tote, darunter sieben Angreifer). Bei einem Selbstmordanschlag im Juli 2019 kamen u.a. der Bürgermeister von Mogadischu und drei District Commissioners ums Leben (LIB, Seite 29).

Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an. Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden. Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (LIB, Seite 29).

Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Al Shabaab wieder die Kontrolle über Mogadischu zurückerlangt. Es gibt in der Stadt auch kein Risiko, von der Al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab. Es besteht kein Risiko, alleine aufgrund der eigenen Clanzugehörigkeit angegriffen zu werden. Trotzdem sind Clan und Clanzugehörigkeit in Mogadischu nach wie vor relevant (LIB, Seite 29 f).

Erreichbarkeit:

Luftweg: Die sicherste Arte des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen. Mogadischu kann international (mit Ethiopian Airlines und Turkish Airlines) erreicht werden. In die Städte Kismayo, Dhobley, Baidoa, Doolow, Xudur, Belet Weyne, Guri Ceel, Cadaado und Galkacyo gelangt man mit kleineren Fluglinien, wie African Express Airways, Daallo Airlines oder Jubba Airways (LIB, Seite 110).

Zwangsrekrutierung:

Im Jahr 2017 begann al Shabaab noch intensiver, arbeitslose junge Männer zu rekrutieren (LIB, Seite 65).

Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle der al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch die al Shabaab (LIB, Seite 66).

Verweigerung: Üblicherweise richtet die al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Die meisten Rekruten werden über Clans rekrutiert. Es wird also mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt. Dabei wird mitunter auch Druck ausgeübt. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer, denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan. Damit al Shabaab die Verweigerung akzeptiert, muss eine Form der Kompensation getätigt werden. Entweder der Clan oder das Individuum zahlt, oder aber die Nicht-Zahlung wird durch Rekruten kompensiert. So gibt es also für Betroffene manchmal die Möglichkeit des Freikaufens. Diese Wahlmöglichkeit ist freilich nicht immer gegeben. In den Städten liegt der Fokus der al Shabaab eher auf dem Eintreiben von Steuern, in ländlichen Gebieten auf der Aushebung von Rekruten (LIB, Seite 66).

Es besteht die Möglichkeit, dass einem Verweigerer, aber auch seiner Familie bei fehlender Kompensationszahlung die Exekution droht. Insgesamt finden sich allerdings keine Beispiele dafür, wo al Shabaab einen Rekrutierungsverweigerer exekutiert hat (LIB, Seite 66 sowie das im angefochtenen Bescheid herangezogene Länderinformationsblatt, Seite 58).

Minderheiten und Clans:

Mehr als 85% der Bevölkerung teilen eine ethnische Herkunft. Die somalische Bevölkerung ist aber nur auf den ersten Blick homogen. In ganz Somalia gibt es eine Zersplitterung in zahlreiche Clans, Sub-Clans und Sub-Sub-Clans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (LIB, Seite 82).

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (LIB, Seite 82).

Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage. Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden (LIB, Seite 82):

?        Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

?        Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

?        Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

?        Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

?        Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle werden als weitere Clanfamilie gesehen (LIB, Seite 83).

Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil-Mirifle stellen je ca. 20-25% der Bevölkerung, die Dir deutlich weniger. Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium (LIB, Seite 83).

Daneben finden sich in Somalia einige ethnische Minderheiten und ständische Berufskasten (LIB, Seite 83 ff).

Als Minderheiten werden jene gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören auch Angehöriger „nobler Clans“, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben (LIB, Seite 83).

In Mogadischu ist der Clan der Hawiye ansässig (FOCUS Somalia, Seite 27).

In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten nicht systematischer Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LIB, Seite 85).

Die somalische Verfassung bekennt sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung. Sowohl Regierung als auch Parlament sind entlang der sogenannten „4.5 Lösung“ organisiert, das bedeutet, dass für jeden Sitz, den ein Vertreter der großen Clans in Regierung bzw. Parlament innehat, ein halber Sitz einem Vertreter der kleineren Clans bzw. Minderheitenclans zufällt. So blieben die Clans der entscheidende Faktor in der somalischen und somaliländischen Politik. Gegen oder ohne sie lässt sich kein Staat aufbauen. Die vier größten Clans (Darood, Hawiye, Dir und Digil-Mirifle) dominieren Verwaltung, Politik, und Gesellschaft (LIB, Seite 80 f).

Viele Minderheitengemeinden leiden an zahlreichen Formen der Diskriminierung und Exklusion. Sie sehen sich in vielfacher Weise von der übrigen Bevölkerung – nicht aber systematisch von staatlichen Stellen – wirtschaftlich, politisch und sozial ausgegrenzt (LIB, Seite 81).

zur Versorgungslage

Die humanitäre Krise in Somalia bleibt eine der komplexesten und am längsten dauernden weltweit. Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Teilen nicht gewährleistet. Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen und die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zum Land mit dem fünftgrößten Bedarf an internationaler Nothilfe weltweit (LIB, Seite 122).

Große Teile der Bevölkerung sind hinsichtlich Armut und Nahrungsversorgung vulnerabel. Eine Schätzung besagt, dass rund 77 % der Bevölkerung mit weniger als 1,9 US Dollar pro Tag auskommen müssen und daher als extrem arm gelten – insbesondere in ländlichen Gebieten und IDP Lagern. Nach anderen Angaben leben 69 % der Bevölkerung in Armut. Dabei finden sich die höchsten Raten bei IDPs, in ländlichen Gebieten und Nomaden. Es gibt viele IDPs und Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten. Die ländliche Bevölkerung und IDPs verfügen kaum über Mittel, um die durch die Dürre entstandenen Verluste wieder wett zu machen (LIB, Seite 122).

60 % der Somali leben zum größten Teil von der Viehzucht. Zwei Drittel der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Sie sind absolut vom Regen abhängig. In den vergangenen Jahren haben die Frequenzen und Dauer von Dürre zugenommen. Deswegen wurden auch die Kapazitäten der Menschen, derartigen Katastrophen zu begegnen, reduziert. Zusätzlich verstärken Mangel an Bildung, übermäßige Abhängigkeit von einem Einkommen aus der Landwirtschaft, Arbeitslosigkeit, geringes Vermögen und eine große Personenanzahl in einem Haushalt die Vulnerabilität im Fall einer Katastrophe. Bereits 2016/2017 wurden im Zuge der Dürre fast eine Million Somali vertrieben. Nur aufgrund groß angelegter und erfolgreicher humanitärer Hilfe wurde eine Hungersnot verhindert (LIB, Seite 122).

Zwischenzeitlich hatte sich die humanitäre Situation aufgrund guter Regenfälle im Jahr 2018 etwas entspannt. Die Sicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung hatte sich verbessert – nicht zuletzt aufgrund fortgesetzter humanitärer Hilfe und aufgrund überdurchschnittlicher Regenfälle (LIB, Seite 123).

Somalia steht nunmehr wieder vor einem großen humanitären Notfall. Am meisten betroffen sind IDPs und marginalisierte Gruppen. Das Land leidet unter den negativen Folgen unterdurchschnittlicher Regenfälle in der Gu- Regenzeit (April-Juni) 2019. Letztere hat sehr spät eingesetzt. Der gefallene Regen hat die Dürre-Bedingungen zwar etwas entspannt und den Zustand des Viehs verbessert. Trotzdem reichte er nicht aus, um die Landwirtschaft nachhaltig zu stärken. Am Ende ist die Gu zwar normal oder fast normal ausgefallen; doch war der Niederschlag erratisch und schlecht verteilt. Außerdem kam er um einen Monat später als normal (LIB, Seite 123).

zur Versorgungslage in Mogadischu

Die Stadt Mogadischu wird als IPC-1 Kategorie bewertet (IPC: Integrated Phase Classification for Food Security ; 1-moderat bis 5-Hungersnot) (LIB, Seite 123ff).

Die Bundesregierung und Hilfsorganisationen haben einen Drought Impact Response Plan (DIRP) auf die Beine gestellt, damit soll 4,5 Millionen Menschen kritisch notwendige lebenserhaltende Unterstützung zukommen. Mit der Umsetzung wurde bereits begonnen. Die Kosten werden bis Dezember 2019 mit 686 Millionen US-Dollar beziffert. Insgesamt sind die Hilfsprogramme aber unterfinanziert, manche Agenturen müssen ihre Maßnahmen sogar zurückfahren. Im September 2019 war der DIRP nur zu 50% ausfinanziert. So wurden z.B. im Juni 2019 nur 1,4 Millionen Menschen mit Nahrungsmittelhilfe erreicht, angepeilt wurden hingegen 2,2 Millionen. Hilfsprojekte von internationalen Organisationen oder NGOs erreichen in der Regel nicht alle Bedürftigen (LIB Seite 126 f).

Al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure behindern die Leistung humanitärer Hilfe und die Lieferung von Hilfsgütern an vulnerable Bevölkerungsteile – speziell in Süd-/Zentralsomalia. In den Gebieten unter Kontrolle der Gruppe wurden Aktivitäten humanitärer Organisationen gänzlich verboten. Nach anderen Angaben erlaubt al Shabaab Hilfsorganisationen zunehmend, auf ihrem Gebiet tätig zu sein (LIB Seite 127 f).

Es gibt kein öffentliches Wohlfahrtssystem, keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe. In Mogadischu muss für jede Dienstleistung bezahlt werden, es gibt keine öffentlichen Leistungen. Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor. Das eigentliche soziale Sicherungsnetz für Personen, deren Unterhalt und Überleben in Gefahr ist, bilden (Sub-)Clan, erweiterte Familie und Remissen aus dem Ausland. Während Krisenzeiten (etwa Hungersnot 2011 und Dürre 2016/17) helfen neben Familie und Clan auch andere soziale Verbindungen – seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z.B. Unterkunft und Nahrung finden können (LIB Seite 128).

Generell stellt in (persönlichen) Krisenzeiten die Hilfe durch Freunde oder Verwandte die am meisten effiziente und verwendete Bewältigungsstrategie dar. 22% der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten, 28% bei institutionellen Pflegeeinrichtungen (7%) untergebracht. Weitere 28% schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn. In der somalischen Gesellschaft – auch bei den Bantu – ist die Tradition des Austauschs von Geschenken tief verwurzelt. Mit dem traditionellen Teilen werden in dieser Kultur der Gegenseitigkeit bzw. Reziprozität Verbindungen gestärkt. Folglich wurden auch im Rahmen der Dürre 2016/17 die über Geldtransfers zur Verfügung gestellten Mittel und Remissen mit Nachbarn, Verwandten oder Freunden geteilt – wie es die Tradition des Teilens vorsah (LIB Seite 128).

Die hohe Anzahl an IDPs zeigt aber, dass manche Clans nicht in der Lage sind, der Armut ihrer Mitglieder entsprechend zu begegnen. Vor allem, wenn Menschen in weit von ihrer eigentlichen Clan-Heimat entfernte Gebiete fliehen, verlieren sie zunehmend an Rückhalt und setzen sich größeren Risiken aus. Eine Ausnahme davon bilden Migranten, die ihren Familien und Freunden mit Remissen helfen können (LIB Seite 128).

Andererseits liegen keine Informationen vor, wonach es gesunden jungen Männern im arbeitsfähigen Alter (15-29 Jahre; 14 % der Gesamtbevölkerung Somalias) an einer Existenzgrundlage mangeln würde, oder dass alle diese Männer keine Unterkunft haben würden (LIB Seite 129).

In Mogadischu sind 28% der Bevölkerung arbeitssuchend. 6% der Jugendlichen sind arbeitssuchend (Anfragebeantwortung Mogadischu vom 11. Mai 2018, Seite 19).

Es gibt in Mogadischu bessere Job-Aussichten als in den meisten anderen Teilen Somalias, auch für Jugendliche ohne Bildung und Arbeitserfahrung. Während in Somalia die meisten Menschen in der Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei arbeiten, arbeiten in Mogadischu die meisten Menschen im Handel bzw. im Dienstleistungssektor oder in höheren bildungsabhängigen Berufen (Anfragebeantwortung Mogadischu vom 11. Mai 2018, Seite 21).

Das Auswahlverfahren im Arbeitsleben basiert oft auf Clanbasis, gleichzeitig werden aber viele Arbeitsplätze an Rückkehrer aus der Diaspora vergeben. Es gibt auch Beschäftigungsmöglichkeiten, die von vielen Somaliern nicht in Anspruch genommen werden, da diese Arbeit als minderwertig erachtet wird, z.B. Friseur, Kellner oder Reinigungsarbeiten (Anfragebeantwortung Mogadischu vom 11. Mai 2018, Seite 22).

Die somalische Wirtschaft zeigt eine positive Entwicklung. Die Schaffung an Arbeitsplätzen bleibt jedoch unter den Bedürfnissen. Trotzdem gibt es in Mogadischu aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs zahlreiche Möglichkeiten. Das Durchschnittseinkommen für Jugendliche beträgt 190 USD im Monat. In Mogadischu beträgt das Durchschnittseinkommen 360 USD im Monat. Fast 10% der Jugendlichen in Mogadischu verdienen mehr als 400 USD im Monat (Anfragebeantwortung Mogadischu vom 11. Mai 2018, Seite 23 ff).

Rückkehrer:

Der Jilib [Anm.: in etwa die unterste Ebene des Clansystems] ist u. a. dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder - je nach Ausmaß - an untere Ebenen (z.B. Großfamilie). Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Für Rückkehrer ohne Netzwerk oder Geld gestaltet sich die Situation schwierig. Im herausfordernden Umfeld von Mogadischu sind entweder ein funktionierendes Netzwerk oder aber genügend Eigenressourcen notwendig, um ein Auslangen finden zu können. Ein Netzwerk ist z.B. hinsichtlich Arbeitssuche wichtig. Eine andere Quelle gibt an, dass ein Netzwerk aus Familie, Freunden und Clan-Angehörigen für einen Rückkehrer insbesondere auf dem Land von Bedeutung sein wird, während dieses soziale Sicherheitsnetz in der Stadt weniger wichtig ist (LIB Seite 130).

Außerdem haben Rückkehrer nach Mogadischu dort üblicherweise einen guten Zugang zu Geld- oder sonstiger Hilfe von Hilfsagenturen. Hinzu kommen Remissen von Verwandten im Ausland. Hingegen erhalten IDPs vergleichsweise weniger Remissen. Bei Ankunft in Somalia bekommt jede Person eine Einmalzahlung von 200 US-Dollar, danach folgt eine monatliche Unterstützung von 200 US-Dollar pro Haushalt und Monat für ein halbes Jahr. Das World Food Programm gewährleistet für ein halbes Jahr eine Versorgung mit Nahrungsmitteln. Für Schulkosten werden 25 US-Dollar pro Monat und Schulkind ausbezahlt. Bei Erfüllung bestimmter Kriterien wird für die Unterkunft pro Haushalt eine Summe von 1.000 US-Dollar zur Verfügung gestellt, die etwa zur Organisation einer Unterkunft dienen können. Deutschland unterstützt in Jubaland ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient (LIB Seite 130).

Der Immobilienmarkt in Mogadischu boomt, die Preise sind gestiegen. Die Zurverfügungstellung von Unterkunft und Arbeit ist bei der Rückkehrunterstützung nicht inbegriffen und wird von den Rückkehrern selbst in die Hand genommen. Diesbezüglich auftretende Probleme können durch ein vorhandenes Netzwerk abgefedert werden. Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an. Vom Returnee Management Office (RMO) der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein innersomalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden (LIB Seite 131).

Die sicherste Arte des Reisens in Süd-/Zentralsomalia ist das Fliegen. Mogadischu kann international (mit Ethiopian Airlines und Turkish Airlines) erreicht werden (LIB Seite 110).

Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft. Medizinische Grunddienste stehen nicht ausreichend zur Verfügung, de facto ist nur eine Primärversorgung verfügbar (LIB Seite 131).

Die öffentlichen Krankenhäuser sind mangelhaft ausgestattet, was Ausrüstung/medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht. Der Standard von Spitälern außerhalb Mogadischus ist erheblich schlechter. In Mogadischu gibt es mindestens zwei Spitäler, die für jedermann zugänglich sind (LIB Seite 132).

Die Primärversorgung wird oftmals von internationalen Organisationen bereitgestellt und ist für Patienten kostenfrei. Allerdings muss manchmal für Medikamente bezahlt werden. Private Einrichtungen, die spezielle Leistungen anbieten, sind sehr teuer (LIB Seite 132).

2. Beweiswürdigung:

zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die einzelnen Feststellungen beruhen jeweils auf den in der Klammer angeführten Beweismitteln.

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor der belangten Behörde, in der Beschwerde, und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffen werden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Herkunft, seinem Familienstand, seiner schulischen und beruflichen Laufbahn sowie seinem Ausreisezeitpunkt ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers; das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen – Angaben zu zweifeln.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und der von ihm gesprochenen Sprachen gründen sich auf seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung. Die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem festgestellten Gesundheitszustand und seiner in Österreich geleisteten ehrenamtlichen Tätigkeit.

Die Feststellungen zu seiner strafgerichtlichen Unbescholtenheit und seiner Teilnahme an der Grundversorgung ergeben sich aus einer Einsichtnahme in das Strafregister und das Grundversorgungsinformationssystem.

Die Feststellungen zu seinem Leben und seiner Integration in Österreich ergeben sich aus seinem diesbezüglichen Vorbringen in Zusammenhalt mit den vorgelegten Bestätigungen.

zur behaupteten Verfolgung des Beschwerdeführers in Somalia

Der Beschwerdeführer brachte im Rahmen der Erstbefragung vor, dass er aus Angst vor einer bevorstehenden Zwangsrekrutierung durch die Al Shabaab aus Somalia geflüchtet sei.

Vor der belangten Behörde führte der Beschwerdeführer demgegenüber aus, dass er bereits von Al Shabaab zwangsrekrutiert worden, ihm jedoch 2015 die Flucht gelungen sei (AS 87: „[…] Mein Bruder [..] und ich wurden mitgenommen. [..]“).

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer vor, sein im Heimatdorf verbliebener Vater habe Al Shabaab aufgrund der Flucht des Beschwerdeführers eine Entschädigung bezahlt (Verhandlungsschrift Seite 17: „RV: Bei diesen vier Stieren, die die Al-Shabaab von Ihrem Vater erhalten haben, haben [s]ie diese freiwillig bekommen oder unter Zwang? Was wissen Sie darüber? BF: Er wurde dazu gezwungen. Nachdem ich weggelaufen war, musste er vier Stiere als Entschädigung dafür bezahlen.“). Sein Vater sei wiederum 2019 von Al Shabaab getötet worden, weil diesem – wie auch dem Beschwerdeführer – eine ablehnende Haltung zu Al Shabaab vorgeworfen worden sei (Verhandlungsschrift Seite 15: „R: Steht die Ermordung Ihres Vaters in irgendeinem Zusammenhang mit Ihrer Flucht? BF: Ja, er war gegen Al-Shabaab, [..]. Er hat uns immer gesagt, wir sollen nicht mit denen sprechen oder mit denen gehen. Gedanklich war er gegen Al-Shabaab. R: Inwiefern steht die Ermordung Ihres Vaters mit Ihrer Flucht in Zusammenhang? BF: Da sie glauben, dass der Vater andere Gedanken hat, als Al-Shabaab, darum haben Sie ihn ermordet. R: Weshalb glauben Sie das? BF: Alle Leute in einer Stadt kennen sich untereinander, sogar der Chef der Polizeiwache kennt meinen Vater. R: Seit wann wissen die Leute, dass Ihr Vater bzw. Ihre Familie andere Gedanken haben als Al-Shabaab? BF: Seit die Al-Shabaab in die Stadt gekommen sind. R: Wann war das? BF: Ungefähr 2008/2009 glaube ich. R: Weshalb waren Ihre Familie bzw. Sie nicht schon seit 2008/2009 einer Bedrohung ausgesetzt? BF: Sie wussten, dass er andere Gedanken hat, aber sie wollten einen Beweis dafür haben und haben gewartet, bis sie einen Beweis haben. Sie töten nicht sofort, sondern warten auf einen Beweis. R: Was war der Beweis? BF: Ich weiß nicht, was sie haben, sie haben ihn getötet, weil er nicht mitgehen wollte. R: Sie haben Somalia 2015 verlassen. Weshalb war es Ihrer Familie möglich bis 2019 in Somalia zu verbleiben? BF: Der Vater hat ja die Familie versorgt, darum sind Sie geblieben bis 2019. Nachdem der Vater gestorben ist, ist meine Mutter mit meinen Geschwistern weggegangen. R: Wie erklären Sie sich, dass Ihre Familie trotz der von Ihnen behaupteten Bedrohung durch Al-Shabaab in Somalia verbleiben konnte? BF: In der Stadt herrschen die Sufi, aber sie kommen in der Nacht und machen, was sie wollen. Sie sind außerhalb der Stadt.“).

Dass dem Beschwerdeführer aufgrund einer verweigerten Zwangsrekrutierung eine Gefahr der Verfolgung in Somalia droht, kann schon allein deshalb als nicht glaubhaft angesehen werden, weil ansonsten nicht einzusehen wäre, weshalb seiner Familie nach seiner Flucht ein weiterer Verbleib in Somalia möglich gewesen sein soll. Dies umso mehr, als nach den herangezogenen Länderberichten – und im Übrigen auch nach den eigenen Behauptungen des Beschwerdeführers – eine verweigerte Zwangsrekrutierung nicht nur für den Verweigerer selbst, sondern auch für seine Familie eine Bedrohung darstellen kann.

Eine vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang behauptete Tötung seines Vaters vier (!) Jahre nach seiner Flucht kann jedenfalls angesichts der doch sehr langen Zeitspanne zwischen seiner Flucht und der behaupteten Tötung des Vaters nicht nachvollzogen werden.

Dafür, dass dem Beschwerdeführer wegen einer verweigerten Zwangsrekrutierung in Somalia keine Gefahr der Verfolgung drohe, spräche im Übrigen auch das eigene Vorbringen des Beschwerdeführers selbst, wonach sein Vater wegen seiner behauptetem verweigerten Zwangsrekrutierung vier Stiere an Al-Shabaab bezahlt und insofern – auch laut den vorliegenden Länderberichten – eine solche gegenüber Al Shabaab bereits kompensiert und damit eine Entschädigung geleistet hätte.

Dass dem Beschwerdeführer und seiner Familie generell aufgrund einer ablehnenden Haltung zu Al Shabaab eine Gefahr der Verfolgung in Somalia droht, kann ebenfalls nicht angenommen werden.

Dazu brachte der Beschwerdeführer selbst vor, Al Shabaab habe bereits 2008/2009 gewusst, dass seine Familie Al Shabaab ablehne. Stichhaltige Gründe, weshalb diese (Al Shabaab immer schon bekannte) ablehnende Haltung seinem Vater 2019 plötzlich von Seiten Al Shabaab vorgeworfen werden hätte sollen, nannte der Beschwerdeführer jedenfalls nicht, weshalb auch die vom Beschwerdeführer behauptete Tötung des Vaters als nicht glaubhaft angesehen werden kann.

Im Übrigen führte der Beschwerdeführer sogar selbst aus, seine restliche Familie habe nach dem behaupteten Tod des Vaters Somalia aufgrund der nunmehr fehlenden Versorgungsmöglichkeit (durch den Vater) und (damit) nicht wegen einer drohenden Gefahr durch Al Shabaab verlassen (siehe dazu die oben wiedergegebene Verhandlungsschrift).

In diesem Zusammenhang darf der Ordnung halber auch nicht unerwähnt bleiben, dass die Schwester des Beschwerdeführers laut seinen eigenen Angaben mit einem Al Shabaab Anhänger verheiratet sein soll und auch etliche Freunde des Beschwerdeführers Al Shabaab Anhänger seien, was mit der behaupteten generellen ablehnenden Haltung der Familie des Beschwerdeführers in Bezug auf Al Shabaab wiederum nur schwer in Einklang zu bringen ist (AS 83; Verhandlungsschrift Seite 6).

Letztlich ist auch darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer seine bereits erfolgte Zwangsrekrutierung durch Al Shabaab und die weitere Flucht aus einem Al Shabaab-Lager im Rahmen der Erstbefragung nicht einmal erwähnt hat.

Dabei wird von der erkennenden Richterin nicht verkannt, dass sich die Erstbefragung nicht in erster Linie auf die Fluchtgründe bezieht. Dass der Beschwerdeführer allerdings diese von ihm geäußerte Bedrohung – und somit seinen eigentlichen Fluchtgrund – nicht nur nicht, sondern sogar widersprüchlich erwähnte, ist für das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht nachvollziehbar und konnte im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer auch nicht erklärt werden (Verhandlungsschrift Seite 16: „R: Im Rahmen Ihrer Erstbefragung haben Sie zu Ihren Fluchtgründen befragt ausgeführt, dass Sie Angst vor Al Shabaab hätten, da diese einige Ihrer Freunde mitgenommen hätten und Sie der Nächste seien. Wie passt das mit Ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde, wonach Sie bereits mitgenommen worden seien, zusammen? BF: Sie wollten uns in einen anderen Ort bringen, dieser Ort nennt sich XXXX . Dort waren viele Jugendliche, manche sind freiwillig gekommen, andere wurden gezwungen wie ich. Wir waren zwei Gruppen. Nachdem die erste Gruppe weggefahren war zu diesem Ort, waren wir die nächsten, die dorthin gehen mussten. Dann bin ich geflohen, bevor ich nach XXXX gebracht wurde.“).

Dabei wird nicht übersehen, dass – aufgrund der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers im Zeitpunkt des fluchtauslösenden Ereignisses – Unstimmigkeiten im Aussageverhalten bzw. Lücken und Unschärfen des Erinnerungsvermögens vorliegen können und auch hinzunehmen sind (siehe dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. September 2014, 2014/19/0020). Diesem Umstand Rechnung tragend wurde in der vorliegenden Beweiswürdigung auf bestehende Widersprüchlichkeiten in der Erzählung in Bezug auf Detailfragen des Beschwerdeführers nicht eingegangen, sondern alleine die Plausibilität und Glaubhaftigkeit des Kerninhaltes seiner Erzählung herangezogen.

Es konnten daher insgesamt keine Feststellungen in Bezug auf diese vom Beschwerdeführer behauptete konkret ihn treffende Verfolgung getroffen werden. Sonstige Anhaltspunkte für eine konkret die Person des Beschwerdeführers treffende Verfolgung sind nicht hervorgekommen und wurden solche im Übrigen vom Beschwerdeführer auch gar nicht behauptet (Verhandlungsschrift Seite 16 f: „R: Gibt es sonstige Gründe, die eine Rückkehr nach Somalia für Sie unmöglich machen würden? BF: Außer der Al-Shabaab gibt es keine Gründe. Meine Freunde sind auch bei Al-Shabaab. Sie kennen sich alle untereinander und wenn sie jemanden töten, schießen sie entweder in den Kopf oder in das Herz.“).

zu den Feststellungen in Bezug auf eine Unterstützungsmöglichkeit durch seine Familie

Der Beschwerdeführer bestreitet eine Kontaktmöglichkeit zu seiner Familie nicht. Vielmehr bringt er im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht selbst vor, dass er über die Telefonnummer seiner Mutter verfüge und diese demnächst wieder anrufen werde (Verhandlungsschrift Seite 8ff).

Dass sein Vater wegen einer ablehnenden Haltung zu Al Shabaab von Al Shabaab 2019 ermordet worden sei, konnte – wie oben ausgeführt – nicht glaubhaft gemacht werden, weshalb die in diesem Zusammenhang vom Beschwerdeführer behauptete Ausreise der – laut seinen eigenen Angaben bis dahin im Heimatort lebenden – Familie aus Somalia sowie die fehlende Kontaktmöglichkeit der Familie zum in Schweden lebenden Onkel nicht angenommen werden kann (AS 9; AS 83ff sowie Verhandlungsschrift Seite 9ff und Seite 16).

Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass die – laut eigenen Angaben des Beschwerdeführers – gut situierte Familie – wie bis zu seiner Ausreise und im Fall seiner Ausreise – den Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr nach Somalia nicht (auch finanziell) unterstützen kann und wird, liegen nicht vor und wurden solche vom Beschwerdeführer auch gar nicht (hinreichend) dargelegt (Verhandlungsschrift Seite 6ff und Seite 10: „R: Könnte Sie Ihre Familie im Fall einer Rückkehr nach Somalia zB nach Mogadischu oder Kismayo unterstützen? BF: Ich selber kann mir nicht vorstellen dort zu leben, weil die Männer – vor denen ich weggelaufen bin – immer noch dort sind. R wiederholt die Frage. BF: Meine Familie hat selber Probleme, deshalb erwarte ich keine Unterstützung. R: Weshalb nicht? Immerhin haben Sie auch vor Ihrer Ausreise bei Ihrer Familie gelebt und hat Sie diese auch bei Ihrer Ausreise unterstützt. BF: Weil ich damals um mein Leben rennen musste, darum haben Sie mich unterstützt.“ sowie Einvernahme vor der belangten Behörde: „Ich lebte von meinem Vater, ich verdiente nichts, ich bekam, was ich brauchte. Nachgefragt gebe ich an, dass mein Vater die Familie ernähren konnte. […] Die ganze Familie lebt vom Vater. Er unterrichtet Koran. Er verdient ca 70 USD monatlich, das ist nicht viel aber genug zum Leben. [..] Mein Vater hat Vieh verkauft, um den Schlepper zu zahlen, ich weiß aber nicht wieviel, jedenfalls hat der Schlepper 5.500 USD bekommen. Mein Onkel in Schweden hat auch Geld gegeben.“ [..] „Meine[r] Familie geht es gut, weil sie auch Tiere haben. Nachgefragt sie sind auch ausreichend versorgt. Nachgefragt meine Familie besitzt Kühe.“).

zu den Feststellungen zur Lage in Somalia

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten – den Parteien übermittelten – Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der Länderfeststellungen zu zweifeln, zumal der Beschwerdeführer dazu auch gar nichts – zumindest substantiiert – Gegenteiliges vorgebracht hat. Dass die Sicherheits- und Versorgungslage insgesamt in Somalia – wie vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde angeführt – angespannt ist, kann mit den oben getroffenen Feststellungen jedenfalls nicht in Widerspruch gebracht werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

zu Spruchpunkt A) I.

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer am 1. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Die belangte Behörde hat aufgrund einer am 6. Juni 2017 bei der belangten Behörde eingelangten Säumnisbeschwerde des Beschwerdeführers mit dem angefochtenen Bescheid darüber entschieden.

Dabei ging die belangte Behörde zu Recht davon aus, dass sie mit einer Sachentscheidung in Verzug und insofern die darauf gerichtete Säumnisbeschwerde im Sinne des § 8 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz BGBl I 2013/33 (im Folgenden: VwGVG) zulässig erfolgte. Gründe, die sie an einer rechtzeitigen Erledigung der vorliegenden Sachentscheidung (unverschuldet) gehindert hätten, wurden von ihr nicht genannt und sind solche von Seiten des erkennenden Gerichts auch nicht erkennbar

§ 16 Abs. 1 VwGVG räumt der Verwaltungsbehörde im Falle einer zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde die Möglichkeit ein, innerhalb einer Frist von drei Monaten den Bescheid zu erlassen, ohne dass es erforderlich wäre, dass ihr dafür vom Verwaltungsgericht ausdrücklich eine Frist eingeräumt werden müsste (vgl. VwGH, 27.5.2015, Ra 2015/19/0075).

Diese Möglichkeit der Nachholung des Bescheides baut darauf auf, dass die Säumnisbeschwerde gemäß § 12 VwGVG bei der säumigen Verwaltungsbehörde einzubringen ist und setzt auch voraus, dass die Zuständigkeit für die Entscheidung in der zu erledigenden Verwaltungsangelegenheit nicht schon alleine aufgrund der Einbringung einer - zulässigen und berechtigten - Säumnisbeschwerde auf das angerufene Verwaltungsgericht übergeht. Demnach bleibt im Fall der Einbringung einer Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG die Zuständigkeit der säumigen Behörde zur Entscheidung in der Verwaltungsangelegenheit bis zum Ablauf der dreimonatigen Nachholfrist gemäß § 16 Abs. 1 VwGVG bestehen (VwGH, 19.9.2017, Ro 2017/20/0001).

Dementsprechend geht infolge einer zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde nach ungenütztem Ablauf der Nachfrist des § 16 Abs. 1 VwGVG die Zuständigkeit, über die betriebene Verwaltungsangelegenheit zu entscheiden, ohne weiteres und zwar unabhängig davon, ob die säumige Behörde den Bescheid nach Ablauf der Frist nachholt oder nicht, auf das Verwaltungsgericht über (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 2017, Ra 2017/01/0052) und erlischt damit auch die Zuständigkeit der Behörde (VwGH, 19.9.2017, Ro 2017/20/0001).

Vor diesem Hintergrund erweist sich der angefochtene Bescheid daher als rechtswidrig.

Wie dem Akt zweifelsfrei zu entnehmen ist, hat der Beschwerdeführer die vorliegende Säumnisbeschwerde am 6. Juni 2017 bei der belangten Behörde eingebracht. Der dem Beschwerdeführer am 2. November 2017 zugestellte angefochtene Bescheid ist daher außerhalb der Nachholfrist ergangen.

Da nach dem oben Gesagten die Zuständigkeit über die betriebene Verwaltungsangelegenheit zu entscheiden, nach Ablauf der Nachfrist bereits an das Verwaltungsgericht übergangen ist, erfolgte der angefochtene Bescheid daher rechtswidrig, weshalb er aufzuheben war (siehe dazu VwGH, 26.2.2015, 2012/07/0111, wonach eine solche Rechtswidrigkeit im Falle der Erhebung einer Bescheidbeschwerde im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vom Verwaltungsgericht gemäß § 27 VwGVG nicht nur über Einwand des Beschwerdeführers, sondern auch amtswegig wahrzunehmen ist.).

zu Spruchpunkt A) II.

Insofern obliegt es dem erkennenden Gericht im vorliegenden Fall eine Sachentscheidung zu treffen.

Gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2019/53 (im Folgenden: AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 1955/55 idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 1974/78 (im Folgenden: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art 9 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl L 2011/337, 9 [im Folgenden: Statusrichtlinie] verweist).

Flüchtling iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 1974/78) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Unter "Verfolgung" im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (vgl bspw VwGH 5.9.2016, Ra 2016/19/0074 uva).

§ 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art 9 der Statusrichtlinie, worunter – unter anderem – Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art 15 Abs 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten BGBl 1958/210 idF BGBl III 2018/139 (im Folgenden: EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art 2 EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Art 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter (vgl VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0083).

Im vorliegenden Fall ist eine konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung –wie bereits in der Beweiswürdigung näher dargestellt – nicht hervorgekommen.

Sonstige Anhaltspunkte für eine asylrelevante gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohung sind nicht hervorgekommen und wurden solche vom Beschwerdeführer auch gar nicht behauptet. Sohin kann insgesamt nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG 2005 droht, weshalb im Ergebnis dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten nicht zuzuerkennen war.

zu Spruchpunkt A) III.

Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Nach Abs 3 dieser Bestimmung sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht.

§ 11 Abs 1 AsylG 2005 ordnet an, dass Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann, und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Nach Abs 2 dieser Bestimmung ist bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 21. Mai 2019, Ra 2019/19/0006-3, ausgesprochen, dass aus dem Wortlaut des § 8 Abs 1 AsylG ableitbar ist, dass für die Gewährung subsidiären Schutzes bereits jegliche Gefahr (real risk) einer Verletzung von Art 3 EMRK an sich, und zwar unabhängig von einer Verursachung von Akteuren oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat ausreicht.

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095).

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 11 AsylG 2005). Ihre Inanspruchnahme muss dem Fremden zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort). Dass das mögliche Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 AsylG 2005, wonach sich die innerstaatliche Fluchtalternative, die als ein Kriterium u.a. die Zumutbarkeit des Aufenthalts in einem bestimmten Teil des Staatsgebietes vorsieht, auf den "Antrag auf internationalen Schutz" und somit auch auf jenen auf Zuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten bezieht (vgl. hierzu auch VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233).

Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat; es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härte zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können (VwGH 23.01.2018, Ra2018/18/0001). Dabei handelt es sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (VwGH 08.08.2017, Ra 2017/19/0118, mwN).

Vor diesem Hintergrund kann es im vorliegenden Fall daher dahingestellt bleiben, ob dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in seine Heimatregion möglich ist oder nicht, weil ihm jedenfalls in Mogadischu eine (ihm auch zumutbare) innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht.

Zwar wird nicht verkannt, dass die Sicherheitslage (auch) in der Stadt Mogadischu nach wie vor angespannt ist. Dennoch ist festzuhalten, dass die somalische Regierung bzw. AMISOM die Kontrolle über Mogadischu hat. Darüber hinaus ist Mogadischu eine über den Luftweg aufgrund des vorhandenen Flughafens sicher erreichbare Stadt.

Aus den Länderfeststellungen geht hervor, dass Anschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, in Mogadischu nicht auszuschließen sind und in regelmäßigen Abständen auch stattfinden. Diese vorwiegend der Terrororganisation Al Shabaab zuzuschreibenden Anschläge richten sich aber überwiegend gegen die Regierung. Die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen vermag für sich allein betrachtet nicht die Schlussfolgerung zu tragen, dass die Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat automatisch gegen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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