TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/25 I416 2231185-1

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Veröffentlicht am 25.06.2020
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Entscheidungsdatum

25.06.2020

Norm

ASVG §293
B-VG Art133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §51 Abs1 Z2
NAG §51 Abs1 Z3
NAG §53
NAG §55 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I416 2231185-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Luxemburg, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.03.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.       Mit Schriftsatz des Amtes der Wiener Landesregierung (MA 35) vom 30.12.2019, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon in Kenntnis gesetzt, dass der Beschwerdeführer am 18.1.2019 einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Zweck „Ausbildung“ eingebracht habe, dieser aber keine Unterlagen nachgereicht habe und der Studiennachweis sowie der Nachweis eines umfassenden Krankenversicherungsschutz bereits abgelaufen sei, weshalb die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 51 NAG nicht vorliegen würden und wurde mit gegenständlichen Schriftsatz gemäß § 55 Abs. 3 NAG die Prüfung einer mögliche Aufenthaltsbeendigung angeregt.

Mit Schriftsatz vom 28.01.2020, bezeichnet als „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“, wurde dem Beschwerdeführer eine Frist von 14 Tagen, zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme bezüglich der Beweisaufnahme in der Angelegenheit „Erlassung einer Ausweisung“, verbunden mit der Beantwortung eines umfassenden Fragenkataloges, gewährt. Mit E-Mail vom 13.2.2020 wurden seitens des Beschwerdeführers Unterlagen übermittelt, nämlich die Änderung des Studiendarlehensvertrags (Avenant au contrat de prêt étudiant) und Abtretungsvertrag (acte de session) der XXXX , beide datiert mit 31.01.2020.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.03.2020 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs 1 FPG iVm § 55 Abs 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs 3 FPG wurde dem Beschwerdeführer ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Grundlage der Entscheidung war, dass der Beschwerdeführer keinen Studiennachweis, keine Krankenversicherung und keine ausreichenden Existenzmittel nachgewiesen hatte.

Mit Schriftsatz vom 14.05.2020, bei der belangten Behörde am selben Tag eingelangt, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und legte einen Studiennachweis, einen Nachweis eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes eine aktuelle Bestätigung bezüglich der ihm gewährten Studienbeihilfe durch den luxemburgischen Staat, einen ZMR Auszug, die Kopie eines Kontoauszuges seine Studentenkontos per 31.3.2020, und ein Flugticket vom 12. März 2020 von Flughafen XXXX nach Luxemburg, vor.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 22.05.2020 vorgelegt.

Auch II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Großherzogtums Luxemburg. Seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer war vom 18.9.2018 bis 12.2.2019 und wieder ab 30.9.2019 mit Nebenwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet.

Die Beschwerdeführer stellte am 18.01.2019 einen Antrag auf Ausstellung einer „Anmeldebescheinigung – Ausbildung“. Die Beschwerdeführer ist ordentlicher Student an der Universität XXXX . Er verfügt über einen aufrechten und umfassenden Versicherungsschutz und verfügt aufgrund eines Stipendiums des luxemburgischen Staates über ausreichende Existenzmittel.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund des vorgelegten Personalausweises fest.

Die Feststellungen zu seinem bisherigen Aufenthalt im Bundesgebiet ergeben sich aus einem aktuellen ZMR Auszug.

Der Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung geht aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister und dem unbestrittenen Akteninhalt hervor.

Dass der Beschwerdeführer ordentlicher Student an der Universität XXXX ist, geht aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Studienbestätigungen hervor.

Der bestehende Versicherungsschutz geht aus dem vorgelegten Bestätigungsschreiben der luxemburgischen Krankenkasse (CAISSE NATIONALE DE SANTE) vom 24.04.2020 hervor.

Dass der Beschwerdeführer über ausreichende Existenzmittel verfügt, wird durch die vorgelegte Bestätigung des luxemburgischen Staates (cedies) vom 18.10.2018 und 17.03.2020 über die Studienbeihilfe nachgewiesen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.1. Rechtslage:

Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet:

"§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."

Gemäß § 55 Abs. 3 NAG hat die Behörde für den Fall, dass das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht besteht, weil eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hiervon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.“

§ 51 Abs. 1 NAG lautet:

"Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen."

Der mit "Anmeldebescheinigung" betitelte § 53 Abs. 1 und 2 Z 1-3 NAG lautet:

"§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1. nach § 51 Abs. 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;

2. nach § 51 Abs. 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;

3. nach § 51 Abs. 1 Z 3: Nachweise über die Zulassung zu einer Schule oder Bildungseinrichtung und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz sowie eine Erklärung oder sonstige Nachweise über ausreichende Existenzmittel;"

3.2. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger von Luxemburg ist sohin EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Im Rahmen der Prüfung des Tatbestandes des § 51 Abs. 1 Z 2 und Z 3 NAG 2005 ist (unter anderem) zu beurteilen, ob der Unionsbürger für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und ein umfassender Krankenversicherungsschutz besteht, sodass während des Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch genommen werden müssen. Für das Vorliegen ausreichender Existenzmittel genügt, wenn dem Unionsbürger die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen; hingegen stellt die Bestimmung keine Anforderungen an die Herkunft der Mittel, sodass diese auch von einem Drittstaatsangehörigen - etwa dem Elternteil des betroffenen Unionsbürgers - stammen können (Hinweis EuGH 19.10.2004, Zhu und Chen, C-200/02; EuGH 16.7.2015, Singh u. C- 218/14)." (vgl. auch VwGH 12.12.2017, Ra 2015/22/0149)

EWR-Bürger verfügen jedenfalls über ausreichende Existenzmittel, wenn diese über der im Aufnahmemitgliedstaat (hier: in Österreich) geltenden Sozialhilfegrenze liegen. Diese Grenze, die sich aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung ergibt, ist marginal niedriger als für sonstige Drittstaatsangehörige, für die zur Berechnung des Lebensunterhaltes die Richtsätze nach § 293 ASVG herangezogen werden. Zu beachten ist allerdings, dass nach Art 8 Abs 4 RL 2004/38/EG weder direkt noch indirekt ein fester Betrag für die Höhe der ausreichenden Existenzmittel festgelegt werden darf, bei dessen Unterschreiten das Aufenthaltsrecht automatisch versagt werden darf (EuGH 19.9.2013, C-140/12, Pensionsversicherungsanstalt/Brey). Die Behörden der Mitgliedstaaten müssen die persönliche Situation des Betroffenen berücksichtigen. Von einem Dritten stammende Mittel zum Lebensunterhalt müssen anerkannt werden (vgl EuGH 13.3.2006, C-408/03, Kommission/Belgien, Rn 40 ff). Existenzmittel müssen nicht in Form einer regelmäßigen Zahlung vorliegen. Es kann sich auch um angespartes Kapital handeln. Die für den Nachweis ausreichender Existenzmittel zulässigen Beweismittel dürfen nicht begrenzt werden (vgl EuGH 25.5.2000, C-424/98, Kommission/Italien, Rn 37). Höchstgerichtlich bestätigt wurde, dass die österreichische Ausgleichszulage als Leistung mit Sozialhilfecharakter zu qualifizieren ist (EuGH 19.9.2013, C-140/12, Pensionsversicherungsanstalt/Brey)." (siehe auch Abermann/Czech/Kind/Peyrl, NAG-Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (2015), § 51, II. B. 13)

Unter den im Gesetz nicht definierten Begriff der Berufsausbildung fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (jedenfalls) alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildungen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird. (vgl. VwGH 22.12.2011, 2009/16/0315).

Durch die Vorlage der Studienbestätigungen, des Schreibens seiner Krankenversicherung und der vorgelegten Bestätigungen des luxemburgischen Staates betreffend der ihm gewährten Studienbeihilfe erbrachte der Beschwerdeführer den notwendigen Nachweis gemäß § 53 Abs 2 Z 3 NAG (vgl. VwGH 25.04.2013, 2010/15/0099). Er betreibt das Bacherlorstudium der Geographie, ist krankenversichert und verfügt über ausreichende Existenzmittel.

Die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht iSd § 51 Abs. 1 Z 2 iVm Z 3 NAG liegen daher zum aktuellen Zeitpunkt vor.

Die Ausweisung erweist sich nunmehr als rechtswidrig. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

4. Entfall der mündlichen Verhandlung:

Im gegenständlichen Fall konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 1 Z 1 VwGVG unterbleiben, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ausweisung Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung EWR-Bürger Kassation Krankenversicherung Mittellosigkeit Studiennachweise

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I416.2231185.1.00

Im RIS seit

28.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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