Entscheidungsdatum
29.06.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
G302 2118553-2/2E
Im Namen der Republik!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Manfred ENZI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch RA Mag. Martin SAUSENG, in 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - XXXX - vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird gegen die Spruchpunkte I.– II. und IV.- VII. des angefochtenen Bescheids stattgegeben und werden diese Spruchpunkte ersatzlos behoben.
II. Der Beschwerde gegen den Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und wird aufgrund des Antrags von XXXX vom XXXX die Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter um zwei weitere Jahre gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 verlängert.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der XXXX , geb. XXXX (in weiterer Folge: BF) mit Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die mit Bescheid vom XXXX erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.). Der Antrag vom XXXX auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt III.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürgen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt V.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VII.).
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorlägen.
Gegen den im Spruch genannten Bescheid erhob der Vertreter des BF fristgerecht Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Der BF ist irakischer Staatsangehöriger, bekennt sich zum schiitisch muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Araber an.
Der BF war in seinem Herkunftsstaat als Verkäufer tätig. Er ist gesund und leidet an keiner lebensbedrohlichen Krankheit.
Die Mutter des BF lebt in Bagdad, wo sich ebenso sein Onkel und seine Schwester befinden. Der Bruder des BF lebt in Basra und seine zwei anderen Schwestern leben in Nasiriya. Der BF steht mit seiner Mutter telefonisch in Kontakt.
Der BF ist strafrechtlich unbescholten.
Der BF reiste am XXXX in Österreich ein und stellte am gleichen Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid der belangten Behörde vom XXXX , Zl. XXXX wurde dieser Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II). Dem BF wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt (Spruchpunkt III).
Im Bescheid vom XXXX wurde die Unzulässigkeit der Abschiebung wie folgt begründet:
„In Ihrem Fall ging die Behörde von einer realen Gefahr einer solchen Bedrohung aus, da den Länderfeststellungen zu entnehmen ist, dass für Sie als Zivilperson im Irak eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes gegeben ist.“
Die im Bescheid vom XXXX XXXX änderkundlichen Feststellungen (unter Heranziehung der im Bescheid im Detail angeführten und nachstehend abgekürzt zitierten Quellen) lauten auszugsweise wie folgt:
Sicherheitslage
Der Konflikt im Irak war 2014 der zweit-tödlichste (nach Syrien) weltweit. Es wurden 21.073 Todesopfer verzeichnet - damit haben sich die Opferzahlen im Irak verglichen zu 2013 (9.742 Todesopfer) mehr als verdoppelt. Auch die Anschlagskriminalität im Irak erreichte, vor allem durch die Taten des IS, 2014 erneut einen Höhepunkt. Die Anzahl der IrakerInnen, die 2014 Opfer von Anschlägen wurden, erreichte ein Ausmaß wie zuvor nur in den berüchtigten Bürgerkriegsjahren 2006/2007: über 12.000 tote und 23.000 verletzte ZivilistInnen (ÖB Amman 5.2015). UNAMI berichtet für den Monat Mai 2015, dass zumindest 665 Zivilisten getötet und 1,313 verletzt wurden. Die Provinz Bagdad war mit 343 getöteten Zivilisten dabei am stärksten betroffen, ebenfalls stark betroffen waren Diyala (134 getötete Zivilisten), Anbar (102 getötete Zivilisten), Nineweh (42 getötete Zivilisten), Salahdin (24 getötete Zivilisten) und Kirkuk (16 getötete Zivilisten). UNAMI wurde bei der Erfassung der Opferzahlen behindert, die Zahlen sollten daher als Minimumangaben gesehen werden (UNIRAQ 5.2015).
Nach dem Vormarsch des IS im Sommer 2014 ist nahezu die gesamte nicht-sunnitische Bevölkerung der Städte Mossul, Tal Afar und angrenzender Regionen, die der IS unter seine Kontrolle brachte, geflohen (ÖB Amman 5.2015).
Am 18. Juli 2014 forderte der IS (vormals: "ISIS - Islamischer Staat in Irak und Syrien") die Christen Mossuls auf, bis zum nächsten Tag entweder zum Islam zu konvertieren, Kopfsteuer zu zahlen oder die Stadt zu verlassen. Daraufhin flohen die noch verbliebenen Christen (The Daily Star 22.7.2014). Die Presse nennt die Zahl von 25.000 geflohenen ChristInnen (Die Presse 20.7.2014). Laut BBC soll es dann in Mossul keine ChristenInnen mehr gegeben haben (BBC News a 21.7.2014).
Während der IS die Christen "nur" vertreibt, werden Schiiten und Angehörige von kleinen Religionsgruppen wie die Jesiden und die Schabak vom IS noch viel schlimmer behandelt (zur schlechteren Behandlung von Schiiten: The Daily Star 22.7.2014) bzw. gleich umgebracht (zur Ermordung: Der Standard 20.7.2014). Viele Angehörige von diesen Religionsgruppen flohen aus Mossul Richtung Ninewa-Ebene oder Autonomieregion Kurdistan. Beim IS-Vormarsch in Ninewa flüchteten tausende Jesiden (vor allem in die kurdische Autonomieregion). Über 2.000 jesidische Männer wurden von Kämpfern des IS getötet und über 5.000 jesidische Frauen und Kinder wurden entführt. Der IS hat insbesondere Jesidinnen gezielt angegriffen, entführt, gefangen gehalten, vergewaltigt, zwangsverheiratet und verkauft. Nach Angaben offizieller jesidischer Vertreter werden noch rund 3.000 jesidische Frauen vom IS festgehalten. Es gibt keine gesicherten Angaben über die Zahl der im Irak lebenden Jesiden. Vor dem Einfall der IS-Kämpfer in Ninewa wurde ihre Zahl auf 500.000 geschätzt. Zigtausende Jesiden, die in die Berge flüchteten, wurden vom IS im Sindschar-Gebirge eingekesselt. Nur durch Luftbrücken und ein Eingreifen der YPG (militärischer Arm der syrischen kurdischen Organisation PYD) und der Peschmerga konnten sie gerettet werden (Standard 2.9.2014, vgl. Zeit 8.8.2014, vgl. Daily Star 18.8.2014).
Nachdem der Vormarsch der Islamisten im Norden nahe der Stadt Samarra vorerst gestoppt werden konnte, griffen die Islamisten Bagdad vom Süden her an. IS-Kommandos waren [vorübergehend] nur noch 20 Kilometer von der südlichen Stadtgrenze von Bagdad entfernt und operierten bereits im Umfeld des internationalen Flughafens (Zeit 8.8.2014). Nunmehr befindet sich der IS mit der Kontrolle über Städte wie Ramadi und Falludjah ca. 50 bis 100 km vor Bagdad (Al Arabya 25.4.2015).
Die IS-Kämpfer töteten Hunderte überwiegend schiitische Gefangene, als sie das Zentralgefängnis von Badush, westlich von Mossul, im Juni 2014 einnahmen.
Der IS tötete immer wieder auch Sunniten, denen er mangelnde Unterstützung unterstellte oder denen er vorwarf, für die irakische Regierung und die Sicherheitskräfte zu arbeiten oder in Diensten der US-Streitkräfte im Irak gestanden zu haben. Im Oktober 2014 ermordete der IS mehr als 320 Angehörige des sunnitischen Albu-Nimr-Stammes in Anbar, nachdem die Regierung sunnitische Stämme zum Kampf gegen den IS aufgerufen hatte und plante, sie mit Waffen auszurüsten. Im April 2015 erschoss der IS in der westirakischen Provinz Al-Anbar zusätzlich rund 300 gefangene Angehörige sunnitischer Stämme (AI 25.2.2015).
Die finanzielle Situation des IS ist mach wie vor stark. Bei den Einnahmenquellen des IS liegen laut einem Bericht der Rand Corporation Schutzgeld und Steuern, sowie Diebstahl aus irakischen Banken mittlerweile weit vor den Einnahmen aus Ölverkäufen (NY Times 19.5.2015).
Nachdem die IS-Milizen in Tikrit und weiteren Teile der Provinz Salahuddin an Gelände einbüßt hatten (Im März 2015 eroberten irakische Streitkräfte den Sitz der Provinzregierung in der Stadt Tikrit vom IS zurück (Standard 31.3.2015)), sah es zunächst so aus als wäre der IS in der Defensive und als hätte er eingeschränkte Kapazitäten für neue Offensiven. Dies stellte sich als Irrtum heraus, als er überraschend Ramadi, die Hauptstadt der Provinz Anbar einnahm, der bedeutendste Vorstoß des IS seit der Eroberung von Mossul im Juni 2014. Wieder konnten die irakischen Sicherheitskräfte, denen US-Ausbildner und Berater zur Seite stehen, nicht effektiv dagegenhalten. Die Provinzregierung von Anbar hat deshalb dafür gestimmt, Abadi zu ersuchen, schiitische Milizen in die sunnitische Stadt zu schicken. Diese sind nun unterwegs, mit den üblichen Befürchtungen der Sunniten, denn mit den Schiitenmilizen werden iranische Berater Teil der Kampagne (wobei es auch irakische schiitische Milizen gibt, die nicht mit dem Iran zusammenarbeiten) (Standard 18.5.2015). Beim Kampf um das vorwiegend von Sunniten bewohnte Ramadi haben sich der irakische Ministerpräsident Haidar al-Abadi, die USA und die Regierung der Provinz Anbar gegenüber einer Unterstützung durch schiitische Milizen kritisch gezeigt. Sie befürchteten ein neuerliches Aufflammen der Gewalt zwischen Schiiten und Sunniten, denn der irakischen Armee gelingt es nicht, effektive Kontrolle über die schiitischen Milizen auszuüben (Standard 18.5.2015). Schiitische Milizenführer dagegen argumentieren, dass es sich die Regierung nicht leisten könne, im Kampf gegen den IS auf die Unterstützung der schiitischen Milizen zu verzichten (Standard 18.5.2015).
Der Konflikt ist auch in Iraks Hauptstadt deutlich spürbar. In Bagdad finden immer wieder Bombenanschläge statt, die dem IS zugerechnet werden. So starben am 02.05.15 bei einem Autobombenanschlag vor einem Restaurant im Zentrum mindestens 13 Menschen, mindestens 40 wurden verletzt. Bei ähnlichen Anschlägen am 01.05.15 soll es 23 Tote gegeben haben (BAMF 5.5.2015). Alleine im Zeitraum von Jänner bis Mai 2015 gab es in Bagdad 5.717 Opfer unter der Zivilbevölkerung, davon kamen 1.609 Personen ums Leben und 4.108 wurden verletzt (UNIRAQ 1.-5.2015).
Die Sicherheitslage in der Provinz Erbil ist verglichen mit den meisten anderen Gebieten des Irak relativ stabil. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Provinz komplett frei von Vorfällen ist. Kriminalität und Grenzschmuggel beeinträchtigen die Sicherheitslage und dann und wann kommt es zu Anschlägen. Die Provinz Erbil ist, so wie die drei anderen kurdischen Provinzen, mit Landminen und nicht-explodierten Geschützen übersäht (NCCIRAQ 5.2015).
Menschenrechte
Die Menschenrechtsverhältnisse im Irak verschlechterten sich im Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr erheblich. Selbstmordattentate, Autobomben und Mordanschläge wurden häufiger. Der Konflikt breitete sich nach Norden aus, nachdem der IS Mossul eroberte. Besonders der IS beging im Irak zahlreiche Gräueltaten, einschließlich Autobomben, Selbstmordattentate, Massenexekutionen, Folter in Gefangenschaft, Diskriminierungen von Frauen, erzwungene Heirat, [ ], Zerstörung religiöser Stätten und Ermordung und Entführung von Mitgliedern bestimmter religiöser und ethnischer Minderheiten - insbesondere von Schiiten und Jesiden in der Provinz Nineveh (HRW 29.1.2015).
Die Menschenrechtsverletzungen des IS kommen laut den Vereinten Nationen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit, womöglich auch einem Genozid, gleich. Im Rahmen militärischer Auseinandersetzungen hat der IS mehrfach gezielt Zivilisten ins Visier genommen und dabei keinerlei Sinn für Proportionalität gezeigt: viele Zivilisten wurden getötet, teilweise sogar hingerichtet. Weiters kam es zu Entführungen, auch von AusländerInnen. Kinder sind Opfer von Gewalt bis hin zur Tötung geworden und viele wurden vom IS als Kindersoldaten rekrutiert - zudem sollen Kinder immer wieder als menschliche Schutzschilder für die Kämpfer des IS dienen. Mehrfach wurden Massengräber in vom IS-befreiten Gebieten gefunden - u.a. im Bezirk Saadiya, in der Region Albu Ajil und im Dorf Shamsa (südlich von Kirkuk). In ihrem Herrschaftsgebiet stellten die sunnitischen IS-Kämpfer die Anhänger anderer Religionen bzw. Konfessionen vor die Wahl, sich entweder zum Islam zu bekehren, Strafzahlungen zu leisten oder "dem Schwert entgegenzusehen" (ÖB Amman 5.2105).
Aber auch die irakische Armee und ihre Verbündeten, v.a. die schiitischen Milizen, haben sich schwerer Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht. Ihnen wird vorgeworfen, Massenerschießungen und Tötungen ohne Gerichtsverfahren von Gefangenen und Festgenommenen durchgeführt zu haben. Nach der Vertreibung des IS aus der Stadt Amerli und ihrer Umgebung plünderten die Milizen demnach das Eigentum sunnitischer ZivilistInnen, die vor den Kämpfen geflüchtet waren, brannten ihre Häuser und Geschäfte nieder und zerstörten mindestens zwei Dörfer vollständig. Zudem liegen Menschenrechtsorganisationen zahlreiche Berichte über mutmaßliche Tötungen und andere Kriegsverbrechen in weiteren Regionen des Irak vor (ÖB Amman 5.2105).
Es gab im gesamten Irak beträchtliche systemische Probleme in der Justiz, z.B. bezüglich des Vertrauens auf Verurteilungen, die auf Grund von Geständnissen zustande kamen, bezüglich Folterungen, die durchgeführt wurden, um Geständnisse zu erlangen, bezüglich der schlechten Zustände in Gefängnissen, und bezüglich des Festhaltens an der Todesstrafe insbesondere bei terroristischen Vergehen (FCO 12.3.2015). Die irakischen Behörden hielten Tausende Menschen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Haft, denen Verstöße gegen die Antiterrorgesetze vorgeworfen wurden (AI 25.2.2015).
Auf dem Weltpressefreiheitsindex 2014 belegt der Irak Platz 153 von 180 und liegt damit nur unwesentlich besser als am absoluten Tiefpunkt von Platz 158 im Jahr 2008. Zudem war der Irak im Jahr 2014 das viert-tödlichste Land für Journalisten - was insbesondere mit Gewaltakten an Journalisten durch den IS zusammenhängt (ÖB Amman 5.2015).
Mit Schriftsatz vom XXXX erhob der BF durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter Beschwerde hinsichtlich des ersten Spruchpunktes. Mit Schreiben vom XXXX teilte der BF mit, dass er die Beschwerde gegen den Bescheid vom XXXX zurückziehe. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes L524 2118553-1/12E wurde das Verfahren gemäß der §§ 28 Abs. 1, § 31 Abs. 1 VwGVG wegen Zurückziehung der Beschwerde eingestellt.
1.2. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte der BF fristgerecht einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung bei der belangten Behörde ein. Mit Bescheid der belangten Behörde vom XXXX wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum XXXX verlängert.
Im Verlängerungsbescheid vom XXXX stellte die belangte Behörde unter anderem Folgendes fest:
„Aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage in Ihrem Herkunftsstaat in Verbindung mit Ihrem Vorbringen bzw. Ihrem Antrag konnte das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet werden.“
Da dem Antrag vollinhaltlich stattgegeben wurde, entfiel gemäß § 58 Abs. 2 AVG eine nähere Begründung.
1.3. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte der BF fristgerecht einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung bei der belangten Behörde ein.
In dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom XXXX , mit dem BF gemäß § 9 Abs. 1 AsylG der mit Bescheid vom XXXX zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt wurde führte die belangte Behörde zur Sicherheitslage in Bagdad Folgende aus (Aktenseiten 49ff):
Sicherheitslage Bagdad
Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).
Im Jahr 2016 verzeichnete die Provinz Bagdad noch immer die höchste Zahl an Opfern im gesamten Land. Die Sicherheitslage verbesserte sich jedoch in Bagdad als die Schlacht um Mosul begann. Während Joel Wing im Januar 2016 in Bagdad noch durchschnittlich 11,6 Angriffe pro Tag verzeichnete, sank diese Zahl zwischen April und September 2017 auf durchschnittlich 3 Angriffe pro Tag (OFPRA 10.11.2017; vgl. Joel Wing 8.7.2017, Joel Wing 4.10.2017). Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad allmählich zurückgegangen. Es gab einen Rückgang an IS-Aktivität, nach den Vorstößen der irakischen Truppen im Nordirak, obwohl der IS weiterhin regelmäßig Angriffe gegen militärische und zivile Ziele durchführt, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in schiitischen Stadtvierteln. Darüber hinaus sind sunnitische Bewohner der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen ausgesetzt, einschließlich Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen (OFPRA 10.11.2017).
Terroristische und politisch motivierte Gewalt setzte sich das ganze Jahr 2017 über fort. Bagdad war besonders betroffen. UNAMI berichtete, dass es von Januar bis Oktober 2017 in Bagdad fast täglich zu Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern kam. Laut UNAMI zielten einige Angriffe auf Regierungsgebäude oder Checkpoints ab, die von Sicherheitskräften besetzt waren, während viele andere Angriffe auf Zivilisten gerichtet waren. Der IS führte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch, einschließlich Autobomben- und Selbstmordattentate (USDOS 20.4.2018).
Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).
Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz Bagdad zu 65 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Damit verzeichnete Bagdad die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land (Joel Wing 6.10.2018). Auch in der ersten und dritten Oktoberwoche 2018 führte Bagdad das Land in Bezug auf die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle an. Wenn man jedoch die Größe der Stadt bedenkt, sind Angriffe immer noch selten (Joel Wing 9.10.2018 und Joel Wing 30.10.2018).
In Bezug auf die Opferzahlen war Bagdad von Januar bis März 2018, im Mai 2018, sowie von Juli bis September 2018 die am schwersten betroffene Provinz im Land (UNAMI 1.2.2018; UNAMI 2.3.2018; UNAMI 4.4.2018; UNAMI 31.5.2018; UNAMI 1.8.2018; UNAMI 3.9.2018; UNAMI 1.10.2018). Im September 2018 verzeichnete UNAMI beispielsweise 101 zivile Opfer in Bagdad (31 Tote, 70 Verletzte) (UNAMI 1.10.2018).
1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat werden außerdem die für das gegenständliche Verfahren relevanten Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Irak vom 17.03.2020 festgestellt:
Sicherheitslage
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020
- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020
- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
Islamischer Staat (IS)
Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).
Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).
Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).
Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).
Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).
Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).
Quellen:
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 13.3.2020
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- BBC News (23.12.2019): Isis in Iraq: Militants 'getting stronger again', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50850325, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- Garda World (3.3.2020): Iraq Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/iraq, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020
- Military Times (7.7.2019): Iraqi forces begin operation against ISIS along Syrian border, https://www.militarytimes.com/flashpoints/2019/07/07/iraqi-forces-begin-operation-against-isis-along-syrian-border/, Zugriff 13.3.2020
- NINA - National Iraqi News Agency (17.1.2020): ISIS Elements executed a herd of buffalo by firing bullets northeast of Baquba. http://ninanews.com/Website/News/Details?key=808154, Zugriff 13.3.2020
- PGN - Political Geography Now (11.1.2020): Iraq Control Map & Timeline - January 2020, https://www.polgeonow.com/2020/01/isis-iraq-control-map-2020.html, Zugriff 13.3.2020
- Portal, The (9.10.2019): Iraq launches a new process of “Will to Victory”, http://www.theportal-center.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).
Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).
Quellen:
- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020
- IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019,https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
Sicherheitslage Bagdad
Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).
Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).
Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).
Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl Joel Wing 5.3.2020)
Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).
Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.
Quellen:
- Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020
- OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 13.3.2020
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Name, Geburtsdatum, Geburtsort) zur Staatsangehörigkeit, zum familiären Umfeld im Heimatstaat, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde, sowie den Angaben des BF im Verfahren, in seiner Beschwerde und den vorgelegten Unterlagen.
Das Bundesverwaltungsgericht nahm weiters hinsichtlich des BF Einsicht in das Fremdenregister, das Zentrale Melderegister, das Strafregister sowie in die Grundversorgungs- und Sozialversicherungsdaten und holte die aktenkundigen Auszüge ein.
Dass sich die persönliche Situation des BF im Irak nicht verändert hat, ergibt sich aus dem Umstand, dass der BF bereits bei der Zuerkennung des subsidiär Schutzberechtigten im Jahr 2015 und naturgemäß auch zum Zeitpunkt der letzten Verlängerung seiner Aufenthaltsberechtigung im Jahr 2016 volljährig und auch arbeitsfähig sowie über Schul- und Berufserfahrung verfügte. Auch die aktuell bestehenden familiären Anknüpfungspunkte waren zu diesem Zeitpunkt bereits gegeben.
Die Feststellung, dass im Herkunftsstaat des BF insbesondere in Bagdad, keine nachhaltige Verbesserung der Sicherheits- und Versorgungslage eingetreten ist, ergibt sich aus einem Vergleich des Bescheides der belangten Behörde vom XXXX , mit welchem dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde mit dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Irak.
So ergibt sich etwa aus dem Bescheid der belangten Behörde vom XXXX , dass im Irak ebenso die irakische Armee und ihre Verbündeten, v.a. die schiitischen Milizen, sich schwerer Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben. Setzt man nun diese Berichte, insbesondere jene im Bescheid vom XXXX in Vergleich zu den aktuellen Länderfeststellungen, kann daraus keine nachhaltige Verbesserung der Sicherheitslage in der Herkunftsregion des BF erkannt werden.
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf den angeführten Quellen. Es handelt sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation im Irak ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Stattgabe und ersatzlose Behebung der Spruchpunkte I.-II. und IV.-VII.:
Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht (1. Fall) oder nicht mehr (2. Fall) vorliegen.
Zur richtlinienkonformen Interpretation:
Artikel 16 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 304 (in der Folge: Status-RL), über das Erlöschen des subsidiären Schutzes lauten:
(1) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser hat keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist.
(2) Bei Anwendung des Absatzes 1 berücksichtigen die Mitgliedstaaten, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
Art. 19 Abs. 1 und 4 Richtlinie 2004/83/EG lauten:
(1) Bei Anträgen auf internationalen Schutz, die nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG gestellt wurden, erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen den von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannten subsidiären Schutzstatus ab, beenden diesen oder lehnen seine Verlängerung ab, wenn die betreffende Person gemäß Artikel 16 nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann.
(4) Unbeschadet der Pflicht des Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, gemäß Artikel 4 Absatz 1 alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen, weist der Mitgliedstaat, der ihm den subsidiären Schutzstatus zuerkannt hat, in jedem Einzelfall nach, dass die betreffende Person gemäß den Absätzen 1 bis 3 dieses Artikels keinen oder nicht mehr Anspruch auf subsidiären Schutz hat.
Während der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 die Konstellation erfasst, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiärem Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat, betrifft § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 jene Konstellationen, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (VwGH 14.08.2019, Ra 2016/20/0038).
Aus den Feststellungen des angefochtenen Bescheides ergibt sich, dass es sich um die Anwendung des zweiten Falles des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG handelt (vgl. Bescheid S. 11: "Festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen.“)
Im zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG, in dem die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen, wird auf eine Änderung der Umstände abgestellt, die so wesentlich und nicht nur vorübergehend ist, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hatte, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 26.11.2015 wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in den Irak als nicht zulässig erklärt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Dieser Ausspruch wurde dabei im Wesentlichen mit der damaligen Lage im Irak (prekäre Sicherheits- und Menschenrechtslage) begründet.
Sofern die belangte Behörde im nunmehr angefochtenen Bescheid die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG damit begründet, dass sich die Situation im Irak seit 2014 verbessert habe, keine Gefahr der Zwangsrekrutierung mehr bestehe, die Mitglieder des Islamischen Staates (IS), die maßgeblich für die schlechte Situation im Irak waren nahezu besiegt seien, und die allgemeine Lage im Irak außerdem nicht derart schlecht sei, dass dem BF ein Aufenthalt im Heimatland nicht zumutbar wäre, ist auf die rezente Judikatur des VwGH (17.10.2019, Ro 2019/18/0005) zu verweisen, wonach bei der Prüfung der Änderung des maßgeblichen Sachverhalts die letzte Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als Vergleichsentscheidung heranzuziehen ist. Wie beweiswürdigend ausgeführt wurde, konnte jedoch seit dem Bescheid vom 26.11.2015 bzw. dem letzten Verlängerungsbescheid vom 11.11.2016 keine nachhaltige Änderung bzw. Verbesserung der Lage im Irak erkannt werden. Auch durch das für den aktuellen Zeitpunkt relevante Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Irak kann auf keine nachhaltige Verbesserung der Sicherheitslage im Irak geschlossen werden.
Auch eine wesentliche Änderung im Hinblick auf die individuelle Situation des BF konnte, wie beweiswürdigend ausgeführt wurde, nicht festgestellt werden.
Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG lagen sohin mangels wesentlicher und nachhaltiger Änderung der maßgeblichen Umstände gegenständlich nicht vor.
Auch sonst liegen keine Anhaltspunkte für die Erfüllung eines anderen Aberkennungstatbestandes nach § 9 AsylG vor (vgl. VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005 zur Verpflichtung des Bundesverwaltungsgerichts, bei entsprechenden Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Aberkennungstatbestandes sämtliche Prüfschritte und Aussprüche im Verfahren zur Aberkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 9 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 vorzunehmen).
Das Bundesverwaltungsgericht gelangt somit abschließend zu dem Ergebnis, dass der Beschwerde gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 2. Fall AsylG stattzugeben und der angefochtene Bescheid in diesem Umfang ersatzlos zu beheben war.
Da sohin die Spruchpunkte über die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ersatzlos zu beheben waren (Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides) waren auch die darauf aufbauenden Spruchpunkte - die Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt IV.), die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG (Spruchpunkt V.) die Feststellung über die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 52 Abs. 9 FPG (Spruchpunkt VI.) sowie die Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 FPG (Spruchpunkt VII.) - ersatzlos aufzuheben.
3.2. Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung
Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt für ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
Wie oben bereits ausführlich dargelegt, liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an BF weiterhin vor, da insbesondere nicht festgestellt werden konnte, dass sich die Gründe, aus denen BF der Status zuerkannt wurde, nachhaltig und wesentlich geändert hätten. Aberkennungsgründe nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 liegen nicht vor.
Das Bundesverwaltungsgericht kommt somit zu dem Ergebnis, dass der Beschwerde auch gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids stattzugeben und die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF für die Dauer von zwei weiteren Jahren zu verlängern war.
4. Entfall der mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 3 hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. Gemäß Abs. 4 kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Gemäß Abs. 5 kann das Verwaltungsgericht von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Der für diesen Fall maßgebliche Sachverhalt konnte als durch die Aktenlage bzw. des durch das Gericht weitergeführte Ermittlungsverfahren hinreichend geklärt erachtet werden. In der Beschwerde wurden keine noch zu klärenden Tatsachenfragen in konkreter und substantiierter Weise aufgeworfen und war gegenständlich auch keine komplexe Rechtsfrage zu lösen (VwGH 31.07.2007, GZ 2005/05/0080). Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen. Diesbezüglich wird zudem auf die Entscheidung des VwGH Zl. 2013/08/0424 verwiesen.
Es konnte daher gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung Behebung der Entscheidung subsidiärer Schutz Voraussetzungen Wegfall der GründeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G302.2118553.2.00