TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/2 W102 2201861-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.07.2020
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Entscheidungsdatum

02.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W102 2201861-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, vom 19.06.2018, Zl. XXXX - XXXX - XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.09.2019 zu Recht erkannt:

A)       Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Sadat, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 09.02.2016 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 09.02.2016 gab der Beschwerdeführer zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, seine Mutter sei verstorben, der Vater verschwunden. Er sei mit dem Cousin seines Vaters aus Afghanistan geflüchtet. Er habe in Afghanistan niemanden, außer seiner Schwester, diese sei verheiratet und habe ihn nicht aufnehmen wollen. Sein Stiefvater könne nicht zurück, also wolle er auch nicht zurück.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.05.2018 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, sein Vater sei süchtig gewesen und in den Iran gegangen, um zu arbeiten. Seither bestehe kein Kontakt. Der Beschwerdeführer sei dann bei der Großmutter aufgewachsen und nach ihrem Tod habe er bei der Familie eines Freundes der Großmutter gelebt. Mit dieser Familie sei er aus Afghanistan ausgereist, deren Probleme hätten ihn insofern betroffen, als er mit ihnen zusammengelebt habe. Er habe nicht zurückbleiben können, weil er sonst niemanden gehabt habe. Es habe Probleme wegen der Tochter der Familie gegeben, dabei sei er auch an einer körperlichen Auseinandersetzung beteiligt gewesen. Es habe ihn nicht direkt betroffen, er sei als Mitglied der Familie angesehen worden. Er habe in Afghanistan keinen familiären Anschluss, die Sicherheitslage und die Lage der Schiiten hätten sich verschlechtert.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 19.06.2018, zugestellt am 27.06.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgestellt, es bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.) und zudem einer Beschwerde gegen die Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Begründend führte die belangte Behörde aus, die Ausreisegründe würden sich lediglich darauf beziehen, dass der Beschwerdeführer mit seiner Ziehfamilie habe zusammen sein wollen, maßgebliche Verfolgung im Sinne der GFK habe der Beschwerdeführer nicht vorgebracht. Kabul sei relativ sicher, dem Beschwerdeführer sei im Rückkehrfall die Lebensgrundlage nicht gänzlich entzogen, er habe familiäre Anknüpfungspunkte in Kabul und verfüge über einschlägige Ortskenntnisse, sei jung, gesund und arbeitsfähig und habe Schulbildung auf Maturaniveau.

3.       Gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.06.2018 richtet sich die am 23.07.2018 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer sei nicht ausreichend zu seinem Fluchtvorbringen befragt worden, die Behörde habe das Vorbringen gänzlich ignoriert. Der Beschwerdeführer habe die Tochter der Familie später heiraten sollen. Ein mächtiger, älterer Paschtune habe sie heiraten wollen, dem habe sich die Tochter verwehrt und habe der Beschwerdeführer als Verlobter sie dabei unterstützt. Der Heiratswerber habe sich durch die Weigerung in seiner Ehre verletzt gefühlt und Druck auf die Familie und den Beschwerdeführer ausgeübt, es sei zu einer physischen Auseinandersetzung gekommen und sei der Beschwerdeführer aufgrund der fortschreitenden Bedrohung aus Angst vor Verfolgung ausgereist. Im Österreich sei es zu einem Bruch zwischen der Ziehfamilie, dem Beschwerdeführer und der Tochter gekommen und sei auch die Verlobung gelöst worden. Der Beschwerdeführer sei von Blutrache infolge der Verweigerung der Zwangsehe bedroht, sowie hinsichtlich der Lage von Rückkehrern, die aufgrund ihres Aufenthaltes in westlichen Ländern einen „westlichen Lebensstil“ angenommen hätten. Staatlicher Schutz bestehe nicht. Die Länderberichte seien unvollständig und teilweise veraltet. Die Sicherheitslage sei schlecht, ebenso die Versorgungslage.

Am 31.07.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der dieser die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sowie ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten anregt. Diese Stellungnahme übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der belangten Behörde mit Schreiben vom 31.07.2018 zur Kenntnisnahme.

Mit Teilerkenntnis vom 31.07.2018, Zl. W139 2201861-1/5Z, gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) statt und behob Spruchpunkt VII. ersatzlos.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 13.03.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und in der Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 16.09.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, ihm drohe wegen der Auseinandersetzung hinsichtlich der Zwangsehe Verfolgung im Wesentlichen aufrecht. Zudem habe er seine Denkweise und umgestellt und vertrete nunmehr eine liberale Auslegung des Islam.

Am 23.10.2019 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der ausgeführt wird, der Beschwerdeführer habe zu seiner Stieffamilie regelmäßigen Kontakt, habe auch eine österreichische Lebensgefährtin und einen großen Freundeskreis. Er sei außerordentlich gut integriert und habe mittlerweile das C1 Niveau erreicht. Das Länderinformationsblatt gehe nicht ausreichend auf die Bedrohung durch Blutrache und Blasphemie ein.

Mit Schreiben vom 08.04.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit E-Mail vom 09.04.2020 verzichtete die belangte Behörde auf die Abgabe einer Stellungnahme. Die Stellungnahme des Beschwerdeführers langte mit E-Mail vom 18.05.2020 am Bundesverwaltungsgericht ein.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Kopie der Tazkira des Beschwerdeführers

?        Kopie des afghanischen Schulabschlusszeugnisses des Beschwerdeführers

?        Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse

?        ÖSD-Zertifikate A2 vom 10.02.2017 (erstmals vorgelegt am 28.05.2018)

?        ÖSD-Zertifikate B1 vom 21.07.2017 (erstmals vorgelegt am 28.05.2018)

?        ÖSD-Zertifikate B2 vom 27.02.2018 (erstmals vorgelegt am 28.05.2018)

?        ÖSD-Zertifikate C1 vom 22.07.2019 (erstmals vorgelegt am 23.10.2019)

?        Bestätigungen über gemeinnützige Tätigkeit des Beschwerdeführers

?        Tiroler Integrationspass

?        Diverse Fotos

?        Mehrere Lebensläufe und Bewerbungen des Beschwerdeführers für Lehrstellen als Koch

?        Vertrag über eine Bittleihe betreffend die Wohngelegenheit des Beschwerdeführers

?        Weihnachtskarte von einigen Kindern

?        Einstellungszusage

?        Mehrere Empfehlungsschreiben

?        Unterlagen betreffend „Ergänzungsprüfung“ für die Studienrichtung „Rechtswissenschaften“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde im Jahr XXXX in XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Sadat und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari.

Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wuchs in Kabul bei seiner Großmutter väterlicherseits auf. Zudem kümmerte sich ein im Akt namentlich genannter Freund der Großmutter auch um diese und den Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer hat in Kabul zwölf Jahre die Schule besucht und mit Universitätsreife abgeschlossen. Anschließend hat der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat in Summe etwa ein Jahr als Schuster und Metallarbeiter gearbeitet. Nach dem Tod der Großmutter lebte der Beschwerdeführer beim genannten Freund der Großmutter („Ziehvater“) und reiste schließlich mit diesem und dessen Familie in den Iran aus, wo er ein Jahr lebte

Die Mutter des Beschwerdeführers ist vor vielen Jahren verstorben, sein Vater war drogenabhängig und reiste in den Iran aus, der Beschwerdeführer hat seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm. Ob der Vater noch am Leben ist und wo er sich aufhält, weiß der Beschwerdeführer nicht.

Der Beschwerdeführer hat eine ältere Schwester, diese ist verheiratet und lebt in Kabul. Der Kontakt zu ihr gestaltet sich schwierig, deren Ehemann und der Beschwerdeführer haben kein gutes Verhältnis.

Verwandte mütterlicherseits leben im Iran, der Beschwerdeführer kennt sie persönlich von einem einmaligen Besuch. Kontakt zu ihnen besteht nicht.

Im Bundesgebiet ist der „Ziehvater“ des Beschwerdeführers mit seiner Familie aufhältig. Die Verfahren über deren Anträge auf internationalen Schutz sind vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig (Zl. W104 2187081-1 u.a.).

Der ehemaligen Verlobten des Beschwerdeführers wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Die Verlobung wurde von den beiden einvernehmlich gelöst.

Der Beschwerdeführer hat während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet laufend Deutschkurse besucht und verfügt mittlerweile über Deutschkenntnisse auf dem Niveau C1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Zudem war er im Jahr 2016 mehrere Monate als ehrenamtlicher Schulassistent in einer Volksschule im Einsatz und hat sich dort auch als Dolmetscher im Lehrer-Kontakt mit Eltern nicht deutscher Muttersprache eingebracht. Auch ist er im Rahmen der Freiwilligenplattform „ XXXX “ aktiv, wo er sich an Almpflegeaktionen beteiligt hat. Außerdem hat der Beschwerdeführer versucht, eine Lehrstelle als Koch zu finden, jedoch keine Arbeitsbewilligung erhalten. Seit Dezember 2016 lebt der Beschwerdeführer in einem Kloster, dass ihm ein Zimmer zur Nutzung zu Wohnzwecken prekaristisch überlässt. Im Kloster beteiligt sich der Beschwerdeführer an der Gartenarbeit und leistet in der Behindertenbetreuungseinrichtung der XXXX neben dem Kloster ehrenamtlich Aushilfsarbeiten. Außerdem hat der Beschwerdeführer an mehreren Integrations-Veranstaltungen der XXXX teilgenommen, darunter an einer Podiumsdiskussion. Seit dem Sommersemester 2019 ist der Beschwerdeführer als außerordentlicher Studierender der Studienrichtung Rechtswissenschaften an der XXXX -Universität XXXX zugelassen. Der Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet soziale Kontakte geknüpft und Freundschaften geschlossen.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer hat nach seiner Einreise in das Bundesgebiet begonnen, sich mit seiner Religion kritisch auseinanderzusetzen. Er bekennt sich zum schiitischen Islam, vertritt aber eine liberale Auslegung des Islam, die Kritik zulässt und ein Nebeneinander der Religionen befürwortet.

Wegen seiner liberalen Auslegung des Islam und kritischer Fragen zum Islam hinsichtlich der Unfehlbarkeit Mohammeds wurde er in Österreich von seinem Gebetsverein aufgefordert, blasphemische Fragen zu unterlassen und schließlich ausgeschlossen.

Im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat wäre der Beschwerdeführer, wenn er sich seiner religiösen Überzeugung entsprechend „islamkritisch“ äußert oder ein Nebeneinander der Religionen befürwortet, davon bedroht, der Blasphemie bezichtigt und mit staatlicher Strafverfolgung bis hin zur Todesstrafe und Übergriffen durch Privatpersonen konfrontiert zu werden. Diese Gefahr besteht landesweit.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seine Staatsangehörigkeit und Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, sowie seinem Lebenswandel und seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat beruhen auf den gleichbleibenden und plausiblen Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht. Auch die belangte Behörde zog diese Angaben des Beschwerdeführers nicht in Zweifel und legte sie ihrer Entscheidung erkennbar zugrunde.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Dass der Beschwerdeführer gesund ist, ergibt sich daraus, dass im Lauf des Verfahrens auch keine ärztlichen Unterlagen vorgelegt wurden, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Beschwerdeführers nachweisen würden. So gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.09.2019 zwar an, er müsse einen Psychiater aufsuchen, er fühle sich nicht sehr gut, verspüre innere Unruhe und habe Schlafprobleme (OZ 15, S. 3). In der Folge brachte der Beschwerdeführer jedoch keinerlei Unterlagen in Vorlage, sodass davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer gesund ist.

Die Feststellung zum Aufenthalt des „Ziehvaters“ des Beschwerdeführers mit seiner Familie im Bundesgebiet beruht auf den Angaben des Beschwerdeführers, die das Bundesverwaltungsgericht durch Einsichtnahme in die diesbezüglichen Verfahrensakten verifizieren konnte.

Dass der ehemaligen Verlobten des Beschwerdeführers vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, geht aus deren im Akt einliegenden Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem hervor, wobei auch der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.09.2019 angegeben hat, dass seine ehemalige Verlobte „Asyl bekommen“ hat (OZ 15, S. 4). Dies geht auch aus dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.12.2018, Zl. XXXX – XXXX hervor. Dass die Verlobung einvernehmlich gelöst wurde, hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.09.2019 angegeben (S. 4-5).

Die Feststellungen zum Deutschkursbesuch des Beschwerdeführers beruhen auf den diesbezüglich vorgelegten Teilnahmebestätigungen. Zudem hat der Beschwerdeführer laufend ÖSD-Prüfungen abgelegt und mit Zertifikat vom 22.07.2019, vorgelegt am 23.10.2019 (OZ 17) nachgewiesen, dass er nunmehr über Deutschkenntnisse auf dem Niveau C1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt. Die Feststellung zur ehrenamtlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers als Schulassistent und Dolmetscher beruht auf dem vorgelegten „Arbeitsbescheinigung“ (AS 341), wobei der Beschwerdeführer zudem eine Weihnachtskarte der von ihm betreuten Schulklasse vorgelegt hat (AS 403-405). Auch zu seiner Teilnahme an der Freiwilligenplattform „ XXXX “ hat der Beschwerdeführer eine Bestätigung und zudem Fotos vorgelegt (OZ 17). Zur Lehrstellensuche hat der Beschwerdeführer Bewerbungsunterlagen vorgelegt (AS 389 f., AS 425 ff., AS 700). Die Feststellung zur Wohnsituation des Beschwerdeführers beruht auf der in der niederschriftlichen Einvernahme am 28.05.2018 in Vorlage gebrachten „Vereinbarung über eine Bittleihe“ (AS 397 ff.), wobei aus dem im Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister hervorgeht, dass der Beschwerdeführer nach wie vor dort lebt. Dass der Beschwerdeführer sich an der Gartenarbeit beteiligt, geht aus den Empfehlungsschreiben von Br. XXXX (AS 707) und XXXX (AS 708). Zu seiner Tätigkeit für die XXXX hat der Beschwerdeführer ein Bestätigungsschreiben vorgelegt (OZ 17). Zu seiner Mitwirkung an Veranstaltungen der XXXX hat der Beschwerdeführer ein Bestätigungsschreiben und Fotos vorgelegt (OZ 17). Die Feststellungen zum Studium des Beschwerdeführers beruhen auf den dazu vorgelegten Dokumenten (OZ 17). Im Hinblick auf seine sozialen Kontakte hat der Beschwerdeführer einige Empfehlungsschreiben vorgelegt (AS 701 ff).

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.09.2019 vor dem Hintergrund der Länderberichte in Zusammenschau mit seinen Lebensumständen in Österreich.

Der Beschwerdeführer schildert erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.09.2019 konkret, er habe seine Denkweise umgestellt und könne mit dieser Denkweise in Kabul nicht leben (OZ 15, S. 5) und legt zu den Hintergründen dar, er habe durch sein Leben im Kloster die Denkweise und die Religion besser kennengelernt und sei mit verschiedenen Denkweisen in Berührung gekommen. Er bekenne sich offiziell zum Islam, sei aber liberal und gegenüber anderen Religionen tolerant geworden. Diese Offenheit habe schlechte Auswirkungen auf sein Leben. Er sei in einem Gebetsverein Mitglied gewesen und sei wegen seiner Offenheit von dieser Gesellschaft ausgeschlossen worden, weil er die Frage gestellt habe, warum Muslime glauben würden, dass Mohammed unfehlbar sei. Hätte er diese Frage einem Imam in Kabul gestellt, wäre sein Leben in Gefahr gewesen (OZ 15, S. 6). Daran anknüpfend führt der Beschwerdeführer mit Stellungnahme vom 22.10.2019, eingelangt am 23.10.2019, unter Bezugnahme auf diverse Länderberichte aus, er habe sich eine äußerst liberale Auslegung des Islam zu eigen gemacht (OZ 18, S. 4) und bestehe deshalb die Gefahr von Übergriffen (OZ 18, S. 7-9).

Zwar erstattet der Beschwerdeführer sein Vorbringen hinsichtlich einer geänderten Denkweise sehr spät im Lauf des Verfahrens. Dies ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Einzelrichters nicht als Grundlage dafür zu sehen, dass dem Beschwerdeführer im Hinblick auf seine Glaubensüberzeugung keine Glaubwürdigkeit zukommt. So liegt es in der Natur von Glaubensüberzeugungen und Denkweisen, dass diese erst mit der Zeit reifen und verinnerlicht werden, wobei der zwischen niederschriftlicher Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.05.2018 und mündlicher Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.09.2019 verstrichene Zeitraum von mehr als einem Jahr eine Weiterentwicklung religiöser Überzeugungen durchaus erlaubt.

In Hinblick auf die Glaubensüberzeugung des Beschwerdeführers wird der Beschwerdeführer etwa in den vorgelegten Empfehlungsschreiben wiederholt als sehr religiös und zielstrebig in seinem Glauben beschrieben (AS 702, AS 704, AS 707), wobei auch sein Interesse an Gesprächen über Religion und Kultur (AS 703, AS 711) und insbesondere sein Wille zur Auseinandersetzung mit Glaubensinhalt und den mit ihnen verbundenen Werten (AS 704) bzw. sein Interesse an philosophie-theologischen Auseinandersetzungen betont wird (AS 705, AS 707). Dass der Beschwerdeführer seiner religiösen Überzeugung große Bedeutung beimisst, geht im Übrigen auch daraus hervor, dass er wiederholt seine Abstammung als Sadat vom Propheten Mohammed betont (AS 72, AS 75), sowie, dass er „Seyed“ als religiösen Präfix vor seinem Namen trägt und hierauf auch hinweist. Auch stellt er mit E-Mails vom 05.06.2018 an die belangte Behörde nochmals sein religiöses Selbstverständnis klar (AS 447 ff.).

Der Beschwerdeführer selbst beschreibt den Werdegang seiner religiösen Überzeugung im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht insofern, als er angibt: „Zuerst als ich nach Österreich gekommen bin, war ich sehr konservativ, jetzt bin ich eher liberal.“ (OZ 15, S. 4) und führt an, dass er insbesondere im Kloster die Religion und Denkweise besser kennengelernt habe und offener und toleranter geworden sei (S. 6). Dies entspricht im Übrigen auch dem Bild, dass vom Beschwerdeführer als religiös-interessiertem und diskussionsbereitem Menschen in den bereits oben zitierten Empfehlungsschreiben vermittelt wird. Zudem lässt auch die gesellschaftliche Einbettung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet plausibel erscheinen, dass er sich – beeinflusst von „westlich-religiösen“ Einstellungen über mehrere Jahre – eine liberale Denkweise im Hinblick auf Religion angeeignet hat, so wie sie in Österreich verbreitet ist. Dies wird im Übrigen auch dadurch gestützt, dass der Beschwerdeführer und seine ehemalige Verlobte ihre Verlobung einvernehmlich gelöst haben und weiterhin ein gutes Verhältnis pflegen. Weiter schilderte der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht lebendig und augenscheinlich aufrichtig verärgert, wie er in Österreich wegen seinen ausgesprochenen Zweifeln an der Unfehlbarkeit Mohammeds zunächst gemaßregelt und dann vom Gebetsverein ausgeschlossen wurde.

Insgesamt kommt das Bundesverwaltungsgericht unter Abwägung der eben geschilderten Anhaltspunkte unter Berücksichtigung des in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 16.09.2019 vom Beschwerdeführer gewonnenen persönlichen Eindruckes zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer sich zunächst intensiv mit Religionen auseinandergesetzt hat und nunmehr in ernsthafter religiöser Überzeugung zu einer liberalen Auslegung des Islam gelangt ist. Entsprechend wurde – den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung folgend – festgestellt, dass der Beschwerdeführer eine liberale Auslegung des Islam vertritt, die Kritik zulässt und ein Nebeneinander der Religionen befürwortet.

Im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer im Zusammenhang mit seiner Auslegung des Islam geäußerte Rückehrbefürchtung, dass er mit seiner Denkweise in Kabul nicht leben könne (OZ 15, S. 5) und dass, wenn er die Frage, „Warum glauben Muslime, dass Mohammed unfehlbar ist?“ an einen Imam in Kabul gestellt hätte, sein Leben in Gefahr wäre (OZ 15, S. 6) ist zunächst den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien), die auch der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 22.10.2019 in diesem Zusammenhang ins Treffen führt (OZ 18, S. 7), zu entnehmen, dass die Beleidigung oder Verzerrung der religiösen Überzeugungen des Islams unter Strafe gestellt ist und sich afghanische Gerichte in Bezug auf Blasphemie auch auf islamisches Recht stützen würden. Blasphemie stelle ein Kapitalverbrechen dar und könnte dafür die Todesstrafe drohen. Darüber hinaus bestehe für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia, darunter auch Blasphemie, vorgeworfen würden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder der Gemeinschaft, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe c) Andere Handlungen, die gegen die Scharia verstoßen, S. 72). Auch die vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 08.04.2020 (OZ 20) in das Verfahren eingebrachte EASO Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (in der Folge: EASO Country Guidance) berichtet, dass unter anderem Blasphemie zur Todesstrafe führen kann. Es gebe geringe Toleranz für Kritik am Islam in der afghanischen Gesellschaft. Die Taliban würden Personen, die gegen sie predigen oder gegen ihre Auslegung des Islam verstoßen würden, als Apostaten sehen. Im Hinblick auf Konvertiten, Apostaten und Säkularisten wird berichtet, diese könnten ihre Sicht bzw. ihre Beziehung zum Islam nicht offen ausdrücken, weil sie deshalb Sanktionen oder Gewalt zu befürchten hätten (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 16. Individuals considered to have committed blasphemy and/or apostasy, S. 68-69). Der vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 08.04.2020 in das Verfahren eingebrachte EASO, COI Report: Afghanistan: Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017 berichtet ebenso, Blasphemie werde mit dem Tod oder einer Haftstrafe bis zu 20 Jahren geahndet. Es wird auch von Anzeigen, körperlichen Angriffen, Inhaftnahmen, Festnahmen oder Verfolgung wegen Blasphemie berichtet. Konkret wird etwa von der Festnahme eines Inhabers und Herausgebers einer Zeitung berichtet, in der ein Artikel veröffentlicht worden war, in dem die Existenz Gottes in Frage gestellt und Kritik am islamischen Glauben geübt worden war. Ebenso berichtet wird von einer Anklage wegen einer Übersetzung des Koran in die persische Sprache, sowie von der Verurteilung eines Journalisten, der beschuldigt wurde, Informationen über Frauenrechte heruntergeladen und verbreitet zu haben. Allen Beschuldigten sei ein Rechtsanwalt sowie nach afghanischem Recht zustehender Rechtsschutz verweigert worden (Kapitel 2. Ahndung mutmaßlicher Verstöße gegen den Islam, S. 24 ff. insbesondere Unterkapitel 2.1 Rechtslage bezüglich Apostasie, Konvertierung und Blasphemie, S. 24 f. und 2.2 Verfolgung durch den Staat wegen Apostasie und Blasphemie, S. 26 f.). Auch berichtet wird, dass Menschen, die der Blasphemie oder der Diffamierung des Islam beschuldigt werden, Opfer gezielter Gewalt von Seiten der Gesellschaft werden können. Es komme zu außergerichtlichen Hinrichtungen wegen „angeblicher religiöser Straftaten“ (2.4 Vorgehen und Haltung der Gesellschaft bezüglich Gotteslästerern, Atheisten und Säkularisten, S. 29 f.). Selbst hinsichtlich gebildeter, liberaler Milieus der Stadtbevölkerung wird berichtet, kritische Diskussionen beispielsweise über religiöse Themen würden eher toleriert, könnten aber auch Sanktionen nach sich ziehen (Kapitel 2.9 Vermeidung gezielter Gewalt und Inanspruchnahme von Unterstützung, S. 34-35). Damit erweist sich vor dem Hintergrund der Länderberichte als plausibel, dass der Beschwerdeführer, wenn er seine Frage zur Unfehlbarkeit Mohammeds in Kabul gestellt hätte, wohl mit Strafen und Übergriffen zu rechnen hätte. Zudem ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, wenn er im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat seine nunmehr liberale Einstellung zum Islam lebt, sich für andere Religionen interessiert und theologisch-kritische Fragen stellt, davon auszugehen, dass er der Blasphemie bezichtigt würde und mit staatlicher Strafverfolgung bis hin zur Todesstrafe und Übergriffen durch Privatpersonen konfrontiert wäre. Folglich wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer, wenn er sich im Fall der Rückkehr seiner religiösen Überzeugung entsprechend „islamkritisch“ äußert oder ein Nebeneinander der Religionen befürwortet, davon bedroht, der Blasphemie bezichtigt und mit staatlicher Strafverfolgung bis hin zur Todesstrafe und Übergriffen durch Privatpersonen konfrontiert wäre.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zum Fluchtvorbringen einer asylrechtlich relevanten Verfolgung wegen „Blasphemie“

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person unter anderem, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Religion verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

§ 3 Abs. 2 AsylG 2005 ist Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über die Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes Abl L 337/9 vom 20.12.2011 (Statusrichtlinie), nachgebildet.

Art. 5 Abs. 2 Statusrichtlinie lautet: „Die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, kann auf Aktivitäten des Antragstellers nach Verlassen des Herkunftslandes beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.“

Der Verfassungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass asylrelevante Verfolgung gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 auch auf Aktivitäten beruhen kann, die der Fremde seit dem Verlassen des Herkunftsstaats gesetzt hat (VfGH 12.12.2013, U 2272/2012).

Auch der Verwaltungsgerichtshof hat bereits erkannt, dass diese neuen – in Österreich eingetretenen – Umstände, mit denen ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung nunmehr begründet, grundsätzlich zur Asylgewährung führen können. Sie sind daher zu überprüfen, wenn sie geeignet sind, die Annahme „wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung“ zu rechtfertigen (VwGH 18.09.1997, 96/20/0323).

Mein seinem Vorbringe, ihm würde im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Verfolgung drohen, weil er der Blasphemie bezichtigt werden würde, macht der Beschwerdeführer einen subjektiven Nachfluchtgrund geltend.

Nach dem gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 AsylG unmittelbar anwendbaren Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 AsylG „Statusrichtlinie“) umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

Nach dem mit „Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ übertitelten Art. 10 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 202 vom 7.6.2016, S. 389–405, umfasst dieses Recht die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.

Im Wesentlichen inhaltsgleich gewährt auch Art. 9 EMRK als in der EMRK gewährleistetes Grundrecht, die gemäß Art. 6 Abs. 3 Vertrag über die Europäische Union (EUV) als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind, Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.

Nach diesen normativen Vorgaben umfasst der Religionsbegriff des Art. 1 Abschnitt A, Z 2 GFK nicht nur die individuelle Glaubensfreiheit als Kern der Religionsfreiheit („forum internum“), sondern auch das öffentliche Bekenntnis und die Freiheit zur Ausübung der Religion in den religiösen Vorschriften entsprechendem Verhalten („forum externum“). Demnach ist es einem Asylwerber für den Rückkehrfall nicht zumutbar, seine religiöse Überzeugung heimlich ausüben und seine innere Überzeugung verstecken zu müssen.

Auch die EASO Country Guidance geht hinsichtlich Blasphemie und Apostasie davon aus, dass von einem Antragsteller nicht erwartet werden kann, sich seiner religiösen Praktiken zu enthalten (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel II. Refugee status, Unterkapitel 16. Individuals considered to have committed blasphemy and/or apostasy, S. 69).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt konnte der Beschwerdeführer glaubhaft machen, dass er sich kritisch mit seiner Religion auseinandersetzt und eine liberale Auslegung des Islam vertritt, die Kritik und ein Nebeneinander der Religionen befürwortet, sowie, dass diese Einstellung des Beschwerdeführers, falls er sie äußert, den Beschwerdeführer der Gefahr aussetzt, der Blasphemie bezichtigt zu werden, was staatliche Strafverfolgung bis hin zur Todesstrafe und Übergriffe durch Privatpersonen nach sich zöge.

Nach den oben zitierten Rechtsvorschriften – insbesondere Art. Art. 10 Abs. 1 lit. b) Statusrichtlinie – kommt nicht in Betracht, dass sich der Beschwerdeführer seiner Meinungsäußerung hinsichtlich des Islams enthalten müsste, um Verfolgungshandlungen zu entgehen.

Er konnte daher glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung aus Gründen der Religion droht.

3.2.    Zur Nichtverfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Nach § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt bezieht sich die Gefährdung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Abkehr vom Islam auf das gesamte Staatsgebiet des Herkunftsstaates. Damit steht dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG nicht zur Verfügung.

3.3.    Zum Nichtvorliegen eines Ausschlussgrundes

Nach § 3 Abs. 2 Z 2 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn der Fremde einen Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG gesetzt hat. Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer einen Asylausschlussgrund gemäß § 6 Abs. 1 Z 1 bis 4 AsylG gesetzt hat, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

3.4.    Zur Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wird das Einreise- und Aufenthaltsrecht des Asylberechtigten unmittelbar kraft Gesetzes bestimmt. Die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter hat somit nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu erfolgen. Auch gemäß § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 kommt dem Asylberechtigten eine entsprechende Aufenthaltsberechtigung zu, ohne dass eine darüberhinausgehende Erteilung dieser Berechtigung vorzunehmen wäre (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373).

Dem Beschwerdeführer war daher spruchgemäß nach § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Ihm kommt damit unmittelbar kraft Gesetzes (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373) eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu, die (vorerst) für drei Jahre gilt.

4.       Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt. Das Bundesverwaltungsgericht folgt der klaren Rechtlage und Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wobei gegenständlich insbesondere beweiswürdigende Erwägungen maßgeblich waren. Auch in seinen Ausführungen zur Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers (3.4.) folgt das Bundesverwaltungsgericht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wobei anzumerken ist, dass diese lediglich der Information des Beschwerdeführers dienen und damit nicht zu den die Entscheidung tragenden Erwägungen zu zählen sind.

Schlagworte

Apostasie asylrechtlich relevante Verfolgung befristete Aufenthaltsberechtigung gesamtes Staatsgebiet Nachfluchtgründe Religion staatliche Verfolgung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W102.2201861.1.00

Im RIS seit

01.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

01.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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