TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/7 W214 2173992-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.07.2020
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Entscheidungsdatum

07.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W214 2173992-1/40E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Iran, vertreten durch: Österreichische Caritaszentrale, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.10.2017, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.09.2019 und 26.05.2020 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der Volksgruppe der Perser, stellte am XXXX .12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am XXXX .12.2015 gab der Beschwerdeführer an, vor ca. 3 Wochen illegal in die Türkei ausgereist zu sein und anschließend von Istanbul aus teils schlepperunterstützt über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist zu sein.

Befragt nach seinen Fluchtgründen gab er an, im Iran keine Freiheit gehabt zu haben, er habe seine Religion wechseln und Christ werden wollen. Seine Mutter sei eine religiöse Frau muslimischen Glaubens und habe, als sie von seinem Vorhaben erfahren habe, ihn bedroht, dass sie ihn bei der Polizei verraten werde, wenn er seine Religion wechsle. Aus diesem Grund habe er sein Heimatland verlassen müssen, weil ihm sonst dort die Todesstrafe drohe.

Am 17.08.2017 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) eine Bestätigung der Evangelikalen Gemeinde XXXX ein, dass der Beschwerdeführer seit Januar 2016 bis dato häufig den Gottesdienst besucht habe.

Am XXXX .08.2017 wurde der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen.

Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer ärztliche Befundberichte vom 09.06.2016, 18.07.2016, 06.10.2016, 31.01.2017, 18.05.2017 und 14.08.2017, medizinische Unterlagen aus dem Iran, eine Teilnahmebestätigung der Evangelikalen Gemeinde XXXX vom 16.10.2016, Deutschkursbesuchsbestätigungen der VHS Wiener Urania vom 03.08.2016, 14.11.2016 und 20.04.2017, eine Bestätigung/Empfehlungsschreiben des Samariterbundes Wien vom 16.08.2016 samt Bestätigungen über erhaltene Aufwandsentschädigungen, Teilnahmebestätigungen der Stadt Wien Magistratsabteilung 17 „Info-Module für Flüchtlinge“ vom 04.10.2016, 11.10.2016, 18.10.2016, 08.11.2016 und 18.02.2017, eine Teilnahmebestätigung der Interface Wien GmbH „Weiterbildung, Ausbildung und Deutschkurse“ vom 04.05.2017, einen Sozialbericht des Samariterbundes vom 14.08.2017 sowie diverse Lichtbilder seines ältesten Bruders vor.

Zunächst befragt nach seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an, dass er für ein paar Monate im Koma gewesen sei, deswegen sei er sehr ängstlich und vergesslich geworden. Im Moment nehme er abends Schlaftabletten.

Weiter vernommen gab der Beschwerdeführer an, im Iran bis zu seinem 8. Lebensjahr in der Stadt XXXX gelebt zu haben, danach sei die Familie nach XXXX gezogen. Dort würden noch seine Mutter und seine vier Brüder leben, sein Vater sei bereits verstorben. Kontakt habe er nur mit seiner Mutter, er telefoniere durchschnittlich einmal die Woche mit ihr. Er habe auch eine Verlobte im Iran, sie hätten sich drei Monate vor seiner Flucht verlobt, sie lebe ebenfalls in XXXX . Ein Cousin seiner Mutter lebe in Deutschland. Mit seinen Brüdern verstehe er sich gut, außer mit seinem ältesten Bruder, weil dieser beim Innenministerium arbeite und zum Etelaat gehöre.

Befragt nach seiner Religionszugehörigkeit gab der Beschwerdeführer an, dass er sich schon zwei oder drei Jahre vor seinem Unfall im Jahr 2010 in der Türkei habe taufen lassen, er habe damals aber keine Taufbestätigung bekommen. In Österreich sei er Mitglied der Evangelikalen Gemeinde XXXX . Von seiner Konversion wüssten seine Mutter und seine Brüder sowie der Etelaat.

Dem Beschwerdeführer wurden bei der Einvernahme eine Reihe von Fragen zum Christentum und zum Protestantismus gestellt, von denen er fast alle nicht korrekt beantworten konnte.

Am 24.08.2017 langte bei der belangten Behörde ein E-Mail der Evangelikalen Gemeinde XXXX ein, in welchem bekanntgegeben wurde, dass er Beschwerdeführer ab sofort mit dem Taufvorbereitungskurs beginnen und in voraussichtlich zwei Monaten getauft werde.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt III.), und setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Entscheidung (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde stellte neben allgemeinen herkunftsbezogenen Länderfeststellungen und der Identität des Beschwerdeführers fest, dass der Beschwerdeführer iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der Volksgruppe Perser sei. Er sei ledig und habe keine Kinder. Im Iran habe er sieben Jahre lang die Schule besucht und als Schweißer gearbeitet. Er habe keine Verwandten und keine Familie im Bundesgebiet und führe keine Lebensgemeinschaft.

Weiters wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer an einem organischen Psychosyndrom leide, dieses sei jedoch nicht lebensbedrohlich.

In Österreich sei der Beschwerdeführer straffällig geworden, mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg, Zl. 520 Hv 34/16d vom 21.09.2016 sei er wegen §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 5 Z 2 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren sowie mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, Zl. XXXX vom 25.10.2016 wegen §§ 107 Abs. 1, 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt worden.

Nicht festgestellt habe werden können, dass der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei und im Iran einer Verfolgung durch staatliche Organe oder Privatpersonen unterliege.

Auch eine Gefährdung im Falle einer Rückkehr könne nicht festgestellt werden, der Beschwerdeführer leide an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung.

Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers wurde festgehalten, dass er über kein Familienleben in Österreich verfüge und auch nicht in einer Lebensgemeinschaft lebe. Er weise geringe Deutschkenntnisse auf, sei Mitglied der Evangelikalen Gemeinde XXXX , besuche in seiner Freizeit die Kirche und ein Fitnesscenter, übe beim Samariterbund ehrenamtlich kleine Tätigkeiten aus, lerne die Sprache und beschäftige sich mit der Bibel.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass es beträchtliche Widersprüche zwischen den Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung und der Einvernahme vor der belangten Behörde hinsichtlich seines Fluchtgrundes gegeben habe, der Beschwerdeführer habe sein Fluchtvorbringen auch gesteigert.

Der Beschwerdeführer habe der belangten Behörde nicht darlegen können, dass er aus innerer und tiefer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei. Er habe keine genauen Angaben gemacht, was ihn am Christentum fasziniere und die Angaben hätten auswendig gelernt gewirkt. Das Wissen des Beschwerdeführers über das Christentum sei sehr gering. Voraussetzung für eine Konversion sei, dass man sich eingehend mit der neuen Religion, ihren Inhalten und Gebeten auseinandersetze und beschäftige um so überhaupt eine Entscheidungsgrundlage für die Konversion zu finden. Diese wesentlichen Grundlagen würden beim Beschwerdeführer allerdings fehlen. Er besuche möglicherweise den Gottesdienst, habe sich jedoch noch nicht wirklich mit den dabei behandelten Themen auseinandergesetzt.

Auch das Erfordernis der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde von der belangten Behörde verneint, grundsätzlich bestünden bezüglich Iran keine Anhaltspunkte dafür, dass dort gegenwärtig eine extreme Gefahrenlage herrsche, durch die praktisch jeder der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. Es sei dem Beschwerdeführer zuzumuten, im Falle einer Rückkehr einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und sich seinen Lebensunterhalt zu sichern. Der Beschwerdeführer leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung, in XXXX sei die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen meist auf einem recht hohen Niveau möglich und die Versorgung mit Medikamenten sei weitgehend gewährleistet. Der Beschwerdeführer habe sich nach seinem Autounfall auch mehrere Jahre im Iran aufgehalten.

Da die Gründe für eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG nicht vorlägen, wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen ebenfalls nicht erteilt.

Weiters erließ die belangte Behörde eine Rückkehrentscheidung und führte hierzu aus, dass diese zulässig sei, da der Beschwerdeführer dadurch nicht in seinem Recht auf Familienleben oder Privatleben verletzt sei. Der Beschwerdeführer sei illegal in das Bundesgebiet eingereist und straffällig geworden. In Abwägung sei dem Interesse der Öffentlichkeit an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens und der öffentlichen Ordnung und Sicherheit mehr Gewicht einzuräumen als den bloß privaten Interessen des Beschwerdeführers, weshalb die Rückkehrentscheidung nach § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG zulässig sei.

Die Abschiebung in den Iran sei auch zulässig, da keine Hinderungsgründe des § 50 FPG vorlägen und habe die Ausreise des Beschwerdeführers binnen 14 Tagen ab Rechtskraft des Bescheides zu erfolgen (§ 55 FPG).

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und führte (nach Wiederholung des Sachverhaltes und des Vorbringens bei der belangten Behörde aus), dass er aus Überzeugung zum Christentum konvertiert sei, im Iran würde er deswegen verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. In Österreich habe er an Deutschkursen teilgenommen und könne sich auch schon in der deutschen Sprache verständigen. Er habe auch schon österreichische Freunde gefunden, mit denen er noch Kontakt halte, führe auch sonst ein selbstbestimmtes Leben und übe gemeinnützige Tätigkeiten aus. Er besuche in Österreich die Schule und wolle sich weiter ausbilden. In seinem Fall sei zu befürchten, dass er sich nach mehrjähriger Abwesenheit im teils westlich geprägten Ausland nicht mehr in der konservativ geprägten Gesellschaft im Iran zurechtfinden würde.

Weiters führte der Beschwerdeführer aus, dass er an einem organischen Psychosyndrom leide, ein Operationstermin stehe schon fest.

Ergänzend vorgelegt wurde vom Beschwerdeführer eine Deutschkursbesuchsbestätigung der Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH (Kursdauer 12.09.2017 – 15.12.2017) sowie ein Merkblatt für Operationen in Narkose, welches ein Operationsdatum am 05.12.2017 ausweist.

4. Die Beschwerde wurde von der belangten Behörde– ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen – dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

5. Am 16.11.2017 legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung über „das Bekenntnis des christlichen Glaubens und der Taufe“ vom XXXX , unterzeichnet durch die Gemeindeleitung der Evangelikalen Gemeinde XXXX , vor.

6. Am 22.12.2017 erstattete der Beschwerdeführer eine Beschwerdeergänzung und führte aus, dass sein ältester Bruder für die Basij gearbeitet habe, anschließend beim Militär gedient habe und mittlerweile beim Etelaat eine hohe Position innehabe. Sein Bruder habe wegen seiner Einstellung und seinem riesigen, Christus am Kreuz darstellenden Tattoo bereits mehrmals Kollegen auf ihn angesetzt, die ihn inhaftiert und misshandelt hätten. Am 06.07.1390 habe der Beschwerdeführer im Iran einen schweren Autounfall gehabt, trotz seiner Genesung leide er an schwerem Gedächtnisverlust.

Weiters legte der Beschwerdeführer eine Reihe von Lichtbildern betreffend seiner behaupteten Konversion, ein Foto, auf welchem er mit seinem Bruder zu sehen sei, sowie ein Foto seiner Tätowierung vor.

7. Am 20.08.2018 legte der Beschwerdeführer einen ärztlichen Befundbericht vom 13.08.2018 vor.

8. Am 26.09.2019 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers, dessen Rechtsvertretung, der Freundin des Beschwerdeführers als Begleitperson, einer Vertreterin der belangten Behörde und eines Dolmetschers für die Sprache Farsi statt.

Der Beschwerdeführer legte in der mündlichen Verhandlung ärztliche Befundberichte vom 22.10.2018, 20.08.2019 und 16.09.2019, eine Bestätigung des XXXX über den regelmäßigen Gottesdienstbesuch vom 23.09.2019, ein ÖSD Zertifikat über die gut bestandene Prüfung A1 vom 02.01.2018, eine Deutschkursbesuchsbestätigung der VHS Hietzing Level A2 vom 16.05.2019, eine Anmeldebestätigung für einen Deutschkurs A2 der VHS Ottakring vom 10.09.2019, eine von zwei Privatpersonen unterzeichnete Bestätigung über zugesicherte finanzielle Unterstützung und das Anbot eines Arbeitsplatzes, sowie Fotos seines ältesten Bruders vor.

Befragt nach seinen christlichen Aktivitäten in Österreich gab der Beschwerdeführer an, er habe sich bei der Evangelikalen Gemeinde XXXX taufen lassen, er sei ca. zwei Jahre und sieben oder acht Monate dorthin gegangen. Jetzt gehöre er der Gemeinde XXXX an, er gehe jeden Samstag in die Kirche zum Gottesdienst und besuche wöchentlich dienstags den Life-Kurs.

9. Am 17.10.2019 erstattete der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung eine Stellungnahme in welcher er (nach Wiederholung des Vorbringens bei der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht) ausführte, dass er religiöse Inhalte auch auf dem sozialen Medium Instagram poste, sein Profil sei unter dem Accountnamen „ XXXX " öffentlich zugänglich.

Weiters habe der Beschwerdeführer auch an regimekritischen Demonstrationen teilgenommen, bei der Demonstration vor der iranischen Botschaft im XXXX sei der Beschwerdeführer auch in einem Video XXXX zu sehen.

Der Stellungnahme beigelegt wurden Ausdrucke aus dem Instagram-Profil des Beschwerdeführers, Screenshots von 5 Posts mit christlichen Inhalten von Oktober 2018 bis Oktober 2019 sowie Fotos von einer regimekritischen Demonstrationsteilnahme des Beschwerdeführers im XXXX am Stephansplatz.

10. Am 26.05.2020 fand eine Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertreterin und eines Dolmetschers für die Sprache Farsi statt.

Zunächst abermals befragt nach seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer an, die Medikamente Zoldem, Risperidon und Mirzopin gegen Einschlafbeschwerden und Depressionen zu nehmen.

Mit seiner Freundin sei er mittlerweile verlobt und sie würden im gemeinsamen Haushalt leben.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Pastor des XXXX , XXXX , als Zeuge (Z1) einvernommen. Er gab an, den Beschwerdeführer seit Herbst 2018 regelmäßig im deutschsprachigen Gottesdienst zu sehen. Einige Male habe der Beschwerdeführer auch seine Freundin zu den Gottesdiensten mitgenommen. An den letzten Samstagen habe der Beschwerdeführer auch als Ordner mitgeholfen. Über den persönlichen Glauben des Beschwerdeführers könne der Z1 wenig sagen, da er ihn persönlich nicht sehr gut kenne.

Weiters wurde einer der Leiterinnen der deutschsprachigen Gemeinschaft des XXXX , XXXX , als Zeugin (Z2) einvernommen. Sie gab an, den Beschwerdeführer seit ca. eineinhalb Jahren zu kennen, seit dem letzten Sommer habe sie mehr mit ihm zu tun. Der Beschwerdeführer erscheine seit eineinhalb Jahren sehr regelmäßig sowohl zu den Gottesdiensten als auch zu den Life-Gruppen. Er übernehme auch Putzdienste in der Kirche. Der Beschwerdeführer bemühe sich sehr, Dinge zu verstehen, was aber nicht immer ganz einfach für ihn sei, weil er vieles vergesse. Der Glaube habe aber auch eine Herzensebene, die Zeugin denke schon, dass im Herzen des Beschwerdeführers etwas passiert sei und er auch Entscheidungen für sein Leben getroffen habe. Wenn in der Life-Gruppe über bestimmte Dinge gesprochen werde, involviere sich der Beschwerdeführer in das Gespräch und bringe seine Meinung zum Ausdruck. Sie glaube, dass der Beschwerdeführer auch versuche, andere Leute vom Christentum zu überzeugen, er habe einen Freund mitgebracht und versuche seiner Freundin das Christentum näher zu bringen, diese sei auch einige Male mit in der Kirche gewesen.

11. Am 09.06.2020 erstattete der Beschwerdeführer abermals eine Stellungnahme, in welcher er seine bisherigen Ausführungen wiederholte und weiters vorbrachte, dass ihm aufgrund seiner Krankheit in Zusammenhang mit der aktuellen COVID-19 Situation im Iran subsidiärer Schutz zu gewähren wäre.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. ausgeführte Verfahrensgang wird als maßgeblich festgestellt.

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und zum Fluchtvorbringen

Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der persischen Volksgruppe. Er trägt den im Spruch angeführten Namen und das im Spruchkopf genannte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer wurde als Moslem (Schiit) geboren, mittlerweile bezeichnet er sich als Christ. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er wurde im Iran in der Stadt XXXX geboren und war ab seinem 8.Lebensjahr bis zu seiner Ausreise in der Stadt XXXX in der Provinz XXXX wohnhaft. Er hat im Iran sieben Jahre lang die Schule besucht und als Schweißer gearbeitet.

Der Beschwerdeführer ist Anfang XXXX 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am XXXX .12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Im Herkunftsstaat leben noch die Mutter sowie vier Brüder des Beschwerdeführers. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. Zu seiner Mutter und zu drei seiner Brüder hat der Beschwerdeführer Kontakt. In Deutschland lebt der Cousin der Mutter des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich eine Verlobte, mit der er im gemeinsamen Haushalt wohnt.

Der Beschwerdeführer geht keiner legalen Arbeit nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Seit der Antragstellung befand sich der Beschwerdeführer lediglich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz durchgängig rechtmäßig im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der Grundversorgung des Bundes. In der Vergangenheit hat der Beschwerdeführer gegen eine Aufwandsentschädigung für den Arbeiter Samariter Bund Wien gearbeitet.

Der Beschwerdeführer leidet an einem organischen Psychosyndrom nach einem Schädel-Hirn-Trauma mit Impulskontrollstörung, einer rezidivierenden depressiven Erkrankung mit gegenwärtig leichtgradig depressiven Episoden sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung. Der Beschwerdeführer befindet sich seit Juni 2016 in regelmäßiger psychiatrischer Betreuung. Er nimmt die Medikamente Mirtazapin, Risperidon und Zoldem.

Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse, er hat die Prüfung ÖSD Zertifikat A1 gut bestanden.

Der Beschwerdeführer hat am 04.10.2016, 11.10.2016, 18.10.2016, 08.11.2016 und 18.02.2017 an den „Info-Modulen für Flüchtlinge“ der Stadt Wien Magistratsabteilung 17 sowie am 04.05.2017 an der Veranstaltung der Interface Wien GmbH „Weiterbildung, Ausbildung und Deutschkurse“ teilgenommen.

Der Beschwerdeführer wurde am 21.09.2016 zur GZ 520 Hv 34/16d des Landesgerichtes Korneuburg wegen §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 5 Z 2 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren sowie am 25.10.2016 zur GZ XXXX des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wegen §§ 83 Abs. 1, 107 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 3 Monaten unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

In Österreich ist der Beschwerdeführer mit dem Christentum kurz nach seiner Einreise in Kontakt gekommen, er wurde gemeinsam mit anderen Asylwerbern von Traiskirchen aus zur Kirche des XXXX gebracht. Ab Jänner 2016 hat der Beschwerdeführer den Gottesdienst der Evangelikalen Gemeinde XXXX besucht, ab August 2017 den Taufkurs. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX getauft.

Seit ca. eineinhalb Jahren besucht der Beschwerdeführer regelmäßig den Gottesdienst des XXXX sowie eine sogenannte „Life-Gruppe“. Weiters hilft der Beschwerdeführer bei Putzdiensten in der Kirche.

Der Beschwerdeführer hat eine große Tätowierung von Jesus Christus am Kreuz auf seinem Rücken sowie zahlreiche weitere, sichtbare Tätowierungen an den Armen.

In Österreich hat der Beschwerdeführer identifizierbar im XXXX vor der iranischen Botschaft und im XXXX vor dem Stephansdom an Demonstrationen gegen das iranische Regime teilgenommen.

Der Beschwerdeführer wäre aufgrund der festgestellten Umstände im Falle seiner Rückkehr in den Iran mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung ausgesetzt.

1.2 Zur hier relevanten Situation im Iran

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran, Stand 19.06.2020

1. Politische Lage

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 2.2020a; vgl. BTI 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 4.3.2020a; vgl. FH 4.3.2020, US DOS 11.3.2020) und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2019; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wieder gewählt (ÖB Teheran 10.2019). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 2.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2019). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 2.2020a). Während bei der Parlamentswahl 2016 die Reformer und Moderaten starke Zugewinne erreichen konnten (ÖB Teheran 10.2019), drehte sich dies bei den letzten Parlamentswahlen vom Februar 2020 und die Konservativen gewannen diese Wahlen. Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. GIZ 2.2020a, FH 4.3.2020, BTI 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2.2020). Des weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems“ zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 2.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 2.2020a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 2.2020a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 26.2.2020). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 2.2020a; vgl. AA 4.3.2020a). Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.3.2020). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 26.2.2020).

Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was zu einer Halbierung der vollstreckten Todesurteile führte (ÖB Teheran 10.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (4.3.2020a): Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/politisches-portrait/202450, Zugriff 7.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (4.3.2020b): Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/steckbrief/202394, Zugriff 7.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 20.4.2020

- BTI – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020

- DW – Deutsche Welle (23.2.2020): Konservative siegen bei Parlamentswahl im Iran, https://www.dw.com/de/konservative-siegen-bei-parlamentswahl-im-iran/a-52489961, Zugriff 7.4.2020

- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 7.4.2020

- GIZ – Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (2.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 7.4.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 7.4.2020

- US DOS – US Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020

2. Sicherheitslage

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latenten Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gerechnet werden sowie mit Straßenblockaden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 4.5.2020).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 4.5.2020; vgl. AA 4.5.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 4.5.2020b).

In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 4.5.2020). In diesen Minderheitenregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 4.5.2020b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 4.5.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 4.5.2020).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 4.5.2020b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 4.5.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (4.5.2020b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 4.5.2020

- EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (4.5.2020): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 4.5.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 4.5.2020

2.1.Verbotene Organisation

Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 26.2.2020).

Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komala(h)-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI), die aus Belutschistan stammende Jundallah, und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der PKK, zusammenarbeitet (AA 26.2.2020). Die politischen Gruppierungen KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 10.2019) und hat einen bewaffneten Flügel (AI 15.6.2018). Von Mai bis September 2016 wurden fast wöchentlich bewaffnete Konflikte zwischen kurdischen Guerillakräften und iranischen Sicherheitskräften gemeldet. In den letzten zehn Jahren hatte hauptsächlich die kurdische Partei PJAK militärische Operationen im Nordwesten des Iran durchgeführt. Seit Mai 2016 beteiligen sich auch andere kurdische Parteien (KDPI, KDP-I, PAK) an militärischen Operationen gegen iranische Sicherheitskräfte. Alle diese Parteien operieren von Militärbasen und Lagern im Nordirak aus. Die Revolutionsgarden haben im gleichen Zeitraum ihre Präsenz in der Region verstärkt und kurdische Dörfer sowohl auf iranischer als auch auf irakischer Seite angegriffen. Mitglieder und Unterstützer von KDPI und Komala werden im Allgemeinen härter behandelt als andere Aktivisten im kurdischen Raum. In der Regel unterscheiden die iranischen Behörden nicht zwischen Mitgliedern und Unterstützern der Parteien. Während die iranischen Behörden Personen, die verhaftet werden, beschuldigen, mit diesen Parteien verbunden zu sein, ist dies nicht immer der Fall. Familienmitglieder von Parteimitgliedern und Unterstützern laufen ebenfalls Gefahr, von den iranischen Behörden befragt, inhaftiert und verhaftet zu werden, um Druck auf Aktivisten auszuüben. Enge Familienmitglieder werden häufiger verhaftet als Mitglieder der Großfamilie (DIS 7.2.2020). Auch die Volksmudschahedin (MEK, MKO, PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019).

Es scheint eher unwahrscheinlich, dass eine Person nur aufgrund einer einzigen politischen Aktivität auf niedrigem Niveau, wie z.B. dem Verteilen von Flyern, angeklagt wird, es ist aber schon möglich, dass man inhaftiert wird, wenn man mit politischem Material, oder beim Anbringen von politischen Slogans an Wänden erwischt wird. Es kommt darauf an, welche Art von Aktivität die Personen setzen. Andauernde politische Aktivitäten können in einer Anklage enden (DIS/DRC 23.2.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 4.5.2020

- AI – Amnesty International (11.2.2019): Amnesty International's written statement to the 40thsessionof theHuman RightsCouncil(25 February –22March 2019), MDE 13/9828/2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457788/1226_1550135137_mde1398282019english.pdf, Zugriff 4.5.2020

- AI – Amnesty International (15.6.2018): Urgent Action, Iranian Kurdish Woman denied Medical Care, UA: 151/14 Index: MDE 13/8598/201, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435509/1226_1529323691_mde1385982018english.pdf, Zugriff 4.5.2020

- DIS – Danish Immigration Service (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds+Feb+2020.pdf, Zugriff 14.5.2020

- DIS/DRC – Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-including-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf, Zugriff 4.5.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 4.5.2020

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2019). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BTI 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer Situation befassen, dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens“ für schuldig erklären (US DOS 11.3.2020).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BTI 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.2020). Im iranischen Strafrecht sind körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 26.2.2020). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten. Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom „Geschädigten“ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 10.2019). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 26.2.2020).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste von zwanzig vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders deutlich wird dies bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (AA 26.2.2020).

Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon einige Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 26.2.2020).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 26.2.2020).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 20.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 7.4.2020

- AA – Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 7.4.2020

- AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Iran: 2019 [MDE 13/1829/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2026069.html, Zugriff 14.5.2020

- AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 7.4.2020

- BTI – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 6.5.2020

- BTI – Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report — Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 7.4.2020

- FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025928.html, Zugriff 7.4.2020

- HRC – UN Human Rights Council (28.1.2020): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in the Islamic Republic of Iran [A/HRC/43/61], https://undocs.org/en/A/HRC/43/61, Zugriff 8.4.2020

- HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022677.html, Zugriff 7.4.2020

- ÖB Teheran – Österreichische Botschaften (10.2019): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019927/IRAN_%C3%96B-Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 7.4.2020

- US DOS – US Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026339.html, Zugriff 7.4.2020

4. Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen im ganzen Land, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten involviert (US DOS 11.3.2020). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen an (AA 26.2.2020). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 10.2019).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 26.2.2020). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.3.2020). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BTI 2020). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Sicherheitskräfte und der Justiz (AA 26.2.2020).

Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem „Hohen Rat für den Cyberspace“ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 26.2.2020).

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2020).

Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Fehlverhalten der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter zur Rechenschaft zieht (US DOS 11.3.2020).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger, nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierender Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 10.2019).

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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