TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/8 W203 2200583-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.07.2020
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Entscheidungsdatum

08.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W203 2200583-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2018, Zl. 1101061407-160019712, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.06.2020 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 05.01.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am nächsten Tag wurde der Beschwerdeführer durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Erstbefragung unterzogen. Dabei gab er an, dass er am XXXX in Herat, Bezirk XXXX geboren worden sei. Er habe in Afghanistan acht Jahre lang die Grundschule besucht. Sein familiäres Netzwerk bestehe aus seinen Eltern und einer Schwester, die allesamt in Afghanistan lebten. Er habe in Afghanistan zuletzt als Schneider gearbeitet. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er an, dass er gezwungen worden sei, in den Syrienkrieg zu ziehen. Die iranischen Sicherheitsbehörden hätten ihn für 2 Monaten nach Syrien gebracht, wo er gegen den IS kämpfen hätte sollen. Als Gegenleistung habe man ihm versprochen, dass er einen 10-jährigen Aufenthaltstitel im Iran und 3.000.000 Toman pro Monat bekomme. Tatsächlich habe er nur 2.000.000 Toman pro Monat und einen Aufenthaltstitel für einen Monat bekommen. Er habe nicht mehr in den Syrienkrieg zurück, sondern nach Afghanistan flüchten wollen. Die afghanische Regierung erlaube jedoch keine Rückkehr von Personen, die in den Syrienkrieg gezogen waren. Aus Angst sei er hierhergekommen. Zudem könne er sich seine Behandlung für seinen schmerzenden Rücken im Iran nicht leisten.

3. Am 20.12.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Im Zuge der Einvernahme legte er diverse Kursbestätigungen und Empfehlungsschreiben, einen Arztbrief inklusive Befund, zwei Bankomat- bzw. Kontokarten und einen Militärausweis vor und gab an, dass er schiitischer Moslem sei und der Volksgruppe der Hazare angehöre. Seine Muttersprache sei Dari. Nach seiner Gesundheit befragt, gab er an, dass er seit drei Jahren an Rheuma leide. Die Schmerzen hätten begonnen, als er bei der ANA (afghanische Nationalarmee) gewesen sei. Er habe deswegen eine Zeit lang Tabletten eingenommen. Jetzt bekomme er zweimal im Monat eine Spritze. Die Behandlung sei für zwei Jahre angedacht. Er sei in Österreich mit einer falschen Identität eingereist, weil er Angst gehabt habe. Er habe bei seinem falschen Namen den Namen XXXX hinzugefügt und XXXX weggenommen. Auf den Vorhalt der belangten Behörde, dass der Militärausweis und die Kontokarte der Kabul Bank, nicht auf seinen Namen lauten und das Foto auf dem Militärausweis nicht seinem Bild entsprechen, gab er an, dass das seine Fotos seien und der Name auf den Karten seine wahre Identität sei.

4. Am 15.03.2018 wurde der Beschwerdeführer erneut von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen.

Im Zuge dieser Einvernahme gab der Beschwerdeführer an, dass sein richtiger Name XXXX sei und er in Afghanistan zuletzt im Ort XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Herat wohnhaft gewesen sei. Nachdem er acht Jahre lang die Grundschule besucht habe, habe er als Schneider in Afghanistan gearbeitet. Danach sei der Beschwerdeführer zur afghanischen Nationalarmee gegangen. Mit seinen Familienangehörigen stehe er wöchentlich im Kontakt.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er aus, dass er während seiner Zeit in der Armee, krank geworden sei und daraufhin frei bekommen habe. Nachdem seine Behandlung in Afghanistan keine Wirkung gezeigt habe, sei er illegal in den Iran gereist, um sich dort behandeln zu lassen. Da seine Tazkira bei der Armee gewesen sei, habe er dort illegal einreisen müssen. Eines Tages sei er in der Arbeit - er sei als Schneider tätig gewesen - von der iranischen Polizei festgenommen worden. Diese hätte ihn nach Afghanistan abschieben wollen. Als sie ihn zu einem Militärstützpunkt gebracht hätten, sei ihm vorgeschlagen worden, dass er für die iranische Armee kämpfen solle, wofür er im Gegenzug Geld und eine Aufenthaltsgenehmigung erhalte. Er habe aufgrund seiner Krankheit eine leichte Arbeit zugeiteilt bekommen wollen. Diesem Wunsch sei man nicht nachgekommen und er habe zweieinhalb Monate in Syrien gekämpft und anschließend zwei Wochen Urlaub im Iran bekommen. Er habe nicht mehr nach Syrien, sondern zurück nach Afghanistan gehen wollen. Zu dieser Zeit habe der afghanische Präsident Ashraf Ghani gesagt, dass diejenigen Leute, die im Syrienkrieg kämpften bzw. gekämpft hätten, eine 20-jährige Haftstrafe bekommen würden. Seine Eltern hätten ihm daraufhin davon abgeraten, nach Afghanistan zurückzukehren. Die afghanische Armee habe zudem schon zweimal nach ihm gesucht. Der Dorfvorsteher habe auch schon bestätigt, dass er Probleme bekommen würde. Daraufhin habe er seine Ausreise aus dem Iran organisiert und habe diesen anschließend Richtung Europa verlassen. Er habe damals nicht aus der iranischen Armee austreten können, weil sie das nicht akzeptiert hätten. Die Leute „von seiner Gegend“ würden ihn an die Regierung in Afghanistan verraten. Er hätte in ganz Afghanistan Probleme, da es sich um eine militärische Angelegenheit handle.

Zu seinem Leben in Österreich befragt, gab er an, dass er einen A1 Deutschkurs besuche und er einen privaten Unterricht in der Pfarre bekomme. Darüber hinaus habe er keine Ausbildung in Österreich absolviert und sei hier keiner Beschäftigung nachgegangen. Er lebe von der Grundversorgung. Seine Rheumabehandlung soll noch ca. zwei weitere Jahre dauern.

6. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 30.05.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen, da er eine Verfolgung nicht glaubhaft machen habe können. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV). Im Bescheid wurde weiters festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und es wurde dem Beschwerdeführer eine Frist zur freiwilligen Ausreise in der Dauer von zwei Wochen gewährt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde zunächst ausgeführt, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu den Fluchtgründen substantiiert und nachvollziehbar seien, eine Desertion von der afghanischen Armee jedoch ein Massenproblem darstelle und nicht mit Strafe bedroht sei. Hinsichtlich der Teilnahme am Krieg in Syrien führte die belangte Behörde aus, dass aus den vorliegenden Anfragebeantwortungen hervorgehe, dass das afghanische Strafgesetzbuch eine Todesstrafe vorsehe, wenn sich eine Person Streitkräften anschließe, die im Krieg mit Afghanistan stünden. Dies sei bei dem Beschwerdeführer allerdings nicht der Fall. Es gebe keine Informationen, die darauf deuten würden, dass ehemalige Syrienkämpfer von den afghanischen Behörden bestraft werden würden. Der Beschwerdeführer habe auch nicht angegeben, als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara mit schiitischem Glauben Probleme in seinem Heimatstaat gehabt zu haben.

Hinsichtlich einer Rückkehr stellte die belangte Behörde fest, dass die Sicherheitssituation in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers, Herat, nach wie vor prekär sei, eine Rückkehr in eine sichere Gegend wie Kabul für den Beschwerdeführer jedoch zumutbar sei. Er leide zwar an einer axialen Spondylarthritis, habe jedoch in Syrien mit dieser Krankheit kämpfen, den weiten Weg nach Europa machen und in Österreich drei Mal die Woche Fußball spielen können. Er sei durch die Erkrankung zwar beeinträchtigt, leide aber an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung.

Er sei vor seiner Ausreise aus Afghanistan Soldat in der ANA gewesen und sei davor als Schneider tätig gewesen. Es gebe daher keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage sein sollte, in Kabul seine Existenz zu sichern und eine einfache Unterkunft zu finden. Er könne zudem Unterstützung von seiner Familie erwarten. Eine Gruppenverfolgung von Hazara und Schiiten in Afghanistan sei auch nicht gegeben. Insgesamt handle es sich hier um einen jungen, arbeitsfähigen Mann mit Schul- und Berufsausbildung sowie familiärer Unterstützung. Es sei daher davon auszugehen, dass er im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in keine die Existenz bedrohende Notlage gelangen würde.

Seine Integrationsbemühungen und privaten Anknüpfungspunkte seien zwar ersichtlich, doch habe er diese zu einem Zeitpunkt erlangt, in dem sein Aufenthaltsstatus stets ungewiss gewesen sei.

7. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und begründete diese damit, dass die belangte Behörde ihren Ermittlungspflichten nicht nachgekommen sei und – mit Verweis auf ein 400-seitiges Gutachten von Fr. Frederike Stahlmann - ihrer Entscheidung mangelhafte Länderfeststellungen zugrunde gelegt habe. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde würden desertierte (ehemalige) Mitglieder der afghanischen Armee sehr wohl von ihrem Staat bestraft und verfolgt werden. Der Beschwerdeführer sei daher in keiner Provinz oder größeren Stadt in Afghanistan sicher. Die belangte Behörde habe es zudem unterlassen, dem Beschwerdeführer konkrete und gezielte Fragen hinsichtlich seiner Verwicklung in den syrischen Bürgerkrieg zu stellen. Der Beschwerdeführer sei sowohl jener sozialen Gruppe zuzuordnen, die aufgrund schwerer gesundheitlicher Beeinträchtigungen das Heimatland verlassen haben, als auch jener, die entgegen den gesetzlichen Bestimmungen ihren militärischen Dienst bei der afghanischen Armee verlassen haben und fortan als Deserteure gelten.

Außerdem sei eine Rückkehrentscheidung ein unzulässiger Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung des Privat und Familienlebens, da dieser um seine Integration sehr bemüht und unbescholten sei. Deutschkenntnisse habe er sich aufgrund seiner Erkrankung noch nicht aneignen können. Dies werde er jedoch jedenfalls ehrgeizig nachholen.

8. Einlangend am 10.07.2018 wurde die Beschwerde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - samt zugehörigem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

9. Am 16.06.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu der der Beschwerdeführer bzw. dessen Vertretung sowie die belangte Behörde als Parteien geladen waren. Ein Vertreter der belangten Behörde erschien zur Verhandlung nicht.

Anlässlich der mündlichen Verhandlung legte die Vertreterin des Beschwerdeführers folgende Unterlagen vor:

Einen Befundbericht eines Facharztes für Innere Medizin vom 10.06.2020, demgemäß beim Beschwerdeführer seit dem Jahr 2017 eine „axiale Spondylarthritis“ bekannt wäre und er aufgrund dieser chronischen rheumatischen Erkrankung auf eine Biologika-Therapie angewiesen sei, mit der eine Mobilität und entsprechende Lebensqualität erreicht werden könne.

Eine Bestätigung der Pfarre XXXX vom 10.06.2020 über die ehrenamtliche Mitarbeit des Beschwerdeführers beim großen Pfarrflohmarkt in der Zeit vom 18.09. bis zum 09.10.2017.

Eine Teilnahmebestätigung des Beschwerdeführers am wöchentlichen Deutschkurs im Rahmen des Projekts „Geben wir Menschen eine Chance“ in der Stadtpfarre XXXX von November 2015 bis Juni 2017.

Eine Bestätigung vom 09.06.2020 über ehrenamtliche Tätigkeiten des Beschwerdeführers im Haus XXXX an insgesamt 47 Tagen im Zeitraum Juni bis September 2019.

Eine Bestätigung vom 21.12.2019 der Pastoralassistentin und Katechumenatsverantwortlichen der Stadtpfarre XXXX darüber, dass der Beschwerdeführer seit 27.04.2019 den 14-tägigen Glaubens- und Taufkurs auf Deutsch und Persisch in der Stadtpfarre XXXX besuche, am Tag der Ausstellung der Bestätigung im Rahmen der Glaubensunterweisung am Bibeltheater teilgenommen und den Wunsch geäußert habe, sich katholisch taufen zu lassen. Weiters, dass die feierliche Aufnahme in den Katechumenat am 19.10.2019 erfolgte und die Taufe selbst für Herbst 2020 geplant sei.

Ein Empfehlungsschreiben vom 11.06.2020, aus dem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner schlechten körperlichen Verfassung im März 2017 stationär behandelt worden sei und auch nachfolgend weiterhin regelmäßige Untersuchungen und Therapien notwendig gewesen sein. Der Beschwerdeführer trage sehr viel zu einem „guten miteinander Auskommen“ bei und seine Hilfsbereitschaft sei in der Pfarre „immer wieder Unterstützung und Hilfe“.

Eine Bestätigung der Leiterin der Pfarre XXXX vom 05.06.2020, wonach der Beschwerdeführer seit 2016 in Kontakt mit der Pfarre stehe, er bei verschiedenen Gelegenheiten ehrenamtlich in der Pfarre mitarbeite und inzwischen gut Deutsch gelernt habe und bestrebt sei, sich zu integrieren und nützlich zu machen.

Eine Bestätigung der Pastoralassistentin der Stadtpfarre XXXX , der zu Folge der Beschwerdeführer seit 2016 in die Pfarre eingebunden sei und mit großem Interesse an den Angeboten und am Pfarrgeschehen teilnehme. Anfänglich habe er an einem Sprachkurs und an den regelmäßigen Treffen im „Sprach Cafe“ teilgenommen, in dieser Zeit habe auch ein Austausch über Land, Kultur und Religion stattgefunden. Nachdem der Beschwerdeführer mit mehreren Christinnen und Christen in Kontakt gekommen sei, habe er großes Interesse an der Lehre des Christentums gezeigt. Er habe die Möglichkeit bekommen, in XXXX an einem in seiner Muttersprache angebotenen Glaubens- und Taufkurs teilzunehmen. In der Pfarre besuche er „immer wieder“ den Sonntagsgottesdienst und pflege einen sehr guten Kontakt mit dem Pfarrer. Erwähnenswert sei auch die Hilfsbereitschaft des Beschwerdeführers, den sie als sehr zurückhaltenden und höflichen Menschen kennengelernt habe.

Im Zuge der Verhandlung wiederholte der Beschwerdeführer sein bereits bei der polizeilichen Ersteinvernahme und im Rahmen der Befragung vor der belangten Behörde getätigtes Fluchtvorbringen und gab ergänzend an, dass er früher Moslem gewesen, nun aber zum Christentum konvertiert sei, diesen Umstand aber nicht im Verfahren zu seinen Gunsten nützen wolle. Die Vertreterin des Beschwerdeführers gab erklärend dazu an, dass die Konversion selbstverständlich schon als Fluchtgrund vorgebracht werde, der Beschwerdeführer aber ausdrücklich darauf verweisen wolle, dass es ihm damit ernst sei.

Nachgefragt, wann und wieso sich der Beschwerdeführer zu dem Wechsel zum christlichen Glauben entschlossen habe, gab dieser an, dass sein Verhältnis zum Islam aufgrund der Vorfälle, die er im Iran erlebt habe, „etwas distanziert“ gewesen sei. Im ersten Jahr hier in Österreich sei er oft in die Kirche gegangen und habe in der kirchlichen Gemeinde ausgeholfen. Auch ihm sei dort sehr geholfen worden, was ihm „ein gutes Gefühl“ gegeben und ihm „psychisch sehr gut getan“ habe. Er habe in der Gemeinde viel über das Christentum recherchiert und so sei er vor ca. einem Jahr zum Christentum konvertiert. Ein Bekannter des Beschwerdeführers, der ebenfalls bereits früher vom Islam zum Christentum konvertiert sei, habe ihm eine Bibel geschenkt und ihm angeboten, dass er jederzeit nach XXXX , wo ein Religionsunterricht auf Farsi angeboten werde, kommen könne, falls er Fragen habe. Er sei daraufhin zweimal im Monat zu diesem Farsi-Unterricht nach XXXX gefahren und habe auch weiterhin regelmäßig die römisch-katholische Kirche, die in der Nähe seiner Unterkunft liege, besucht.

Nachgefragt, was die Vorteile des Christentums gegenüber dem Islam wären, gab der Beschwerdeführer an, dass es im Islam viele Verbrechen, Lügen, Krieg und Tötungen, im Christentum aber „nur die Liebe“ gebe.

Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er noch nicht getauft sei. Es habe zwar bereits einen fixen Termin für die Taufe im Herbst 2020 gegeben, dieser Termin habe aber wegen der Corona-Krise verschoben werden müssen. Seit ca. einem Jahr lerne er bereits über das Christentum, die konkrete Taufvorbereitung würde aber erst ca. einen Monat vor dem neuen Tauftermin erfolgen.

Der Beschwerdeführer gab an, dass er regelmäßig bete, unter anderem das „Vater unser“. Die Bibel bestehe aus einem alten und einem neuen Teil und insgesamt aus 66 Büchern. Er lese in einer auf Farsi geschriebenen Bibel mehr oder weniger regelmäßig, seine Lieblingsstelle in der Bibel sei die Geschichte von der Sünderin, in der Jesus zu den Leuten sage: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“. Man könne aus dieser Geschichte lernen, dass Jesus Christus barmherzig sei und allen Sündern vergebe.

Aus dem Leben von Jesus Christus konnte der Beschwerdeführer – wenn auch erst auf Nachfrage, aber so doch – angeben, dass er am Kreuz gestorben sei und dass dessen Mutter Maria und dessen „Vater auf Erden“ Josef – ein Tischler – gewesen seien. Als wichtigste Feiertage des Christentums konnte er Weihnachten als das Fest der Geburt Christi, Ostern und Pfingsten benennen. Er gab an, dass er wöchentlich die Sonntagsmesse besuche und konnte den Ablauf eines Gottesdienstes im Wesentlichen beschreiben.

Der Beschwerdeführer gab an, dass er seinen neuen Glauben nicht für sich als Privatsache behalten, sondern „allen zeigen“ wolle, dass er Christ sei. Mit seinen Freunden führe er zwar keine religiösen Gespräche, weil diese das nicht wollten, es werde aber „hinter seinem Rücken“ viel darüber geredet, dass er sich vom Islam ab- und dem Christentum zugewendet habe. Es sei auch schon vorgekommen, dass er in seinem Bekanntenkreis als Atheist bezeichnet worden sei. Alle seine Verwandten, die im Iran oder in Afghanistan lebten, wüssten über seine Konversion Bescheid, weil er seinen Eltern davon erzählt habe, dass er „den rechten Weg“ gefunden habe. Er hatte dabei auf Verständnis seiner Eltern gehofft, diese hätten aber seine Entscheidung nicht toleriert, ihn als ihren Sohn verstoßen und gemeint, dass er nun ein „Ungläubiger“ sei. Er werde trotzdem bei einer Rückkehr nach Afghanistan Christ bleiben, weil dies „der rechte Weg“ sei, und deswegen wahrscheinlich bereits am ersten Tag einer Rückkehr getötet werden.

Die als Zeugin befragte XXXX gab an, dass sie Pastoralassistentin und Katechumenatsverantwortliche der Diözese XXXX und Leiterin der diözesanen Taufgruppen sei. Sie habe den Beschwerdeführer Ende April 2019 kennengelernt. Die Taufvorbereitung dauere regelmäßig mindestens ein Jahr lang, in dieser Zeit habe sie die Möglichkeit, sich die Taufinteressenten genau anzusehen und mit ihnen zu reden. Bevor ein Taufwerber in das Katechumenat aufgenommen werde gebe es die Zeit des sogenannten „Vorkatechumenats“, welche im Falle des Beschwerdeführers von April bis Oktober 2019 gedauert habe. Dabei habe sie gemerkt, dass die Erfahrungen im Syrienkrieg und die Konflikte in Afghanistan und im Iran den Beschwerdeführer sehr stark geprägt hätten, was dazu geführt habe, dass sich dieser vom Islam abwandte. Er habe nach seiner Ankunft in Österreich erste Erfahrungen mit den Pfarrmitgliedern gemacht und sei von deren Hilfsbereitschaft sehr angetan gewesen.

Der Beschwerdeführer bekenne seinen Glauben auch in seinem muslimischen Umfeld und auch – was eine besonders überzeugende Handlung, die viel Mut verlange, darstelle – gegenüber seiner Herkunftsfamilie, was zu einem Bruch mit derselben geführt habe.

Nachgefragt gab die Zeugin an, dass sie ausschließe, dass gegenständlich eine bloße „Scheinkonversion“ vorliege. Die Kirche und sie als Vertreterin der Kirche hätten kein Interesse an Scheinkonversionen. Es komme auch vor, dass sie Personen von der Taufe abrate, wenn sie merke, dass diese es nicht ernst meinen würden. Es werde sehr genau darauf geschaut, dass eine tatsächliche und echte Hinwendung zu Jesus Christus stattfinde. Die Taufwerber und auch die bereits getauften Personen würden sich gegenseitig beobachten und kontrollieren. Wenn dabei ein „Verdacht“ entstünde, würde sie sofort darüber informiert werden.

Nachgefragt gab die Zeugen in, dass sie in ihrer Funktion als Leiterin von Taufgruppen im Laufe der Jahre schon mit mehr als 100 Asylwerbern zu tun gehabt habe. Davon seien aber nicht alle letztlich auch getauft worden, viele hätten es gar nicht bis zur Aufnahme in den Katechumenat geschafft. Es sei oft schwierig, auch nach der Taufe Kontakt mit allen Getauften zu halten, es sei ihr aber kein konkreter Fall bekannt, in dem sich ein Getaufter nach dem Erhalt des Asylstatus rasch wieder vom Christentum abgewandt habe.

Vor Ende der mündlichen Verhandlung gab die Vertreterin des Beschwerdeführers eine Stellungnahme ab, der zu Folge dieser mittlerweile als Christ in Österreich lebe und regelmäßig die Glaubenskurse und die Gottesdienste besuche. Auch die Zeugin habe bestätigt, dass es der Beschwerdeführer mit der Konversion ernst nehme und er sich aus innerer Überzeugung dem Christentum zugewandt habe. Er würde auch in Afghanistan seinen Glauben nicht verleugnen. Dem Beschwerdeführer würden daher in Afghanistan Verfolgungshandlungen sowohl von Seiten der Taliban als auch von der konservativ eingestellten islamischen Gesellschaft drohen. Es könne weiters nicht ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer staatliche Verfolgung aufgrund seines unrechtmäßigen Verlassens der afghanischen Armee und in diesem Zusammenhang eine unverhältnismäßige Strafe drohe. Der Beschwerdeführer, der an einer unheilbaren rheumatischen Erkrankung leide, sei auch kein gesunder Mann. Er benötige eine engmaschige medizinische Behandlung, die er in Afghanistan nicht erhalten würde. Bleibe die Erkrankung unbehandelt, könne dies schlimmstenfalls zu einer Lähmung führen. Vor allem in Hinblick auf die erschöpften Ressourcen im Gesundheitsbereich im Zusammenhang mit der Covid-19 Pandemie könne im Falle des Beschwerdeführers, der zu einer besonders vulnerablen Personengruppe zähle, eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte nicht ausgeschlossen werden. Dem Beschwerdeführer sei daher der Status eines Asylberechtigten, in eventu der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, zu dessen Fluchtgründen und zu dessen Situation im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsbürger, führt den Namen XXXX und ist am XXXX in der Provinz Herat geboren. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an, war schiitischer Moslem und ist mittlerweile zum Christentum konvertiert. Seine Muttersprache ist Dari, er ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer ist spätestens am 05.01.2016 illegal in Österreich eingereist.

Die Kernfamilie des Beschwerdeführers hat Afghanistan später als dieser ebenfalls verlassen und lebt derzeit im Iran. In Afghanistan befinden sich noch Onkel und Tanten des Beschwerdeführers sowie Cousins und Cousinen von diesem.

Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan acht Jahre lang die Grundschule besucht und verfügt über Berufserfahrung als Schneider.

Er verfügt in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte, lebt nicht in einer Partnerschaft und hat in Österreich keine spezielle Bezugsperson. Er ist nicht Mitglied in einem Verein.

Der Beschwerdeführer befindet sich in einem körperlich durch eine schwere Rheumaerkrankung stark beeinträchtigten Zustand.

Der Beschwerdeführer ist als Moslem geboren und hat sich aus freien Stücken nach seiner Einreise in Österreich dazu entschlossen, zum christlichen Glauben zu wechseln. Er hat sich spätestens seit dem Jahr 2018 mit dem Christentum auseinandergesetzt und in der Zeit von April bis Oktober 2019 das Vorkatechumenat in der Diözese XXXX absolviert. Dir für den Herbst 2020 geplante Taufe des Beschwerdeführers musste corona-bedingt auf Ostern 2021 verschoben werden. Er besucht regelmäßig die Gottesdienste und die Glaubenskurse in einer römisch-katholischen Kirchengemeinde. Er verfügt über profunde Kenntnisse betreffend das Christentum und den christlichen Glauben.

Der Beschwerdeführer hat sich aus innerer Überzeugung ernsthaft und nachhaltig dem Christentum zugewandt. Er informierte auch seine Kernfamilie, die sich im Iran aufhält, sowie Personen aus seinem Umfeld und Bekanntenkreis von seiner Konversion zum Christentum und würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan seinen nunmehrigen christlichen Glauben nicht leugnen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Für den Beschwerdeführer besteht im Falle einer Rückkehr in ganz Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aufgrund eines asylrechtlich relevanten Grundes, nämlich seiner religiösen Gesinnung, verfolgt zu werden.

Für den Beschwerdeführer besteht in Afghanistan keine innerstaatliche Fluchtalternative.

1.2. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, zuletzt gesamtaktualisiert am 13.11.2019 und mit der zuletzt eingefügten Kurzinformation vom 18.05.2020, wird auszugsweise und beschränkt auf die relevanten Abschnitte wie folgt angeführt:

1.2.1. Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).

1.2.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses Systemfunktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.2.3. Zur aktuellen Lage hinsichtlich Covid-19:

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblemen bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen, Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommission gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

1.2.4. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.2.5. Provinzen und Städte

1.2.5.1. Provinz Herat

Herat liegt im Westen Afghanistans. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Die Provinz hat 2.095.117 Einwohner. Die Provinz ist über einen Flughafen in der Nähe von Herat-Stadt zu erreichen (LIB, Kapitel 3.13).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, in dem die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte. Im Jahr 2018 gab es 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.13).

In der Provinz Herat - mit Ausnahme in der Stadt Herat - kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Die Hauptstadt der Provinz ist Herat-Stadt. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

1.2.6. Religionsfreiheit

1.2.6.1. Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (USDOS 21.6.2019).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 21.6.2019).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 21.6.2019). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 21.6.2019).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 21.6.2019).

1.2.6.2. Christentum und Konversionen zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha‘i, Hindus und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 21.6.2019). USDOS schätzte im Jahresbericht zur Religionsfreiheit 2009 die Größe der geheimen christlichen Gemeinschaft auf 500 bis 8.000 Personen (USDOS 26.10.2009). Religiöse Freiheit für Christen in Afghanistan existiert; gemäß der afghanischen Verfassung ist es Gläubigen erlaubt, ihre Religion in Afghanistan im Rahmen der Gesetze frei auszuüben. Dennoch gibt es unterschiedliche Interpretationen zu religiöser Freiheit, da konvertierte Christen im Gegensatz zu originären Christen vielen Einschränkungen ausgesetzt sind. Religiöse Freiheit beinhaltet nicht die Konversion (RA KBL 1.6.2017).

Tausende ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 1.6.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 2.9.2019). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken (USDOS 21.6.2019).

Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. Zur Zahl der Konvertiten gibt es keine Statistik. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden (RA KBL 1.6.2019).

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 2.9.2019; vgl. USCIRF 4.2018, USDOS 21.6.2019), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 21.6.2019; vgl. AA 2.9.2019). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (WA 11.12.2018; vgl. AA 2.9.2019). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017).

Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Es gibt keine Berichte zu staatlicher Verfolgung aufgrund von Apostasie oder Blasphemie (USDOS 21.6.2019).

Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und missionieren (USDOS 21.6.2019). Ein christliches Krankenhaus ist seit 2005 in Kabul aktiv (CURE 8.2018); bei einem Angriff durch einen Mitarbeiter des eigenen Wachdienstes wurden im Jahr 2014 drei ausländische Ärzte dieses Krankenhauses getötet (NYP 24.4.2014). Auch gibt es in Kabul den Verein „Pro Bambini di Kabul“, der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht. Dieser betreibt eine Schule für Kinder mit Behinderung (PBdK o.D.; vgl. AF 4.1.2019).

1.2.7.  Situation für Rückkehrer/innen

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).

Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf d

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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