TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/8 W194 2182623-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

08.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W194 2182623-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Daniela Sabetzer über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.12.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass er insgesamt zu lauten hat:

„ XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.“

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsbürger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 29.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 30.11.2015 erfolgte seine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes.

2. Am 22.11.2017 wurde der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde einvernommen. Er legte eine Bestätigung über die Teilnahme am XXXX vom 20.11.2017, einen psychiatrischen Befund vom 14.09.2017 und diverse Fotos vor.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 12.12.2017, der dem Beschwerdeführer am 02.01.2018 zugestellt wurde, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 sowie § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 52 Abs. 9 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten führte die belangte Behörde aus, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt wäre. Zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde angeführt, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine Notlage entsprechend Art. 2 bzw. Art. 3 EMRK gelangen würde. Die belangte Behörde konnte im Hinblick auf Art. 8 EMRK kein schützenswertes Familien- oder Privatleben des Beschwerdeführers in Österreich feststellen.

Des Weiteren wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsberater am 10.01.2018 Beschwerde.

5. Die belangte Behörde übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht mit hg. am 11.01.2018 eingelangter Beschwerdevorlage den verfahrensgegenständlichen Verwaltungsakt.

6. Mit Schreiben vom 06.05.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien des Verfahrens die Ladungen zur Verhandlung sowie die im Beschwerdefall vorläufig als relevant erachteten Berichte zur Lage in Afghanistan.

7. Mit am 26.05.2020 eingelangtem Schreiben brachte der Beschwerdeführer, vertreten durch Queer Base, eine Beschwerdeergänzung sowie einen Zeugenantrag ein und legte folgende Unterlagen vor: einen Sozialbericht vom 22.02.2020, einen Psychiatrischen Befund vom XXXX , ein Schreiben des XXXX vom XXXX , zwei ärztliche Befundberichte vom 09.05.2018 und 16.08.2018, ein Protokoll des Bezirksgerichtes Innere Stadt aus dem Verfahren zur Bestellung einer Erwachsenenvertretung vom 20.05.2020, einen Befundbericht vom XXXX , einen Psychotherapeutischen Befundbericht vom XXXX , ein Unterstützungsschreiben sowie eine Teilnahmebestätigung des XXXX vom 03.07.2018.

8. Mit Schreiben vom 04.06.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerdeergänzung an die belangte Behörde zur Kenntnis.

9. Mit Schreiben vom 04.06.2020 wurde vom Bundesverwaltungsgericht der beantragte Zeuge zur Verhandlung geladen.

10. Am 19.06.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter teilnahmen und der ein Dolmetscher für die Sprache Dari beigezogen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern.

Der Beschwerdeführer wurde in der Verhandlung zu seinem bisherigen Leben, seinen Fluchtgründen und seinem Leben in Österreich befragt. Er legte weitere Unterlagen vor. Weiters wurde der geladene Zeuge befragt, und es wurden die Länderberichte zum Herkunftsland des Beschwerdeführers sowie Informationen zu COVID-19 erörtert.

Die Niederschrift der Verhandlung samt den vorgelegten Unterlagen wurde der belangten Behörde zur Kenntnis übermittelt.

11. Am 24.06.2020 erstattete der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers – wie in der mündlichen Verhandlung aufgetragen – eine Urkundenvorlage.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Beschwerdeführer:

1.1.1. Zu seiner Person, seiner Herkunft, seiner Familie und seinem Leben in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Seine Muttersprache ist Dari. Er wurde in Afghanistan in der Provinz XXXX geboren, verließ sein Heimatland im Alter von ca. XXXX und lebte bis zu seiner Ausreise nach Europa im Jahr 2015 XXXX .

Der Beschwerdeführer stellte am 29.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich seit der Antragstellung durchgehend in Österreich auf und bezieht Grundversorgung.

Der Beschwerdeführer hat aktuell keine Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Er hat regelmäßig Kontakt zu seinem XXXX . Er hat in Österreich keine Familienangehörigen.

Der Beschwerdeführer wurde als schiitischer Moslem geboren. Er sieht sich aktuell als keiner Religion nahe stehend an.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich einmal strafgerichtlich verurteilt. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX wurde er wegen eines Vergehens (§ 88 Abs. 1, Abs. 3 zweiter Fall und Abs. 4 zweiter Fall StGB) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt.

Zum Zeitpunkt dieser Entscheidung ist der Beschwerdeführer XXXX alt. Er ist nicht verheiratet und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer besuchte von Oktober 2016 bis Juni 2018 XXXX .

1.1.2. Zu seiner sexuellen Orientierung:

Der Beschwerdeführer ist homosexuell. Er ist sich seiner sexuellen Orientierung ca. seit dem XXXX bewusst. Der Beschwerdeführer hatte bzw. hat in Österreich – wie schon zuvor „absolut heimlich“ XXXX – immer wieder Beziehungen zu Männern. Zur Verhandlung wurde er von seinem XXXX Partner begleitet.

1.1.3. Zu seinem Gesundheitszustand:

Der Beschwerdeführer ist XXXX und XXXX erkrankt. Er leidet insbesondere an schweren Schlafstörungen sowie an XXXX Symptomen. Er nimmt täglich Medikamente wegen der XXXX und zur Abschwächung der XXXX ein. Der Beschwerdeführer ist regelmäßig in ärztlicher Behandlung und benötigt aufgrund seines Gesundheitszustandes Unterstützung im Alltag und bei der Organisation seiner Medikamente.

Der Beschwerdeführer selbst bezeichnet seinen Gesundheitszustand als „nicht gut“. Sein Betreuer im Flüchtlingsheim, der in der Verhandlung als Zeuge befragt wurde, beschreibt die psychische Verfassung des Beschwerdeführers als „durchgehend […] sehr schlecht“.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX wurde das Verfahren zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für den Beschwerdeführer gemäß § 122 AußStrG eingestellt.

1.1.4. Zu seiner befürchteten Verfolgung in Afghanistan:

Der Beschwerdeführer läuft in Afghanistan Gefahr, aufgrund seiner sexuellen Orientierung im gesamten Staatsgebiet Strafverfolgung, Gewalthandlungen, erheblichen Eingriffen in seine Unversehrtheit und/oder gravierenden Bedrohungen durch staatliche Organe oder Private ausgesetzt zu sein.

1.2. Zum neuartigen Corona-Virus (Informationen des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz):

„[…]

Umbenennung von Krankheit und Erreger

Am 11.02.2020 verlautbarte die WHO (World Health Organisation) einen offiziellen Namen für die Erkrankung: COVID-19 (coronavirus disease 2019, „Coronavirus-Krankheit 2019“).

Die Bezeichnung für den Erreger wurde von 2019-nCoV auf SARS-CoV-2 (severe acute respiratory syndrome coronavirus 2) geändert.

Übersicht

COVID-19 ist eine durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachte Infektionskrankheit. Sie wurde erstmals 2019 in Metropole Wuhan (Provinz Hubei) beschrieben, entwickelte sich im Januar 2020 in der Volksrepublik China zur Epidemie und breitete sich schließlich zur weltweiten COVID-19-Pandemie aus. Die genaue Ausbruchsquelle ist derzeit noch unbekannt. Es wird angenommen, dass sich das Virus wie andere Erreger von Atemwegserkrankungen hauptsächlich durch Tröpfcheninfektion verbreitet.

[…]

Inhaltlicher Stand: 16. April 2020

[…]

Die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung listet die medizinischen Gründe (Indikationen) für die Zugehörigkeit einer Person zur COVID-19-Risikogruppe. Auf Grundlage dieser Indikationen darf eine Ärztin/ein Arzt ein COVID-19-Risiko-Attest ausstellen.

Die medizinischen Hauptindikationen sind:

1. fortgeschrittene chronische Lungenkrankheiten, welche eine dauerhafte, tägliche, duale Medikation benötigen

2. chronische Herzerkrankungen mit Endorganschaden, die dauerhaft therapiebedürftig sind, wie ischämische Herzerkrankungen sowie Herzinsuffizienzen

3. aktive Krebserkrankungen mit einer jeweils innerhalb der letzten sechs Monate erfolgten onkologischen Pharmakotherapie (Chemotherapie, Biologika) und/oder einer erfolgten Strahlentherapie sowie metastasierende Krebserkrankungen auch ohne laufende Therapie

4. Erkrankungen, die mit einer Immunsuppression behandelt werden müssen

5. fortgeschrittene chronische Nierenerkrankungen

6. chronische Lebererkrankungen mit Organumbau und dekompensierter Leberzirrhose ab Childs-Stadium B

7. ausgeprägte Adipositas ab dem Adipositas Grad III mit einem BMI >= 40

8. Diabetes mellitus

9. arterielle Hypertonie mit bestehenden Endorganschäden, insbesondere chronische Herz- oder Niereninsuffizienz, oder nicht kontrollierbarer Blutdruckeinstellung.

Diese medizinischen Hauptindikationen werden in der Verordnung weiter unterteilt und genau beschrieben.

Daneben können auch andere, ähnlich schwere Erkrankungen mit funktionellen oder körperlichen Einschränkungen einen besonderen Schutz durch ein COVID-19-Risiko-Attest begründen.

(13.05.2020, 13:00)“

1.3. Zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Im Verfahren wurden folgende Quellen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers herangezogen:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Information eingefügt am 18.05.2020

?        Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gruppe 62 – Informationszentrum Asyl und Migration, Briefing Notes, 04.05.2020

?        Schweizer Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Situation homosexueller Personen Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 30.04.2020

?        EASO Country Guidance: Afghanistan, Guidance note and common analysis, Juni 2019

?        UNHCR-RICHTLINIEN zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018

1.3.1. Zu COVID-19:

1.3.1.1. Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation:

„Länderspezifische Anmerkungen COVID-19

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an CO-VID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Län-der tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

?        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

?        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

Quellen:

[…]“

1.3.1.2. Aus den Briefing Notes des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu Afghanistan:

„COVID-19-Pandemie

Die Zahl der bestätigten COVID-19-Fälle steigt weiterhin an. Positiv getestete Personen werden aus allen 34Provinzen gemeldet. Die höchste Anzahl an Fällen weist Kabul auf, gefolgt von Herat, Kandahar und Balkh. Das afghanische Gesundheitsministerium erwartet, dass die größte Welle von Infektionen mit COVID-19 erst noch bevorsteht. Das afghanische Finanzministerium rechnet aufgrund COVID-19 mit 50 % weniger Einnahmen im laufenden Finanzjahr. Hinzu kommt, dass in Iran über 3,3 Millionen Menschen ihre Arbeitsstellen verloren haben, darunter eine hohe Zahl von Tagelöhnern, von denen wiederum sehr viel Afghanen sind. Für Afghanistan bedeutet dies, dass Überweisungen der Arbeitsmigranten ausfallen, welche für viele Familien die Lebensgrundlage bilden. Am 02.05.20 hat die afghanische Regierung angeordnet, dass alle kommerziellen Inlandsflüge bis zum Ende des Ramadan (24.05.20) eingestellt werden. Ausnahmen gelten für humanitäre Zwecke. Die Ausgangsbeschränkungen in Kabul bleiben bis zum Ende des Ramadan in Kraft.“

1.3.2. Sexuelle Orientierung / Homosexualität:

1.3.2.1. Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation:

„Sexuelle Orientierung und Genderidentität

Letzte Änderung: 22.4.2020

Das afghanische Strafgesetzbuch verbietet einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen zwei Angehörigen desselben Geschlechtes (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.2.2019, MoJ 15.5.2017: Art. 645, 649). Der Geschlechtsverkehr zwischen Männern ist eine Straftat, die – laut afghanischem Strafgesetzbuch, Artikel 646 – mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren, Geschlechtsverkehr zwischen Frauen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr, geahndet wird (USDOS 11.3.2020).

Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.2.2019). Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review (UPR)-Verfahrens im Jänner 2014 in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanische Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) zurück. Beim UPR Afghanistans im Januar 2019 standen LGBTI [Anm. Lesbian, Gay, Bisexual, Transexuell/Transgender und Intersexual] nicht auf der Agenda. Bisexuelle und homosexuelle Orientierung sowie transsexuelles Leben werden von der breiten Gesellschaft abgelehnt und können daher nicht in der Öffentlichkeit gelebt werden (AA 2.9.2019).

Laut Art. 247 des afghanischen Strafgesetzbuchs werden neben außerehelichem Geschlechtsverkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjähriger Haftstrafe sanktioniert. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen. Organisationen, die sich für den Schutz der sexuellen Orientierung einsetzen, arbeiten im Untergrund (AA 2.9.2019).

Homosexualität wird weitverbreitet tabuisiert und als unanständig betrachtet. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft haben keinen Zugang zu bestimmten gesundheitlichen Dienstleistungen und können wegen ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeit verlieren. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft werden diskriminiert, misshandelt, vergewaltigt und verhaftet (USDOS 11.3.2020).

Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe kann nicht nachgewiesen werden, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt. Es wird jedoch von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Vor allem aufgrund der starken Geschlechtertrennung kommt es immer wieder zu freiwilligen oder erzwungenen homosexuellen Handlungen zwischen heterosexuellen Männern (AA 2.9.2019).

Unter der Scharia ist bereits die Annäherung des äußeren Erscheinungsbilds, etwa durch Kleidung, an das andere Geschlecht verboten. Die Scharia verbietet daher auch die Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit transsexueller Personen (AA 2.9.2019). Es gibt nur wenige spezifische Informationen über Transgender oder Intersex-Personen in Afghanistan (DFAT 18.9.2017).

Gespräche über Sexualität, sexuelle Bedürfnisse und sexuelle Probleme sind in der afghanischen Gesellschaft kein akzeptiertes Gesprächsthema (EASO 12.2017; vgl. Bamik 7.2018) und dieses Thema wird geheim gehalten. Zwischen Ehepartnern wird ein solches Gespräch als negativ, beschämend und böse betrachtet. Afghanische Eltern schämen sich, mit ihrem Nachwuchs über Sexualität zu sprechen und an afghanischen Schulen wird keine Sexualkunde unterrichtet (Bamik 7.2018).

Es besteht eine niedrige soziale Toleranz gegenüber Personen mit einer sexuellen Orientierung oder Genderidentität außerhalb der erwarteten Normen der Heterosexualität. Ein solches Bekenntnis ist ein soziales Tabu und wird als unislamisch betrachtet (EASO 12.2017).

Es existieren zahlreiche traditionelle Praktiken, die zwar nicht offiziell anerkannt sind, jedoch teilweise im Stillen geduldet werden. Beispiele dafür sind die Bacha Push und Bacha Bazi. Bacha Push sind junge Mädchen, die sich als Jungen ausgeben, um eine bestimmte Bildung genießen zu können, alleine außer Haus zu gehen oder Geld für die sohn- oder vaterlose Familie zu verdienen (AA 2.9.2019). Bacha Bazi sind Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind (MoJ 15.5.2017: Art. 653).

Bei den Bacha Push handelt es sich i. d. R. nicht um eine transsexuelle, sondern eine indirekt gesellschaftlich bedingte Lebensweise. Bei Entdeckung droht Verfolgung durch konservative oder religiöse Kreise, da ein Mädchen bestimmte Geschlechtergrenzen überschritten und sich in Männerkreisen bewegt hat (AA 2.9.2019; vgl. NGI 6.3.2018). Meist erfolgt das Ausgeben der Mädchen als Buben mit der Unterstützung der Familie, beispielsweise weil es in der Familie keinen Sohn gibt. Mit Erreichen der Pubertät kehren die meisten Bacha Push zurück zu ihrem Leben als Mädchen (CAI 28.3.2019; vgl. OF 16.5.2018).

[…]

Quellen:

[…]“

1.3.2.2. Aus dem Themenpapier der SFH-Länderanalyse (Auszüge):

„[…]

3 Staatliche Verfolgung

Strukturelle Vorurteile gegen LGBTIQ-Personen bei Vertretern der staatlichen Behörden weit verbreitet. Im Juli 2018 schrieb Thomas Ruttig, «existierende strukturelle Vorurteile (…) (gegen LGBTIQ und weitere gesellschaftliche Gruppen können) in staatliche Diskriminierung oder Verfolgung ausarten, weil sie sichtbar bei staatlichen Behördenvertretern (z.B. in Gerichten oder bei der Polizei) vorkommen. Das wird dann – auch wegen der Schwäche des Staates – von den Betroffenen als staatliche Verfolgung begriffen (…).»40

Berichte über Belästigung, Gewalt, Festnahmen, Inhaftierung, Raub und Vergewaltigung von LGBTIQ-Personen durch staatliche Sicherheitskräfte und Behörden. USDOS berichtete im März 2020 von Belästigung und Gewalt gegen LGBTIQ durch die Polizei. Dieselbe Quelle gab an, LGBTIQ-Personen hätten berichtet, sie seien weiterhin Festnahmen durch staatliche Sicherheitskräfte ausgesetzt.41 Auch gemäss UNHCR werden «Personen mit unterschiedlichen sexuellen Ausrichtungen und Geschlechtsidentitäten (SOGI42) (…) laut Berichten Opfer von Diskriminierung und Gewalt, auch durch Behörden.»43 RFE/RL berichtete im September 2017, homosexuelle Männer in Afghanistan könnten von staatliche Behörden inhaftiert werden.44 Laut ILGA und der Geschlechterforscherin Ritu Mahendru sind LGBTIQ-Personen starker Gewalt und Diskriminierung durch die afghanischen Behörden ausgesetzt.45 DFAT berichtete im Juni 2019 über ein hohes Risiko für LGBTIQ-Personen, Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt zu sein, einschliesslich Festnahmen, Belästigung und Misshandlung durch die Polizei.46

Polizei und Behörden sind über die Existenz geheim gehaltener homosexueller Beziehungen und Treffpunkte informiert, Erpressen sexueller Gefälligkeiten von LGBTIQ-Personen, Verschwindenlassen. Laut Ritu Mahendru hat die afghanische Polizei Kenntnis über geheim gehaltene homosexuelle Beziehungen und Treffpunkte. Sie verlange bisweilen sexuelle Gefälligkeiten oder Bestechungsgelder im Austausch dafür, dass sie nichts unternehme. Ritu Mahendru zitiert den afghanisch-amerikanischen LGBTIQ-Aktivisten Nemat Sadat, gemäss dem die afghanischen Behörden homosexuelle Personen in eine Falle locken und verschwinden lassen.47 RFE/RL zitiert einen in der westafghanischen Stadt Farah lebenden homosexuellen Mann, gemäss dem die Polizei häufig Geld oder sexuelle Gefälligkeiten verlange; andernfalls würde sie drohen, die Familien zu informieren.48 Ein Artikel der Associated Press vom November 2016 zitiert zwei homosexuelle Männer in Kabul, die berichteten, die Polizei versuche, LGBTIQ-Personen in eine Falle («honey trap») zu locken, um sie ohne Anklage und aufgrund des blossen Verdachts der Homosexualität ins Gefängnis zu werfen.49 DFAT verweist ebenfalls auf das hohe Risiko für LGBTIQ-Personen, in eine von der Polizei gestellte Falle zu gehen.50

Polizei geht gegen tatsächliche oder vermeintliche LGBTIQ-Personen vor, Anzeigen bei der Polizei aufgrund des Vorwurfs der Homosexualität erhöhen Verfolgungsrisiko. Laut UNHCR geht die afghanische Polizei gegen tatsächliche oder vermeintliche LGBTIQ-Personen mittels «Schikanen, Gewalt (einschliesslich Vergewaltigung), Festnahme und Inhaftierung» vor.51 […]

4 Nichtstaatliche Verfolgung

4.1 Bewaffnete Oppositionsgruppen einschliesslich der Taliban

Parallelstaatliche Taliban-Gerichte stützen sich sowohl auf islamisches Recht als auch auf kulturelle Normen und weitere «Überlegungen» als Rechtsquellen. Gemäss einer Studie des Overseas Development Institute vom Juni 2018 berufen sich die parallel-staatlichen Gerichte, die die Taliban in Gebieten unter ihrer Kontrolle einsetzen, laut den für die Studie befragten Taliban-Richtern bei ihren Urteilen einerseits auf den Koran und shash kitab, welches aus der sunna53 und den Hadithen besteht, sowie auf Präzedenzfälle als Rechtsquellen. Einige hätten angegeben, dass sie sich auf Logik (qiyas) und Konsens (ijma, welches sich üblicherweise auf Gelehrte oder gebildete Älteste bezieht), berufen. Andererseits sei jedoch während der Studie klar geworden, dass islamisches Recht nicht die einzige, nicht einmal die wichtigste, Referenz war. Kulturelle Normen, der «gesunde Menschenverstand» und «politischer Scharfsinn» seien ebenfalls einflussreich, auch wenn die befragten Richter dies nicht hätten zugeben wollen.54

Gezielte Verfolgung und aussergerichtliche Bestrafung von LGBTIQ-Personen durch bewaffnete Oppositionsgruppen. Laut EASO sind LGBTIQ-Personen gezielter Verfolgung und aussergerichtlicher Bestrafung durch aufständische Gruppen ausgesetzt.55 Gemäss UNHCR werden «Personen mit unterschiedlichen sexuellen Ausrichtungen und Geschlechtsidentitäten (SOGI) (…) laut Berichten Opfer von Diskriminierung und Gewalt, auch durch (…) regierungsfeindliche Kräfte.»56 Im Juni 2017 berichtete die BBC in einem Artikel über das Leben unter den Taliban in der Provinz Helmand, diese würden Homosexualität hart bestrafen. Allerdings habe es den Anschein, dass der Rechtsprozess der Taliban durch eine Mischung aus Beziehungen und Bestechungsgeldern beeinflusst werden könne.57 Ein von Ritu Mahendru im März 2017 zitierter homosexueller Mann berichtete, es gebe viele Aufständische und organisierte Gruppen in Kabul, einschliesslich der Taliban, der Mujahideen und vieler Personen, die eine Gefahr für homosexuelle Männer darstellten. Ein wei-terer homosexueller Mann berichtete, afghanische homosexuelle Männer seien physischer Gewalt durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt.58

[…]

4.2 Familie

Familienmitglieder als Urheber von Gewalt und Drohungen gegen LGBTIQ-Personen. Die eigene Familie stellt laut einer Reihe von Quellen eine deutliche Bedrohung für LGBTIQ-Personen dar; häufig würden diese Opfer von Gewalt durch Familienmitglieder. So sind LGBTIQ-Personen gemäss ILGA starker Gewalt und Diskriminierung durch ihre Familie ausgesetzt.63 EASO berichtete im Juni 2019, dass LGBTIQ-Personen einer Bedrohung durch ihre Familie ausgesetzt sind.64 Laut UNHCR werden «Personen mit unterschiedlichen sexuellen Ausrichtungen und Geschlechtsidentitäten (SOGI) (…) laut Berichten Opfer von Diskriminierung und Gewalt, auch durch (…) Familienangehörige.»65 Auch gemäss Ritu Mahendru sind LGBTIQ-Personen ständiger Gewalt durch ihre Familien ausgesetzt.66

«Ehrenmorde» an tatsächlichen oder vermeintlichen LGBTIQ-Personen durch Familienmitglieder. Im Februar 2018 berichtete die Organisation Amnesty International, sie habe «Fälle dokumentiert, in denen die eigene Familie ihre Angehörigen ermordete oder es zumindest versuchte. Oftmals reicht das Gerücht oder die Beschuldigung, um Betroffene in Gefahr zu bringen.»67 […]

Druck der Familie auf LGBTIQ-Personen, eine Person des anderen Geschlechts zu heiraten; Zwangsheiraten. Der Direktor einer Organisation, die im Geheimen Gesundheitsdienstleistungen für LGBTIQ-Personen anbietet, gab gegenüber Ritu Mahendru an, dass viele homosexuelle Männer, die seine Organisation aufsuchen, über Zwangsheiraten berichten.72 Die BBC berichtete im Oktober 2016, dass sich LGBTIQ-Personen in Afghanistan dem Druck ihrer Familie ausgesetzt sehen, eine Person des anderen Geschlechts zu heiraten und sich den traditionellen gesellschaftlichen Werten anzupassen.73

4.3 Gesellschaft

Gewalt und Hassverbrechen einschliesslich Tötungen und Vergewaltigungen, Diskriminierung von LGBTIQ-Personen. Laut Ritu Mahendru sehen sich LGBTIQ-Personen in Afghanistan Menschenrechtsverletzungen wie Mobbing und gesellschaftlichem Ausschluss bis hin zu Vergewaltigung und Hassverbrechen ausgesetzt, sobald ihre Identitäten und Aktivitäten sichtbar oder öffentlich bekannt werden.74 Der oben bereits zitierte Direktor einer Organisation, die im Geheimen Gesundheitsdienstleistungen für LGBTIQ-Personen anbietet, berichtete gegenüber Ritu Mahendru, das Töten homosexueller Personen sei in Afghanistan verbreitet und nehme jeden Tag zu. Er berichtete über einen Fall von vier homosexuellen Männern, die zwei Jahre zuvor in Stücke gehackt worden seien, nachdem sie in Kabul an eine Hausparty gelockt worden seien.75

USDOS berichtete im März 2020 von Belästigung und Gewalt gegen LGBTIQ durch Mitglieder der afghanischen Gesellschaft und zitierte LGBTIQ-Personen, die gemäss eigenen An-gaben weiterhin Diskriminierung, Angriffen und Vergewaltigung durch Mitglieder der breiten afghanischen Öffentlichkeit ausgesetzt sind.76 Auch ILGA berichtet von deutlicher Gewalt und Diskriminierung von LGBTIQ-Personen durch die afghanische Gesellschaft.77 EASO erwähnt ebenfalls die Tatsache, dass LGBTIQ-Personen durch die afghanische Gesellschaft bedroht werden. Gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen blieben verborgen und seien mit einer grossen Stigmatisierung verbunden, wenn sie öffentlich bekannt würden. Es komme zu Angriffen, Drohungen, Vergewaltigung und Erpressung von LGBTIQ-Personen.78 […]

Eingeschränkter Zugang zu medizinischer Versorgung für tatsächlich oder vermeintlich homosexuelle Personen. UNHCR erwähnt Berichte, gemäss denen «tatsächlich oder vermeintlich homosexuelle Männer und Jungen (…) nur begrenzt Zugang zu medizinischer Versorgung» haben.83 Auch EASO hebt hervor, dass LGBTIQ-Personen beim Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen Diskriminierung erfahren.84 Auch laut DFAT gibt es glaubhafte Berichte über Einschränkungen beim Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen für vermeintlich homosexuelle Männer.85

Nur zwei Einrichtungen zur HIV-Prävention. Ritu Mahendru berichtete im Januar 2017, es gebe nur zwei Gesundheitszentren in Afghanistan, die Dienstleistungen zur HIV-Prävention für Männer anbieten, die Sex mit Männern haben (MSM): eines in Kabul und eines in Mazar-i-Sharif. Aufgrund der Stigmatisierung von MSM und LGBTIQ-Personen werden diese als «male health clinics» bezeichnet. Dem Gesundheitspersonal dort fehle es jedoch an Motivation und der nötigen Ausbildung, mit sensiblen Themen anhand strenger ethischer Abläufe umzugehen. Es gebe in diesen Zentren zwar die Möglichkeit, über Stigmatisierung und Diskriminierung zu berichten; jedoch würden diese Berichte genau den Personen zugänglich gemacht, die LGBTIQ-Personen bedrohen.86

Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt, Ausweichen auf Prostitution, physische und emotionale Gewalt. Gemäss Ritu Mahendru ist es für LGBTIQ-Personen in Afghanistan aufgrund gesellschaftlicher Diskriminierung schwierig, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Deshalb würden sie sich häufig prostituieren, was sie sowohl im privaten Bereich als auch in der Öffentlichkeit verwundbar für physische und emotionale Gewalt mache.87

[…]

6 Homosexualität wird, wenn überhaupt, im Verborgenen und unter grosser Gefahr praktiziert

LGBTIQ-Personen in Afghanistan müssen ihre Sexualität verbergen oder verleugnen, aber selbst dann leben sie nicht in Sicherheit. Laut RFE/RL lebt die homosexuelle Gemeinschaft in Afghanistan ein Leben im Verborgenen.94 Die Leitungsperson der Afghanistan Unit des britischen Foreign and Commonwealth Office machte im Januar 2017 gegenüber dem Country Policy and Information Team des UK Home Office folgende Angaben: In der afghanischen Gesellschaft gebe es nur sehr wenig Raum, sich offen als LGBTIQ-Person zu identifizieren. Dies gelte für alle Landesteile gleichermassen. Gesellschaftliche Einstellungen und der rechtliche Status der Homosexualität liessen, ausser in den seltensten Ausnahmefällen, homosexuellen Personen als einzigen Ausweg, seine/ihre sexuelle Orientierung zu verbergen, um eine Bestrafung zu vermeiden.95 So gab ein von Ritu Mahendru zitierter homosexueller Mann an, Kabul sei für Menschen wie ihn nicht sicher. Es sei dort schwierig, einen anderen Mann für eine ernsthafte Beziehung zu treffen, da jeder Angst davor habe, getötet zu werden und seine Homosexualität preiszugeben.96

Gemäss HRW können Mitglieder der LGBTIQ-Gemeinschaft in Afghanistan nur dann darauf hoffen, Misshandlungen zu entgehen, wenn sie ihre sexuelle Identität verleugnen und unterdrücken; so heiraten, wie ihre Familien es für sie arrangiert haben; nur mit dem/der Ehe-partner_in Sex haben; Kinder haben; und nie eine sexuelle Beziehung ausserhalb dieser Regeln haben. Dies könne wohl kaum als «sicheres» Leben bezeichnet werden.97

Doppelleben. Homosexuelle Personen in Afghanistan führen gemäss RFE/RL und BBC oft ein Doppelleben: In der Öffentlichkeit träten sie als heterosexuell auf, während sie im Privaten homosexuell seien.98 RFE/RL zitiert einen in der Stadt Farah im Westen Afghanistans lebenden homosexuellen Mann, gemäss dem jeder ihm bekannte homosexuelle Mann mit einer Frau verheiratet sei.99

Unterschiedliche Angaben zu Treffpunkten für LGBTIQ-Personen in Afghanistan. Im März 2020 berichtete die britische Zeitung The Telegraph, es gebe in der afghanischen Hauptstadt Kabul nur noch einen Schwulenclub, der inoffiziell und im Verborgenen existie-re.100 Gemäss AP gab es im Jahr 2016 in Afghanistan einschliesslich Kabul keine regulären Treffpunkte für LGBTIQ-Personen.101 RFE/RL zitierte im September 2017 einen in der Hauptstadt Kabul lebenden homosexuellen Mann, gemäss dem sich homosexuelle Männer in Einkaufszentren, Parks und Fitnessstudios treffen, ausserdem privat in inoffiziellen Cafés, Wohnungen und nachts in Autos.102 Laut Ritu Mahendru treffen sich LGBTIQ-Personen in Kabul in Einkaufszentren, Fitnessstudios und Restaurants, aber auch an Hausparties und in Hotels.103 Der in den USA aufgewachsene afghanische LGBTIQ-Aktivist Nemat Sadat gab gegenüber der BBC an, 2012 und in den Jahren danach habe es in der Hauptstadt Kabul Orte wie Fitnessstudios, Parks und Einkaufszentren gegeben, an denen sich LGBTIQ-Personen für kurze, oft nur einmalige Treffen verabreden konnten.104

Treffpunkte unter polizeilicher Beobachtung. Wie in Kapitel 5 erwähnt, stehen Treffpunkte von LGBTIQ-Personen unter polizeilicher Beobachtung. Laut den dort erwähnten Quellen verlangt die Polizei bisweilen sexuelle Gefälligkeiten oder Bestechungsgelder im Austausch dafür, nichts zu unternehmen, und versucht, LGBTIQ-Personen in die Falle zu locken.105

[…]“

1.3.2.3. Aus den EASO-Leitlinien:

„14. LGBT

This profile refers to persons who are perceived as not conforming to social norms because of their sexual orientation and/or gender identity.

COI summary

In Afghan society, sexuality is not a concept that is discussed. Therefore, little information can be obtained about LGBT individuals and their position in society [Society-based targeting, 4].

For issues related to the practice of bacha bazi, which is not considered homosexuality in Afghan society, please see the specific subsection Violence against children.

Both in the Penal Code and in Sharia, same-sex activity is punishable, including by death penalty. Although the Afghan State has not implemented the death penalty for consensual same-sex acts between adults in private, imprisonment and police harassment, including robbing and rape of gay men, is reported [Society-based targeting, 4.1].

Targeting and extrajudicial punishment by insurgent groups also take place. In 2015, it was reported that the Taliban had sentenced two men and a teenager to execution for homosexuality [Society-based targeting, 4.1].

LGBT individuals also face a threat by their family and society. Same-sex practices remain hidden and are highly stigmatised if mentioned publicly. Identifying as having a sexual orientation or identity outside the expected norms of heterosexuality is a societal taboo and is seen as un-Islamic. Sources report discrimination, including in health services and employment, assaults, threats, rape, blackmail and arrest [Society-based targeting, 4.2].

Although Afghanistan has traditions of a ‘third gender’, where individuals identify outside categories of male and female, these people are not legally recognised and function only at the margins of society [Society-based targeting, 4.2.1].

Risk analysis

The acts to which LGBT individuals could be exposed are of such severe nature that they would amount to persecution (e.g. rape, execution, killings).

The State could be considered an actor of persecution. Persecution could also be by insurgent groups, as well as by their family and/or the society in general, as there is a low societal tolerance in Afghanistan for individuals with sexual or gender identities deviating from the ‘norm’.

It has to be noted that an applicant cannot be expected to conceal their sexual orientation or gender identity.19

In the case of LGBT applicants, in general, well-founded fear of persecution would be substantiated.

Nexus to a reason for persecution

Available information indicates that the persecution of this profile is for reasons of membership of a particular social group, based on a shared characteristic or belief that is so fundamental to the identity of the applicant, that he or she should not be forced to renounce it; and based on their distinct identity in Afghanistan, because they are perceived as being different by the surrounding society.”

1.3.2.4. Aus den UNHCR-Richtlinien:

„Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten

[…]

Im Lichte der Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen und der starken gesellschaftlichen Tabus ist UNHCR der Ansicht, dass für Personen mit unterschiedlichen sexuellen Ausrichtungen und Geschlechtsidentitäten (SOGI) wahrscheinlich ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe besteht, da sie tatsächlich oder vermeintlich vorherrschenden rechtlichen, religiösen und gesellschaftlichen Normen nicht entsprechen. Für sie kann auch aus anderen relevanten Konventionsgründen ein Bedarf an internationalem Schutz bestehen. Ähnlich besteht aus denselben Gründen für Personen mit vermeintlich unterschiedlichen sexuellen Ausrichtungen und Geschlechtsidentitäten wahrscheinlich ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz. Es ist zu berücksichtigen, dass von Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten nicht erwartet werden kann, dass sie ihre Identität ändern oder verbergen, um der Verfolgung zu entgehen. Außerdem stehen die erhebliche strafrechtliche Sanktionierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen einem Schutz von Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen durch den Staat entgegen, auch in solchen Fällen, in denen die Verfolgungshandlungen durch nichtstaatliche Akteure wie Familien- oder Gemeinschaftsangehörige erfolgen.“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Beschwerdeführer:

2.1.1. Zu seiner Person, seiner Herkunft, seiner Familie und seinem Leben in Österreich:

Die Feststellungen zur Herkunft des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Muttersprache, seiner Ausreise aus Afghanistan und dann später aus dem Iran sind unstrittig und gründen sich auf die glaubwürdigen Aussagen des Beschwerdeführers im Verfahren. Es besteht kein Grund an diesen Angaben zu zweifeln, weil diese im Laufe des gesamten Verfahrens gleichgeblieben sind, dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt (vgl. Seite 10 des angefochtenen Bescheides) und auch in der Verhandlung spontan und ohne Zögern dargetan wurden (vgl. die Seiten 6f der Niederschrift).

Dass der Beschwerdeführer am 29.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte, ist dem Polizeibericht im Verwaltungsakt der belangten Behörde zu entnehmen. Im Verfahren haben sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben, dass sich der Beschwerdeführer seit der Antragstellung nicht durchgehend in Österreich aufgehalten hätte.

Die Feststellungen zu den fehlenden Anknüpfungspunkten des Beschwerdeführers in Afghanistan, zum regelmäßigen Kontakt XXXX sowie dahingehend, dass die Eltern des Beschwerdeführers XXXX und er in Österreich keine Familienangehörigen hat, beruhen auf den glaubwürdigen und schlüssigen Schilderungen des Beschwerdeführers in der Verhandlung (vgl. die Seiten 7 und 11 der Niederschrift).

Die Feststellungen zum Religionsbekenntnis des Beschwerdeführers bzw. zu seiner aktuellen Einstellung zu Religionen stützen sich auf die glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers in der Verhandlung (vgl. Seite 6 der Niederschrift).

Die Feststellungen zur Verurteilung des Beschwerdeführers gründen sich auf einen vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Strafregisterauszug in Verbindung mit den Angaben des Beschwerdeführers dazu in der Verhandlung (vgl. Seite 5 der Niederschrift).

Das behauptete Alter des Beschwerdeführers ist im Verfahren nicht strittig. Die Feststellungen zu seinem Familienstand konnten aufgrund der glaubwürdigen Aussagen des Beschwerdeführers in der Verhandlung getroffen werden (vgl. Seite 6 der Niederschrift).

Die Feststellungen zum Besuch von XXXX gründen sich auf die vorgelegte Teilnahmebestätigung (OZ 5).

2.1.2. Zu seiner sexuellen Orientierung:

Der Beschwerdeführer hat in der Verhandlung überzeugend dargetan, dass er homosexuell sei (vgl. die Seiten 8f der Niederschrift): Er hat nachvollziehbar geschildert, dass der sich eine Beziehung zu einem Mann wünsche und sich seit ca. dem XXXX seiner sexuellen Orientierung bewusst sei. Er hat plausibel dargelegt, dass er XXXX „absolut heimlich“ Beziehungen zu Männern gehabt habe und glaubwürdig über in Österreich geführte Beziehungen zu Männern gesprochen. Der Beschwerdeführer gab nachvollziehbar an, immer wieder bei seinem XXXX Partner zu übernachten und legte Fotos von gemeinsamen Freizeitaktivitäten vor.

Die vom Beschwerdeführer schlüssig und glaubwürdig dargetanen Ausführungen zu seiner sexuellen Orientierung in der Verhandlung werden durch die sehr glaubwürdigen Angaben des in der Verhandlung als Zeugen befragten XXXX untermauert (vgl. die Seiten 12 bis 14 der Niederschrift). Der Zeuge hat insbesondere glaubwürdig dargetan, dass er über die Homosexualität des Beschwerdeführers Bescheid wisse und Partner des Beschwerdeführers kennengelernt habe.

Darüber hinaus hat das Bundesverwaltungsgericht auf folgende Beweisquellen Bedacht genommen, welche die sexuelle Orientierung des Beschwerdeführers bestätigen (vgl. OZ 5): einen XXXX Befundbericht vom XXXX , einen Befundbericht vom XXXX , in welchem der Beschwerdeführer als junger homosexueller Mann im Coming-Out Prozess beschrieben wird, sowie eine Bestätigung des XXXX vom XXXX . Zudem sind dem zitierten Beschluss des Bezirksgerichtes vom XXXX (vgl. II.1.1.3.) Feststellungen zu einem „Ex-Freund“ des Beschwerdeführers zu entnehmen.

Die genannten Beweisquellen vom XXXX bestätigen die Angaben des Beschwerdeführers in der Verhandlung, dass er „wirklich nicht leicht“ über seine Homosexualität spreche (vgl. Seite 8 der Niederschrift). Es kann dem Beschwerdeführer insoweit nicht angelastet werden, dass er seine sexuelle Orientierung erst so spät im Verfahren, nämlich erstmals in der Beschwerdeergänzung vom 26.05.2020 (vgl. OZ 5), angesprochen bzw. geltend gemacht hat. Hierbei waren auch der persönliche Eindruck, den das Bundesverwaltungsgericht vom Beschwerdeführer in der Verhandlung gewonnen hat, sowie der Umstand zu berücksichtigen, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen jungen Mann handelt, der in Afghanistan und XXXX durch die dortige islamisch-konservative Gesellschaft Prägungen erfahren hat und entsprechenden Einschränkungen unterworfen war.

Dass der Beschwerdeführer homosexuell ist, steht für das Bundesverwaltungsgericht vor dem Hintergrund all dieser Erwägungen fest.

2.1.3. Zu seinem Gesundheitszustand:

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers gründen sich auf die zahlreichen vorgelegten medizinischen Unterlagen (vgl. OZ 5) in Verbindung mit den Angaben des Beschwerdeführers in der Verhandlung (vgl. die Seiten 4 und 11 der Niederschrift) und den schlüssigen und detaillierten Schilderungen des Zeugen in der Verhandlung (vgl. die Seiten 12 bis 14 der Niederschrift).

Die Feststellungen hinsichtlich der Einstellung des Verfahrens zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für den Beschwerdeführer ergeben sich aus dem zitierten Beschluss.

2.1.4. Zu seiner befürchteten Verfolgung in Afghanistan:

Der Beschwerdeführer stützt sein Fluchtvorbringen in erster Linie auf seine erstmals in der Beschwerdeergänzung vom 26.05.2020 angesprochene sexuelle Orientierung (vgl. OZ 5 sowie die Seiten 5 und 10 der Niederschrift der Verhandlung).

Dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Homosexualität Gefahr läuft, in Afghanistan erheblichen Bedrohungen, Strafverfolgung und ernstlichen Eingriffen in seine Unversehrtheit durch staatliche Organe oder Private ausgesetzt zu sein, ist vor dem Hintergrund der im Verfahren herangezogenen Länderberichte glaubwürdig (vgl. II.1.3.2.).

Diesen sind insbesondere die folgenden Informationen zu entnehmen: Das afghanische Strafgesetzbuch verbietet einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen zwei Angehörigen desselben Geschlechtes. Der Geschlechtsverkehr zwischen Männern ist eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet wird. Gemäß dem afghanischen Strafgesetzbuch werden neben außerehelichem Geschlechtsverkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjähriger Haftstrafe sanktioniert. Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. Bisexuelle und homosexuelle Orientierung sowie transsexuelles Leben werden von der breiten Gesellschaft abgelehnt und können daher nicht in der Öffentlichkeit gelebt werden. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen. Homosexualität wird weitverbreitet tabuisiert und als unanständig betrachtet. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft haben keinen Zugang zu bestimmten gesundheitlichen Dienstleistungen und können wegen ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeit verlieren. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft werden diskriminiert, misshandelt, vergewaltigt und verhaftet. Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe kann nicht nachgewiesen werden, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt (zu Berichten über staatliche und nichtstaatliche Gewalt gegenüber homosexuellen Personen in Afghanistan siehe insbesondere II.1.3.2.2.). Es wird jedoch von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Gespräche über Sexualität, sexuelle Bedürfnisse und sexuelle Probleme sind in der afghanischen Gesellschaft kein akzeptiertes Gesprächsthema und dieses Thema wird geheim gehalten. Es besteht eine niedrige soziale Toleranz gegenüber Personen mit einer sexuellen Orientierung oder Genderidentität außerhalb der erwarteten Normen der Heterosexualität. Ein solches Bekenntnis ist ein soziales Tabu und wird als unislamisch betrachtet.

2.2. Zu den zum neuartigen Corona-Virus getroffenen Feststellungen (vgl. II.1.2.):

Die getroffenen Feststellungen gründen sich auf die auf der Website des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz aktuell veröffentlichten Informationen, welche auszugsweise wörtlich übernommen wurden (vgl. https://www.sozialministerium.at).

2.3. Zu den zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffenen Feststellungen (vgl. II.1.3.):

Die Feststellungen stützen sich auf die vom Bundesverwaltungsgericht im Verfahren herangezogenen Länderberichte (vgl. die Auflistung unter II.1.3. zu Beginn). Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und ein in den Kernaussagen völlig übereinstimmendes Gesamtbild liefern, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Die Parteien des Verfahrens traten den herangezogenen Berichten auch nicht entgegen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zulässigkeit, Rechtzeitigkeit und Umfang der Beschwerde:

Die vorliegende Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig. Sie wendet sich gegen alle Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides.

3.2. Zum Antrag auf internationalen Schutz (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.2.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) lautet:

„Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten