TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/10 W261 2205383-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.07.2020
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Entscheidungsdatum

10.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W261 2205383-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, Außenstelle Salzburg vom 29.06.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 18.12.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Am selben Tag fand seine Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, dort, wo er gewohnt habe, gebe es IS und Taliban. Sein Cousin und Nachbar hätten sich diesen angeschlossen. Als er ein Kind war, sei sein Vater von den Taliban getötet worden. Der Beschwerdeführer sei Mitglied in einem Verein für Jugendliche gewesen, dessen Ziel es war, dass die Jugendlichen eine Ausbildung machen und sich vom Krieg fernhalten. Er habe bei verschiedenen Firmen gearbeitet, unter anderem bei einer Bank, die mit der Regierung zusammenarbeite. Deswegen hätten die Taliban ihn bedroht. Sie seien zu ihm nachhause gekommen und hätten ihn aufgefordert, sich ihnen anzuschließen, und hätten ihn mit dem Tod bedroht.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden belangte Behörde) vom 08.03.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen, festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages Ungarn zuständig sei und gemäß § 61 Abs. 1 FPG eine Außerlandesbringung angeordnet.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid durch seine bevollmächtigte Vertretung mit Schreiben vom 22.03.2017 fristgerecht Beschwerde.

3. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.05.2017, W232 XXXX /5E, wurde der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

4. Mit Eingabe vom 08.11.2017 legte der Beschwerdeführer diverse Ausbildungsnachweise aus Afghanistan und Integrationsunterlagen aus Österreich vor.

5. Die Ersteinvernahme im inhaltlichen Asylverfahren vor der belangten Behörde fand am 15.02.2018 statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen persönlichen Umständen an, er sei sunnitischer Muslim, Paschtune und Angehöriger des Stammes der XXXX . Er stamme aus einem Dorf im Distrikt XXXX in der Provinz Nangarhar. Seine Mutter, seine Ehefrau, seine beiden Töchter und die Schwiegereltern würden heute im Distrikt Rodat leben. Sein Vater sei bereits vor ca. 25 Jahren verstorben. Er habe vier Jahre eine Grundschule, vier Jahre ein College und vier Jahre eine Universität besucht. Er habe im Management verschiedener Firmen gearbeitet, zuletzt seit 2011 bei einer Bank. Im Rahmen der Einvernahme legte der Beschwerdeführer diverse Integrationsunterlagen, Fotos aus Afghanistan und Österreich, Ausbildungs- und Arbeitsnachweise aus Afghanistan samt Übersetzungen, afghanische Ausweiskarten und medizinische Unterlagen vor.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, sein Vater sei von den Taliban getötet worden, weil er der Partei Khalki angehört und öffentlich progressive Positionen vertreten habe. 2013 habe der Beschwerdeführer bei einer Bank gearbeitet, als ihn ein Taliban namens XXXX angerufen und aufgefordert habe, die Arbeit aufzugeben und ihnen beizutreten. Er habe dies ignoriert. 2014 habe er begonnen, freiwillig für die Jugendorganisation „ XXXX “ zu arbeiten. Diese habe etwa junge Erwachsene vor den Taliban gewarnt und sich für Frauen eingesetzt. Im September 2014 habe XXXX einen Mann zu ihm geschickt, der ihn aufgefordert habe, den Mujaheddin Geld zu geben. Dieser habe ihm auch einen Brief übergeben, in dem er erneut aufgefordert wurde, seinen Beruf aufzugeben. Der Beschwerdeführer habe den Brief demonstrativ vor dem Mann zerrissen. Danach hätten die Drohanrufe immer mehr zugenommen. Später hätten sie eine Versammlung organisiert, in der schlecht über die Taliban gesprochen worden sei. In der Nacht nach dieser Versammlung sei ein Freund von ihm namens XXXX , der zuvor ebenfalls Drohanrufe bekommen habe und mit dem der Beschwerdeführer noch am Abend essen gewesen sei, getötet worden. Die Polizei habe die Taliban als Täter ausgemacht. Als die Drohungen danach noch weitergingen, habe er eine neue Stelle in Kabul angenommen. Doch er habe sich auch in Kabul weiter offen gegen die Taliban ausgesprochen. Im Mai 2016 sei er nach einem weiteren Meeting, in dem es auch um die Taliban gegangen sei, in seinem Auto von zwei Personen auf Motorrädern verfolgt worden. Diese hätten auch auf ihn geschossen, doch er habe entkommen können. Er habe dies bei der Polizei angezeigt, doch fünf Tage später sei er wieder von XXXX angerufen worden. Dann habe er sich zur Flucht entschieden.

6. Mit Eingabe vom 21.02.2018 legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung einer Psychotherapeutin und einen USB-Stick, auf dem sich ein als Beweismittel dienendes Video befinde, vor.

7. Mit Schreiben vom 04.05.2018 erstattete Prim. Dr. XXXX , LL. M. im Auftrag der belangten Behörde nach Untersuchung des Beschwerdeführers ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten, aus dem im Wesentlichen hervorgeht, dass dieser an einer Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion leide.

8. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 29.06.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche künftig zu befürchten hätte. Die von ihm angegebenen Gründe für das Verlassen des Heimatlandes seien nicht glaubhaft. Seine Herkunftsprovinz Nangarhar zähle zu den volatilen Provinzen, doch bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, das relativ sicher sei. Der Beschwerdeführer sei arbeitsfähig, verfüge über Angehörige, schulische und universitäre Bildung und habe Berufserfahrung. Er sei wirtschaftlich genügend abgesichert. Er leide an keiner ein Rückkehrhindernis darstellenden Krankheit. Ihm sei eine Rückkehr nach Afghanistan daher zumutbar.

9. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid durch seine bevollmächtigte Vertretung mit Schreiben vom 03.08.2018 fristgerecht Beschwerde. Er brachte im Wesentlichen vor, bei richtiger Würdigung seiner glaubhaften Angaben hätte ihm Asyl, zumindest aber subsidiärer Schutz gewährt werden müssen. Der Beschwerdeführer stehe in mehrfacher Hinsicht im Fokus der Taliban. Er habe jahrelang als Bankangestellter gearbeitet und im Rahmen einer Organisation öffentlich die Taliban kritisiert und beleidigt. Die Taliban hätten ihm und seiner Familie den gesamten Grundbesitz und ihr Haus weggenommen. Überdies drohe ihm im Fall einer Rückkehr eine Verfolgung als „westernized person“. Ca. 70 Prozent des Staatsgebietes Afghanistans würden von den Taliban beherrscht, und auch im restlichen Staatsgebiet könnten die Taliban nach Belieben Anschläge durchführen. Der Staat sei nicht in der Lage, dem Treiben der Taliban Einhalt zu gebieten. Dass Kabul für den Beschwerdeführer nicht sicher sei, werde schon dadurch bestätigt, dass dort ein Tötungsversuch gegen ihn erfolgt sei. Müsste er nach Afghanistan zurück, könnte er auch nicht einfach untertauchen, sondern müsste sich um seine Familie kümmern. Gemeinsam mit seiner Familie wäre es ihm völlig unmöglich, sich vor den Taliban zu verstecken. Für ihn gebe es in Afghanistan keinen sicheren Ort.

10. Die belangte Behörde legte das Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 05.09.2018 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo dieses am 10.09.2018 in der Gerichtsabteilung W210 einlangte.

11. Mit Eingabe vom 14.11.2018 legte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung einen psychiatrischen Befundbericht sowie Integrationsunterlagen vor.

12. Mit Eingaben vom 13.02.2019 und 19.02.2019 legte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung weitere Integrationsunterlagen vor.

13. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 16.04.2019 eine mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen und der Situation im Falle seiner Rückkehr befragt wurde. Eine Vertreterin der belangten Behörde nahm an der Verhandlung teil. Der Beschwerdeführer legte Integrationsunterlagen und Unterstützungsschreiben vor. Das Bundesverwaltungsgericht legte die aktuellen Länderinformationen vor, und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu eine Stellungnahme abzugeben.

14. Mit Eingabe vom 23.04.2019 übermittelte die belangte Behörde die Originale der vom Beschwerdeführer vorgelegten afghanischen Ausweiskarten und Fotos.

15. Mit Eingabe vom 25.04.2019 erstattete der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung eine Stellungnahme, in der er im Wesentlichen zunächst auf die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 verwies, in denen ausgeführt werde, dass Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht komme. Zudem sei nach diesen das als Flucht- oder Neuansiedlungsalternative vorgeschlagene Gebiet nur dann zumutbar, wenn der Antragsteller dort in Sicherheit leben könne. Diese Bedingungen müssten auf Dauer gewährleistet sein und dürften nicht nur scheinbar oder unberechenbar sein. Es sei nicht ersichtlich, dass überhaupt eine langfristig sichere Fluchtalternative in Afghanistan vorhanden wäre, nicht einmal in Herat bzw. Mazar-e Sharif. Die Taliban hätten Spione in den afghanischen Großstädten und seien sehr stark vernetzt. Weiters wurde in der Stellungnahme auf einzelne in der Verhandlung aufgeworfene Fragen zum Fluchtvorbringen eingegangen. Mit der Stellungnahme wurden ein Schreiben der „ XXXX “, diverse Fotos samt Beschreibung und ein Zeugnis zur B1-Integrationsprüfung vorgelegt.

16. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.09.2019 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W210 abgenommen und in weiterer Folge der Gerichtsabteilung W261 neu zugewiesen, wo dieses am 20.09.2019 einlangte.

17. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 26.02.2020 eine weitere mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen und der Situation im Falle seiner Rückkehr befragt wurde. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung teil. Der Beschwerdeführer legte Integrationsunterlagen, medizinische Unterlagen und eine Stellungnahme vor. Das Bundesverwaltungsgericht legte die aktuellen Länderinformationen vor, und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu eine Stellungnahme abzugeben.

18. Mit Eingabe vom 09.03.2020 erstattete die belangte Behörde eine Stellungnahme, in der sie im Wesentlichen anhand der Kriterien des UNHCR-Leitfadens zur Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan ausführte, weshalb dem Beschwerdeführer eine Ansiedlung in Mazar-e Sharif möglich sei. Dieser würde auch bei Wahrunterstellung seines Fluchtvorbringens nicht zu den klaren Zielgruppen der Taliban gehören, sondern auf deren Prioritätenliste ganz unten stehen. Aufgrund der organisatorischen und strukturellen Defizite der Taliban-Nachrichtendienste erscheine es als praktisch unmöglich, eine einzelne Person anhand eines Fotos oder YouTube-Videos zu identifizieren. Es könne daher selbst bei Wahrunterstellung keine landesweite Bedrohung des Beschwerdeführers erkannt werden. Beim Beschwerdeführer handle es sich um einen soweit gesunden, arbeitsfähigen jungen Mann, welcher grundsätzlich in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt in Afghanistan selbst zu bestreiten. Es seien keine exzeptionellen Umstände hervorgekommen, welche die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative wie Mazar-e Sharif, Herat oder bedingt auch Kabul ausschließen würden.

19. Mit Schreiben vom 07.04.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Verfahrensparteien aktualisierte Länderinformationen zur COVID-19-Situation in Afghanistan mit der Möglichkeit zur Stellungnahme.

20. Mit Eingabe vom 13.05.2020 erstattete der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung eine Stellungnahme, in der er im Wesentlichen ausführte, dass eine Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere in die Großstädte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif, auch aufgrund der COVID-19-Pandemie derzeit unzumutbar sei. In Afghanistan komme es zu einer unkontrollierten Ausbreitung des Virus bei zugleich extrem begrenzten Testmöglichkeiten, fehlenden Möglichkeiten zur Isolation und mangelnder medizinischer Versorgung. Es komme auch zu einer Stigmatisierung der Erkrankten und Rückkehrer. In Kabul und Herat würden Ausgangssperren gelten, die die humanitäre Krise noch verschärfen würden. Die Lebensmittelpreise würden stark steigen.

21. Mit Eingabe vom 08.07.2020 legte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung einen Dienstvertrag vor.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Muslim. Seine Muttersprache ist Paschtu, er spricht auch Dari, Englisch, Urdu und Deutsch auf dem Niveau B1. Er gehört dem Stamm der XXXX und dem Unterstamm der XXXX an.

Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX im Distrikt Shinwar in der Provinz Nangarhar geboren. Sein Vater hieß XXXX , dieser war Hubschrauberpilot und verstarb, als der Beschwerdeführer noch ein Kind war. Seine Mutter heißt XXXX . Er hat keine Geschwister.

Der Beschwerdeführer ist seit 2012 mit XXXX verheiratet. Der Ehe entstammen die gemeinsamen ehelichen Töchter XXXX , ca. sechseinhalb Jahre alt, und XXXX , ca. viereinhalb Jahre alt.

Die Mutter, Ehefrau und Töchter des Beschwerdeführers leben zusammen mit seinen Schwiegereltern bei einem Freund seines Schwiegervaters im Dorf XXXX im Distrikt Rodat in der Provinz Nangarhar. Sein Schwiegervater arbeitet als Bauer und versorgt die Familie. Der Beschwerdeführer hat regelmäßigen Kontakt mit seiner Familie.

Der Beschwerdeführer hat auch eine Tante mütterlicherseits, die in der Stadt Jalalabad lebt, eine Tante mütterlicherseits, die im Distrikt Shinwar lebt, und hatte einen verstorbenen Onkel väterlicherseits, der im Distrikt Shinwar lebte.

Der Beschwerdeführer besuchte von 1994 bis 2000 eine Grundschule in XXXX , Distrikt Shinwar, und von 2000 bis 2004 die höhere Schule XXXX in der Stadt Jalalabad, die er mit Matura abschloss. Von 2008 bis 2012 studierte er Management an der XXXX Universität in XXXX und schloss dieses Studium mit einem Bachelor of Business Administration ab. Er absolvierte auch verschiedene Kurse in Kabul und in Indien.

Von 2004 bis ca. 2010 arbeitete der Beschwerdeführer für das Bauunternehmen XXXX ( XXXX ) im Management. Dieses Unternehmen errichtete Infrastruktur, wie beispielsweise Straßen und Schulen. Ab 2011 bis zu seiner Ausreise arbeitete er für die XXXX Bank, zunächst in Jalalabad, später in Kabul. Dort war er in den Abteilungen Loan Recovery, Anti-Money-Laundering, Account Opening und Immobilienverwaltung tätig.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der gebildete und gesellschaftlich engagierte Beschwerdeführer geriet in Afghanistan aus mehreren Gründen in den Fokus der Taliban. Insbesondere engagierte er sich seit 2014 ehrenamtlich für die Organisation „ XXXX “. Ziele dieses Vereins sind vor allem die Förderung des Fortkommens und der Bildung afghanischer Jugendlicher sowie der Rechte von Frauen. In diesem Zusammenhang bemüht sich die Organisation auch, Jugendliche und junge Erwachsene von einer Zusammenarbeit mit den Taliban und vom „Jihad“ abzubringen.

Der Beschwerdeführer organisierte deshalb wiederholt Veranstaltungen für die Organisation, zu denen er Jugendliche und Dorfälteste aus verschiedenen Provinzen, aber auch afghanische Politiker einlud. Er trat dabei selbst als Redner auf und kritisierte die Taliban immer wieder scharf. „ XXXX “ betreibt auch eine öffentliche Facebook-Seite, die von über 27.000 Personen abonniert wird und auf der unter anderem regelmäßig zu Protesten aufgerufen wird.

Der Beschwerdeführer nahm in Afghanistan mehrmals an öffentlichen Demonstrationen teil. 2016 besuchte er eine Demonstration zu afghanisch-pakistanischen Grenzkonflikten in Kabul, in deren Rahmen er auch ein TV-Interview gab. Dieses wurde in einer Nachrichtensendung des Online-Senders „ XXXX TV“ ausgestrahlt. Wörtlich sagte der Beschwerdeführer in diesem Interview: „Die afghanische Bevölkerung steht hinter dem Militär, und wir sind stolz auf sie. Sie sind sehr mutig, sie haben sich für uns aufgeopfert und deren Anstrengungen sollte man verehren. Ich und die ganze afghanische Bevölkerung können nur Gutes über das Militär sagen. Wir stehen ihnen bei und wir werden es nie zulassen, dass der Feind in unser Land oder unseren Werten hereinfällt.“

Überdies war der Beschwerdeführer von 2011 bis zu seiner Ausreise in verschiedenen Positionen für die staatliche afghanische XXXX Bank tätig, die die Bankgeschäfte vieler Behörden und staatlicher Einrichtungen abwickelt.

Der Beschwerdeführer stand sowohl im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als auch im Rahmen seines ehrenamtlichen Engagements für den Verein immer wieder in Kontakt mit hochrangigen Beamten und Politikern der afghanischen Zentralregierung, mit denen er zusammen bei öffentlichen Veranstaltungen auftrat. Fotos, die den Beschwerdeführer bei solchen Zusammenkünften zeigen, wurden unter anderem auf Facebook veröffentlicht.

Ab 2013 erhielt der Beschwerdeführer wiederholt Drohanrufe durch einen Mann namens XXXX , der damals den Taliban, später den Daesh angehörte. Dieser forderte ihn auf, seine Arbeit „für die Regierung“ aufzugeben, was der Beschwerdeführer jedoch verweigerte. Im Juli 2015 wurde ein Freund des Beschwerdeführers namens XXXX nach einer Sitzung der Organisation „ XXXX “ in der Stadt Jalalabad getötet. Auch dieser hatte zuvor Drohanrufe erhalten. Die Polizei teilte dem Beschwerdeführer daraufhin mit, dass auch er verfolgt werde. Er übersiedelte nach diesem Vorfall von Jalalabad nach Kabul, engagierte sich aber auch dort weiter für den Verein und behielt seine Arbeit bei der XXXX Bank bei. Im Mai 2016 fand in Kabul eine weitere große Veranstaltung seines Vereins mit Jugendlichen statt, in der diese vor einer Zusammenarbeit mit den Taliban gewarnt wurden. Auf dem Nachhauseweg wurde der Beschwerdeführer in seinem Auto durch zwei Personen auf einem Motorrad verfolgt, wobei einer der beiden auf ihn schoss, der Beschwerdeführer jedoch entkommen konnte. Kurz darauf entschloss er sich endgültig zur Ausreise aus Afghanistan.

Es kann daher in einer Gesamtbetrachtung der vorliegenden Umstände nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines nach außen getragenen, in seiner politischen Gesinnung wurzelnden Verhaltens, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer asylrelevanten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wäre.

1.3. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit Dezember 2016 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 18.12.2016 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer besuchte in Österreich einen Werte- und Orientierungskurs sowie diverse Deutschkurse und verfügt mittlerweile über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1. Er arbeitet freiwillig in einer Beratungsstelle des XXXX als Dolmetscher und engagiert sich ehrenamtlich im interkulturellen Verein XXXX . Er besucht regelmäßig die multikulturellen Treffen in der Markgemeinde XXXX .

Der Beschwerdeführer arbeitete im Jahr 2018 für die Gemeinde XXXX , indem er bei der Ablesung der Wasserzähler aushalf, und arbeitete mehrere Mal mit einem Dienstleistungsscheck. Derzeit arbeitet der Beschwerdeführer seit 26.06.2020 aufgrund einer Beschäftigungsbewilligung als Saisonarbeitskraft als Erntehelfer. Er verfügt zudem über eine Arbeitszusage der Firma XXXX vom 11.02.2019 für eine Einstellung als Hilfsarbeiter.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.4.    Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 mit Stand 29.06.2020 (LIB),

-        UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

-        EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)

-        Arbeitsübersetzung Landinfo Report "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 (Landinfo 1)

1.4.1 Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (LIB, Kapitel 4).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 2).

1.4.1.1.  Aktuelle Entwicklungen

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (LIB Kapitel 1).

Dieser Konflikt in Afghanistan kann nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB, Kapitel 2).

Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 1).

Die Verhandlungen mit den Taliban stocken auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind. In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (LIB, Kapitel 1).

1.4.2.  Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 20).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 20).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Aufgrund der COVID-19 Maßnahmen der afghanischen Regierung sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt. Dem Lock down Folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 20).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.4.3.  Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 21).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände – die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden – sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 21.1).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt, mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

1.4.4.  Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 16).

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime. Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments – jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in ANA und der ANP repräsentiert (LIB, Kapitel 16.1).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden, und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (LIB, Kapitel 16.1).

1.4.5.  Religionen

Etwa 99 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80–89,7 % Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 15).

1.4.6.  Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden. In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Die großen COVID-19 bedingten Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen. Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird. Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen. Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen. Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich. Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 18.1).

1.4.7.  Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. Die Taliban setzen Aktivitäten, um das Bewusstsein der Bevölkerung um COVID-19 in den von diesen kontrollierten Landesteilen zu stärken. Sie verteilen Schutzhandschuhe, Masken und Broschüren, führen COVID-19 Tests durch und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

1.4.7.1. Nachrichtendienst der Taliban

Die Strukturen der Nachrichtendienste der Taliban sind im Laufe der Zeit entstanden und wurden dabei zunehmend ausgefeilter. Trotz der Bemühungen, die nachrichtendienstliche Tätigkeit über die verschiedenen Taliban-Shuras hinweg zu koordinieren und zu synchronisieren, wirkte sich die interne Aufspaltung der Taliban auf deren Funktionsweise aus. Die nachrichtendienstliche Tätigkeit der Taliban ist mittlerweile ziemlich flächendeckend, aber die Qualität der Informationen, die die Taliban-Führung erreichen, ist nicht immer die beste. Es zählt zu den Hauptaufgaben dieser Dienste, die Einschüchterungskampagne der Taliban gegen „Kollaborateur“' der Kabuler Regierung und gegen andere Feinde der Taliban zu ermöglichen. (Landinfo 1, Einleitung).

Regierungsbeamte sind überzeugt, dass die Taliban über alles unterrichtet sind, was geschieht, selbst in Gegenden, in denen sie nur schwach vertreten sind. Natürlich behaupten die Taliban, dass ihre Nachrichtendienste in allen afghanischen Provinzen vertreten sind. Wenngleich dies bis zu einem gewissen Maß zutrifft, unterschiedet sich diese Präsenz nach Intensität und Qualität außerordentlich stark, denn einige Provinzen sind fast völlig unter der Kontrolle der Taliban und andere kaum betroffen. Dabei darf man nicht vergessen, dass die nachrichtendienstliche Tätigkeit der Taliban von allen ihren Aktivitäten am schwersten zu erkennen ist (Landinfo 1, Kapitel 3).

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach „fehlverhalten“, unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer „feindlicher“ Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militärs, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer „Verurteilung“ durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich „feindseligen“ Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen. (Landinfo 1, Kapitel 4)

1.4.8.  Relevante Provinzen und Städte

1.4.8.1. Herkunftsprovinz Nangarhar

Nangarhar liegt im Osten Afghanistans. Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Pashai, Arabern und Tadschiken. Mitglieder der Sikh- und Hindu-Gemeinschaft leben in der Provinz Nangarhar. Die Provinz hat 1.668.481 Einwohner (LIB, Kapitel 2.22).

Nangarhar ist eine volatile Provinz, in der die Taliban und der ISKP aktiv sind. Diese kontrollieren manche Gebiete der Provinz. Durch staatliche Sicherheitskräfte werden Luft- und Bodenoperationen durchgeführt, bei denen Talibanaufständische und ISKP-Mitglieder getötet wurden. Immer wieder kommt es auch zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Mitgliedern der Taliban und des ISKP. Im Jahr 2019 gab es 1.070 zivile Opfer (356 Tote und 714 Verletzte) in der Provinz Nangarhar. Dies entspricht einem Rückgang von 41% gegenüber 2018. Die Hauptursachen dafür waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate), gefolgt von Kämpfen am Boden und Selbstmordangriffen (LIB, Kapitel 2.22).

Die Provinz Nangarhar – mit Ausnahme der Stadt Jalalabad – zählt zu jenen Provinzen, wo willkürliche Gewalt ein derart hohes Ausmaß erreicht, dass erhebliche Gründe für die Annahme sprechen, dass ein in diese Provinz zurückgekehrter Zivilist allein aufgrund seiner Anwesenheit auf dem Gebiet dieser Provinz einer realen Gefahr ausgesetzt wäre, einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

1.4.8.2. Provinz Balkh bzw. Stadt Mazar-e Sharif

Balkh liegt im Norden Afghanistans. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. In der Provinz Balkh leben 1.475.649 Personen, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. (LIB, Kapitel 2.5).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Afghanistans. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Im Jahr 2019 gab es 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 22% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. (LIB, Kapitel 2.5).

Die Hauptstadt der Provinz Balkh ist Mazar-e Sharif. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden, da sie den Antragsteller in risikoreichere Situationen bringen könnten (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 2.5).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.4.8.3. Provinz bzw. Stadt Herat

Herat liegt im Westen Afghanistans. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Die Provinz hat 2.095.117 Einwohner. Die Provinz ist über einen Flughafen in der Nähe von Herat-Stadt zu erreichen (LIB, Kapitel 2.13).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, in dem die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte. Im Jahr 2019 gab es 400 zivile Opfer (144 Tote und 256 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einer Steigerung von 54% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 2.13).

Die Hauptstadt der Provinz ist Herat-Stadt. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen. Sie hat 556.205 Einwohner (LIB, Kapitel 2.13).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten auszuüben. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

1.4.8.4. Provinz bzw. Stadt Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 2.1 und Kapitel 2.35).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Im Jahr 2019 gab es 1.563 zivile Opfer (261 Tote und 1.302 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 2.1).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB, Kapitel 2.1).

2.       Beweiswürdigung:

2.1.     Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seiner familiären Situation in Afghanistan, seiner Schul- und Hochschulbildung und seiner Berufserfahrung gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben sowie den vorgelegten Nachweisen. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen bzw. nachvollziehbar aktualisierten Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

2.2.    Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu den Gründen des Beschwerdeführers für das Verlassen seines Herkunftsstaates stützen sich auf die von ihm vor der belangten Behörde und insbesondere auf die in den mündlichen Verhandlungen des Bundesverwaltungsgerichtes am 16.04.2019 und 26.02.2020 getätigten Aussagen.

Der Beschwerdeführer ließ bei der Schilderung seiner Fluchtgründe eine lineare Handlung und ein nachvollziehbares Bild der von ihm erlebten Geschehnisse erkennen. Seine Angaben, wonach er durch seine öffentlichkeitswirksame Tätigkeit für eine Organisation, die sich unter anderem gegen die Rekrutierung junger Männer durch die Taliban und für die Rechte von Frauen einsetzt, durch seine Teilnahme an Demonstrationen sowie durch seine berufliche Tätigkeit für eine staatliche Bank in den Fokus der Taliban geriet, sind auch vor dem Hintergrund der Verhältnisse in Afghanistan plausibel und nachvollziehbar. Wesentlich bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens war zudem der Umstand, dass er sein Fluchtvorbringen umfangreich, schlüssig und detailliert schildern konnte. Das Fluchtvorbringen war in sich stimmig und wies – abgesehen von kleineren Details – keine Widersprüche auf, sodass das Bundesverwaltungsgericht dieses, vor allem auch aufgrund des vom Beschwerdeführer in der zweiten mündlichen Verhandlung gewonnen persönlichen Eindrucks, als glaubhaft erachtet.

Die Feststellungen dazu, dass und in welcher Form der Beschwerdeführer ab 2014 für die Organisation „ XXXX “ tätig war, ergeben sich ebenfalls aus seinen glaubhaften und nachvollziehbaren diesbezüglichen Angaben. Der Beschwerdeführer konnte in den mündlichen Verhandlungen anschaulich und konkret erläutern, dass er für diese Organisation wiederholt Jugendliche und Dorfälteste aus verschiedenen afghanischen Provinzen zu Veranstaltungen einlud, bei denen er auch als Redner auftrat (vgl. Niederschrift vom 16.04.2019, S. 17-18; Niederschrift vom 26.02.2020, S. 8). Es ging bei den Veranstaltungen um Themen wie Bildung für Jugendliche und die Rechte von Frauen. Die Jugendlichen wurden davor gewarnt, sich den Taliban anzuschließen. Die vom Beschwerdeführer beschriebene Ausrichtung und die Ziele der Organisation decken sich auch mit der öffentlichen Facebook-Seite und deren Inhalten (vgl. Niederschrift vom 16.04.2019, S. 20). Die aktuelle Zahl der Abonnenten ergibt sich aus einer Einsichtnahme in die nach wie vor aktive Facebook-Seite (https:// XXXX

Dass der Beschwerdeführer in Afghanistan mehrmals an öffentlichen Demonstrationen teilnahm, folgt neben seinen eigenen Angaben auch anschaulich aus den von ihm vorgelegten Fotos, die ihn bei einer Kundgebung zeigen (vgl. Urkundenvorlage vom 25.04.2019) und insbesondere aus dem vorgelegten Video, in dem der Beschwerdeführer im Rahmen eines TV-Beitrages auf einer Demonstration interviewt wird. Für das erkennende Gericht besteht kein Grund, an der Richtigkeit der von der belangten Behörde in Auftrag gegebenen Übersetzung des Beitrages (vgl. AS 483) zu zweifeln. Aus dieser ergibt sich, dass der Beschwerdeführer in dem Interview zwar nicht direkt auf die Taliban Bezug nimmt, sich jedoch in eindeutiger und geradezu überschwänglicher Weise hinter die afghanische Armee stellt und zu dieser bekennt. Auch auf diese Weise brachte er äußerst breitenwirksam zum Ausdruck, in Opposition zu den (die Armee bekämpfenden) Taliban zu stehen. Für die Vermutung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, das Interview könnte auch eine „Inszenierung und technische Einfügung“ darstellen (vgl. AS 664), die von dieser nicht näher begründet wird, gibt es aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte.

Die Feststellungen zur Tätigkeit des Beschwerdeführers für die XXXX Bank ergeben sich neben seinen Angaben aus den zahlreichen vorgelegten Ausweiskarten, Nachweisen und Fotos betreffend diese Tätigkeit. Auch diesbezüglich ist zu den Zweifeln der belangten Behörde an der Echtheit der Dokumente festzuhalten, dass es zwar richtig ist, dass derartige Schriftstücke gefälscht werden können und in Afghani

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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