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19/05 Menschenrechte;Norm
MRKZP 07te Art4 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 22. Mai 1997, Zl. UVS-03/V/07/00290/96, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960 (mitbeteiligte Partei: G in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 16. Dezember 1996 wurde der Mitbeteiligte des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens für schuldig befunden, er habe am 1. März 1995 von 15.13 bis 15.16 Uhr an einem näher umschriebenen Ort als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges sich gegenüber einem besonders geschulten und hiezu ermächtigten Organ der Straßenaufsicht geweigert, die Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, obwohl der Verdacht bestanden habe, daß er das Fahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt habe; der Mitbeteiligte habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 5 Abs. 2 in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. b StVO begangen. Es wurde eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.
Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 22. Mai 1997 Folge, behob das Straferkenntnis und stellte das diesbezügliche Verfahren ein.
In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, der Mitbeteiligte sei im Zusammenhang mit demselben Sachverhalt wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 3 StGB und wegen des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 (§ 81 Z. 2) StGB gerichtlich verurteilt worden, wobei der dagegen erhobenen Berufung keine Folge gegeben worden sei.
Unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 5. Dezember 1996, Zlen. G 9/96 u. a., führte die belangte Behörde weiters aus, dieses Erkenntnis sei auch auf den gegenständlichen Fall, der bereits am 5. Dezember 1996 vor ihr anhängig gewesen sei, anzuwenden, sodaß der Berufung des Mitbeteiligten Folge zu geben gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B-VG gestützte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Verfassungsgerichtshof hat im zitierten Erkenntnis vom 5. Dezember 1996, Zlen. G 9/96 u.a., unter Hinweis auf das Verbot der Doppelbestrafung nach Art. 4 Abs. 1 des 7. ZPEMRK auch die Wortfolge "in Abs. 2, 2a, 2b, 3 oder 4 bezeichnete" in § 99 Abs. 6 lit. c StVO in der Fassung der 19. StVO-Novelle als verfassungswidrig aufgehoben und unter anderem gleichzeitig ausgesprochen, daß diese Wortfolge auch in jenen Rechtssachen nicht mehr anzuwenden ist, die am 5. Dezember 1996 bei einem unabhängigen Verwaltungssenat anhängig waren, was auf den vorliegenden Beschwerdefall zutrifft. Inhaltlich hat der Verfassungsgerichtshof im soeben zitierten Erkenntnis u.a. zum Ausdruck gebracht:
"Während die Fälle der Scheinkonkurrenz von Delikten wegen Spezialität, Konsumtion oder stillschweigender Subsidiarität zweier oder mehrerer Tatbestände im wesentlichen im Wege der Auslegung und Anwendung der verschiedenen Straftatbestände festzustellen sind und dabei auch das verfassungsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art. 4 Abs. 1 des 7. ZPEMRK im Wege verfassungskonformer Auslegung der einzelnen gesetzlichen Straftatbestände zum Tragen kommt, ist der Gesetzgeber, der ausdrücklich die Subsidiarität eines Straftatbestandes gegenüber einem anderen anordnet bzw. ausschließt, von Verfassungs wegen verhalten, dabei das Verbot der Doppelbestrafung nach Art. 4 Abs. 1 des 7. ZPEMRK zu beachten. Wie auch das bereits zitierte Urteil des EGMR vom 23. Oktober 1995 zeigt, widerspricht eine gesetzliche Strafdrohung dann dem Art. 4 des 7. ZPEMRK, wenn sie den wesentlichen Gesichtspunkt ("aspect") eines Straftatbestandes, der bereits Teil eines von den Strafgerichten zu ahndenden Straftatbestandes ist, neuerlich einer Beurteilung und Bestrafung durch die Verwaltungsbehörden unterwirft."
Entgegen der Ansicht der belangten Behörde liegt ein Verstoß gegen das erwähnte Verbot der Doppelbestrafung in einem Fall wie dem vorliegenden, wo es um die Verweigerung der Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt nach § 5 Abs. 2 (in Verbindung mit § 99 Abs. 1 lit. b) StVO geht, nicht vor: Daß die Verwirklichung dieses Tatbestandes oder der im Beschwerdefall maßgebenden strafbaren Handlung nach § 88 Abs. 1 und 3 in Verbindung mit § 81 Z. 2 StGB nicht zwingend die Verwirklichung des anderen nach sich zieht (vgl. allgemein das hg. Erkenntnis vom 8. November 1995, Zl. 95/03/0149), liegt auf der Hand. Mit einer solchen gerichtlichen Bestrafung wäre aber auch nicht der gesamte (wesentliche) Unrechtsgehalt des Tatverhaltens nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO erfaßt (vgl. das soeben zitierte hg. Erkenntnis vom 8. November 1995): Wohl hat § 5 Abs. 2 StVO auch das Ziel, die Frage der (tatsächlichen) Alkoholbeeinträchtigung einer Person im Sinne des § 5 Abs. 1 StVO zu klären. § 5 Abs. 2 StVO dient aber darüberhinaus auch dem Zweck, im Sinne des § 5b StVO Feststellungen dahin zu ermöglichen, ob sich eine Person offenbar in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befindet und die Organe der Straßenaufsicht sohin berechtigt sind, jene an der Lenkung oder Inbetriebnahme eines Fahrzeuges zu hindern.
§ 5 Abs. 2 StVO hat also nicht nur im Rahmen der Prüfung eines allfälligen strafbaren Verhaltens nach § 5 Abs. 1 StVO Bedeutung, sondern auch dahin, allenfalls die Entscheidungsgrundlage für die Verhinderung der (weiteren) Lenkung oder Inbetriebnahme eines Fahrzeuges im Interesse der Verkehrssicherheit durch eine Zwangsmaßnahme nach § 5b StVO zu finden. Dies wird gerade in jenen Fällen von Bedeutung sein, wo die Alkoholisierung des Probanden nicht "offenbar" ist oder etwa keine entsprechenden Symptome erkennbar sind, die Berechtigung zur Untersuchung der Atemluft aber nach § 5 Abs. 2 erster Satz StVO gegeben ist. Jene Person, welche die Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt nach § 5 Abs. 2 StVO verweigert, verhindert daher allenfalls Maßnahmen gemäß § 5b StVO.
Von da her gesehen kann nicht davon ausgegangen werden, daß durch das zitierte Gerichtsurteil der (wesentliche) Unrechtsgehalt des Tatverhaltens, nämlich der Verweigerung der Überprüfung der Atemluft auf Alkoholgehalt durch den Mitbeteiligten erfaßt worden wäre; die nach dem zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 5. Dezember 1996 bereinigte Fassung des § 99 Abs. 6 lit. c StVO (eine Verwaltungsübertretung liegt nicht vor, wenn eine Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht) hinderte daher nicht die Bestrafung des Mitbeteiligten nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO.
Der angefochtene Bescheid erweist sich sohin mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, sodaß er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Schlagworte
Alkotest VerweigerungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997020328.X00Im RIS seit
12.06.2001