TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/13 G305 2190135-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.07.2020
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Entscheidungsdatum

13.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G305 2190135-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerde des irakischen Staatsangehörigen

XXXX geboren am XXXX , vertreten durch Mag. Bischof und Mag. Lepschi, Rechtsanwälte in Wien, gegen den zum XXXX .02.2018 datierten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.02.2019, zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3 und § 57 AsylG iVm. § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Am XXXX .09.2015 stellte der zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigte Beschwerdeführer (in der Folge so oder kurz: BF) vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörden einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 27.10.2015 wurde er von Organen der Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug niederschriftlich einvernommen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, dass er und sein Bruder bedroht worden seien; demnach sollen sie aufgefordert worden sein, sich den schiitischen Milizen anzuschließen. Bei einer Verweigerung sei deren Leben in Gefahr gewesen. Bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben.

Zur Reiseroute befragt, gab der BF an, von XXXX mit dem Flugzeug legal in die Türkei gereist zu sein, wo er sechs Tage verbracht habe. Danach sei er schlepperunterstützt mit einem Schlauchboot auf die Insel Kos (Griechenland) gelangt; dort seien seine Personalien festgestellt worden und er habe einen Landesverweis bekommen. Nach zwei Tagen sei er mit der Fähre nach Athen und in der Folge mit dem Bus nach Mazedonien gelangt. Die Grenze habe er zu Fuß überschritten und dann auf dem Fußweg Serbien erreicht. Von dort sei er schlepperunterstützt bis zur ungarischen Grenze gelangt und weiter nach Kroatien und wieder schlepperunterstützt nach Österreich gekommen. Von der österreichischen Staatsgrenze sei er mit dem Bus nach Wien gebracht worden. Die Reise habe insgesamt ca. 22 Tage gedauert, sei teilweise durch Schlepper organisiert gewesen und habe etwa 4.800 USD gekostet.

Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage verlief negativ.

3. Am 18.07.2017 wurde der BF ab 09:10 Uhr durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA oder belangte Behörde) einvernommen.

Im Zuge dieser Einvernahme wurde der BF nicht zu seiner Reiseroute befragt.

Als Fluchtgrund gab der BF an, am XXXX .08.2015 von der ALSALAM Miliz (hier ist die Saraya as-Salam Miliz gemeint. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Mahdi-Armee, Zugriff am: 03.07.2020, in der Folge: Saraya as-Salam Miliz) einen Einberufungsbefehl bekommen zu haben, da er zwangsrekrutiert werden sollte. Er und sein Bruder hätten sich als Nummer 6 und Nummer 10 auf einer Liste befunden. Dies habe religiöse Hintergründe. Er wolle keine Waffen tragen und Menschen umbringen, er gehöre auch zu keiner Religion. Die Miliz sei „sehr heftig“. Die Milizen würden Männer beim Bürgermeister oder dem Imam anfordern. Von diesen würden sie Listen mit den Bewohnern des Dorfes bekommen mit Informationen, wie viele Männer pro Familie dort leben und auf Grund dieser Listen Männer anfordern. Er sei auf einer dieser Listen angeführt. Der Einrückungsbefehl, wonach er sich in einer Moschee einfinden und den Dienst antreten müsse, sei seiner Familie übergeben worden, während er bei der Arbeit gewesen sei. Er habe sich jedoch sofort zur Flucht entschlossen, da er in seiner Heimat keinen sicheren Platz gehabt hätte. Er habe gemeinsam mit seinem Bruder diese Entscheidung getroffen und ein Visum für die Türkei organisiert. Hierfür hätten sie extra gezahlt, um das Land schneller verlassen zu können. Daraufhin hätten beide den Irak verlassen. In der Folge sei gegen den BF ein mündlicher Haftbefehl erlassen worden, da er sich dieser Rekrutierung widersetzt habe. Dieser Haftbefehl sei auch vom Imam der Moschee verbreitet und an alle Checkpoints weitergegeben worden. Dies seien alle Fluchtgründe.

Die Daten des Bruders, lautend auf XXXX , geboren am XXXX wurden im Rahmen der Befragung kontrolliert und bestätigt.

Der BF gab zusätzlich an, keinen Kontakt zu seiner Familie zu haben. Es sei zu einem Streit mit seinem Bruder gekommen, da er (Anm.: der BF) nicht gläubig sei. Hieraufhin habe der Bruder ihn bei seiner Familie verraten. Im Ramadan des Jahres 2016 habe er das letzte Mal Kontakt zu seinem Vater gehabt. Dieser habe ihn als Ungläubigen beschimpft und gemeint, er würde für ihn die Höchststrafe fordern.

Bei einer Rückkehr fürchte der BF, von Milizen umgebracht zu werden, da er deren Befehl verweigert habe. Auch die Polizei könne ihm nicht helfen, da die Milizen vom Staat anerkannt seien und somit stärker seien, als die Polizei. Auch würde er Probleme mit seiner Familie haben.

Im Zuge der Aufnahme der Niederschrift legte der BF mehrere Teilnahmebestätigungen für Integrationsmodule, einen irakischen Personalausweis, einen irakischen sowie einen österreichischen Führerschein, die Kopie des Zwangsrekrutierungsbefehls sowie mehrere Unterstützungsschreiben und weitere Bestätigungen für seine soziale Integration vor.

4. Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich des Antrages auf Erteilung von internationalem Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt werde, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Ihre Entscheidung begründete die belangte Behörde im Wesentlichen kurz zusammengefasst damit, dass der BF keine asylrelevanten Bedrohungen glaubhaft machen konnte. Seine Identität sei nicht feststellbar gewesen und auch die von ihm behauptete Ungläubigkeit und daraus resultierende Probleme mit dem Vater hätten nicht dargetan werden können. Die mangelnde Glaubhaftigkeit des BF sei auch der Tatsache geschuldet, dass der von ihm angegebene Bruder einen anderen Nachnamen führe und eine gemeinsame Reise nicht erwähnt habe. Dieser habe nämlich trotz positivem Asylbescheid am XXXX .04.2017 Österreich verlassen und sei freiwillig in den Herkunftsstaat zurückgekehrt.

5. Gegen den zum XXXX .02.2018 datierten Bescheid erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin erklärte er, den Bescheid - gestützt auf die Beschwerdegründe „inhaltliche Rechtswidrigkeit“ und „Verletzung von Verfahrensvorschriften“ - vollumfänglich anfechten zu wollen und verband die Beschwerde mit den Anträgen 1.) eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, 2.) den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und dass ihm der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuerkannt werden möge, 3.) den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass die Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung erklärt und ein befristetes Aufenthaltsrecht erteilt werde, 4.) dass die Bescheidspruchpunkte III. und IV. behoben und festgestellt werde, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde und 5.) in eventu der angefochtene Bescheid zur Gänze behoben werde und die Angelegenheit zur neuerlichen Erlassung eines Bescheides an das Bundesamt zurückverwiesen werden möge. Er brachte in der Beschwerde vor, dass sein Bruder ab Istanbul selbständig weitergereist sei, da ihnen die finanziellen Mittel ausgegangen seien. Es sei auch zu einer unterschiedlichen Nachnamensnennung gekommen, da der Bruder des BF die innerfamiliäre Stammesbezeichnung angegeben habe. Abschließend habe die belangte Behörde die durch die Saraya as-Salam Miliz durchgeführten Zwangsrekrutierungen nicht berücksichtigt.

6. Am 23.03.2018 wurde die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt dem BVwG vorgelegt.

7. Anlässlich einer am 25.02.2019 vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der BF im Beisein seines Rechtsvertreters (im Folgenden: RV) und eines Dolmetschers für die arabische Sprache einvernommen. Bei dieser Verhandlung wurden mehrere Sprachzertifikate und Empfehlungsschreiben sowie ein in arabischer Sprache verfasstes Urgenzschreiben der Miliz Saraya as-Salam vorgelegt.

8. Mit Eingaben vom 02. und 03.04.2019 langten beim BVwG die ihm Rahmen der Verhandlung vom 25.02.2019 beauftragten beglaubigten Übersetzungen des Urgenzschreibens und des Rekrutierungsbefehls der Miliz Saraya as-Salam im Original und in Kopie, sowie Kopien der Personalausweise des Vaters und der Brüder des BF ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Identitätsfeststellungen

Der BF führt die im Spruch angegebene Identität, XXXX , geboren am XXXX und ist irakischer Staatsangehöriger. Er ist ledig und ohne Sorgepflichten. Er gehört der Ethnie der irakischen Araber an. Sein Vater ist Sunnit, seine Mutter Schiitin, er selbst bezeichnet sich bezüglich seiner Religion als neutral. Seine Muttersprache ist Arabisch, er verfügt über Deutschkenntnisse [Personalausweis- und Führerscheinkopie samt beglaubigter Übersetzungen AS 131ff; VH-Niederschrift S. 4 und S. 11].

Der BF hat seinen Hauptwohnsitz seit dem XXXX .11.2015 im Bundesgebiet (seit dem XXXX .06.2019 an der Anschrift XXXX ) [Auszug aus dem Zentralen Melderegister-ZMR].

1.2. Zur Ausreise, Reise, Einreise der beschwerdeführenden Partei in Österreich und ihrer darauffolgenden Asylantragstellung:

Der BF lebte bis zu seiner Ausreise aus dem Irak in XXXX [VH-Niederschrift S. 14].

Er ist am XXXX .08.2015 von XXXX mit dem Flugzeug legal in die Türkei gereist, wo er sechs Tage verbrachte. Danach gelangte er - schlepperunterstützt - mit einem Schlauchbot auf die Insel Kos (Griechenland), wo seine Personalien festgestellt wurden und er einen Landesverweis bekam. Nach zwei Tagen fuhr er mit der Fähre nach Athen und in der Folge mit dem Bus nach Mazedonien. Die Grenze überquerte er fußläufig und erreichte auf dem Fußweg Serbien. Von dort fuhr er schlepperunterstützt bis zur ungarischen Grenze und weiter über Kroatien nach Österreich. Von der österreichischen Staatsgrenze wurde er mit dem Bus nach Wien gebracht, wo er am XXXX .09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die Reise dauerte insgesamt ca. 22 Tage, war teilweise durch Schlepper organisiert kostete etwa 4.800 USD [Erstbefragung AS. 13f; Ergebnisbericht zum EURODAC-Abgleich AS 27f].

1.3. Zur individuellen Situation des Beschwerdeführers im Heimatstaat:

Im Herkunftsstaat besuchte der BF sechs Jahre die Grundschule, drei Jahre die Mittelschule und drei Jahre das Gymnasium, welches er mit Matura abschloss. Über eine weiterführende Berufsausbildung verfügt er nicht. Zuletzt arbeitete er in XXXX in einer XXXX , welche im Eigentum seines Schwagers (dem Ehemann der Schwester XXXX ) steht. Hierbei erzielte er ein monatliches Einkommen von etwa 700 USD; gelegentlich fiel das Entgelt höher aus [Niederschrift-BFA AS. 57; VH-Niederschrift S. 5].

Die im Herkunftsstaat lebende Kernfamilie des BF besteht aus seinem etwa XXXX geborenen Vater XXXX , seiner zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt im Jahr XXXX geborenen Mutter XXXX sowie zwei Geschwistern. Die Schwestern XXXX , geboren XXXX , und XXXX , geboren XXXX sind verheiratet. XXXX ist Mutter von zwei Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter und in XXXX wohnhaft; ihr Ehemann ist an der dortigen Börse tätig; beiden geht es finanziell sehr gut. XXXX ist studierte XXXX und befindet sich derzeit im Mutterschutz mit ihren beiden, etwa ein und zwei Jahre alten Töchtern. Ihr Ehemann ist jener Schwager, in dessen Wechselstube der BF vor seiner Flucht gearbeitet hatte. Die beiden Brüder des BF, XXXX , geboren XXXX und XXXX , geboren XXXX , sind im Irak und den Vereinigten Staaten von Amerika aufhältig. XXXX studiert XXXX und lebt zusammen mit der Mutter des BF in einem Miethaus in XXXX . Der Vater der BF lebt seit der Geburt des BF in einer Mietwohnung in XXXX . Bei XXXX handelt es sich um jene Person, welche im Zusammenhang mit dem hg. Verfahren vor dem BFA als Bruder des BF - XXXX - genannt wurde. Mit diesem besteht nach den Angaben des BF derzeit kein Kontakt. Die Eltern des BF sind Pensionisten und beziehen diese vom irakischen Staat eine staatliche Pension. Bis zu seiner Pensionierung war der Vater des BF für die XXXX der Stadt XXXX tätig. Die Ehe der Eltern ist aufrecht; der Vater des BF lebt in XXXX (Irak). Neben seiner Kernfamilie hat der BF im Herkunftsstaat viele Verwandte, die sich teils in XXXX , teils in XXXX aufhalten [Niederschrift-BFA S. 10f; VH-Niederschrift S. 7ff].

1.4. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei:

Der BF war nie Mitglied einer politischen Partei oder anderen politisch aktiven Bewegung oder bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates. Er hatte weder mit der Polizei noch mit den Verwaltungsbehörden noch mit den Gerichten des Herkunftsstaates ein Problem. Er wurde nie von staatlichen Organen oder von einer bewaffneten Gruppierung wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensrichtung der Sunniten oder aus politischen Gründen, etwa wegen einer Zugehörigkeit zu einer politischen Partei des Herkunftsstaates verfolgt oder bedroht [Niederschrift-BFA AS 57f; VH-Niederschrift S. 5 bis S. 7].

Der BF ist nicht, wie behauptet, wegen einer Bedrohung durch die Miliz „Saraya as-Salam“ aus dem Herkunftsstaat ausgereist.

Er war im Herkunftsstaat zu keiner Zeit einer asylrelevanten Bedrohungs- oder Verfolgungssituation ausgesetzt.

1.5. Zu etwaigen Integrationsschritten des BF im Bundesgebiet:

Der BF hat nachweislich ein Zertifikat für Deutschkurse der Stufen A1, A2 und B1 abgelegt und besuchte zahlreiche Integrationsmodule der Polizei und der Stadt XXXX . Er nimmt ehrenamtlich als Boxer an der XXXX teil. Bis zu der vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumten mündlichen Verhandlung langten für ihn mehrere Unterstützungsschreiben ein. Eines dieser Schreiben stammt von einem Bruder des Schwagers einer Tante, einem Internisten, der bereits seit 30 Jahren in Österreich lebt. Zu diesem besteht keine finanzielle Abhängigkeit [Beilagen ./A und ./B; Niederschrift-BFA S. 1; Teilnahmebestätigung an Integrationsmodulen AS 91 bis 109; Bestätigung XXXX AS 79; Unterstützungsschreiben AS 73 bis 77 und Beilagen ./C und ./D; VH-Niederschrift S. 9].

Der BF ist strafrechtlich unbescholten und weist eine Hauptwohnsitzmeldung im Bundesgebiet auf. Er lebt von Leistungen aus der Grundversorgung [Strafregisterauszug; ZMR-Auszug; Auszug aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister-IZR; GVS-Auszug].

1.6. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines „Kalifats“ in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste des früheren Herrschaftsgebiets dieser Organisation im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden, verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Der Beschwerdeführer war weder durch die im Herkunftsstaat tätigen Milizen noch durch die Polizei des Herkunftsstaates einer asylrelevanten Bedrohung oder gar Verfolgung ausgesetzt.

1.6.1. Bei der von vom BF genannten ALSALAM Miliz handelt es sich um die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades), eine der unter der PMF zusammengefassten schiitischen Milizen. Diese Miliz wurde 2014 von Muqtada as-Sadr gegründet und kann als Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee (Jaish al-Mahdi; https://de.wikipedia.org/wiki/Mahdi-Armee, Stand Dezember 2019, Zugriff am:03.07.2020) bezeichnet werden. Einige Quellen sprechen von 50.000 bis zu 100.000 Kämpfern. Ihre Schlagkraft ist mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt, was an der gewahrten politischen Distanz zu Teheran und damit einhergehend reduzierten Mitteln von Seiten des Iran liegt. Ihr Haupteinsatzgebiet liegt im vorgeblichen Schutz heiliger schiitischer Stätten. Seitens der Regierung wurde 2016 der Versuch unternommen, Teile der PMF in die staatliche Sicherheitsstruktur einzugliedern und unter die Kontrolle des Premierministers zu stellen - ein Projekt, dessen Ausgang noch immer unklar ist.

Eine landesweite und systematische Verfolgung von Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft, von Frauen oder Kindern durch diese Miliz besteht nicht. Dass der BF einer asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt wäre, kam anlassbezogen nicht hervor.

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 30.06.2020

-        - ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html, Zugriff am 30.06.2020

-        BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc Zugriff am 30.06.2020

-        - GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff am 13.3.2020

-        - FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/, Zugriff am 02.07.2020

-        - Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 02.07.2020

-        UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf Zugriff am 30.06.2020

-        UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf Zugriff am 30.06.2020

-        - Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff am 02.07.2020

1.6.2. Berufsgruppen:

Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat der bfP geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien (AA 12.01.2019).

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird - fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen (AA 12.1.2019; vgl. USDOS 21.6.2019), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten, sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 12.1.2019).

Der BF war laut eigenen Angaben zuletzt als Angestellter in einer XXXX seines Schwagers tätig. Angestellte einer XXXX gehören keiner besonders gefährdeten Berufsgruppe an.

Quellen:

-        - AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 02.07.2020

-        - USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff am 02.07.2020

1.6.3. Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche, wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser mit eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Der BF bezeichnete sich selbst als gesund, sodass er keine medizinische Versorgung benötigt und bei ihm grundsätzlich Arbeitsfähigkeit vorliegt.

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 30.06.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff am 30.06.2020

-        IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff am 30.06.2020

-        UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf, Zugriff am 30.06.2020

-        WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff am 30.06.2020

1.7. Aus den Angaben des BF lassen sich keine Anhaltspunkte dahingehend entnehmen, dass er mit den Behörden, der Polizei oder den Gerichten des Herkunftsstaates - etwa wegen seines Religionsbekenntnisses, seiner ethnischen Zugehörigkeit zur Mehrheitsbevölkerung der Araber oder aus politischen Gründen - Probleme gehabt hätte.

Es gibt auch keinerlei Hinweise in die Richtung, dass er oder die Angehörigen seiner Kernfamilie jemals politisch aktiv gewesen wären oder die Genannten einer politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates als Mitglieder angehört hätten.

Er hatte mit den Angehörigen derselben Glaubensrichtung bzw. mit den Angehörigen einer anderen im Herkunftsstaat beheimateten Glaubensrichtung keine Probleme.

Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wird der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr keiner - aus in seiner Person gelegenen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort - realen Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention geschützten Rechte oder als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt sein.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und die in der Folge getroffenen (sachverhaltsbezogenen) Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, sowie aus den niederschriftlich protokollierten Angaben des BF anlässlich seiner Befragung durch die Organe der belangten Behörde.

2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache zur Identität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers Feststellungen getroffen wurden, beruhen diese im Wesentlichen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, die vom BF vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, andererseits vor den Organen der belangten Behörde getätigt wurden, sowie auf den im Akt befindlichen Kopien der vorgelegten persönlichen Dokumente und Urkunden.

Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des BF im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

Die zu seiner Ausreise aus dem Irak, zur weiteren Reiseroute und zur Einreise ins Bundesgebiet getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor den Organen der Sicherheitsbehörde, die im Wesentlichen unstrittig geblieben sind und der gegenständlichen Entscheidung daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden konnten.

2.3. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:

Das Vorbringen des BF zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates und zu seiner Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat beruht einerseits auf seinen Angaben vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, sowie auf den vor den Organen der belangten Behörde gemachten Angaben.

Vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde hatte der BF angegeben, dass er und sein Bruder bedroht worden wären. Demnach wären er und sein Bruder aufgefordert worden, sich den schiitischen Milizen anzuschließen. Bei Nichtbefolgung dieser Aufforderung wäre sein Leben und das seines Bruders in Gefahr gewesen. Bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben.

Die Zweifel bezüglich der Identität des Bruders, welche die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid äußert, können nicht bestätigt werden. Die Angaben, welche XXXX bei seiner Erstbefragung bezüglich der Familienangehörigen machte, stimmen, abgesehen von unterschiedlichen Schreibweisen der Personen, mit denen des Beschwerdeführers überein. Aus der nur äußerst kurzen Befragung vor dem BFA und der Nichterwähnung des vermeintlichen Bruders lassen sich keinerlei Rückschlüsse auf das Vorhandensein einer familiären Beziehung ziehen. In einem Umkehrschluss ist es genauso wenig möglich, hieraus zu schließen, dass kein familiäres Band zwischen diesen beiden Personen bestünde. Da XXXX am XXXX .04.2017 das Bundesgebiet verließ und es sich vorliegend um zwei getrennte Verfahren handelt, erweist sich diese, in der Beschwerde vorgebrachte Problematik im vorliegenden Fall als nicht entscheidungsrelevant.

Bezüglich seines Fluchtgrundes gab der BF vor der belangten Behörde an, von der Miliz „Saraya as-Salam“ einen Einberufungsbefehl bekommen zu haben, da er zwangsrekrutiert werden sollte. Er und sein Bruder befänden sich als Nummer 6 und 10 auf einer Liste, was religiös motiviert sei. Der BF wolle keine Waffen tragen und Menschen umbringen und gehöre keiner Religion an. Die Milizen würden Männer beim Bürgermeister oder Imam anfordern. Von diesen würden sie Listen mit den Bewohnern des Dorfes bekommen, mit Informationen, wie viele Männer pro Familie dort leben und auf Grund dieser Listen dann neue Kämpfer rekrutieren. Er, der BF, sei auf einer dieser Listen angeführt. Der Einrückungsbefehl, wonach er sich in einer Moschee einfinden und den Dienst antreten müsse, sei seiner Familie übergeben worden, während er bei der Arbeit war. Er habe sich jedoch sofort zur Flucht entschlossen, da er in seiner Heimat keinen sicheren Platz gehabt hätte. Er habe gemeinsam mit seinem Bruder diese Entscheidung getroffen und ein Visum für die Türkei organisiert. Hierfür hätten sie extra gezahlt, um das Land schneller verlassen zu können. Daraufhin hätten beide den Irak verlassen. Gegen ihn sei ein mündlicher Haftbefehl erlassen worden, da er sich der Rekrutierung widersetzt hätte und sei dieser Haftbefehl auch vom Imam der Moschee verbreitet und an alle Checkpoints weitergegeben worden. Der BF gab zusätzlich an, keinen Kontakt zu seiner Familie zu haben. Es sei zu einem Streit mit seinem Bruder gekommen, da er (Anm.: der BF) nicht gläubig sei. Hieraufhin habe der Bruder ihn bei seiner Familie verraten. Im Ramadan des Jahres 2016 habe er das letzte Mal Kontakt zu seinem Vater gehabt. Dieser habe ihn als Ungläubigen beschimpft und gemeint, er würde für ihn die Höchststrafe fordern.

Insgesamt vermittelte der Beschwerdeführer dem erkennenden Verwaltungsgericht einen unglaubwürdigen persönlichen Gesamteindruck, wie im Folgenden noch darzulegen sein wird. Ihm gelang es daher nicht, die von ihm behaupteten Fluchtgründe dem Verwaltungsgericht glaubhaft zu machen.

So vermochte er insbesondere schon die Bedrohung durch die Miliz „Saraya as-Salam“ im Laufe des behördlichen Ermittlungsverfahrens und des vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig gemachten Beschwerdeverfahrens nicht glaubhaft zu machen. Die unter OZ 6 und OZ 7 vorgelegten Dokumente, die seine Verfolgung durch die Miliz belegen sollen, ergeben, dass der ursprüngliche Einrückungsbefehl den Zweck hatte, den Irak vor dem herannahenden Islamischen Staat (im vorgelegten Dokument ISIS) zu verteidigen. Unter Berücksichtigung der aktuellen Länderinformation gilt der IS seit Ende 2017 als besiegt und soll er sich seither im Status einer Aufstandsbewegung befinden. Die damalige Bedrohung und der Grund für die vom BF genannte Zwangsrekrutierung erfährt auch dadurch eine Relativierung, als der aktuelle Länderbericht explizit darauf hinweist, dass die Rekrutierung in die Volksmobilisierungskräfte, und sohin die diesen angehörende „Saraya as-Salam“, ausschließlich auf freiwilliger Basis erfolgt sei [Seiten 16 und 62 des aktuellen Länderinformationsblattes, Gesamtaktualisierung am 17.03.2020]. Demnach gibt es im Herkunftsstaat des BF keine wie immer geartete Zwangsrekrutierung in eine der dort aktiven Volksmobilisierungskräfte (Milizen). Damit erweisen sich die Angaben des BF, zwangsweise rekrutiert worden zu sein und nachdem er dieser Aufforderung keine Folge leistete, von der Miliz verfolgt worden zu sein, als unglaubwürdiges, den Tatsachen widersprechendes Gedankenkonstrukt. Auch erscheint die Art, wie er zu den jeweiligen Dokumenten gelangt sein will und der Grund ihrer Ausstellung mehr als hinterfragenswert, weshalb die vorgelegten Urkunden vor dem Hintergrund der Länderinformationen zum Herkunftsstaat die Angaben des BF nicht zu stützen vermögen. Bis zur Urkundenvorlage in OZ 6 und OZ 7 verfügte er lediglich über ein von seiner Mutter (unter Mithilfe dritter Personen) über Messenger übermitteltes Foto des ursprünglichen Einberufungsbefehls, obwohl er zu diesem Zeitpunkt in seiner Heimatstadt aufhältig gewesen sein soll. Bei Wahrunterstellung hätte sich der Einberufungsbefehl in seinem persönlichen Besitz befinden müssen. Zwischen diesem ersten Schreiben vom XXXX .08.2015 und der Ladung an seinen Vater und den im Irak verbliebenen Bruder zur Auskunftsgabe vom XXXX .01.2019 liegen dreieinhalb Jahre, in denen „Saraya as-Salam“ keinerlei Schritte setzte, den BF zu erreichen oder diesen ausfindig zu machen. Erst etwa ein Jahr nach dem Fall des IS soll diese Miliz wieder ein Interesse an der Person des BF und seines, mittlerweile ebenfalls im Ausland befindlichen Bruder gezeigt haben. Das erscheint dem erkennenden Gericht unter Bezugnahme auf die Länderinformationen zum Herkunftsstaat weder nachvollziehbar noch glaubwürdig. Auch vermag die Qualität der vorgelegten Dokumente nicht, den Standpunkt des BF und der Beschwerde zu bestätigen. Vor diesem Hintergrund kann der belangten Behörde (Seite 105 des angefochtenen Bescheides) die von ihr vertretene Auffassung, dass die Echtheit der Dokumente in Frage stehe, nicht in Abrede gestellt werden. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich bei der Beurteilung des gegenständlichen Sachverhalts dieser Auffassung an. Trotz Aufforderung, Originaldokumente vorzulegen, wurden mit OZ 7 zwei Ausdrucke übermittelt, die nach Ansicht des erkennenden Gerichts eher Ausdrucke von Fotodateien sind, auf denen Stampiglien mit Unterschriften angebracht wurden. Es handelt sich nicht um originale Schreiben der Miliz „Saraya as-Salam“. Hiermit einhergehend scheint es zudem unglaubhaft, dass der Einberufungsbefehl und die Urgenz an den Vater und den Bruder schriftlich ergangen seien, ein viel weiterreichender Haftbefehl an viele Checkpoints mit variierender Besetzung jedoch ausschließlich mündlich, wie der BF vor der belangten Behörde angab. Erst bei der hg. mündlichen Verhandlung erweiterte der Beschwerdeführer sein Vorbringen, dass Kopien seines Personalausweises verteilt worden seien.

Auch bezüglich des Vorbringens, wonach der Beschwerdeführer vom Vater und der Familie als Ungläubiger bezeichnet wurde und dieser für den Beschwerdeführer die Höchststrafe gefordert habe, erscheint dem Gericht nicht glaubwürdig.

Vor der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer an, keinen Kontakt zu seiner Familie zu haben, da seine religiöse Neutralität vom eigenen Bruder verraten worden sei und seine Familie ihn nunmehr als Ungläubigen ansehen würde [AS 60]. In einem offenen Widerspruch dazu gab er vor dem BVwG an, bis zu dreimal wöchentlich Kontakt über Telefon, Messenger oder WhatsApp mit den im Herkunftsstaat aufhältigen Angehörigen seiner Kernfamilie zu haben und auf diesem Wege auch die zu OZ 6 und OZ 7 im Gerichtsakt einliegenden Dokumente angefordert zu haben [S. 9 der Verhandlungsniederschrift]. Unterstellt man, dass er die zu OZ 6 und OZ 7 im Gerichtsakt einliegenden Dokumente von den Angehörigen seiner Kernfamilie erhalten habe, nachdem er sie darum ersucht hatte, und berücksichtigt man zudem seine Angabe, mit den im Herkunftsstaat aufhältigen Angehörigen seiner Kernfamilie bis zu dreimal wöchentlich Kontakt über das Telefon und die sozialen Medien zu haben, führt dies die vor der belangten Behörde gemachte Angabe des Beschwerdeführers, mit den Angehörigen seiner Kernfamilie deshalb keinen Kontakt zu haben, weil er als Ungläubiger angesehen werde, ad absurdum. Auch erscheint die Angabe des BF, „religiös neutral“ bzw. als Ungläubiger angesehen zu werden, als unglaubwürdig, dies nicht zuletzt deshalb, da er in der vor dem BVwG stattgehabten mündlichen Einvernahme nahezu ausschließlich auf die Bedrohung durch die Miliz einging, während seine angebliche Ausrichtung als „religionsfreie Person“ völlig in den Hintergrund trat. Lediglich im Zusammenhang mit der Frage, welcher radikal-islamischen Strömung die „Saraya as-Salam“ angehöre, erwähnte der BF kurz - und dies auch nur über Nachfrage - dass er keinem Glauben angehöre. Auf die Frage, einer näheren Erklärung, warum dann ausgerechnet er einer schiitischen Miliz angehören soll, antwortete er nur knapp, dass er dies so gesagt und auch so gemeint habe, das (Anm. die Nichtzugehörigkeit zu einem Glauben) jedoch für sich behalte und andere Personen nicht erkennen könnten, dass er keinem Glauben angehöre. Auch sei es in XXXX nicht bekannt gewesen, dass sein Vater Sunnit sei [S. 13f der Verhandlungsniederschrift].

In Anbetracht der aufgezeigten Inkonsistenzen und Widersprüche erweist sich die Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers insgesamt als tatsachenwidriges Gedankenkonstrukt; selbst die zur Vorlage gebrachten Urkunden vermögen aus den angeführten Gründen diesen entstandenen Gesamteindruck nicht zu beseitigen.

Die getroffenen Konstatierungen waren somit im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu treffen.

2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat

Die länderkundlichen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak gründen auf dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes und auf den als notorisch zu qualifizierenden aktuellen Ereignissen im Herkunftsstaat des BF in Verbindung mit den dazu ergänzend eingesehenen länderkundlichen Informationsquellen. Diesen war auch kein über die oben erörterten, vom BF selbst dargebotenen Verfolgungsgründe hinausgehender Sachverhalt zu entnehmen, der allenfalls Anhaltspunkte für eine aus sonstigen Gründen drohende individuelle Gefährdung beinhaltet hätte.

2.5. Zur Integration des BF in Österreich

Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer in Österreich gesetzten Integrationsschritten (Deutschkursbesuch, Teilnahme an Integrationskursen, ehrenamtliche Mitarbeiten) ergaben sich aus den diesbezüglichen glaubhaften Nachweisen im Akt. Die Integration der beschwerdeführenden Partei wird auch durch die im Akt befindlichen glaubhaften Unterstützungsschreiben bestätigt. Dass der BF über Deutschkenntnisse verfügt, konnte zusätzlich im Rahmen der hg. mündlichen Verhandlung festgestellt werden, in welcher er einige Fragen auf Deutsch beantworten konnte. Der Bezug aus Leistungen der Grundversorgung ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des BF und einem GVS-Auszug, der Hauptwohnsitz im Bundesgebiet und die bisherige Unbescholtenheit aus den jeweiligen Auszügen aus dem Melderegister und dem Strafregister.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

3.1.1. Die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom XXXX .02.2018 erhobene Beschwerde des BF ist rechtzeitig und brachte die belangte Behörde die Beschwerde und die Akten des verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF., entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt die Entscheidung in der gegenständlichen Rechtssache dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte, mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Zu Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ (vgl. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370 und vom 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, der sich eignet, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH vom 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; vom 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318 und vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH vom 05.11.1992, Zl. 92/01/0792 und vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH vom 01.06.1994, Zl. 94/18/0263 und vom 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370 und vom 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor einer konkreten Verfolgung findet (VwGH vom 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH vom 08.09.1999, Zlen. 98/01/0503 und 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH vom 21.01.1999, Zl. 98/20/0399 und vom 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

3.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Eine gegen eine Person gerichtete Verfolgungsgefahr aus solchen Gründen wurde vom Beschwerdeführer weder im Verfahren vor der belangten Behörde, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft gemacht.

Die vom BF behauptete Bedrohung bzw. Verfolgung durch die Miliz „Saraya as-Salam“ konnte er nicht glaubhaft machen. Auch in der Zusammenschau mit den von ihm zur Vorlage gebrachten Dokumenten lässt sich in der Zusammenschau mit den vorliegenden Länderberichten keine aktuelle Verfolgungsgefahr des BF erkennen. Gegen eine aktuelle Bedrohung bzw. Verfolgungsgefahr solche spricht zusätzlich der große Zeitraum zwischen den vom BF behaupteten, angeblichen Kontaktaufnahmen dieser Miliz mit diesem, weiter, dass ein Haftbefehl wider seine Person mündlich erlassen worden sei das Faktum, dass sich sein, im wehrfähigen Alter befindlicher Bruder von Milizen unbehelligt in seiner Heimatstadt aufhält.

Ebenso kommt der vom BF vor der belangten Behörde behaupteten – angeblichen - „Ungläubigkeit“ seiner Person keine Asylrelevanz zu.

Dem Beschwerdeführer gelang es nicht, seine angebliche „Ungläubigkeit“ darzutun. Selbst wenn er auf Grund des von ihm gewählten Glaubensstatus einer „ungläubigen Person“ von der eigenen, im Herkunftsstaat aufhältigen Kernfamilie nicht akzeptiert würde und eine Bestrafung wider seine Person ausgesprochen worden wäre, steht dies in einem auffallenden Widerspruch zu seinen Angaben in der PV vor dem erkennenden Bundesverwaltungsgericht, dass er bis zu dreimal wöchentlich Kontakt mit den Angehörigen seiner Kernfamilie habe. Bei Wahrunterstellung dieser Kontaktfrequenz mit den Angehörigen seiner Kernfamilie spricht dies dafür, dass der BF von ihr zu keinem Zeitpunkt als „ungläubige Person“ angesehen wurde, weil er keinen Anlass gab, dies anzunehmen, oder ihm die Kernfamilie seine angebliche „Ungläubigkeit“, an der auch das erkennende Gericht erhebliche Zweifel hat, nachgesehen und verziehen hat, womit die vom BF behauptete Bedrohung bzw. Verfolgung durch seine eigene Familie nicht besteht.

Selbst bei Wahrunterstellung einer Bedrohung bzw. Verfolgung aus religiösen Gründen durch Angehörige der eigenen Kernfamilie spricht gegen eine asylrelevante Einordnung der Umstand, dass hier eine rein innerfamiliäre Spannung gegeben wäre, welcher für das hg. Verfahren bzw. eine allfällige Asylrelevanz keine Signifikanz zukäme.

Ob der bereits im Rahmen der Beweiswürdigung erfolgten Ausführungen, den Angaben des BF und der

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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