TE Vfgh Erkenntnis 2020/6/8 E3911/2019

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Veröffentlicht am 08.06.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

B-VG Art18 Abs1
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §12a, §22 Abs10
BFA-VG §22
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes einer Staatsangehörigen aus Nigeria auf Grund Außerachtlassung der Anforderungen an die Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen

Spruch

I. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird stattgegeben.

II. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Der Beschluss wird aufgehoben.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführerin stellte am 21. Juli 2018 einen Antrag auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15. Jänner 2018 wurde dieser Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Weiters wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. September 2018 abgewiesen.

2. Am 6. November 2018 stellte die Beschwerdeführerin ihren ersten Folgeantrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23. November 2018 wurde dieser Antrag gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt. Weiters wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei und keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Jänner 2019 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgewiesen.

3. Am 13. Juni 2019 stellte die Beschwerdeführerin ihren zweiten Folgeantrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27. Juni 2019 wurde dieser Antrag erneut gemäß §68 Abs1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt. Gegen die Beschwerdeführerin wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei und keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe. Ferner wurde eine auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juli 2019 abgewiesen.

4. Am 19. August 2019 stellte die Beschwerdeführerin ihren dritten Folgeantrag.

5. Mit dem im Anschluss an die Einvernahme am 29. August 2019 mündlich verkündetem Bescheid hob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den faktischen Abschiebeschutz gemäß §12a Abs2 AsylG 2005 auf.

Mit dem verfahrensgegenständlichen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 2019 wurde ausgesprochen, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß §12a Abs2 AsylG 2005 iVm §22 Abs10 AsylG 2005 rechtmäßig war.

6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der es dem Beschwerdevorbringen entgegentritt.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige –Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtes erschöpft sich im Wesentlichen in der Wiedergabe des Verfahrensganges, der Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin, von Länderberichten und Gesetzestexten.

Die beweiswürdigenden Erwägungen beschränken sich auf folgende Ausführungen:

"Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durch die Einsichtnahme in den Akt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie in den zu überprüfenden Bescheid Beweis erhoben.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Fremden, die derzeit in einem Polizeianhaltezentrum in Schubhaft angehalten wird, beruhen auf einer Auskunft der Landespolizeidirektion Wien vom 11. September 2019.

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Fremden wurden dem aktuellen 'Länderinformationsblatt der Staatendokumentation' zu Nigeria entnommen.

Bezüglich der Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat wurden sowohl Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie beispielsweise dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten und unabhängigen Nichtregierungsorganisationen, wie zB der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, herangezogen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln."

Die Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung beschränken sich auf folgende Formulierungen:

"1. Zunächst ist festzuhalten, dass die Fremde einen Folgeantrag iSd §2 Abs1 Z23 Asylgesetz 2005 gestellt hat und dass kein Fall des 5 12a Abs1 Asylgesetz 2005 vorliegt.

Auch die übrigen Voraussetzungen des §12a Abs2 Z1 bis 3 Asylgesetz 2005 sind erfüllt:

1.1. So besteht gegen die Fremde in Gestalt des rechtskräftigen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29. Juli 2019 eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Fremdenpolizeigesetz 2005.

1.2. Weiters wurde mit dem genannten Erkenntnis der zweite Folgeantrag der Fremden auf internationalen Schutz rechtskräftig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Somit gibt es dafür, dass der Fremden im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art3 EMRK überschritten wäre (zur 'Schwelle' des Art3 EMRK vgl das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Juli 2003, 2003/01/0059), im vorliegenden Fall keinen Anhaltspunkt.

Außerdem besteht ganz allgemein in Nigeria derzeit keine solche extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK ausgesetzt wäre.

Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf die Fremde ein 'reales Risiko' einer gegen Art2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw der Todesstrafe besteht.

Auch führt die Fremde in Österreich kein iSd Art8 EMRK geschütztes Familienleben, das ihren Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet entscheidendes Gewicht verleihen würde, und auch ihr Privatleben weist offenbar keine besonders ausgeprägte Intensität auf. Selbst unter der Annahme der Richtigkeit ihrer Behauptung — einen Freund zu haben, den sie im Juni 2019 kennengelernt habe und der aus einem afrikanischen Land, aber nicht aus Nigeria stamme — würde dies nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes keine reale Gefahr einer Verletzung von Art, 8 EMRK mit sich bringen.

1.3. Der dritte Folgeantrag der Fremden wird — insbesondere unter Zugrundelegung der unter den Punkten A) 1.1. und A) 1.2. getroffenen Feststellungen — voraussichtlich zurückzuweisen sein, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, jedenfalls wurden keine neuentstandenen Tatsachen vorgebracht, die zumindest einen 'glaubhaften Kern' aufweisen (vgl etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Februar 2009, 2008/01/0334, mwN)."

3.2. Damit ist den Anforderungen an eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung nicht entsprochen.

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, müssen die für eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung maßgeblichen Erwägungen aus der Begründung der Entscheidung selbst hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (zB VfSlg 18.614/2008). Die drei logisch aufeinander aufbauenden und formal zu trennenden Elemente einer ordnungsgemäß begründeten verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen erstens in einer im Indikativ gehaltenen Tatsachenfeststellung, zweitens in der Beweiswürdigung und drittens in der rechtlichen Beurteilung. Lässt eine Entscheidung die Trennung dieser Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei oder die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung (vgl auch VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076 mwH).

Im angefochtenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht diese Anforderungen an die Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen (vgl §17 VwGVG iVm §60 AVG) gänzlich außer Acht gelassen und damit einen Fehler begangen, der so schwer wiegt, dass er mit Willkür auf eine Stufe zu stellen ist (vgl wiederum VfSlg 18.614/2008).

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher mit Willkür behaftet und somit aufzuheben.

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden,

2. Der Beschluss ist daher aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rechtsstaatsprinzip

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E3911.2019

Zuletzt aktualisiert am

02.10.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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