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23/01 InsolvenzordnungNorm
B-VG Art140 ABs1 Z1 litdLeitsatz
Zurückweisung des Parteiantrags eines Schuldners mangels Parteistellung in einem – sowohl die Insolvenzmasse als auch den Schuldner persönlich betreffenden – Masseprozess gegen ein Zwischenurteil; kein Ersatz der fehlenden Parteistellung durch Zustimmung der Insolvenzverwalterin zur VerfahrensführungSpruch
I. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.
II. Der Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Sachverhalt und Antrag
1. Der Antragsteller im verfassungsgerichtlichen Verfahren war Beklagter eines seit 2015 am Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien anhängigen Verfahrens (Z 65 Cg 2/15i), in dem der Kläger ursprünglich einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von insgesamt € 1.439.830,37 begehrte.
2. Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 11. Juli 2018, Z 28 S 89/18v, wurde über das Vermögen des Antragstellers das Insolvenzverfahren eröffnet und eine Insolvenzverwalterin bestellt. Dem Antragsteller kommt in diesem Insolvenzverfahren die Eigenverwaltung nicht zu. Das zivilgerichtliche Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien wurde infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß §7 Abs1 IO unterbrochen.
3. Über Fortsetzungsantrag des Klägers vom 13. September 2018 wurde das Verfahren wieder aufgenommen und das Klagebegehren im Sinne der Feststellung im Konkursverfahren umgestellt. Am 20. September 2019 stellte der Kläger einen Zwischenantrag auf Feststellung, dass ihm die Stellung eines Noterben zukomme sowie dass der Pflichtteilsanspruch zu Recht bestehe, und schränkte das Verfahren auf den Gegenstand des Zwischenantrages ein.
4. Mit Zwischenurteil vom 6. April 2020, Z 65 Cg 2/15i-132, stellte das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien mit Wirkung (ausschließlich) gegenüber der nunmehr beklagten Insolvenzverwalterin im Konkurs über das Vermögen des Antragstellers fest, dass dem Kläger die Stellung als Noterben zukomme und der Pflichtteilsanspruch dem Grunde nach bestehe. Die Kostenentscheidung behielt sich das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien bis zur Entscheidung über die Höhe des Anspruches vor.
5. Im vorliegenden Parteiantrag an den Verfassungsgerichtshof begehrt der Antragsteller die Aufhebung des §62a Abs1 Z8 VfGG sowie der §§6 Abs1, 59, 78 Abs2 und 3, 123b Abs2 und 259 Abs4 IO wegen Verfassungswidrigkeit und stellt darüber hinaus einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im vollen Umfang mit Ausnahme der Beigebung eines Rechtsanwaltes.
Der Antragsteller bringt zusammengefasst vor, dass er Partei des vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien geführten Verfahrens sei. Er müsse seit der Insolvenzeröffnung eine Fülle von menschenunwürdigen Demütigungen über sich ergehen lassen. Die angefochtenen Bestimmungen der Insolvenzordnung ermöglichten eine Einflussnahme auf seinen höchstpersönlichen Lebensbereich und führten dazu, dass der Antragsteller faktisch ein "Leibeigener" der Insolvenzverwalterin sei. Darüber hinaus verhindere §62a Abs1 Z8 VfGG in verfassungswidriger Weise die Stellung eines Parteiantrages in Insolvenzverfahren. Die genannten Bestimmungen verstießen daher gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art7 B-VG sowie weitere näher bezeichnete verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte.
II. Rechtslage
Die §§6 und 7 IO, RGBl. 337/1914, idF BGBl I 29/2010 lauten:
"Wirkung in Ansehung von Rechtsstreitigkeiten
§6.
(1) Rechtsstreitigkeiten, welche die Geltendmachung oder Sicherstellung von Ansprüchen auf das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen bezwecken, können nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner weder anhängig noch fortgesetzt werden.
(2) Rechtsstreitigkeiten über Absonderungsansprüche und über Ansprüche auf Aussonderung nicht zur Insolvenzmasse gehöriger Sachen können auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, jedoch nur gegen den Insolvenzverwalter anhängig gemacht und fortgesetzt werden.
(3) Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, die das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen überhaupt nicht betreffen, insbesondere über Ansprüche auf persönliche Leistungen des Schuldners, können auch während des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner oder von ihm anhängig gemacht und fortgesetzt werden.
Unterbrechung und Wiederaufnahme in anhängigen Rechtsstreitigkeiten
§7.
(1) Alle anhängigen Rechtsstreitigkeiten, in denen der Schuldner Kläger oder Beklagter ist, mit Ausnahme der in §6, Absatz 3, bezeichneten Streitigkeiten, werden durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen. Auf Streitgenossen des Schuldners wirkt die Unterbrechung nur dann, wenn sie mit dem Schuldner eine einheitliche Streitpartei bilden (§14 Z.P.O.).
(2) Das Verfahren kann vom Insolvenzverwalter, von den Streitgenossen des Schuldners und vom Gegner aufgenommen werden.
(3) Bei Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, die der Anmeldung im Insolvenzverfahren unterliegen, kann das Verfahren vor Abschluß der Prüfungstagsatzung nicht aufgenommen werden. An Stelle des Insolvenzverwalters können auch Insolvenzgläubiger, die die Forderung bei der Prüfungstagsatzung bestritten haben, das Verfahren aufnehmen."
III. Zur Zulässigkeit
1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen "auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels".
2. Der Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG ist nicht zulässig.
Eine Voraussetzung für die Stellung eines Parteiantrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG ist, dass der Einschreiter Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache ist. Dies trifft auf den Antragsteller nicht zu:
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen – ohne Eigenverwaltung – hat der Antragsteller die Prozessführungsbefugnis betreffend Ansprüche auf das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen gemäß §§6 und 7 IO verloren; zuständig zur Prozessführung war ab dem Zeitpunkt ihrer Bestellung vielmehr die Insolvenzverwalterin über das Vermögen des Antragstellers, gegen die in weiterer Folge auch das Zwischenurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Beklagte erging.
Soweit der Antragsteller – in seiner Berufung gegen das Zwischenurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien – ausführt, dass das Klagebegehren auch einen Anspruch betroffen habe, der das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen überhaupt nicht betreffe (§6 Abs3 IO), und damit von der Wirkung des §6 Abs1 iVm §7 IO ausgenommen sei, ist ihm die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entgegenzuhalten, wonach es sich bei einem Prozess, der sowohl die Insolvenzmasse als auch den Schuldner persönlich betrifft, zur Gänze um einen Masseprozess handelt (zB OGH 11.11.2004, 8 Ob 101/04t; vgl auch Jelinek, §6 IO, in: Koller/Lovrek/Spitzer [Hrsg.], Insolvenzordnung, 2019, Rz 15).
Der Antragsteller war somit im Zeitpunkt der genannten Entscheidung des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien sowie der Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof nicht Partei iSd Art140 Abs1 Z1 litd B-VG, sodass der Antrag bereits aus diesem Grund zurückzuweisen ist.
3. Eine – im zivilgerichtlichen Verfahren grundsätzlich mögliche (vgl Jelinek, aaO, Rz 45) – Heilung durch Zustimmung der Insolvenzverwalterin zur Verfahrensführung kommt im verfassungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb nicht in Betracht, weil diese Zustimmung die fehlende Prozessvoraussetzung der Parteistellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG nicht ersetzen kann. Bei Bedenken gegen die im zivilgerichtlichen Verfahren präjudiziellen Bestimmungen hätte die Insolvenzverwalterin vielmehr selbst die Möglichkeit gehabt, einen Parteiantrag an den Verfassungsgerichtshof zu richten.
4. Der durch §§6 und 7 IO im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkte Parteiwechsel in laufenden (zivilgerichtlichen) Verfahren, die Ansprüche gegen die Insolvenzmasse betreffen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl etwa die Entscheidung VfSlg 16.000/2000, in welcher der Verfassungsgerichtshof die insoweit idente Vorgängerbestimmung des §7 KO anzuwenden hatte).
IV. Ergebnis
1. Der Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG ist somit mangels Parteistellung des Antragstellers im zivilgerichtlichen Verfahren als unzulässig zurückzuweisen.
2. Da die vom Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof somit als offenbar aussichtslos erscheint, ist sein unter einem mit dem Parteiantrag gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang mit Ausnahme der Beigebung eines Rechtsanwaltes abzuweisen (§63 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG).
3. Diese Beschlüsse konnten gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG bzw §72 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.
Schlagworte
VfGH / Parteiantrag, VfGH / Legitimation, Insolvenzrecht, ParteistellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:G256.2020Zuletzt aktualisiert am
01.10.2020