TE Vfgh Beschluss 2020/6/26 G22/2020

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Veröffentlicht am 26.06.2020
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Index

60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
Lohn- und Sozialdumping-BekämpfungsG §26
VwGVG §52
VfGG §7 Abs2, §62 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung eines Gerichtsantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des Lohn- und Sozialdumping-BekämpfungsG mangels Darlegung der Bedenken und zu engem Anfechtungsumfangs

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark, §26 Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (im Folgenden: LSD-BG), BGBl I 44/2016, seinem gesamten Umfang nach als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen, §19 LSD-BG, BGBl I 44/2016 idF BGBl I 64/2017 und §26 LSD-BG, BGBl I 44/2016, lauten auszugsweise wie folgt (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"

4. Abschnitt

Formale Verpflichtungen bei grenzüberschreitendem Arbeitseinsatz

Meldepflicht bei Entsendung oder Überlassung aus einem EU-Mitgliedstaat oder EWR-Staat oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft

§19. (1) Arbeitgeber und Überlasser mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat oder EWR-Staat oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft haben die Beschäftigung von nach Österreich entsandten Arbeitnehmern und nach Österreich überlassenen Arbeitskräften zu melden. Die Meldung hat für jede Entsendung oder Überlassung gesondert zu erfolgen. Nachträgliche Änderungen bei den Angaben gemäß Abs3 oder Abs4 sind unverzüglich zu melden. Ein Beschäftiger, der einen Arbeitnehmer zu einer Arbeitsleistung nach Österreich entsendet, gilt in Bezug auf die Meldepflichten nach diesem Absatz und den Abs2 und 3 als Arbeitgeber.

(2) Die Entsendung oder Überlassung im Sinne des Abs1 ist vor der jeweiligen Arbeitsaufnahme der Zentralen Koordinationsstelle zu melden. Im Fall von mobilen Arbeitnehmern im Transportbereich ist die Meldung vor der Einreise in das Bundesgebiet zu erstatten. Die Meldung hat ausschließlich automationsunterstützt über die elektronischen Formulare des Bundesministeriums für Finanzen zu erfolgen. Arbeitgeber haben im Fall einer Entsendung der Ansprechperson nach §23 oder, sofern nur ein Arbeitnehmer entsandt wird, diesem die Meldung in Abschrift auszuhändigen oder in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen.

[…]

Verstöße im Zusammenhang mit den Melde- und Bereithaltungspflichten bei Entsendung oder Überlassung

§26. (1) Wer als Arbeitgeber oder Überlasser im Sinne des §19 Abs1

1. die Meldung oder die Meldung über nachträgliche Änderungen bei den Angaben (Änderungsmeldung) entgegen §19 nicht, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig erstattet oder

2. in der Meldung oder Änderungsmeldung vorsätzlich unrichtige Angaben erstattet oder

3. die erforderlichen Unterlagen entgegen §21 Abs1 oder Abs2 nicht bereithält oder den Abgabebehörden oder der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vor Ort nicht unmittelbar in elektronischer Form zugänglich macht,

begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jeden Arbeitnehmer mit Geldstrafe von 1.000 Euro bis 10.000 Euro, im Wiederholungsfall von 2.000 Euro bis 20.000 Euro zu bestrafen.

(2) Wer als Beschäftiger im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung die erforderlichen Unterlagen entgegen §21 Abs3 nicht bereithält oder zugänglich macht, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jeden Arbeitnehmer mit Geldstrafe von 500 Euro bis 5.000 Euro, im Wiederholungsfall von 1.000 Euro bis 10.000 Euro zu bestrafen."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Ein slowenisches Unternehmen hat zur Erbringung einer Arbeitsleistung Arbeitnehmer nach Österreich entsandt. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld vom 26. Juni 2019 wurden über den gemäß §9 VStG verwaltungsstrafrechtlich Beauftragten dieses slowenischen Unternehmens jeweils Geldstrafen wegen Übertretung des §26 Abs1 Z1 iVm §19 Abs1 und 2 LSD-BG betreffend vier Arbeitnehmer verhängt, weil nachträgliche Änderungen bei den Angaben (Arbeitsende) der Zentralen Koordinationsstelle nicht unverzüglich gemeldet worden waren. Die Gesamtstrafe beträgt € 8.000,– zzgl. Verfahrenskosten von € 800,–; im Fall der Uneinbringlichkeit wurden jeweils Ersatzfreiheitsstrafen verhängt.

Gegen dieses Straferkenntnis erhob der gemäß §9 VStG für das slowenische Unternehmen Verantwortliche Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark.

2. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

"Präjudizialität

Bei dem im Sachverhalt beschriebenen Anlassfall handelt es sich beim Beschwerdeführer um einen Geschäftsführer [eines slowenischen Unternehmens], dem aus Anlass eines anhängigen Verwaltungsstrafverfahrens, wegen des Verdachtes verschiedener Übertretungen des LSD-BG, Geldstrafen nach §26 LSD-BG in der Höhe von € 8.000,00 zuzüglich € 800,00 Kosten bzw im Falle der Uneinbringlichkeit 11 Tage Ersatzfreiheitsstrafe aufgetragen wurden. Die Bestimmung des §26 LSD-BG ist somit in diesem Verfahren vom Landesverwaltungsgericht Steiermark anzuwenden.

Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit:

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hegt gegen die gesetzliche Regelung des §26 LSD-BG, dessen Aufhebung es beantragt, Bedenken im Hinblick auf das Recht auf Eigentum gemäß Art5 StGG, Art1 erstes ZPMRK und Art17 GRC, das Legalitätsprinzip nach Art18 Abs1 B-VG, das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK und Art47 GRC sowie auf Art7 EMRK (nulla poena sine lege), welche wie folgt näher ausgeführt werden:

[...]

Im Anlassfall hat das Landesverwaltungsgericht Steiermark über vier Übertretungen des §26 LSD-BG aufgrund einer Kontrolle vom 17.05.2018 der Finanzpolizei über einen zu zahlenden Gesamtbetrag von € 8.000,00 bzw über eine Ersatzfreiheitsstrafe von 11 Tagen zu entscheiden.

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat massive Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des §26 LSD-BG. Die Strafbestimmung des §26 LSD-BG stellt jedenfalls Strafrecht im Sinne der EMRK dar, zumal sich die Bestimmung, welche die Grundlage für eine Sanktion darstellt, an die Allgemeinheit richtet und die Sanktion der Ahndung und der Abschreckung dient (vgl EGMR 23.10.1995, Gradinger, Nr 16922/90, JBL 1997, 577; Grabenwarter in Korinek/Hollubeck, EMRK Art6 Rz 28; ferner EGMR 10.02.2009 (GK) Zolotukhin, Nr 14939/03, NL 2009, 38). Der Beschwerdeführer kann sich somit auf Art6 EMRK wie im Übrigen auch alle anderen Normunterworfenen im Verwaltungsstrafverfahren nach §26 LSD-BG berufen.

Recht auf Eigentum gemäß Art5 StGG, Art1 erstes ZPMRK und Art17 GRC:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wird der Beschwerdeführer zur Leistung einer Geldstrafe und eines Verfahrenskostenbeitrages verpflichtet; die Entscheidung greift daher an das Eigentumsrecht des Beschwerdeführers ein.

Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 13.587/1993 mwN, 15.364/1998, 15.768/2000, 16.113/2001, 16.430/2002) dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

Mit Beschluss vom 19.12.2019, Rs C-140/19, C-141/19, C-492/19, C-493/19 und C-494/19, hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden, dass Art20 der Richtlinie 2014/67/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 15.05.2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems ('IMI-Verordnung') dahingehend auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Meldung von Arbeitnehmern und die Bereithaltung von Lohnunterlagen, die Verhängung hoher Geldstrafen vorsieht, die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, die je betroffenen Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden und zu denen im Fall der Abweisung einer gegen das Straferkenntnis erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in der Höhe von 20 % der verhängten Strafe hinzutritt. Damit hat der Gerichtshof der Europäischen Union klar entschieden, dass die Bestimmung des §26 LSD-BG teilweise europarechtswidrig ist.

Wenn weite Teile der Strafbestimmung des §26 LSD-BG nicht mehr anwendbar sind, ergeht bei genauerer Betrachtung zwangsweise bei einer Verurteilung, eine Entscheidung, die ohne Rechtsgrundlage erfolgen muss.

Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer, aufgrund im Wesentlichen gleichartiger Verwaltungsübertretungen, zu einer Geldstrafe verurteilt (fehlende Änderungsmeldung für vier Arbeitnehmer); zudem wurde über ihn ein Verfahrenskostenbeitrag von 10 % der Geldstrafe verhängt.

Die Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld hat in dem angefochtenen Erkenntnis damit innerstaatliche gesetzliche Vorschriften nach §26 LSD-BG angewendet, die offenkundig einer unmittelbar anwendbaren Norm des Unionsrechts widersprechen, nämlich Art56 AEUV (zur unmittelbaren Anwendbarkeit dieser Bestimmung vgl auch Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht6, 2017/69).

Der Verfassungsgerichtshof hat unlängst mit Erkenntnis vom 27.11.2019, E2893-2896/2019-10 zu einem ähnlichen Sachverhalt selbst ausgesprochen, dass 'eine derartige Gesetzesanwendung einer Gesetzlosigkeit gleichzuhalten ist, weshalb der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nach Art1 des 1. ZPMRK verletzt ist (vgl hierzu VfSlg 15.448/1999, 19.661/2012)' und gleichzeitig aber auf die aktuelle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vom 15.10.2019, Ra 2019/11/0033 verwiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch genau in dieser Entscheidung ausgeführt:

'4. Die unmittelbare Anwendung und den Vorrang von unionsrechtlichen Bestimmungen haben sowohl die Gerichte als auch die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten zu beachten. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaates verpflichtet, in Anwendung des in Art4 Abs3 EUV niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit das unmittelbar geltende Unionsrecht anzuwenden und die Rechte, die es dem Einzelnen verleiht, zu schützen (vgl das hg. Erkenntnis vom 23. Oktober 2013, 2012/03/0102, 0103, mwN auch zur Rechtsprechung des EuGH).

Nationales Recht, das im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht steht, ist verdrängt. Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass die nationale Regelung in jener Gestalt anwendbar bleibt, in der sie nicht mehr im Widerspruch zum Unionsrecht steht. Nationales Recht bleibt insoweit unangewendet, als ein Verstoß gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht gegeben ist. Die Verdrängung darf also bloß jenes Ausmaß umfassen, das gerade noch hinreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen. Dabei sind die unionsrechtlichen Erfordernisse in das nationale Gesetz 'hineinzulesen' (siehe das hg. Erkenntnis vom 17. April 2008, 2008/15/0064, mwH).

Verdrängung von nationalem Recht durch unmittelbar anwendbares Unionsrecht so zu verstehen, dass es der Vollziehung offen stünde, nach Belieben eine der mehreren unionskonformen Lösungen zur Anwendung zu bringen, brächte einen Eingriff der Vollziehung in den der Gesetzgebung vorbehaltenen Bereich der rechtspolitischen Gestaltung mit sich. Daher darf im Wege der Verdrängung nur jene von mehreren unionskonformen Lösungen zur Anwendung gelangen, mit welcher die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers so weit wie möglich erhalten bleibt (siehe wiederum das bereits zitierte Erkenntnis 2008/15/0064 sowie das hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 2011, 2011/15/0070).'

26 Im Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht im Rahmen der Bemessung der Geldstrafe den Strafrahmen des §7i Abs4 vierter Strafsatz AVRAG angewendet, der im Falle der grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung bei nicht nachweislicher Bereitstellung von Lohnunterlagen durch den Überlasser (Z2 leg. cit) eine Mindeststrafe vorsieht. Nach dem zitierten Urteil des EuGH (Rn 43) ist aber die Anordnung einer Mindeststrafe für eine derartige Übertretung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar, weil sie auch Fälle erfasst, in denen der beanstandete Sachverhalt (Nichtbereitstellung von Lohnunterlagen) im Lichte der Ausführungen des EuGH nicht von besonderer Schwere ist.

27 Liegen für einen Tatzeitpunkt Verstöße gegen die Bereitstellungsverpflichtung der Lohnunterlagen hinsichtlich mehrerer Arbeitnehmer vor, so ist es entsprechend dem zitierten EuGH-Urteil (Rn 41) zwar einerseits mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn die Sanktion von der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer abhängt, doch ist andererseits bei der Bemessung der Geldstrafen zu berücksichtigen, dass diese auch in ihrer Summe in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße stehen müssen (Rn 42 und 46) und daher - insgesamt - kein unverhältnismäßiges Ausmaß erreichen dürfen. Dies ließe sich, so Rn 47 des Urteils, durch eine Höchstgrenze für solche Strafen gewährleisten.

28 §7i Abs4 AVRAG enthält zwar Strafhöchstgrenzen, die nach ihrem Wortlaut für die Bemessung der jeweiligen Geldstrafe ('für jede/n Arbeitnehmer/in') gelten, nicht aber für die Summe der Geldstrafen bei Verletzung der Bereitstellungspflicht bezüglich mehrerer Arbeitnehmer Eine unionsrechtskonforme Rechtslage mithilfe der Verdrängung von nationalem Recht (eine andere Methode steht im Rahmen der Vollziehung der Gesetze nicht zur Verfügung) kann gegenständlich am ehesten dadurch hergestellt werden, dass die Wortfolge 'für jede/n Arbeitnehmer/in' in §7i Abs4 AVRAG unangewendet bleibt, weil damit im Ergebnis dem sich aus Rn 42 und 47 des Urteils des EuGH ergebenden Erfordernis einer Höchstgrenze für die Summe aller Geldstrafen bei Verstößen gegen die Bereitstellungspflicht betreffend mehrere Arbeitnehmer Rechnung getragen wird.

29 Dass damit die Verletzung der Bereitstellungspflicht, auch wenn sie mehrere Arbeitnehmer betrifft, nur mehr eine einzige Strafe nach sich zieht, ist zwingende Rechtsfolge des Erfordernisses, die Unionsrechtskonformität bei möglichst weitgehender Erhaltung des nationalen Rechts herzustellen. Denn die Alter-native, mangels Normierung einer Höchststrafe durch den Gesetzgeber für Fälle der Verletzung der Bereitstellungspflicht hinsichtlich mehrerer Arbeitnehmer die gesamte Strafbestimmung wegen Unionsrechtswidrigkeit unangewendet zu lassen, würde zu einem noch weitergehenden Eingriff in das nationale Recht führen.

30 Die Bemessung der Geldstrafen für Verstöße gegen die Bereitstellungsverpflichtung von Lohnunterlagen mehrerer Arbeitnehmer, die im Revisionsfall ohne Zugrundelegung einer Strafhöchstgrenze im genannten Sinn erfolgte, entspricht daher (abgesehen von der Zugrundelegung der erwähnten Mindeststrafe) auch unter diesem Gesichtspunkt nicht den im zitierten Urteil des EuGH genannten Anforderungen.

In weiterer Folge wird durch den Umstand, dass essentielle Teile der Bestimmung des §26 LSD-BG verdrängt werden, auch gegen das Legalitätsprinzip und den Grundsatz der hinreichenden Bestimmtheit der Gesetze nach Art18 B-VG verstoßen.

Art18 B-VG impliziert schließlich die Verpflichtung des Gesetzgebers, das Handeln der Verwaltung inhaltlich hinreichend zu determinieren.

Der Verfassungsgerichtshof führt in ständiger Judikatur aus, dass der Gesetzgeber der breiten Öffentlichkeit den Inhalt seines Gesetzesbeschlusses in klarer und erschöpfender Weise zur Kenntnis bringen muss, da andernfalls der Normunterworfene nicht die Möglichkeit hat, sich normgemäß zu verhalten. Diesem Erfordernis entspricht weder eine Vorschrift, zu deren Sinnermittlung subtile verfassungsrechtliche Kenntnisse, qualifizierte juristische Befähigung und Erfahrung sowie geradezu archivarischer Fleiß von Nöten sind, noch eine solche, zu deren Verständnis außerordentliche methodische Fähigkeiten und eine gewisse Lust zum Lösen von Denksport-Aufgaben erforderlich sind (VfSlg 3130/1956 und 12420/990). Im gegenständlichen Fall verhält er sich so, dass eine genaue Kenntnis der Judikatur des EuGH iVm mit der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes erforderlich ist, um zu erkennen, dass die Strafdrohungen in §26 LSD-BG zumindest teilweise tatsächlich nicht anwendbar sind, keine Ersatzfreiheitsstrafen und auch unter Umständen keine Kosten nach §52 VwGVG verhängt werden dürfen. Derartige genaue Erkenntnisse des Europa- und Verfassungsrechtes sind einem durchschnittlichen Normunterworfenen nicht zumutbar. Nach der Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark sind die Sanktionsbestimmungen des §26 LSD-BG daher verfassungswidrig.

Wie schwierig die genaue Auslegung des §26 LSD-BG derzeit ist, lässt sich schon daran erkennen, dass derzeit die gegenständliche Strafbestimmung von den Erstbehörden und auch den Landesverwaltungsgerichten äußert unterschiedlich ausgelegt werden und der Verwaltungsgerichtshof selbst über mehrere Jahre hinweg, keinerlei unionsrechtswidrige Bedenken gehegt hat, zumal er ja sonst schon gesetzlich zu einer Vorlage beim EuGH verpflichtet gewesen wäre.

Auch belegt die Formulierung des VwGH, wonach 'eine unionsrechtskonforme Rechtslage mithilfe der Verdrängung von nationalem Recht gegenständlich am ehesten dadurch hergestellt werden kann, dass die Wortfolge 'für jede/n Arbeitnehmer/in' in §7i Abs4 AVRAG unangewendet bleibt...,' im Grunde, dass der unionsrechtskonforme Zustand des §26 LSD-BG nicht mehr ausreichend bestimmt ist und ein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip vorliegt.

Zum Umfang der Anfechtung:

Sollte der Verfassungsgerichtshof die Bedenken des antragstellenden Verwaltungsgerichtes teilen, dass es im Hinblick auf das Recht auf Eigentum, das Legalitätsprinzip und Art7 EMRK prinzipiell nicht zulässig ist, dass durch den Wegfall der unionswidrigen Bestimmungen des §26 LSD-BG, weiterhin Geldstrafen ausgesprochen werden können, wäre die gesamte Bestimmung des §26 LSD-BG nicht mehr vollziehbar, weshalb sie auch anzufechten war." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegentritt:

"II. Zum Anlassverfahren und zur Zulässigkeit:

1. Beim antragstellenden Gericht ist eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld anhängig, mit welchem dem Beschwerdeführer als Geschäftsführer einer slowenischen Firma Meldepflichtverletzungen im Hinblick auf die Entsendung von vier näher genannten Arbeitnehmern zur Last gelegt wurden und er aus diesem Grund gemäß §26 Abs1 Z1 iVm §19 Abs1 und Abs2 LSD-BG zu einer Geldstrafe von € 2.000 (zuzüglich € 200 Verfahrenskosten) pro Arbeitnehmer verurteilt wurde (in Summe betragen diese Strafen zuzüglich der Verfahrenskosten € 8.800).

2. Das antragstellende Gericht führt im Hinblick auf die behauptete Verletzung der Eigentumsgarantie aus, das Straferkenntnis greife in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums des Beschwerdeführers ein, da er zur Leistung einer Geldstrafe und eines Verfahrenskostenbeitrags verpflichtet worden sei. Ein derartiger Eingriff sei nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ua dann verfassungswidrig, wenn die den Eigentumseingriff verfügende Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen sei, wobei die Anwendung einer nationalen Regelung, die offenkundig einer unmittelbar anwendbaren Norm des Unionsrechts widerspreche, der Gesetzlosigkeit gleichzuhalten sei (zB VfSlg 13.587/1993 mwN, 15.364/1998 ua).

Nach Auffassung des antragstellenden Gerichts ergebe sich aus dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache Maksimovic, '[…] dass die Bestimmung des §26 LSD-BG teilweise europarechtswidrig ist.'. Und weiter: 'Wenn weite Teile der Strafbestimmung des §26 LSD-BG nicht mehr anwendbar sind, ergeht bei genauerer Betrachtung zwangsweise bei einer Verurteilung, eine Entscheidung, die ohne Rechtsgrundlage erfolgen muss.'. Die belangte Behörde im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht habe in ihrer Entscheidung §26 LSD-BG angewendet, obwohl dieser '[…] offenkundig einer unmittelbar anwendbaren Norm des Unionsrechts […]' widerspreche (vgl Antrag S 4 und 5). Unter Zugrundelegung der dargelegten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes resultiere daraus eine Verletzung des Beschwerdeführers in seiner verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsgarantie.

Zudem würde die Bestrafung ohne eine entsprechende Rechtsgrundlage gegen den Grundsatz nulla poena sine lege verstoßen.

3. Die Bundesregierung weist in diesem Zusammenhang zunächst darauf hin, dass Gegenstand eines Verfahrens nach Art140 B-VG eine gesetzliche Vorschrift an sich ist, die vom Verfassungsgerichtshof auf ihre Verfassungskonformität hin einer Prüfung unterzogen wird. Die Vereinbarkeit eines Gesetzes mit dem Recht der Europäischen Union ist hingegen als solche kein Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung (vgl ua VfSlg 18.266/2007).

Aus den vom antragstellenden Gericht vorgebrachten Bedenken im Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung der Eigentumsgarantie schließt die Bundesregierung, dass dieses – entgegen der eindeutigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes – die Auffassung vertritt, §26 LSD-BG werde durch Art56 AEUV zur Gänze verdrängt und müsste daher auch zur Gänze unangewendet bleiben. Unter dieser Annahme hätte es die angefochtene Bestimmung aber auch nicht im betreffenden Ausgangsverfahren (Beschwerdeverfahren) anzuwenden, weshalb es an der für einen Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B-VG erforderlichen Prozessvoraussetzung der Präjudizialität mangelt (vgl allgemein VfSlg 15.368/1998, 16.293/2001, 17.150/2004). Sollte das antragsstellende Gericht hingegen nicht von einem offenkundigen Widerspruch des §26 LSD-BG zu Art56 AEUV ausgehen, sondern (weiterhin) Zweifel im Hinblick auf dessen Auslegung hegen, wäre es berechtigt, seine Bedenken an den Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines neuerlichen Vorabentscheidungsersuchens heranzutragen.

4. Die ebenfalls behauptete Verletzung des Art6 EMRK betreffend weist die Bundesregierung der Vollständigkeit halber darauf hin, dass der Antrag diesbezüglich nicht den Anforderungen des §62 Abs1 zweiter Satz VfGG im Hinblick auf die Darlegung der Bedenken im Einzelnen gerecht wird, da nicht ausgeführt wird, inwiefern §26 LSD-BG dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren widersprechen soll.

5. Zusammengefasst ist die Bundesregierung sohin der Auffassung, dass der Antrag - zumindest teilweise - unzulässig ist.

Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof den Antrag dennoch als zulässig erachten sollte, nimmt die Bundesregierung im Folgenden in der Sache Stellung:

III. In der Sache:

1. Die Bundesregierung verweist einleitend auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach dieser in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen beschränkt ist und ausschließlich beurteilt, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (vgl zB VfSlg 19.160/2010, 19.281/2010, 19.532/2011, 19.653/2012). Die Bundesregierung beschränkt sich daher im Folgenden auf die Erörterung der im Antrag dargelegten Bedenken.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem bereits zitierten Erkenntnis vom 15. Oktober 2019 aus Anlass des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache Maksimovic ausgesprochen, dass die Verdrängung des nationalen Rechts durch unmittelbar anwendbares Unionsrecht nur jenes Ausmaß umfassen dürfe, das gerade noch hinreiche, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen. Dabei seien die unionsrechtlichen Erfordernisse in das nationale Gesetz 'hineinzulesen'. Es stünde nicht im Belieben der Vollziehung eine von mehreren unionskonformen Lösungen zur Anwendung zu bringen, da dies einen Eingriff der Vollziehung in den der Gesetzgebung vorbehaltenen Bereich der rechtspolitischen Gestaltung mit sich bringe. Im Wege der Verdrängung dürfe daher nur jene von mehreren unionskonformen Lösungen zur Anwendung gelangen, mit welcher die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers so weit wie möglich erhalten bleibe. Eine – den vom Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil aufgestellten Erfordernissen Rechnung tragende – unionsrechtskonforme Rechtslage mithilfe der Verdrängung von nationalem Recht könne erzielt werden, indem die Wortfolge 'für jede/n Arbeitnehmer/in' in §7i Abs4 AVRAG unangewendet bleibe. Die gesamte Strafbestimmung wegen Unionsrechtswidrigkeit unangewendet zu lassen, würde zu einem noch weitergehenden Eingriff in das nationale Recht führen.

Diese Rechtsprechung ist auf Grund der Gleichartigkeit der Strafnormen des §7i Abs4 AVRAG und des hier gegenständlichen §26 LSD-BG auf diesen übertragbar (vgl dazu auch die bereits zitierten Erkenntnisse des VfGH vom 27. November 2019). Die Bundesregierung vertritt sohin – entgegen dem Vorbringen des antragstellenden Gerichts – die Auffassung, dass §26 LSD-BG in der durch den Verwaltungsgerichtshof angewandten Form unionsrechtskonform ist.

3. Im Hinblick auf die behauptete Verfassungswidrigkeit des §26 LSD-BG verweist die Bundesregierung auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, wonach es verfassungsrechtlich unproblematisch sei, wenn die Gesetzgebung dadurch, dass sie die Strafdrohung pro Arbeitnehmer festsetzt, auf die Vervielfachung des Unrechtsgehaltes, aber auch auf die Erhöhung des wirtschaftlichen Nutzens bei Betroffenheit mehrerer Arbeitnehmer auf eine Weise Bedacht nimmt, die der Häufung von Straftaten und damit dem für das Verwaltungsstrafverfahren charakteristischen Kumulationsprinzip entspricht (vgl ua VfSlg 20.283/2018). Wenn es sohin verfassungsrechtlich unproblematisch ist, Strafen pro Arbeitnehmer zu verhängen, was bei einer Vielzahl an Beschäftigten unter Umständen auf Grund der Kumulierung zu hohen Strafsummen führt, so erscheint es der Bundesregierung jedenfalls als ebenfalls unproblematisch, wenn unter Zugrundelegung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nunmehr Geldstrafen, die von der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer unabhängig und damit etwa in Fällen wie im Anlassfall weitaus niedriger sind, vorgesehen sind.

4. Das antragstellende Gericht rügt weiters, der Umstand, dass essentielle Teile der Bestimmung des §26 LSD-BG verdrängt werden würden, ziehe einen Verstoß gegen das Legalitätsprinzip und den Grundsatz der hinreichenden Bestimmtheit der Gesetze nach sich. Die Gesetzgebung müsse der breiten Öffentlichkeit den Inhalt ihrer Gesetzesbeschlüsse in klarer und erschöpfender Weise zur Kenntnis bringen, da andernfalls der Normunterworfene nicht die Möglichkeit habe, sich der Norm gemäß zu verhalten. Im gegenständliche Fall sei eine genaue Kenntnis der Judikatur erforderlich, um zu erkennen, dass die Strafdrohungen des §26 LSD-BG zumindest teilweise tatsächlich nicht anwendbar sei, was einem durchschnittlichen Normunterworfenen nicht zumutbar sei. Auch belege die vom Verwaltungsgerichtshof verwendete Formulierung, wonach eine unionsrechtskonforme Rechtslage 'am ehesten' dadurch erreicht werden könne, wenn die Wortfolge 'für jede/n Arbeitnehmer/in' unangewendet bleibe, dass der unionsrechtskonforme Zustand des §26 LSD-BG nicht mehr dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot entspreche.

5. Die Bedenken des antragstellenden Gerichts betreffen damit in erster Linie nicht die angefochtene Bestimmung, sondern den Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union steht das Legalitätsprinzip jedoch unter 'Unionsrechtsvorbehalt' (vgl Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht5, 2016, Rz. 475).

Im Übrigen weist die Bundesregierung auf Folgendes hin: Das antragstellende Gericht spricht hier vorrangig die Notwendigkeit der Erkennbarkeit von Pflichten durch die Normunterworfenen an. Solche Pflichten ergeben sich allerdings nicht aus der angefochtenen Bestimmung, sondern aus dem die Meldepflichten normierenden §19 LSD-BG. Zwar mag es zutreffen, dass aus dem reinen Wortlaut des §26 LSD-BG nicht erkennbar ist, dass nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung die Geldstrafe nicht pro Arbeitnehmer zu verhängen ist. Der Normunterworfene erleidet dadurch jedoch keinen Nachteil, da die auf Grund dieser Judikatur zu verhängenden Strafen weitaus niedriger sind, als jene die der Wortlaut vermuten lassen würde. Insoweit das antragstellende Gericht aus der vom Verwaltungsgerichtshof gewählten Formulierung 'am ehesten' abzuleiten vermeint, dass §26 LSD-BG zu unbestimmt sei, vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass mit dieser Formulierung zum Ausdruck gebracht werden soll, dass jene von mehreren möglichen unionskonformen Lösungen gewählt wurde, welche den ursprünglichen Willen der nationalen Gesetzgebung am besten zum Ausdruck bringt. Die Rechtslage ist somit durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinreichend geklärt worden.

6. Zusammenfassend wird daher festgehalten, dass die angefochtene Bestimmung nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig ist." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

4. Die Partei des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark anschließt.

IV. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist nicht zulässig.

1.1. Zu den Bedenken im Hinblick auf Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK, Art17 GRC, Art6 EMRK, Art47 GRC sowie Art7 EMRK:

1.1.1. Gemäß §62 Abs1 zweiter Satz VfGG hat der Antrag, ein Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben, die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, dh dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Verfassungsbestimmung die bekämpfte Gesetzesstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl zB VfSlg 11.150/1986, 11.888/1988, 13.710/1994, 13.851/1994 und 14.802/1997). Es genügt dabei nicht, dass im Antrag behauptet wird, dass die bekämpften Gesetzesstellen gegen eine oder mehrere – wenn auch näher bezeichnete – Verfassungsbestimmung(en) verstoßen; vielmehr muss konkret dargelegt werden, aus welchen Gründen den bekämpften Normen die behauptete Verfassungswidrigkeit anzulasten ist. Begnügt sich ein Antrag damit, den Verstoß gegen Verfassungsgebote zu behaupten, unterlässt er aber konkrete Darlegungen, warum die bekämpften Regelungen im Einzelnen gegen die genannten Verfassungsbestimmungen verstoßen, so ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen. Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes – gleichsam stellvertretend – das Vorbringen für den Antragsteller zu präzisieren (idS va. VfSlg 13.123/1992, 16.507/2002).

1.1.2. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hegt Bedenken im Hinblick auf das Recht auf Eigentum gemäß Art5 StGG, Art1 1. ZPEMRK und Art17 GRC, das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK und Art47 GRC sowie das Recht gemäß Art7 EMRK (nulla poena sine lege). Zusammengefasst könne sich der Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren nach §26 LSD-BG auf Art6 EMRK berufen, da es sich bei der Strafbestimmung jedenfalls um Strafrecht im Sinne der EMRK handle. Die bescheiderlassende Behörde habe eine innerstaatliche gesetzliche Vorschrift angewendet, die einer unmittelbar anwendbaren Norm des Unionsrechts widerspreche; nach der wiedergegebenen höchstgerichtlichen Judikatur werde der Beschwerdeführer dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.

1.1.3. Es lässt sich diesbezüglich nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, welche konkreten verfassungsrechtlichen Bedenken das antragstellende Gericht ob der angefochtenen Gesetzesstelle hegt (VfSlg 17.553/2005), da das antragstellende Gericht lediglich pauschal Verfassungsbestimmungen aufzählt (vgl VfSlg 20.280/2018; VfGH 26.11.2018, G219/2018; 25.2.2019, G325/2018). Damit wird dem Erfordernis nach §62 Abs1 zweiter Satz VfGG nicht entsprochen: Es fehlt nicht nur an der ausreichenden Darlegung der Bedenken, sondern bereits an der Behauptung der Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung (vgl VfSlg 14.802/1997). Das Fehlen einer geeigneten Darlegung iS des §62 Abs1 zweiter Satz VfGG ist kein behebbares Formgebrechen, sondern ein Prozesshindernis (vgl zB VfSlg 15.342/1998 mwN).

1.2. Zum Vorbringen hinsichtlich Art18 B-VG:

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hegt zudem dahingehend Bedenken, dass durch die Verdrängung essentieller Teile der Bestimmung des §26 LSD-BG gegen das Legalitätsgebot nach Art18 B-VG verstoßen werde. Es sei eine genaue – nicht zumutbare – Kenntnis der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union und des Verfassungsgerichtshofes erforderlich, um die teilweise Unanwendbarkeit der Strafdrohungen zu erkennen. Das antragstellende Gericht macht damit lediglich den Anwendungsvorrang des Unionsrechts selbst sowie daraus resultierende Vollzugsschwierigkeiten geltend (vgl VfGH 27.11.2019, E2047/2019 ua, vom selben Tag, E2893/2019 ua und E3530/2019 ua, sowie die mittlerweile ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Folge der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union, EuGH 12.9.2019, Rs C-64/18 ua, Maksimovic; 19.12.2019, Rs C-645/18, NE und vom selben Tag, Rs C-140/19 ua, EX; VwGH 15.10.2019, Ra 2019/11/0033; 18.2.2020, Ra 2019/11/0195; 26.2.2020, Ra 2020/11/0004). Mangels eines Bedenkens gegen die gesetzliche Grundlage erweist sich der Antrag sohin als unzulässig.

1.3. Soweit das antragstellende Gericht Bedenken hinsichtlich der Verhängung einer (Ersatz-)Freiheitsstrafe bzw von Kosten nach §52 VwGVG, die nur auf Grund von §16 VStG und §52 VwGVG in Betracht kommen, geltend machen möchte, hat es das Landesverwaltungsgericht Steiermark verabsäumt, diese Bestimmungen mitanzufechten (vgl VfGH 25.2.2020, G146/2019 mwN).

2. Der somit an einem inhaltlichen, keiner Verbesserung zugänglichen Mangel leidende Antrag ist daher – schon aus diesem Grund – als unzulässig zurückzuweisen.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen, ohne dass zu prüfen ist, ob seiner meritorischen Erledigung noch weitere Prozesshindernisse entgegenstehen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Bedenken, Arbeitsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:G22.2020

Zuletzt aktualisiert am

02.10.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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