TE Vwgh Erkenntnis 1997/11/18 96/11/0274

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Veröffentlicht am 18.11.1997
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

AVG §56;
MSchG 1979 §4 Abs1;
MSchG 1979 §4 Abs2;
MSchG 1979 §4 Abs3;
MSchG 1979 §4 Abs5;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schiftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde der B-AG in W, vertreten durch Dr. Karl Klein, Rechtsanwalt in Wien XIII, Fleschgasse 34, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 23. August 1996, Zl. 62.640/2-3/96, betreffend Feststellungen gemäß § 4 Abs. 5 Z. 1 Mutterschutzgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurden die Berufungen der Beschwerdeführerin gegen neun Bescheide von Arbeitsinspektoraten abgewiesen, in denen jeweils gemäß § 4 Abs. 5 Z. 1 Mutterschutzgesetz BGBl. Nr. 221/1979 festgestellt worden war, daß die Arbeiten, die von namentlich genannten Arbeitnehmerinnen in bestimmt bezeichneten Betriebsstätten der Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Tätigkeit als Feinkostverkäuferinnen ausgeführt werden, für den Organismus dieser werdenden Mütter oder der werdenden Kinder schädlich sind.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten der Verwaltungsverfahren vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde traf in der Begründung ihres Bescheides auf den Erhebungen der Arbeitsinspektorate an den insgesamt acht Betriebsstätten beruhende Sachverhaltsfeststellungen über die Beschaffenheit (Maße) der Feinkostbedienungstheken, die Zahl der von einer Arbeitnehmerin während der näher bezeichneten Beobachtungszeit bedienten Kunden und die Anzahl der aus den verschiedenen Etagen der Feinkostbedienungstheke erfolgten Warenentnahmen. In allen Betriebsstätten seien den Arbeitnehmerinnen Werkzeuge (Stichgabeln) von unterschiedlicher Länge (von 23 cm bis 34 cm) zur Verfügung gestanden.

Die Maße der Bedienungstheken seien von der Beschwerdeführerin nicht bestritten worden. Für die ergonomische Beurteilung sei vor allem die Auslagentiefe der Bedienungstheke relevant, die je nach Betriebsstätte und Modell zwischen 84 cm und 90 cm ausmache. Die Gesamttiefe der Vitrinen betrage 124 cm bis 130 cm. Die Auslage werde in drei Etagen von je 27 cm bis 30 cm belegt ("Nah-, Mitte-, Fernbereich"). Schon aufgrund der ermittelten Maße der Bedienungstheken und der ergonomischen Grundsätze ergebe sich, daß übermäßige Streck- und Beugebewegungen durchgeführt werden müßten, um Waren über die Arbeitsplatte reichend aus den "Mitte-" und "Fernbereichen" der Bedienungstheke zu nehmen und dort wieder abzulegen. Die Benützung von Werkzeugen könne nur eine teilweise Abhilfe schaffen.

Die Häufigkeit der auszuführenden Streckbewegungen sei naturgemäß abhängig von der Kundenfrequenz und den Kundenwünschen und der Zahl der gleichzeitig an der Bedienungstheke beschäftigten Arbeitnehmerinnen. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei davon auszugehen, daß im wesentlichen Verkaufstätigkeit stattfinde, wobei sich über die Tagesarbeitszeit verteilte Schwankungen ergäben. Die Möglichkeit, sich ab und zu hinzusetzen, stelle - anders als beim "Stehverbot" (§ 4 Abs. 2 Z. 2 Mutterschutzgesetz) in den ersten Schwangerschaftswochen - keinen Ausgleich zu den Streckbewegungen dar. Dies gelte auch für die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Bürotätigkeit (Bestellungen etc.).

Das Stadium der Schwangerschaft sei bei der in Frage stehenden Tätigkeit nicht entscheidungswesentlich. Eine zeitliche Einschränkung des Beschäftigungsverbotes - wie in § 4 Abs. 2 Z. 2 und 9 Mutterschutzgesetz - sei im § 4 Abs. 5 leg. cit nicht vorgesehen, weshalb nur festzustellen sei, ob bei einer bestimmten Tätigkeit ein Beschäftigungsverbot gegeben sei. Die Auffassung des von der Beschwerdeführerin beigezogenen Univ. Prof. Dr. K., daß diese Tätigkeiten bis zur

28. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden könnten, widerspreche dem Gesetzeswortlaut und dem auf entsprechender Fachliteratur basierenden Sachverständigengutachten. Die von der Beschwerdeführerin beantragte Einholung weiterer Gutachten sei nicht erforderlich, weil der belangten Behörde eine Arbeitsinspektionsärztin als Sachverständige zur Verfügung gestanden sei, die sich bereits seit zehn Jahren mit Arbeitnehmerschutzbelangen und im besonderen mit Fragen des Mutterschutzes befasse. Im übrigen sei zu bemerken, daß im vorliegenden Fall vor allem die ergonomische Frage relevant sei, während der von der Beschwerdeführerin als Sachverständiger namhaft gemachte Univ. Prof. Dr. R. als Toxikologe bekannt sei.

Bei der Beurteilung des vorliegenden Beschwerdefalles ist von § 4 Abs. 5 Z. 1 Mutterschutzgesetz auszugehen. Nach dieser Bestimmung dürfen werdende Mütter mit Arbeiten, bei denen sie sich häufig übermäßig strecken oder beugen oder bei denen sie häufig hocken oder sich gebückt halten müssen, nicht beschäftigt werden, wenn das Arbeitsinspektorat auf Antrag der Dienstnehmerin oder von Amts wegen entscheidet, daß diese Arbeiten für den Organismus der werdenden Mutter oder für das werdende Kind schädlich sind.

Neben dem generellen Beschäftigungsverbot des § 3 Abs. 1 Mutterschutzgesetz und dem individuellen des § 3 Abs. 3, verbietet § 4 Abs. 1 die Beschäftigung mit schweren oder schädlichen Arbeiten. § 4 Abs. 2 enthält eine beispielsweise Aufzählung von solchen Arbeiten. § 4 Abs. 3 enthält ein Verbot der Beschäftigung mit Arbeiten, bei denen werdende Mütter mit Rücksicht auf ihre Schwangerschaft besonderen Unfallsgefahren ausgesetzt sind. Das Beschäftigungsverbot des § 4 Abs. 5 unterscheidet sich von den Beschäftigungsverboten des § 4 Abs. 1 bis 3 dadurch, daß dieses Beschäftigungsverbot erst durch einen vom Arbeitsinspektorat zu erlassenden Bescheid ausgelöst wird, der lediglich die Feststellung zum Gegenstand hat, daß die betreffenden Arbeiten für den Organismus der werdenden Mutter oder für das werdende Kind schädlich sind. Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit eines solchen Bescheides ist einerseits, daß nach dem festgestellten Sachverhalt zumindest eine der im § 4 Abs. 5 Z. 1 bis 3 genannten Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt ist, und andererseits die Berechtigung der Annahme, daß diese Arbeiten für den Organismus der werdenden Mutter oder für das werdende Kind schädlich sind.

Die Beschwerdeführerin bekämpft die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Annahme, die von den Dienstnehmerinnen durchzuführenden Arbeiten erforderten ein häufiges übermäßiges Strecken und Beugen. Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang bestreitet, daß die Arbeiten ein ständiges übermäßiges Strecken oder Beugen erfordern, gehen ihre Ausführungen insofern ins Leere, weil die belangte Behörde nicht von einem ständigen sondern nur von einem häufigen Strecken und Beugen ausgeht. Gegen die Richtigkeit dieser Annahme bestehen aber angesichts der jeweils an Ort und Stelle durchgeführten Ermittlungen, wobei jeweils auch Bedienstete der Beschwerdeführerin anwesend waren, keine Bedenken. Soweit die Beschwerdeführerin diese Ermittlungsergebnisse in Zweifel zieht und meint, die erhobenen Zahlen betreffend die Entnahmen aus der Vitrine könnten nicht stimmen, weil Aufschneiden und Portionieren der Wurst- und Fleischwaren, Abwägen der gewünschten Ware, deren Verpackung, Bonierung und Übergabe an die Kundschaft viel mehr Zeit erforderten, vermag sie keine Bedenken gegen die Richtigkeit der dem anfochtenen Bescheid zugrundeliegenden Sachverhaltsfeststellungen zu wecken, weil im Hinblick auf die Möglichkeit, gängige Wurstwaren vorzuschneiden, in relativ kurzer Zeit zahlreiche Entnahmen von derartigen Waren möglich sind, zumal auch das Abwägen der Wurst- und Fleischwaren mit den heute gebräuchlichen Waagen nur sehr wenig Zeit in Anspruch nimmt.

Die Beschwerdeführerin bekämpft die Auffassung der belangten Behörde, auf das Stadium der Schwangerschaft komme es bei Erlassung eines Feststellungsbescheides gemäß § 4 Abs. 5 Mutterschutzgesetz nicht an, weil diese Bestimmung keine zeitliche Einschränkung enthalte.

Die Beschwerdeführerin ist damit im Recht. § 4 Abs. 5 Mutterschutzgesetz nennt zwar - anders als die schon kraft Gesetzes bestehenden Beschäftigungsverbote des § 4 Abs. 2 Z. 2 und 9 - keine zeitliche Einschränkung, doch ist daraus für die belangte Behörde nichts gewonnen. Die Rechtmäßigkeit eines Feststellungsbescheides gemäß § 4 Abs. 5 leg. cit. setzt nämlich - wie oben dargelegt wurde - voraus, daß die in den Z. 1 bis 3 dieser Gesetzesstelle beschriebenen Arbeiten für den Organismus der werdenden Mutter oder für das werdende Kind schädlich sind. Es genügt demnach nicht, daß diese Schädlichkeit irgendwann in einem späteren Stadium der Schwangerschaft allenfalls eintreten wird. Es ist denkbar, daß bestimmte Arbeiten, bei denen sich werdende Mütter häufig übermäßig strecken oder beugen müssen, in einem frühen Stadium der Schwangerschaft für den Organisums der werdenden Mutter oder für das werdende Kind (noch) nicht, in einem späteren Stadium - insbesondere wenn die im Gutachten der ärztlichen Sachverständigen besonders betonte Gewichtszunahme und die damit verbundenen Begleiterscheinungen voll zum Tragen kommen - sehr wohl schädlich sind.

Für die Auffassung, daß es nach § 4 Abs. 5 Mutterschutzgesetz auf die Schädlichkeit bestimmter Arbeiten im jeweiligen konkreten Fall ankommt, spricht auch das der Dienstnehmerin in dieser Gesetzesstelle eingeräumte Antragsrecht, das es ihr ermöglicht, konkrete Umstände, insbesondere betreffend ihren Gesundheitszustand und die Art der von ihr vorzunehmenden Arbeiten geltend zu machen.

Da die belangte Behörde - ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht - Ermittlungen und Feststellungen darüber, ob die Schädlichkeit im Sinne des § 4 Abs. 5 Mutterschutzgesetz bei den einzelnen Dienstnehmerinnen im Zeitpunkt der Erlassung der erstinstanzlichen Mandatsbescheide gegeben war, unterlassen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in den in der zitierten Verordnung enthaltenen Pauschalbeträgen bereits enthalten ist.

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide Auslegung Allgemein authentische Interpretation VwRallg3/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996110274.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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