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KFGNorm
AVG §66 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Präsident Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde des MM in W, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in Wien I, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16. Juni 1983, Zl. MA 70-X/M 55/83/Str, betreffend Übertretungen nach dem Kraftfahrgesetz 1967, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.720,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer - unter teilweiser Neufassung des Spruches des erstinstanzlichen Straferkenntnisses der Bundespolizeidirektion Wien vom 12. April 1983 - schuldig erkannt, er sei am 13. November 1981 um 18.55 Uhr in Wien 3, Fasangasse, als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw's aus Richtung Rennweg kommend nach rechts in die Kölblgasse eingebogen und habe hiebei mit diesem Kraftfahrzeug mehr Lärm verursacht, als bei sachgemäßem Betrieb des Kraftfahrzeuges unvermeidbar gewesen wäre, indem die Reifen des Kraftfahrzeuges auf der Fahrbahn laute Quietschgeräusche hervorgerufen hätten. Er habe dadurch eine Übertretung nach § 102 Abs. 4 KFG 1967 begangen. Über ihn wurde gemäß § 134 leg. cit. eine Geldstrafe sowie im Uneinbringlichkeitsfall eine Ersatzarreststrafe verhängt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer macht unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend, die Strafbehörde habe innerhalb der im § 31 Abs. 1 VStG 1950 festgesetzten Frist hinsichtlich der ihm im angefochtenen Bescheid zur Last gelegten Tat keine wirksame Verfolgungshandlung gesetzt, sodaß Verfolgungsverjährung eingetreten sei.
Entgegen der in der Gegenschrift der belangten Behörde vertretenen Auffassung verstößt dieses Beschwerdevorbringen nicht gegen das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG. Vom Neuerungsverbot ist nur neues Tatsachenvorbringen betroffen. Dagegen ist der Beschwerdeführer nicht gehindert, neue Rechtsausführungen in seine Beschwerde aufzunehmen, sofern dem Verwaltungsgerichtshof die Überprüfung ihrer Richtigkeit auf Grund des von der belangten Behörde festgestellten Sachverhaltes möglich ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1970, Slg. N. F. Nr. 7937/A). Die Frage der Verjährung ist vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunktes - dies ist im vorliegenden Beschwerdefall das Recht, nicht bestraft zu werden - sogar dann aufzugreifen, wenn diese Frage vom Beschwerdeführer weder im Verwaltungsstrafverfahren noch in der Beschwerde geltend gemacht worden ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Slg. N. F. Nr. 11525/A). Das den Eintritt der Verfolgungsverjährung betreffende Beschwerdevorbringen war daher vom Verwaltungsgerichtshof zu behandeln.
Gemäß § 31 Abs. 1 VStG 1950 ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist von der Behörde keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs. 2) vorgenommen worden ist. Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 31 Abs. 2 leg. cit. - abgesehen von im gegebenen Zusammenhang nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen - sechs Monate. Diese Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden ist oder das strafbare Verhalten aufgehört hat; ist der zum Tatbestand gehörende Erfolg erst später eingetreten, so läuft die Frist erst von diesem Zeitpunkt.
Nach § 32 Abs. 2 VStG 1950 ist Verfolgungshandlung jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung u.dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat.
Bei der Umschreibung der für eine Verfolgungshandlung wesentlichen Kriterien in der zuletzt zitierten Gesetzesstelle wird auf eine bestimmte Person als Beschuldigten abgestellt, dem eine konkrete strafbare Handlung oder Unterlassung angelastet wird, sodaß sich die Verfolgungshandlung auf eine bestimmte physische Person als Beschuldigten, ferner auf eine bestimmte Tatzeit, den ausreichend zu konkretisierenden Tatort und sämtliche Tatbestandselemente der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 44a lit. b VStG 1950 beziehen muß (siehe dazu die Erkenntnisse verstärkter Senate des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. Jänner 1987, Zl. 86/18/0073, und vom selben Tag, Zl. 86/18/0077).
Die Verfolgungshandlung gegen einen Beschuldigten muß daher das ihm zur Last gelegte Handeln - im Falle des Unterlassens durch Beschreibung jener Handlung, die er hätte setzen müssen und nach Auffassung der Behörde rechtswidrigerweise nicht gesetzt hat - unter Berücksichtigung sämtlicher gemäß § 44a lit. a VStG 1950 in den Spruch des Straferkenntnisses aufzunehmenden Tatbestandselemente der verletzten Verwaltungsvorschrift gemäß § 44a lit. b leg.cit. näher konkretisieren und individualisieren. (Zur Erläuterung: Die Verfolgungshandlung muß daher im Sinne der zitierten Erkenntnisse verstärkter Senate auch - soweit dies tatbildlich ist - z.B. den Vorwurf umfassen, in welcher Eigenschaft (z.B. als Zulassungsbesitzer oder als Lenker eines Kraftfahrzeuges) der Beschuldigte gehandelt habe. Hiebei muß allerdings - in Abweichung von der früheren Rechtsprechung - das ebenfalls nach § 44a lit. a VStG 1950 in den Spruch des Bescheides aufzunehmende Merkmal der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit im Sinne des § 9 leg.cit. noch nicht von der Verfolgungshandlung erfaßt sein, weil es sich hiebei nicht um ein Tatbestandsmerkmal der verletzten Verwaltungsvorschrift handelt.)
Gemäß § 102 Abs. 4 KFG 1967 (in der im Beschwerdefall anzuwendenden Stammfassung BGBl. Nr. 267) darf der Lenker mit dem von ihm gelenkten Kraftfahrzeug nicht mehr Lärm, Rauch oder üblen Geruch verursachen, als bei ordnungsgemäßem Zustand und sachgemäßem Betrieb des Fahrzeuges unvermeidbar ist.
Auf dem Boden der oben dargelegten Rechtslage hätte eine die Verjährung unterbrechende Verfolgungshandlung näher umschreiben müssen, durch welches Verhalten (Handeln oder Unterlassen) der Beschwerdeführer mit dem von ihm genannten Kraftfahrzeug mehr Lärm verursacht habe, als bei ordnungsgemäßem Zustand und sachgemäßem Betrieb des Fahrzeuges unvermeidbar gewesen wäre.
Die einzige innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 31 Abs. 2 VStG 1950 gegen den Beschwerdeführer als Beschuldigten in der gegenständlichen Sache gerichtete Verfolgungshandlung bildet die Strafverfügung vom 21. Jänner 1982. Mit dieser Strafverfügung wurde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe zur Tatzeit am Tatort einen dem Kennzeichen nach näher bestimmten Pkw gelenkt, „obwohl das Kfz mehr Lärm als bei ordnungsgemäßem Zustand und sachgemäßem Betrieb unvermeidbar gewesen wäre, verursacht“ habe. Dieser Tatumschreibung ist nicht zu entnehmen, durch welches Verhalten (Handeln oder Unterlassen) der Beschwerdeführer mit dem von ihm gelenkten Fahrzeug mehr Lärm verursacht habe, als bei ordnungsgemäßem Zustand und sachgemäßem Betrieb unvermeidbar gewesen wäre. Der belangten Behörde war es daher verwehrt, erstmals im Spruch ihres Berufungsbescheides den Tatvorwurf gegen den Beschwerdeführer dahingehend zu ergänzen, er habe mit seinem Kraftfahrzeug mehr Lärm verursacht, als bei sachgemäßem Betrieb des Kraftfahrzeuges unvermeidbar gewesen wäre, weil die Reifen des Kraftfahrzeuges auf der Fahrbahn laute Quietschgeräusche hervorgerufen hätten.
Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen gewesen wäre.
Soweit auf nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichte Erkenntnisse verwiesen wurde, wird an Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.
Wien, am 21. Dezember 1988
Schlagworte
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verwaltungsstrafrecht Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Heilung von Verfahrensmängeln der Vorinstanz im Berufungsverfahren Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche Entscheidungen Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein (siehe auch Angenommener Sachverhalt)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1988:1985180120.X00Im RIS seit
01.10.2020Zuletzt aktualisiert am
01.10.2020