Index
41 Innere AngelegenheitenNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch verfassungswidrige Gesetzesauslegung bei der Abweisung eines Antrags auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wegen Unterbrechung der vierjährigen Wohnsitzfrist durch ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot; verfassungskonforme Auslegung bei Vorliegen gleichwertiger Gründe wie bei einer Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes für die Unbeachtlichkeit der Fristunterbrechung gebotenSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch das Bundesverfassungsgesetz, BGBl. Nr. 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen seines Rechtsvertreters, die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Er wohnt den Aktenunterlagen zufolge seit dem Jahre 1989 ununterbrochen in Österreich.
Die Bundespolizeidirektion (BPD) Wien erließ mit Bescheid vom 16. Juni 1989 gegen ihn (wegen Mittellosigkeit) ein bis 30. Juni 1994 befristetes Aufenthaltsverbot; dieses wurde mit Bescheid der BPD Wien vom 8. November 1991 aufgehoben, weil die Gründe, die für seine Erlassung maßgebend waren, weggefallen sind; er verfügt nun über ein Einkommen als Handelsarbeiter.
b) Der Beschwerdeführer stellte am 14. Jänner 1993 einen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.
Die Wiener Landesregierung wies diesen Antrag mit Bescheid vom 13. Jänner 1994 gemäß §10 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG), BGBl. 311, unter Bezugnahme auf §15 Abs1 lita dieses Gesetzes ab.
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§15 Abs1 lita StbG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Die Wiener Landesregierung erstattete eine Gegenschrift, in der sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Die vornehmlich in Betracht zu ziehenden Bestimmungen des StbG lauten:
"§10.(1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn
1. er seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik hat;
2. .....
(3) Von der Voraussetzung des Abs1 Z1 kann abgesehen werden, wenn es sich um einen Minderjährigen handelt oder wenn der Fremde seit mindestens vier Jahren ununterbrochen seinen Hauptwohnsitz im Gebiet der Republik hat und ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorliegt."
"§15.(1) Der Lauf der Wohnsitzfristen nach §10 Abs1 Z1 und Abs3, §11a Z4 lita, §12 lita und b sowie §16 Abs1 Z3 lita wird unterbrochen durch
a) ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot;
b) .....
(2) Eine Unterbrechung des Fristenlaufes gemäß Abs1 lita ist nicht zu beachten, wenn das Aufenthaltsverbot deshalb aufgehoben wurde, weil sich seine Erlassung in der Folge als unbegründet erwiesen hat."
2. Der Beschwerdeführer erhebt ausschließlich Normbedenken, und zwar gegen §15 Abs1 lita StbG: Es sei unsachlich, an die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes wegen (unverschuldeter) Mittellosigkeit die Unterbrechung der Wohnsitzfrist zur Erlangung der Staatsbürgerschaft zu knüpfen.
3.a) Der Verfassungsgerichtshof vertritt in seiner neueren Judikatur (VfGH 2.7.1994 B1911/93, 29.6.1995 B2318/94; VfGH 30.11.1995 B1691/95) die Meinung, daß ArtI Abs1 des B-VG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, (auch) das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot enthält, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Eine Verletzung des durch dieses B-VG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander liegt auch dann vor, wenn die Behörde dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum BVG stehend erscheinen ließe.
b) Zu klären ist also, ob §10 Abs3 (zu dessen verfassungsrechtlicher Unbedenklichkeit vgl. VfGH 4.12.1995 G68/95 u.a. Zlen.) iVm §15 Abs1 lita und Abs2 StbG dem erwähnten BVG widerspräche, wenn das Gesetz den von der Behörde angenommenen Inhalt hätte.
Dies träfe tatsächlich zu: Würde das rechtskräftige Verhängen eines Aufenthaltsverbotes - abgesehen vom Fall, daß sich dessen Erlassung in der Folge (ex tunc) als unbegründet erwiesen hat - ausnahmslos dazu führen, daß die vierjährige Wohnsitzfrist nach §10 Abs3 StbG nach Wegfall des Aufenthaltsverbotes neu zu laufen beginnt, so wäre dies sachlich nicht zu rechtfertigen; stellt sich in der Folge nämlich heraus, daß das Aufenthaltsverbot zwar seinerzeit rechtmäßig erlassen wurde, daß aber seine Gründe nunmehr (ex nunc) weggefallen sind, so wäre nicht einzusehen, weshalb in jedem Fall (also unabhängig vom Anlaß des Aufenthaltsverbotes) der Lauf der vierjährigen Wohnsitzfrist unterbrochen werden sollte.
Abs1 lita und Abs2 des §15 StbG wären also bei dem von der Behörde angenommenen Inhalt verfassungswidrig.
c) Das Gesetz erlaubt aber eine andere Auslegung, die dieses Ergebnis vermeidet.
§15 Abs2 StbG kann nämlich auch so verstanden werden, daß eine Unterbrechung des Fristenlaufes gemäß Abs1 lita nicht nur dann nicht eintritt, wenn das Aufenthaltsverbot deshalb aufgehoben wurde, weil sich seine Erlassung in der Folge als unbegründet erwiesen hat, sondern auch dann nicht, wenn der Fall in der Gewichtung dem von dieser Bestimmung ausdrücklich erwähnten gleichwertig ist. Eine solche Konstellation ist dann gegeben, wenn das Aufenthaltsverbot zwar seinerzeit rechtmäßig verhängt wurde, die Gründe hiefür aber in der Folge weggefallen sind und nunmehr keine negativen Auswirkungen auf die Verleihung der Staatsbürgerschaft mehr haben.
Ein derartiger Fall liegt hier vor: Das Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer war nicht etwa deshalb verhängt worden, weil sich dieser einer strafbaren Handlung schuldig gemacht hätte, sondern weil er seinerzeit mittellos war; inzwischen verfügt er über ein regelmäßiges Einkommen.
Die belangte Behörde beruft sich auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1972, Zl. 1275/72. Sie übersieht jedoch dabei, daß diese Entscheidung aus einer Zeit stammt, zu der das BVG BGBl. 390/1973 noch gar nicht erlassen worden war.
d) Die Behörde hat also dadurch, daß sie dem Gesetz fälschlicherweise einen mit dem BVG BGBl. 390/1973 in Widerspruch stehenden Inhalt unterstellt hat, den Beschwerdeführer in dem durch dieses BVG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.
Der angefochtene Bescheid war mithin aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.
Schlagworte
Rassendiskriminierung, Aufenthaltsrecht, Staatsbürgerschaftsrecht, Verleihung (Staatsbürgerschaft), Wohnsitz, Fristen (Staatsbürgerschaftsrecht), Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:B434.1994Dokumentnummer
JFT_10048787_94B00434_00