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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §22a Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des C E in V, vertreten durch Mag. Martin Sauseng, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen das am 30. Juni 2020 mündlich verkündete und mit 8. Juli 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, G310 2232332-1/10E, betreffend Feststellung der Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, hält sich seit September 2002 in Österreich auf, und zwar zunächst während des Verfahrens über einen (erst) im September 2010 rechtskräftig abgewiesenen Asylantrag und im Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis 13. August 2015 auf Basis von - ihm im Hinblick auf seine im September 2006 geschlossene Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin erteilten - Aufenthaltstiteln als Familienangehöriger. Der Ehe entstammt eine im August 2010 geborene Tochter, die nach der Trennung der Eltern bei der Mutter lebt. Der Revisionswerber hat zu seiner Tochter regelmäßigen persönlichen Kontakt. Er hat seit Oktober 2019 eine Lebensgefährtin, mit der er allerdings bisher nicht im gemeinsamen Haushalt lebte.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den vom Revisionswerber am 14. Dezember 2015 gestellten Antrag auf Erteilung eines „Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK“ mit Bescheid vom 2. Oktober 2017 ab. Unter einem erließ es eine Rückkehrentscheidung und ein mit acht Jahren befristetes Einreiseverbot. Des Weiteren stellte das BFA die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria fest und gewährte eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen. Die Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gründete sich auf die Straffälligkeit des Revisionswerbers, der insbesondere mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 23. Oktober 2015 in Verbindung mit dem Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 6. April 2016 wegen qualifizierten Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren, aus der er am 22. Mai 2018 bedingt entlassen wurde, rechtskräftig verurteilt wurde.
3 Die gegen den Bescheid des BFA vom 2. Oktober 2017 erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 23. November 2018 als unbegründet ab. Den in der Folge gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer außerordentlichen Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 7. Jänner 2019 ab (Ra 2018/22/0312). Eine Revision wurde sodann nicht eingebracht.
4 Das BFA ordnete mit Auftrag vom 29. Jänner 2019 die Festnahme des Revisionswerbers an, um am nächsten Tag eine „Charterabschiebung“ nach Nigeria vorzunehmen. Der Festnahmeauftrag konnte jedoch nicht vollzogen werden. In der Folge war der Revisionswerber ab 26. Februar 2019 nicht mehr gemeldet. Seinen Angaben zufolge nächtigte er in dieser Zeit bei Freunden.
5 Der Revisionswerber wurde sodann am 2. März 2020 nach einer (zufälligen) fremdenrechtlichen Kontrolle festgenommen und es wurde über ihn mit Mandatsbescheid des BFA vom 3. März 2020 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung verhängt.
6 Das BFA legte dem BVwG (einlangend am 25. Juni 2020) unter Bezugnahme auf § 22a Abs. 4 BFA-VG die Verwaltungsakten zur Vornahme der nach dieser Bestimmung bei Überschreiten einer viermonatigen Schubhaftdauer vorgesehenen amtswegigen Überprüfung der Zulässigkeit der weiteren Anhaltung vor.
7 Hierauf führte das BVwG am 30. Juni 2020 eine mündliche Verhandlung durch. Im Zuge seiner Vernehmung gab der Revisionswerber (unter anderem) an, im Falle der Entlassung aus der Schubhaft mit der Behörde zu kooperieren und sich um einen „legalen Wohnsitz“ zu bemühen. Er könne bei seiner Lebensgefährtin an einer näher genannten Adresse einen „legalen Wohnsitz“ bekommen; sie würde auch für seinen Lebensunterhalt aufkommen. Er würde den „Rückflug“ (die für 28. August 2020 geplante „Charterabschiebung“) antreten. Unter diesem Gesichtspunkt brachte der Rechtsvertreter des Revisionswerbers anschließend vor, der Revisionswerber habe am heutigen Tag „seine Mitwirkungspflicht“ zugesichert und werde sämtlichen „allfälligen Weisungen oder Gelöbnissen“ nachkommen. Eine allfällige Fluchtgefahr sei jedenfalls durch gelindere Mittel substituierbar.
8 Am Ende dieser Verhandlung verkündete das BVwG das angefochtene Erkenntnis, mit dem es gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG feststellte, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig sei. Über fristgerechten Antrag des Revisionswerbers fertigte das BVwG diese Entscheidung mit 8. Juli 2020 schriftlich aus.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über deren Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen hat:
10 Hat das Verwaltungsgericht - wie hier das BVwG - in seinem Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen sie entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
11 In dieser Hinsicht wird in der Revision die Auffassung vertreten, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht im Zusammenhang mit der Anwendung gelinderer Mittel zur Substituierbarkeit der Fortsetzung der Schubhaft abgewichen. Es habe sich nämlich insoweit auf die Begründung beschränkt, „ein gelinderes Mittel ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere des Vorliegens von Fluchtgefahr, zur Erreichung des Sicherungszwecks nicht geeignet.“ Damit verkenne das BVwG, dass das Vorliegen von Fluchtgefahr jedenfalls eine notwendige Voraussetzung sei, um sich in einem „zweiten zwingenden Prüfungsschritt“ mit der Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel begründend auseinanderzusetzen. Das habe das BVwG unterlassen und sei insbesondere nicht auf das diesbezügliche Vorbringen in der mündlichen Verhandlung eingegangen.
12 Bei diesen Ausführungen wird außer Acht gelassen, dass das BVwG im Rahmen der Beweiswürdigung die vom Revisionswerber behauptete Kooperationsbereitschaft aufgrund seiner bisherigen wiederholten - zuletzt bei seiner Festnahme und im Rückkehrberatungsgespräch getätigten - Angaben, nicht nach Nigeria zurückkehren zu wollen, und wegen seines (unangemeldeten) Verbleibs in Österreich „ohne Wohnsitznahme“ trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot für nicht glaubwürdig hielt. Daraus folgerte das BVwG, der Revisionswerber werde seine Freilassung nützen, um sich durch Untertauchen der Abschiebung zu entziehen. Diesen beweiswürdigenden Überlegungen, die auch nicht als unschlüssig anzusehen sind, wird in der Revision nicht konkret entgegen getreten, sodass die darauf gegründete Feststellung, der Revisionswerber würde bei einer Entlassung aus der Schubhaft mit hoher Wahrscheinlichkeit im Inland untertauchen, nicht ausreichend erschüttert wird. Dafür reicht der bloße Hinweis in der Revision auf die (nunmehr) gegenteilige Aussage des Revisionswerbers in der Verhandlung nicht.
13 Davon ausgehend ist die vom BVwG gewählte zusammenfassende, „sämtliche Umstände des vorliegenden Falles“ berücksichtigende Begründung fallbezogen nicht als mangelhaft anzusehen, zumal sie bei verständiger Deutung dahin zu lesen ist, dass die in Bezug auf den Revisionswerber gegebene Fluchtgefahr so groß ist, dass die Anwendung gelinderer Mittel, insbesondere der Auftrag eine bestimmte Unterkunft zu nehmen und sich in periodischen Abständen bei der Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden, nicht in Betracht kommt. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist aber, wenn sie - wie hier - vertretbar vorgenommen wurde, nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht revisibel (siehe etwa VwGH 31.8.2017, Ro 2016/21/0014, Rn. 18).
14 Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof zum Begründungserfordernis der Nichtanwendung gelinderer Mittel im Erkenntnis VwGH 2.8.2013, 2013/21/0008, im Punkt 5.3.4. der Entscheidungsgründe schon klargestellt, je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liege, umso weniger bedürfe es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis werde dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliege. Letzteres war hier - ausgehend von der Einschätzung des BVwG, der Revisionswerber werde ein gelinderes Mittel nicht befolgen - nicht der Fall. Demgegenüber besteht - worauf auch das BVwG unter Bezugnahme auf § 76 Abs. 2a FPG zutreffend hinwies - angesichts der gravierenden Straffälligkeit des Revisionswerbers ein besonderes öffentliches Interesse an seiner (ehestmöglichen) Abschiebung. Da er sich überdies vor seiner (zufälligen) Festnahme über ein Jahr lang durch seinen unangemeldeten Aufenthalt ohne festen Wohnsitz dem Zugriff der Behörden entzogen hatte, durfte das BVwG die Sicherung der Abschiebung durch die weitere Anhaltung in Schubhaft durchaus für geboten erachten, ohne dass diesbezüglich ein besonderes Begründungserfordernis bestand, zumal das BVwG auch noch zu Recht berücksichtigte, dass bereits eine Zusage der nigerianischen Botschaft für die Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes vorliegt, (im Entscheidungszeitpunkt) vom BFA die Abschiebung für Ende August 2020 geplant war und dass in einem fortgeschrittenen Verfahrensstadium, insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Entscheidung, auch weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung für die Annahme eines Sicherungsbedarfs durch Schubhaft reichen (siehe aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 19.2.2015, Ro 2014/21/0075 und noch einmal VwGH 2.8.2013, 2013/21/0008, nunmehr Punkt 2.2.2. und 5.3.1. der Entscheidungsgründe; vgl. auch die ErläutRV zum FrÄG 2015, 582 BlgNR 25. GP 22/23, betreffend § 76 Abs. 3 Z 1 FPG).
15 Der Revision gelingt es somit insgesamt nicht, eine im vorliegenden Fall maßgebliche grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 27. August 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210302.L01Im RIS seit
07.10.2020Zuletzt aktualisiert am
07.10.2020