TE Vwgh Beschluss 2020/8/31 Ra 2020/05/0162

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Veröffentlicht am 31.08.2020
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag Niederösterreich
L82003 Bauordnung Niederösterreich
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

BauO NÖ 1996 §48
BauO NÖ 2014 §48
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/05/0163

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über die Revision 1. der Dipl. Ing. A W und 2. des J W, beide in S, beide vertreten durch Dr. Georg Retter, Rechtsanwalt in 3500 Krems an der Donau, Roseggerstraße 16/2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 5. Juni 2020, LVwG-AV-749/001-2019, betreffend Versagung einer Baubewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevorstand der Gemeinde Stetten; mitbeteiligte Partei: Mag. Irene Miniböck, Am Kirchenweg 1, 2100 S; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4        § 48 NÖ Bauordnung 2014 (BO), LGBl. Nr. 1/2015 idF LGBl. Nr. 53/2018, lautet:

„§ 48

Immissionsschutz

Emissionen durch Lärm, Geruch, Staub, Abgase und Erschütterungen, die originär von Bauwerken oder deren Benützung ausgehen, dürfen Menschen weder in ihrem Leben oder ihrer Gesundheit gefährden noch örtlich unzumutbar belästigen.

Ausgenommen davon sind:

-    Lärmemissionen von Kindern auf Spielplätzen, in Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen oder ähnlichen Anlagen,

-    Emissionen aus der Nutzung von Stellplätzen, sofern sie einem Vorhaben nach § 63 Abs. 1 erster Satz zugeordnet sind, selbst wenn sie die dafür verordnete Mindestanzahl der Stellplätze übersteigen, sowie

-    Emissionen von öffentlichen Warneinrichtungen.

Ob Belästigungen örtlich unzumutbar sind, richtet sich nach der für das Baugrundstück im Flächenwidmungsplan festgelegten Widmungsart und der sich daraus ergebenden zulässigen Auswirkung des Bauwerks und dessen Benützung auf einen gesunden, normal empfindenden Menschen. Örtlich sind dabei als Emissionsquellen neben dem Bauvorhaben die bewilligten oder angezeigten Bauwerke, die innerhalb einer Entfernung von 300 m vom Bauvorhaben aus situiert sind und mit diesem eine organisatorische oder wirtschaftliche Einheit bilden, in die Beurteilung miteinzubeziehen.“

5        Vorliegend geht es um die Versagung der Baubewilligung für den Um- und Zubau eines Gebäudes sowie die Erweiterung eines bestehenden Heurigenbetriebes von 65 auf 100 Verabreichungsplätze. Unbestritten ist, dass das Bauvorhaben die derzeitigen Lärmimmissionen verringern würde. Unbestritten ist weiter, dass auch nach Realisierung des Bauvorhabens durch den Heurigenbetrieb Lärmimmissionen gegeben wären, die das Widmungsmaß überschritten.

6        In den Revisionszulässigkeitsgründen wird im Wesentlichen vorgebracht, dass nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes das Widmungsmaß die absolute Grenze für die zulässige Immissionsbelastung darstelle und dieses durch die Verordnung über die Bestimmung des äquivalenten Dauerschallpegels bei Baulandwidmungen (LGBl. 8000/4-0) und die dort vorgesehenen Werte geregelt werde. Die in der genannten Verordnung definierten Werte seien nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes absolute Werte. Der Verwaltungsgerichtshof habe aber die in dieser Verordnung definierten Werte bloß als Richtwerte der in einer Widmungsart jedenfalls zulässigen Werte angesehen. Der Verwaltungsgerichtshof habe nicht entschieden, dass die in der genannten Verordnung vorgesehenen Werte absolute Werte seien. Durch das Bauvorhaben würden zwar die in der Verordnung genannten Werte (teilweise) überschritten, es würde aber in Bezug auf die Ist-Situation zu einer Verbesserung kommen. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergebe sich, dass über die genannten Richtwerte hinausgehende Werte nicht absolut ausgeschlossen sein könnten. Die Richtwerte der Verordnung seien nur die in einer Widmungskategorie jedenfalls zulässigen Werte. Das Verwaltungsgericht drehe diesen Gedanken um, indem die in der Verordnung genannten Werte als absolut betrachtet würden und bei einer auch nur geringfügigsten Überschreitung bereits eine absolute Grenze setzten.

7        Die absolute Geltung der Werte der Verordnung könne auch deshalb nicht zutreffen, weil dort nur Werte für den äquivalenten Dauerschallpegel angeführt seien. Bei dem damit normierten Mittelungspegel gingen wichtige Informationen verloren. Schallereignisse könnten sich z.B. in der Frequenz zusammensetzen oder im zeitlichen Verlauf sehr stark unterscheiden, auch wenn sie den gleichen Mittelungspegel aufwiesen. Für die Beschreibung einer konkreten Situation seien daher auch zusätzliche Informationen, wie beispielsweise der sogenannte Basispegel (jener Wert, der in 95 % der Zeit überschritten sei), notwendig.

8        Die bisherige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes habe sich immer nur auf den Fall bezogen, dass es durch das Projekt zu einer Zusatzbelastung käme. Das Prognosemaß sei demnach größer als Null gewesen. Eine eindeutige Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob dies auch dann gelte, wenn durch das Projekt das Ist-Maß verbessert und nicht verschlechtert werde, das Prognosemaß also kleiner als Null sei, das Summenmaß jedoch nach wie vor geringfügig über dem Widmungsmaß liege, bestehe nicht. Die Auffassung des Verwaltungsgerichtes würde dazu führen, dass Sanierungsprojekte, die eine Verbesserung der Ist-Situation bewirkten, aber noch geringfügig über dem Widmungsmaß lägen, jedenfalls und absolut unzulässig wären. Dies könne nicht Sinn des nachbarrechtlichen Immissionsschutzes sein. Die Judikatur, wonach lediglich auf das Summenmaß und nicht auf das Prognosemaß abzustellen sei, sollte daher insofern ergänzt werden, als dies nur bei einem Hinzutreten von Immissionen gelte, nicht jedoch, wenn es zu einem Weniger an Immissionen komme. In einem solchen Fall müsse die Verbesserung der Lärmsituation gewichtiger wiegen als eine Überschreitung des Widmungsmaßes.

9        Dazu ist zunächst festzuhalten, dass es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 48 NÖ Bauordnung 1996 (diese Bestimmung entspricht im Wesentlichen dem § 48 BO - vgl. dazu, dass eine grundsätzliche Rechtsfrage nicht vorliegt, wenn die in den Revisionszulässigkeitsgründen aufgeworfene Frage durch die zu früheren Rechtslagen ergangene und auf die aktuelle Rechtslage übertragbare Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits geklärt wurde, VwGH 29.4.2015, Ra 2015/06/0027, mwN) nicht auf die Änderung der (§ 48 BO eventuell schon widersprechenden) Lärmsituation ankommt, sondern darauf, dass vom geplanten Bauvorhaben bzw. der Benützung des geplanten Bauwerkes Immissionen nur in bestimmtem Maße hervorgerufen werden dürfen (VwGH 27.2.2006, 2004/05/0006; 10.9.2008, 2007/05/0107; 10.9.2008, 2007/05/0181; 16.12.2008, 2007/05/0054; 23.8.2012, 2011/05/0083; 23.8.2012, 2012/05/0025; dem zuerst genannten Erkenntnis lag ein Sachverhalt zugrunde, bei dem von sachverständiger Seite von einer Verringerung der Immissionen ausgegangen wurde; im zuletzt genannten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof betont, dass eine Gegenüberstellung der Immissionen auf Grund des Altbestandes und des geplanten Bauvorhabens nicht ausreichend ist). Das Verwaltungsgericht hat sich auf diese Judikatur (und zwar VwGH 27.2.2006, 2004/05/0006) gestützt. Das Vorbringen in den Revisionszulässigkeitsgründen, wonach es vorliegend zu einer Verbesserung der Lärmsituation komme und das Bauvorhaben daher zulässig sein müsse, geht im Hinblick darauf, dass es unbestritten ist, dass die Grenzwerte auch nach der Realisierung des Bauvorhabens überschritten würden, somit ins Leere.

10       Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auch darauf gestützt, dass nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen bei der nach Realisierung des Bauvorhabens zu erwartenden Lärm-Immissionssituation von verbreiteten gesundheitlichen Beschwerden auszugehen ist (Seite 35 des angefochtenen Erkenntnisses). Dagegen wird in den Revisionszulässigkeitsgründen nichts vorgebracht.

11       Beruht aber ein Erkenntnis auf einer tragfähigen Alternativbegründung und wird im Zusammenhang damit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, so erweist sich die Revision als unzulässig (vgl. VwGH 16.12.2019, Ra 2019/05/0310, mwN). Da nach dem eindeutigen Wortlaut des § 48 BO das Widmungsmaß (und damit auch die Werte der Verordnung über die Bestimmung des äquivalenten Dauerschallpegels bei Baulandwidmungen) nur im Zusammenhang mit der Frage der örtlich unzumutbaren Belästigung gemäß § 48 BO von Bedeutung ist, nicht hingegen im Zusammenhang mit der Frage einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit, erübrigt es sich angesichts der Alternativbegründung des Verwaltungsgerichtes, auf die Ausführungen in den Revisionszulässigkeitsgründen zum Widmungsmaß einzugehen.

12       Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 31. August 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020050162.L00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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