TE Vwgh Erkenntnis 1997/11/18 97/08/0460

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Veröffentlicht am 18.11.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der V Gen.m.b.H. in F, vertreten durch Dr. Fahrad Paya, Rechtsanwalt in Klagenfurt, Herrengasse 12, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 28. Mai 1997, Zl. 14-SV-3152/1/97, betreffend Beitragsnachverrechnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Die Gegenschrift der Kärntner Gebietskrankenkasse wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid sprach der Landeshauptmann von Kärnten (die belangte Behörde) aus, daß dem Einspruch der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Kärntner Gebietskrankenkasse vom 7. April 1995 nicht Folge gegeben, jedoch dieser Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Kärntner Gebietskrankenkasse verwiesen werde. In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, daß die Beschwerdeführerin mit Bescheid der Kärntner Gebietskrankenkasse vom 7. April 1995 verpflichtet worden sei, für die in der Nachtragsvorschreibung angeführten Dienstnehmer S 150.863,41 an Sozialversicherungsbeiträgen, Fondsbeiträgen und Umlagen sowie S 20.029,82 an Nachtragszinsen zu bezahlen. Die Kärntner Gebietskrankenkasse habe ausgeführt, daß Innendienstangestellte für die "Firma" als nebenberufliche Versicherungsvermittler tätig seien. Aufgrund der Mitteilung vom 20. Februar 1992 und der Verträge sei darauf zu schließen, daß es sich um ein einheitliches Dienstverhältnis handle. Die Angestellten erhielten für die Vermittlung von Bausparverträgen Provisionen, die als Entgelt gemäß § 49 Abs. 1 ASVG in die Beitragsgrundlage zur Berechnung der allgemeinen Beiträge gemäß § 44 Abs. 1 Z. 1 ASVG einzubeziehen seien, weil der kausale Zusammenhang zwischen Arbeitsleistung und den Bezügen dann gegeben sei, wenn einerseits die Arbeitsleistung den Interessen des Dienstgebers diene und andererseits bei Nebeneinanderbestehen zweier Rechtsverhältnisse zum selben Dienstgeber zwischen beiden Tätigkeiten ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang bestehe.

Die Beschwerdeführerin habe Einspruch erhoben und darin vorgebracht, daß die aufgestellten Behauptungen großteils unrichtig und die daraus gezogenen Folgerungen reine Hypothesen seien. Weiters habe die Beschwerdeführerin in diesem Einspruch ausgeführt, daß die Provisionen von der allgemeinen Bausparkasse unmittelbar an die jeweiligen Dienstnehmer ausbezahlt würden und die Beschwerdeführerin keinen Anteil an diesen Provisionen erhalte. Die Beschwerdeführerin sei in ihren Behauptungen sogar soweit gegangen, daß als Folge durch den Abschluß von Bausparverträgen es sogar zu Spareinlagenabflüssen komme und Baukredite an die Bausparkasse verloren gingen.

Die belangte Behörde führte aus, es sei Tatsache, daß Mitarbeiter der Beschwerdeführerin mit Wissen und Zustimmung des Dienstgebers nebenberuflich Bausparverträge abgeschlossen hätten. Die Bedingung seitens des Dienstgebers sei jedoch gewesen (siehe Mitteilungsblatt), daß diese Provisionen über ein Konto der Beschwerdeführerin abzurechnen seien. Der Verwaltungsgerichtshof - so die belangte Behörde weiter - habe in seinem Erkenntnis vom 13. Oktober 1995, Zl. 94/08/0269, ausgeführt, daß die Behörde zu klären habe, ob die Angestellten die strittigen Provisionen von der Beschwerdeführerin im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG "aus dem Dienstverhältnis" als Innendienstangestellte oder "aufgrund des Dienstverhältnisses" erhalten hätten und ob deshalb die Provisionen dem ihnen aus den unstrittigen Beschäftigungsverhältnissen als Innendienstangestellte zufließenden Entgelt hinzuzurechnen gewesen wären. Es sei daher zu prüfen, ob überwiegende Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG vorlägen. Zumindest aber wäre die inhaltliche und/oder zeitliche Verschränkung der Tätigkeiten der Innenangestellten zu bewerten.

Da jedoch weder die Aktenlage noch die Stellungnahme der Beschwerdeführerin bzw. der Kärntner Gebietskrankenkasse für eine Entscheidung ausreichten, sei an eine neuerliche Verhandlung des Verfahrens zu denken. Sei nämlich der der Einspruchsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft, daß die Durchführung oder Wiederholung einer Verhandlung unvermeidlich erscheine, könne die Einspruchsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen. Außerdem wäre im Lichte der geänderten Rechtslage daran zu denken, ob es sich bei diesen Verträgen nicht um versteckte Formen von Werkverträgen bzw. dienstnehmerähnlichen Werkverträgen handle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Die Kärntner Gebietskrankenkasse erstattete eine "Gegenschrift", in der sie beantragt, der Beschwerde Folge zu geben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin bringt vor, die belangte Behörde begründe ihren verfahrensrechtlichen Bescheid mit der angeblich zur Entscheidung nicht ausreichenden Aktenlage. Die belangte Behörde stelle in keiner Weise dar, warum sie nach § 66 Abs. 2 AVG und nicht nach § 66 Abs. 4 leg. cit. entschieden habe. Sie habe auch ausgesprochen, daß dem Einspruch nicht Folge gegeben werde, eine Begründung hiefür fehle jedoch vollkommen.

Mit dem letztgenannten Einwand ist die Beschwerdeführerin auf die - wiedergegebene - Bescheidbegründung zu verweisen. Daraus ergibt sich, daß die belangte Behörde die Angelegenheit noch nicht als entscheidungsreif ansah und daher die Auffassung vertrat, sie könne über die materiell-rechtlichen Einwände der Beschwerdeführerin nicht absprechen. Die belangte Behörde hat daher dem Einspruch der Beschwerdeführerin insoweit Folge gegeben, als sie den erstinstanzlichen Bescheid aus dem Rechtsbestand entfernt hat; sie hat den Spruch des angefochtenen Bescheides insoweit falsch formuliert, wodurch die Beschwerdeführerin aber nicht in ihren Rechten verletzt worden ist.

Soweit sich die Beschwerdeführerin jedoch durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Sachentscheidung verletzt erachtet, ist sie im Recht:

Gemäß § 66 Abs. 1 AVG hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch die Behörde erster Instanz durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen.

Die Absätze 2 und 3 des § 66 AVG lauten:

"(2) Ist der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, so kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen.

(3) Die Berufungsbehörde kann jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist."

Ein auf § 66 Abs. 2 AVG gegründeter letztinstanzlicher Bescheid ist ein verfahrensrechtlicher Bescheid, der durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden kann. Eine Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin durch einen solchen aufhebenden Bescheid kann unter anderem darin gelegen sein, daß die Berufungsbehörde von dieser Regelung mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen zu Unrecht Gebrauch gemacht und keine Sachentscheidung erlassen hat. Die staatlichen Behörden, die als Einspruchsbehörden nach dem ASVG tätig werden, haben u.a. auch § 66 Abs. 2 AVG zu handhaben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1992, Zl. 90/08/0116, mit weiteren Nachweisen).

Die Mangelhaftigkeit des Verfahrens berechtigt die Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 2 AVG nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, wenn sich der Mangel nicht anders als mit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung beheben läßt. In allen anderen Fällen hat die Berufungsbehörde immer in der Sache selbst zu entscheiden und die dafür notwendigen Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens unter Heranziehung der Behörde erster Instanz oder selbst vorzunehmen, und zwar auch dann, wenn von der Vorinstanz kein Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde. Einem zurückverweisenden Bescheid im Sinne des § 66 Abs. 2 leg. cit. muß entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. auch hiezu das oben zitierte Erkenntnis vom 20. Oktober 1992, Zl. 90/08/0116).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage kommt der Beschwerde Berechtigung zu, weil die belangte Behörde weder hinreichend aufzeigte, welche - zusätzlichen - Feststellungen die Behörde erster Instanz zu treffen haben werde, noch darlegte, warum diese Feststellungen nur im Rahmen einer mündlichen Verhandlung durch die Behörde erster Instanz getroffen werden können. Bei der Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG bedarf es nämlich einer Begründung, warum die Fortsetzung des Verfahrens nicht durch die Berufungsbehörde, sondern nur im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung durch die Behörde erster Instanz vorgenommen werden kann. Der Hinweis im angefochtenen Bescheid, es sei "an eine neuerliche Verhandlung des Verfahrens zu denken", stellt keinesfalls eine solche Begründung dar.

Aus diesen Erwägungen belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das auf Ersatz der Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 110 ASVG abzuweisen.

Die Gegenschrift der Kärntner Gebietskrankenkasse war zurückzuweisen, weil derjenige, der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt, nicht Mitbeteiligter im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sein kann (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 1980, Slg. Nr. 10057/A).

Schlagworte

Heilung von Verfahrensmängeln der Vorinstanz im Berufungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997080460.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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