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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §1297;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, in der Beschwerdesache des F in W, vertreten durch Mag. Markus Kajaba, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Brucknerstraße 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. April 1997, Zl. MA 15-II-W 32/96, betreffend Beitragshaftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG, über den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 VwGG, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 46 VwGG die Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist bewilligt.
Begründung
Mit einem am 16. Oktober 1997 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragt der Beschwerdeführer, ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gemäß § 46 VwGG zu bewilligen und erhebt unter einem Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid, die mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG verbunden ist.
Der Wiedereinsetzungsantrag wird wie folgt begründet:
Der Beschluß über die Bestellung des Beschwerdevertreters zum Verfahrenshelfer für den Beschwerdeführer sei diesem am 3. September 1997 zugestellt worden, sodaß die Frist für die Erhebung der Bescheidbeschwerde am 15. Oktober 1997 geendet habe. Diese Frist sei auch im Fristenbuch in der Kanzlei des Verfahrenshelfers (eine Ablichtung der entsprechenden Seiten dieses Fristenbuches liegt dem Antrag bei) ordnungsgemäß eingetragen. Zusätzlich trage der Verfahrenshelfer die Fristen in seinem Terminkalender ein, wobei ihm aus nicht mehr nachzuvollziehenden Gründen ein Irrtum unterlaufen sei: Er habe die Beschwerdefrist in diesem Fristenbuch versehentlich nicht mit 15., sondern mit 16. Oktober eingetragen (auch eine Ablichtung dieses Kalenders liegt vor). Üblicherweise kontrolliere der Beschwerdevertreter die Erledigung fristgebundener Verfahrensschritte doppelt, nämlich durch Überprüfung seines Handkalenders einerseits und zusätzlich durch tägliche Einsichtnahme in das Kanzleifristenbuch vor Verlassen der Kanzlei andererseits. Letzteres sei am 15. Oktober deshalb unterblieben, weil die Kinder des Beschwerdevertreters ("hochgradig frühgeborene Zwillinge") am Nachmittag des 15. Oktober 1997 besorgniserregend erkrankt seien, wovon der Beschwerdevertreter von seiner Ehefrau verständigt worden sei. Er habe daraufhin unverzüglich die Kanzlei verlassen, um gemeinsam mit Ehefrau und den beiden Kindern ein Spital aufzusuchen. Wegen der Besorgnis um die Gesundheit seiner Kinder sei versehentlich (gemeint wohl: beim eiligen Verlassen der Kanzlei auf Grund des Anrufes am 15. Oktober 1997) die sonst übliche tägliche Kontrolle des Fristenbuches unterblieben. Die Fristversäumung sei vom Beschwerdevertreter am Morgen des 16. Oktober 1997, als er die vorliegende Beschwerde verfassen habe wollen, entdeckt worden.
Der Antrag ist begründet.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei dann, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof erachtet das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag, das durch eine eidesstättige Erklärung des Beschwerdevertreters und Ablichtungen aus seinem Fristenvormerkbuch und dem Kanzleikalender erhärtet wird, als glaubwürdig und legt es der Entscheidung zugrunde. Davon ausgehend bestand das Hindernis des Beschwerdevertreters an der rechtzeitigen Erhebung einer Verfassung und Absendung der Beschwerde am 15. Oktober 1997 darin, daß er den Ablauf der Beschwerdefrist nicht wahrgenommen hat, weil er diese in seinem Handkalender falsch eingetragen hatte. Zunächst kann dem Beschwerdevertreter ein Verschulden an der Führung eines solchen (zweiten) Terminkalenders schon deshalb nicht angelastet werden, weil die Führung eines solchen Handkalenders bei einer Berufstätigkeit, in denen häufig Fristen und Termine zu beachten und häufig auch außerhalb der Kanzleiräumlichkeiten zu vereinbaren sind, wohl als unerläßlich angesehen werden muß. Auch kann von einem Rechtsanwalt nicht verlangt werden, daß er alle Termine seines Handkalenders (und nicht nur jene des Kanzleikalenders) kontrollieren und gegenzeichnen läßt, um solche Versäumnisse auszuschließen, sofern er sich anderer geeigneter Kontrollmethoden zur Vermeidung derartiger Fehler bedient. Die tägliche Einsichtnahme in das Kanzleifristenbuch vor Verlassen der Kanzlei ist eine solche geeignete Kontrollmethode zur Vermeidung von Fristversäumnissen.
Ein Verschulden des Beschwerdeführers an der nicht rechtzeitig erfolgten Beschwerdeerhebung könnte daher nur in der Unterlassung dieser Kontrolle am 15. Oktober 1997 liegen, die ihn daran gehindert hat, für eine anderweitige Vertretung (etwa durch den zweiten an der gleichen Adresse tätigen Rechtsanwalt) Sorge zu tragen.
Nun ist zwar von einem Rechtsanwalt zu erwarten, daß er auch bei unvorhergesehenen aber vorhersehbaren Ereignissen (wie etwa plötzlich auftretenden unaufschiebbaren Terminen) auch unter Zeitdruck in der Lage ist, allfällige damit kollidierende Fristen oder Termine zu beachten und geeignete Maßnahmen zur Verhinderung von Fristversäumnissen zu treffen. Es kann aber nicht unberücksichtigt bleiben, daß eine zumindest nach den Symptomen (schweres Erbrechen) besorgniserregende Verschlechterung der Gesundheit der Kinder des Beschwerdeführers unter den gegebenen Begleitumständen ein außergewöhnlicher, nicht alltäglicher Umstand sein kann, der es als begreiflich erscheinen läßt, wenn in dieser Situation die an sich gebotene Umsicht nicht geübt wird. Dies vor allem im Beschwerdefall, in dem angesichts der verfrühten Geburt der Kinder in der 33. Schwangerschaftswoche und des Alters der Säuglinge von knapp zwei Monaten die vom Beschwerdevertreter dargelegte Sorge um die Gesundheit der Kinder nachvollziehbar, vor allem aber auch die Bemühung, seine Ehefrau beim Transport der Kinder zu ärztlicher Hilfe zu unterstützen, glaubhaft erscheint.
Bei Beurteilung des Verschuldens im Sinne des § 1297 ABGB, insbesondere auch der Beurteilung eines minderen Grades des Versehens als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB (vgl. dazu etwa die bei Dolp, die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 663, wiedergegebene Rechtsprechung) ist auch die subjektive Zumutbarkeit sorgfaltsgemäßen Verhaltens mitzuberücksichtigen. Eine überraschend eintretende, nach der Symptomatik für einen medizinischen Laien als schwer zu beurteilende Erkrankung naher Angehöriger, die einerseits eine unmittelbare Hilfeleistung erfordert, andererseits aber auch die Gedanken in Anspruch nimmt, kann es auch in Abwägung mit dem Interesse an einer geordneten Rechtspflege (welches einem Rechtsanwalt die zur ordnungsgemäßen Führung seiner Kanzlei erforderliche Umsicht auch dann zumuten muß, wenn er in Terminnot wie z.B. durch eigene, nicht dispositionsunfähig machende Erkrankung, gerät) wenn nicht als gerechtfertigt, so doch als allgemein begreiflich erscheinen lassen, wenn in Verfolgung der Absicht, die gebotene Hilfeleistung raschestmöglich zu erbringen, eine an sich gebotene Kontrollpflicht nicht wahrgenommen wird.
Soweit dem Beschwerdevertreter im vorliegenden Fall daher überhaupt ein Schuldvorwurf gemacht werden kann, liegt jedenfalls kein die Wiedereinsetzung hinderndes grobes Verschulden vor.
Es war daher dem im übrigen frist- und formgerechten Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997080562.X00Im RIS seit
07.06.2001