TE Vwgh Beschluss 2020/9/3 Ra 2020/19/0253

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.09.2020
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des Z A in F, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Mai 2020, Zl. W193 2203792-1/18E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30. Juli 2018 wurde der Antrag des Revisionswerbers, eines afghanischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz vom 9. Mai 2016 vollinhaltlich abgewiesen, dem Revisionswerber kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei.

2        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. Mai 2020 als unbegründet ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

3        Begründend führte das BVwG - soweit für das vorliegende Verfahren relevant - aus, dem Revisionswerber drohe in Afghanistan keine Verletzung in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK. Ihm stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif zur Verfügung. Auch im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des Covid-19 Erregers könne im Herkunftsland bislang keine derartige Entwicklung erkannt werden, die „im Hinblick auf eine Gefährdung nach Art. 3 EMRK eine entscheidungsrelevante Lageänderung erkennen“ lassen würde. Es würden hinsichtlich des Alters und Gesundheitszustandes des Revisionswerbers keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Revisionswerber im Falle einer Covid-19 Infektion zu einer „besonderen Risikogruppe“ zählen würde.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst geltend macht, das BVwG habe das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand vom 18. Mai 2020, insbesondere die darin enthaltenen Informationen zu den Auswirkungen der Covid-19 Pandemie nicht berücksichtigt. Zudem würden die Richtlinien des UNHCR vom 30. August 2018 eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul ausschließen.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das BVwG seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Wenn diese Vorgabe verletzt wird, stellt dies einen Verfahrensmangel dar. Es reicht aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. etwa VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0411, mwN).

9        Die Revision zeigt die Relevanz des von ihr gerügten Verfahrensmangels jedoch nicht auf:

10       Der Verwaltungsgerichtshof verweist auf die ständige Judikatur des EGMR, wonach es - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (vgl. etwa VwGH 6.7.2020, Ra 2020/01/0176, mwN). Der Revision gelingt es nicht darzulegen, dass in Mazar-e Sharif solche exzeptionelle Umstände vorliegen, die eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierte Rechte des Revisionswerbers darstellten.

11       Die Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative stellt letztlich eine von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende Entscheidung im Einzelfall dar. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung liegt nur vor, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt (vgl. etwa VwGH 27.5.2020, 2020/01/0140, mwN).

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

13       Die Revision zeigt mit ihrem Vorbringen zu der durch die Covid-19-Pandemie bewirkten schwierigeren wirtschaftlichen Lage - die Revision verweist insbesondere auf die Schließung von Teehäusern und Hotels sowie die „wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns auf die Tagelöhner und deren Fortkommen in Herat und Kabul“ - weder auf, dass in der Stadt Mazar-e Sharif solche exzeptionellen Umstände vorlägen, die eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte des Revisionswerbers darstellten, noch dass dem gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber - ungeachtet der schwierigeren wirtschaftlichen Lage - eine Ansiedlung unter Berücksichtigung der aktuellen Lage dort nicht zumutbar wäre (vgl. VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188; 2.7.2020, Ra 2020/20/0212; 29.6.2020, Ra 2020/01/0182 sowie 6.7.2020, Ra 2020/01/0176).

14       Wenn sich die Revision gegen die Existenz einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul wendet, ist darauf zu verweisen, dass es sich hierbei lediglich um eine Alternativbegründung handelt. Auf die auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul Bezug nehmenden Ausführungen war daher nicht weiter einzugehen (vgl. zur Unzulässigkeit einer Revision bei einer tragfähigen Alternativbegründung etwa VwGH 27.4.2020, Ra 2019/20/0242, mwN).

15       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 3. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190253.L00

Im RIS seit

10.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten