TE Vwgh Erkenntnis 1997/11/18 97/08/0453

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Veröffentlicht am 18.11.1997
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Index

L92055 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Salzburg;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
18 Kundmachungswesen;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §68 Abs1;
BGBlG 1996 §4;
SHG Slbg 1975 §8 Abs6 idF 1996/049;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der E, vertreten durch die Sachwalterin H in S, diese vertreten durch Dr. Heinrich Schellhorn, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 13. Mai 1997, Zl. 3/01-26.373/3-1997, betreffend rückwirkende Herabsetzung einer Sozialhilfeleistung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Salzburg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den erstinstanzlichen Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Salzburg vom 10. Februar 1997 abgewiesen, wobei sie von folgendem Sachverhalt ausgegangen ist:

Die Beschwerdeführerin wird in der Einrichtung "Aktive Großfamilie Salzburg" unter Kostenbeteiligung des Landes Salzburg als Sozialhilfeträger betreut. Mit Bescheid vom 10. Februar 1997 wurde die mit Bescheid vom 15. Februar 1996 monatlich zuerkannte Sozialhilfeleistung geändert: Die Aufenthaltskosten wurden ab 1. Juli 1996 bis auf weiteres abzüglich eines direkt von der Hilfeempfängerin an das Heim zu entrichtenden Betrages in der Höhe von S 910,80 (80 % von S 1.138,--) monatlich aus Mitteln der Sozialhilfe zugesprochen.

In der Berufung gegen diesen Bescheid sei - so die Begründung des angefochtenen Bescheides - die Verfassungswidrigkeit des § 8 Abs. 6 des Salzburger Sozialhilfegesetzes und die sich daraus ergebende Gesetzwidrigkeit des erstinstanzlichen Bescheides behauptet worden. Nach Zitierung der §§ 6 Abs. 1 sowie 8 Abs. 1, 5 und 6 SSHG (nach der zuletzt genannten Bestimmung in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 49/1996, in Kraft getreten am 1. Juli 1996, gilt als Einkommen im Sinne des Salzburger Sozialhilfegesetzes auch das Taschengeld, das aufgrund eines nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften gewährten Pflegegeldes ausbezahlt wird) vertrat die belangte Behörde die Auffassung, daß seit 1. Juli 1996 bei der Festsetzung des Ausmaßes von Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfes bei Hilfesuchenden, die in einer Anstalt oder in einem Heim untergebracht sind, auch das "Pflegegeldtaschengeld" als Einkommen zur Gänze anzurechnen sei (mit dem Ergebnis, daß die Beschwerdeführerin auch dieses Taschengeld für die Heimunterbringung aufzuwenden habe).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde, in der sich die Beschwerdeführerin lediglich in ihrem Recht verletzt erachtet, daß "mangels der Voraussetzungen der Bestimmungen des § 50 Abs. 2 SSHG keine rückwirkende Änderung der monatlich zuerkannten Sozialhilfeleistung vorgenommen werden" dürfe.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, nicht jedoch die Verwaltungsakten vorgelegt; sie hat dazu mitgeteilt, daß die Verwaltungsakten "aufgrund einer annähernd zeitgleich eingebrachten Verfassungsgerichtshofbeschwerde bereits an diesen vorgelegt" worden seien.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Im Hinblick darauf, daß zwischen den Parteien ausschließlich eine Rechtsfrage (Berechtigung zur rückwirkenden Herabsetzung der Leistung vom 1. Juli 1996 bis Februar 1997) strittig ist, die auch ohne Kenntnis der Verwaltungsakten entschieden werden kann, bedurfte es keines Zuwartens bis zum Einlangen der Verwaltungsakten nach einer allfälligen Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die Parallelbeschwerde.

Die Beschwerde erweist sich nämlich aus folgenden Gründen als berechtigt:

Unbestritten ist, daß gemäß § 8 Abs. 6 SSHG das Taschengeld, das aufgrund eines nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften gewährten Pflegegeldes ausbezahlt wird, im Gegensatz zur früheren Fassung dieser Bestimmung (§ 8 Abs. 6 in der Fassung des Art. I der Novelle LGBl. Nr. 117/1993) seit der Novelle LGBl. Nr. 49/1996 ab 1. Juli 1996 als Einkommen gilt. Strittig ist, ob die belangte Behörde berechtigt war, mit Bescheid vom 10. Februar 1997 rückwirkend ab 1. Juli 1996 die mit rechtskräftigem Bescheid vom 15. Februar 1996 zuerkannte Sozialhilfeleistung zum Nachteil der Beschwerdeführerin zu ändern.

Die belangte Behörde beruft sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides darauf, daß die Kundmachung des § 8 Abs. 6 SSHG in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 49/1996 "ohne begleitende rechtliche Übergangsbestimmung" kundgemacht worden sei. Diese Bestimmung stelle sowohl für die Sozialhilfe gewährenden Behörden der ersten Instanz als auch für die Berufungsbehörde "eine zwingende Vollziehungsvorgabe dar". Ausgehend von dieser "bestehenden Bindung an das Legalitätsprinzip und von der fehlenden Legitimation zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der genannten Rechtsnorm" sei von einer Anrechnung des sogenannten Pflegegeldtaschengeldes als Einkommen auszugehen. Diese Auffassung der belangten Behörde wird in der Gegenschrift durch den Hinweis bekräftigt, die Behörde sei dazu verpflichtet gewesen, "eine Vollzugstätigkeit so rasch als möglich an die neue gesetzliche Bestimmung anzupassen". Dem fügt die belangte Behörde in der Gegenschrift bei, daß der Spruch des Bescheides vom 15. Februar 1996 "bewußt mit einem Widerrufsvorbehalt in der Form versehen" worden sei, daß die Leistung "solange gebührt, als hiefür die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind und nicht allfällige Ausschlußgründe vorliegen". Die "Gültigkeit des Abspruches" sei mangels Festsetzung eines Endzeitpunktes in diesem Bescheid "grundsätzlich nur so lange gegeben, als die (zugrundeliegenden) rechtlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren". Die Beschwerdeführerin habe daher ab 1. Juli 1996 mit einer Einrechnung des sogenannten "Pflegegeld-Taschengeldes" rechnen müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag der belangten Behörde nicht beizupflichten: Es kann auf sich beruhen, ob die in der Gegenschrift aufgestellte Behauptung der belangten Behörde hinsichtlich des oben wiedergegebenen Zusatzes im Spruch des Bescheides vom 15. Februar 1996 zutrifft, da mit einem Hinweis dieser Art keinesfalls in ausreichend deutlicher Weise zum Ausdruck gebracht wurde, daß der Bescheid vom 15. Februar 1996 mit jeglicher Änderung der Rechtslage, die auf die Leistung Auswirkungen hat, seine Wirksamkeit verlieren solle. Abgesehen davon, daß eine gesetzeskonforme Auslegung eines solchen Bescheidspruches (dazu vgl. Walter-Mayer, Grundriß6, Rz 414) zu keinem anderen Ergebnis führen kann, weil die Bestimmungen des Salzburger Sozialhilfegesetzes die Erlassung eines derartigen, gleichsam von selbst außer Kraft tretenden Bescheides nicht vorsehen und auch sonst keine Rechtsgrundlage für eine Bedingung oder Befristung solcher Bescheide ersichtlich ist, gebietet es schon das Erfordernis des Rechtsschutzes, daß ein solcher Zusatz in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise formuliert wird, um die damit verbundene (und nach dem Vorbringen der belangten Behörde angeblich beabsichtigte) Wirkung für die Partei auch entfalten zu können. Nur dann, wenn der Partei vollkommen klar ist, daß damit ein durch das Inkrafttreten einer Gesetzesänderung bedingter und mit dieser Gesetzesänderung seine Wirksamkeit verlierender Bescheid erlassen werden sollte, wird die Partei nämlich in die Lage versetzt, ihre berechtigten Rechtsschutzinteressen durch ein Rechtsmittel gegen den unzulässigen Ausspruch eines solchen Vorbehaltes geltend zu machen.

Damit gebührte aber der Beschwerdeführerin die mit Bescheid vom 15. Februar 1996 zuerkannte Leistung auch über den 1. Juli 1996 hinaus, solange nicht in zulässiger Weise durch Bescheid eine Änderung dieser Leistung festgelegt wird.

Der Hinweis der belangten Behörde auf die Einschränkung der Rechtskraftwirkung zeitraumbezogener, in die Zukunft offener Absprüche für den Fall einer Änderung der Sach- oder Rechtslage verfängt nicht, weil nicht die Zulässigkeit der Anpassung der Leistung an die neue Rechtslage in Zweifel steht, sondern die davon zu unterscheidende Frage, ob eine solche Änderung rückwirkend festgelegt werden kann. Insoweit stellt sie nämlich die Entziehung einer bescheidmäßig zuerkannten Leistung dar und nicht bloß deren Neubemessung wegen geänderter Verhältnisse. Eine solche rückwirkende, auch nur teilweise Entziehung (oder Einstellung) der Leistung kennt das Salzburger SHG nicht; der angefochtene Bescheid erweist sich daher schon deshalb als rechtswidrig (zur Unzulässigkeit rückwirkender Herabsetzung der Sozialhilfe vgl. auch die bei ähnlicher Rechtslage zum Wiener Sozialhilfegesetz ergangenen Erkenntnisse vom 21. Juni 1988, Zl. 87/11/0161, und vom 21. November 1989, Zl. 88/11/0163). Würde man - wie in der Beschwerde - den angefochtenen Bescheid dahin deuten wollen, daß damit nicht nur eine Neubemessung für den in der Vergangenheit liegenden Bescheidzeitraum, sondern auch eine Neuverrechnung der Betreuungskosten (und im Ergebnis eine Nachbelastung der Beschwerdeführerin z.B. durch Nachverrechnung von Betreuungskosten für die Vergangenheit) verbunden wäre (worüber der Bescheid keinen ausdrücklichen Ausspruch enthält), würde dies am Ergebnis nichts ändern: eine solche Vorgangsweise käme nämlich - worauf in der Beschwerde mit Recht verwiesen wird - dem Ersatz (zunächst) bereits erbrachter Sozialhilfeleistungen gleich und unterläge daher deren Voraussetzungen (§ 43 Abs. 1 SHG, § 50 Abs. 1 SHG). Das Fehlen einer entsprechenden Übergangsbestimmung in der Novelle LGBl. Nr. 49/1996, führt daher - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - nicht etwa dazu, daß zu jedwedem Zeitpunkt eine auf das Inkrafttreten der Novelle rückbezogene Änderung von Sozialhilfeleistungen zum Nachteil der Parteien möglich wäre; es bedürfte im Gegenteil einer ausdrücklichen Übergangsbestimmung dahin, daß die geänderte Bestimmung jederzeit auch auf rechtskräftig zuerkannte Leistungen rückwirkend mit 1. Juli 1996 angewendet werden kann.

Daran ändert auch nichts der Umstand, daß ein geltendes Gesetz von der belangten Behörde zu vollziehen ist, weil es für die Frage, ob die Voraussetzung einer rückwirkenden Entziehung von Sozialhilfeleistungen vorliegt, nicht davon abhängt, aus welchen Gründen die Behörde erstmals am 10. Februar 1997 in die Lage versetzt wurde, die der Beschwerdeführerin zustehenden Leistungen an die neue Rechtslage anzupassen.

Da dies die belangte Behörde verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Rechtskraft Besondere Rechtsgebiete Diverses Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997080453.X00

Im RIS seit

13.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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