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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des A Qin W, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. September 2019, W156 2190481-1/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte erstmals am 31. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005, der im Instanzenzug abgewiesen wurde. Unter einem wurde gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung (verbunden mit weiteren vom Gesetz vorgesehenen Aussprüchen) erlassen.
2 Am 28. November 2016 stellte der Revisionswerber neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz.
3 Mit Bescheid vom 23. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Folgeantrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
4 Das Bundesverwaltungsgericht wies die vom Revisionswerber dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 3. September 2019 nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 8. Juni 2020, E 3788/2019-7, ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts und bringt unter Verweis auf die in den Richtlinien des UNHCR zu Afghanistan vom August 2018 enthaltenen Risikoprofile vor, der Revisionswerber sei aufgrund der Verwandtschaft mit einem General der Grenzpolizei der Gefahr ausgesetzt, „durch Anti-Regierungskräfte“, wie die Taliban, verfolgt zu werden. Dabei komme es nicht darauf an, ob auch der Revisionswerber eine exponierte Position innehabe. Das Bundesverwaltungsgericht wäre verpflichtet gewesen, den von ihm herangezogenen Sachverständigen „mit einer umfassenden Gutachtenserstellung zu beauftragen“, indem diesem der Auftrag zu Recherchen im Heimatland hätte erteilt werden müssen. Dann hätte sich ergeben, dass sich der vom Revisionswerber dargestellte Sachverhalt so zugetragen habe, wie er ihn geschildert habe.
10 Dem ist entgegenzuhalten, dass ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens des Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht (vgl. etwa VwGH 15.5.2020, Ra 2020/14/0176, mwN). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass immer dann, wenn Verfahrensmängel - wie hier der behauptete Ermittlungsmangel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt werden, auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel darzutun sind, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen, darzulegen (vgl. VwGH 15.7.2020, Ra 2019/01/0511, mwN). Die Revision, in der keine Ausführungen dazu enthalten sind, welche konkreten Ermittlungen das Bundesverwaltungsgericht hätte vornehmen müssen, zu welchen konkreten Ergebnissen und darauf zu gründenden Feststellungen es infolge der ergänzenden Ermittlungen hätte kommen können und weshalb diese Feststellungen geeignet gewesen wären, zu einem anderen Verfahrensergebnis zu gelangen, wird diesen Anforderungen nicht einmal ansatzweise gerecht.
11 Der Revisionswerber wendet sich weiters in Bezug auf die Versagung von subsidiärem Schutz gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, er könne sich in den Städten Mazar-e Sharif und Herat ansiedeln und infolgedessen bestehe dort für ihn eine innerstaatliche Fluchtalternative, deren Inanspruchnahme ihm auch zumutbar sei.
12 Das auf die in diesen Städten gegebene - letztlich lediglich auf eine im Fall der dortigen Ansiedelung schwierige - Lebenssituation hinweisende Revisionsvorbringen ist nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung aufzuzeigen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird nämlich durch eine schwierige Lebenssituation im Fall einer Rückführung in den Herkunftsstaat in Bezug auf die Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht die reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit eine drohende Verletzung des Art. 3 EMRK nicht dargetan (vgl. dazu sowie zu den Leitlinien der Prüfung, wann eine Verletzung des Art. 3 EMRK mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, VwGH 1.7.2020, Ra 2020/20/0196; 3.7.2020, Ra 2020/14/0255, jeweils mwN). Daran ändert auch der (aber ohnedies nur unsubstantiiert gebliebene) Hinweis des Revisionswerbers auf die „Corona-Pandemie“ nichts. Selbst wenn sich für ihn infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von Erkrankungen an Covid-19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellte, ist damit für den Revisionswerber nichts zu gewinnen, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht (vgl. VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188; 2.7.2020, Ra 2020/20/0212; 3.7.2020, Ra 2020/14/0255). Zwar wird vom Revisionswerber behauptet, er fände deshalb im Heimatland keine Lebensgrundlage mehr vor. Es wird aber - abgesehen von Umständen, die diese Annahme nicht zu tragen vermögen und mit denen lediglich eine schwierige wirtschaftliche Situation dargetan wird - nicht dargestellt, worauf sich diese Annahme gründet und dementsprechend auch nicht durch ein konkretes, auf seine Situation abstellendes Vorbringen untermauert. Im Übrigen ist der Revisionswerber darauf hinzuweisen, dass das angefochtene Erkenntnis seinem Vertreter am 4. September 2019 zugestellt wurde. Somit steht der Beachtlichkeit des (evident) auf Ereignisse des Jahres 2020 Bezug nehmenden Vorbringens auch das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) entgegen.
13 Soweit sich der Revisionswerber gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz vorgenommene Interessenabwägung wendet, ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 3.6.2020, Ra 2020/20/0161, mwN).
14 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Rahmen der Interessenabwägung alle im konkreten Fall entscheidungswesentlichen Umstände berücksichtigt. Dass die anhand dieser Umstände erfolgte Beurteilung des Verwaltungsgerichtes als unvertretbar anzusehen wäre, zeigt die Revision nicht auf.
15 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 7. September 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200297.L00Im RIS seit
02.11.2020Zuletzt aktualisiert am
02.11.2020