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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
BAO §1 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des M H in E, vertreten durch Dr. Klaus Michael Plätzer, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Hellbrunner Straße 5, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 9. September 2019, Zl. RV/3200004/2017, betreffend Haftung gemäß § 11 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird, insoweit es die Haftung des Revisionswerbers für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der E GmbH (Spruchpunkt II des Haftungsbescheides vom 2. Mai 2017) betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im Übrigen wird die Revision als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu setzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber wurde mit Urteil des Landesgerichtes X im April 2016 wegen gewerbsmäßiger Abgabenhinterziehung (Verkürzung von Mineralölsteuer im März 2009 in Höhe von 497.144,81 € und im Juni 2009 in Höhe von 107.677,57 €) als Beteiligter nach §§ 11 3. Alternative, 33 Abs. 1 (38 Abs. 1 Mineralölsteuergesetz) und 38 Abs. 1 FinStrG rechtskräftig für schuldig erkannt. Über den Revisionswerber wurde (in der Fassung des Urteils des Oberlandesgerichtes vom Jänner 2017) eine Geldstrafe von 450.000 € (Ersatzfreiheitsstrafe 6 Monate) sowie gemäß § 19 Abs. 1 FinStrG ein Wertersatz von 75.000 € (Ersatzfreiheitsstrafe 7 Monate) - ausgehend vom gemeinen Wert der dem Verfall unterliegenden Kraftstoffe (ca. 1,7 Mio. Liter Dieselkraftstoff) von ca. 1,7 Mio. € - verhängt.
2 Mit Haftungsbescheid vom 2. Mai 2017 nahm das Zollamt den Revisionswerber gemäß § 11 BAO - in zwei getrennten Spruchpunkten - für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der M s.r.o. (Mineralölsteuer März 2009) in Höhe von 497.144,81 € und der E GmbH (Mineralölsteuer Juni 2009) in Höhe von 107.677,57 € in Anspruch.
3 In der Begründung führte das Zollamt im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe im Zeitraum März 2009 durch seine Vorgehensweise und die von ihm organisierte Abwicklung administrativer Dienste (Schaffung der Rahmenbedingungen wie Verkaufsverhandlungen, Organisation der Abnehmer, Zahlungsmodalitäten usw.) zwischen näher genannten Gesellschaften unter Verletzung der abgabenrechtlichen Anzeigepflicht insgesamt ca. 1,4 Mio. Liter Gasöl aus dem Steuerlager entnommen bzw. die Entnahme veranlasst und an verschiedene Abnehmer in Österreich verkauft und dadurch Mineralöl während der Beförderung nach § 31 Abs. 1 Z 3 Mineralölsteuergesetz im Steuergebiet dem Steueraussetzungsverfahren entzogen. Weiters habe er im Zeitraum Juni 2009 als Mittäter ca. 300.000 Liter Gasöl dem Steueraussetzungsverfahren entzogen. Aus diesem Grund sei er mit Urteil des Landesgerichtes X im April 2016 rechtskräftig verurteilt worden.
4 Die Inanspruchnahme als Haftender liege im Ermessen der Abgabenbehörde. Nach Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände, insbesondere im Hinblick auf das Gebot der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Vollziehung, erscheine es dem Zollamt zweckmäßig, den Revisionswerber als Gesamtschuldner in Anspruch zu nehmen, weil ein öffentliches Interesse an der Einbringung der Abgaben bestehe.
5 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Darin wurde zusammengefasst geltend gemacht, die Umstände der Ermessensübung seien im Haftungsbescheid in keiner Weise näher ausgeführt. Die Erlassung eines Haftungsbescheides sei wegen Verjährung unzulässig. Über den Revisionswerber sei mit Urteil des Strafgerichtes u.a. eine Wertersatzstrafe verhängt worden. Im Hinblick auf diese Wertersatzstrafe sei ein Haftungsbescheid von vornherein ausgeschlossen, würde doch sonst eine vollkommen ungerechtfertigte Bereicherung der Republik Österreich eintreten.
6 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 10. Juli 2017 wies das Zollamt die Beschwerde als unbegründet ab. Zur Verjährung führte das Zollamt insbesondere aus, die Einhebungsverjährungsfrist ende nicht früher als die Bemessungsverjährungsfrist; dies sei insbesondere für die zehnjährige Verjährungsfrist für hinterzogene Selbstbemessungsabgaben von Bedeutung. Eine Verjährung sei deswegen im vorliegenden Fall jedenfalls ausgeschlossen. Weiters lägen näher genannte Unterbrechungshandlungen (§ 238 Abs. 2 BAO) vor.
7 Der Revisionswerber beantragte die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht.
8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
9 Außer Streit stehe, dass der Revisionswerber in einem gerichtlichen Strafverfahren wegen gewerbsmäßiger Hinterziehung von Mineralölsteuer rechtskräftig verurteilt worden sei. In der Begründung des Urteils werde u.a. ausgeführt, der Revisionswerber sei „als ein voll eingeweihter Beitragstäter mit Kernkompetenz nicht nur in der führungsorientierten Planung und Strategie, sondern auch im Finanzcontrolling“ anzusehen. Der Revisionswerber habe die Finanzvergehen in der Absicht begangen, „sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Nebeneinnahmequelle zu verschaffen, hohe Entnahmen, Regelmäßigkeit und hohe kriminelle Energie der Begehungsweise.“
10 Die Inanspruchnahme als Haftender nach § 11 BAO liege im Ermessen der Abgabenbehörde. Zweck des Haftungsausspruches sei die Einhebung von Abgaben. Der Haftungsausspruch sei insbesondere dann zweckmäßig, wenn eine (gänzliche oder teilweise) Abgabeneinhebung beim Haftungspflichtigen entweder sofort möglich oder zu einem späteren Zeitpunkt nicht völlig ausgeschlossen sei. Vermögenslosigkeit bzw. Arbeitslosigkeit des Haftenden stehe damit an sich in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung, zumal es eine allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit auch nicht ausschließe, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen könnten. Im Hinblick auf das Lebensalter des (im Jahr 1981 geborenen) Revisionswerbers sei es jedenfalls zweckmäßig, ihn zur Haftung für die hinterzogenen Abgaben heranzuziehen. Bei der Haftung nach § 11 BAO handle es sich um eine unbeschränkte Primärhaftung und keine Ausfallshaftung. Sie knüpfe an die urteilsmäßige Bestrafung an. Deren Inanspruchnahme setze nicht voraus, dass die Abgabenschuld bereits gegenüber dem Primärschuldner geltend gemacht worden sei.
11 Die Einbringung der Haftungsschuld bei der E GmbH sei auf Grund der mit Beschluss des Landesgerichtes X erfolgten Insolvenzabweisung mangels kostendeckenden Vermögens und der erfolgten amtswegigen Löschung im Firmenbuch nicht möglich. Betreibungsversuche gegenüber der M s.r.o. seien ebenfalls gescheitert. Auch andere Verurteilte seien für Teile der Abgabenschuld im Hinblick auf ihre Tatbeiträge als Haftungspflichtige in Anspruch genommen worden. Aus der Aktenlage sei ableitbar, dass die Mineralölsteuer bei diesen voraussichtlich nicht einbringlich sein werde.
12 Das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben, verjähre keinesfalls früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe. Die Frist sowohl für die Festsetzungsverjährung als auch für die Einhebungsverjährung habe „mit Ablauf des Jahres 2010“ zu laufen begonnen. Durch nach außen erkennbare Amtshandlungen (Abgabenvorschreibung an die E GmbH und M s.r.o.) sei der Lauf der Frist unterbrochen worden. Der Einwand, die Einhebungsverjährung sei bei Erlassung des Haftungsbescheides im Jahr 2017 bereits eingetreten gewesen, sei unberechtigt.
13 Die Haftung der Täter und Beteiligten für den Betrag, um den die Abgaben verkürzt worden seien, bestehe neben der im Finanzstrafverfahren geltend zu machenden Verpflichtung zur Leistung der Geldstrafe bzw. neben der Verpflichtung zur Leistung des Wertersatzes, der unter den Voraussetzungen des § 19 FinStrG auferlegt werde. Hinsichtlich der über die Täter verhängten Geldstrafen und auferlegten Wertersätze seien die Täter Eigenschuldner, hinsichtlich der von ihnen verkürzten Abgaben seien sie neben den Abgabepflichtigen gemäß § 11 BAO Haftende.
14 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss vom 27. November 2019, E 3910/2019-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
15 In der nunmehrigen Revision wird zur Zulässigkeit geltend gemacht, eine Ermessensübung der „belangten Behörde“ (damit ist - wie aus dem Rubrum der Revision hervorgeht - das Bundesfinanzgericht gemeint) sei nicht ersichtlich; die Ermessensübung sei vollkommen unzureichend begründet. Die Haftung betreffe Abgaben aus März und Juni 2009; es sei daher längst Verjährung eingetreten. Über den Revisionswerber sei eine Wertersatzstrafe verhängt worden. Damit sei ein Haftungsbescheid von vorneherein ausgeschlossen. Ein Haftungsbescheid würde zu einer vollkommen ungerechtfertigten Bereicherung der Republik führen und würde allen rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechen. Der Revisionswerber sei für den vollen Betrag der Abgabenverbindlichkeit als Haftender herangezogen worden, was rechtswidrig sei.
16 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das Finanzamt eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
18 Die Revision ist zulässig und zum Teil begründet.
19 Gemäß § 11 BAO haften bei vorsätzlichen Finanzvergehen und bei vorsätzlicher Verletzung von Abgabenvorschriften der Länder und Gemeinden rechtskräftig verurteilte Täter und andere an der Tat Beteiligte für den Betrag, um den die Abgaben verkürzt wurden.
20 Die Geltendmachung abgabenrechtlicher Haftungen setzt voraus, dass eine Abgabenschuld entstanden und noch nicht durch Entrichtung erloschen ist (vgl. VwGH 30.3.2000, 99/16/0141). Auch im Rechtsmittelverfahren ist zu berücksichtigen, ob die haftungsgegenständliche Abgabenschuld zwischenzeitig - allenfalls teilweise - durch andere Personen als den Haftungspflichtigen entrichtet wurde (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/13/0181, mwN).
21 Wie aus dem Akteninhalt hervorgeht und auch vom Finanzamt in der Revisionsbeantwortung dargelegt wird, erfolgten im vorliegenden Fall (wenn auch nur in geringem Umfang: 393,22 € sowie 22,79 €) betreffend die aushaftende Abgabenschuldigkeit der E GmbH Zahlungen durch Dritte (durch weitere Haftungspflichtige). Die Nichtberücksichtigung dieser Zahlungen durch das Bundesfinanzgericht bewirkt die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses, soweit mit diesem die Haftung des Revisionswerbers für die Abgabenschuldigkeiten der E GmbH in voller Höhe bestätigt wurde.
22 Im Übrigen ist die Revision aber nicht begründet.
23 Die Geltendmachung einer Haftung ist in das Ermessen der Abgabenbehörden gestellt (vgl. VwGH 13.11.1992, 91/17/0047). Dem Bundesfinanzgericht ist auch in Ermessensfragen volle Kognition eingeräumt (vgl. VwGH 22.3.2018, Ra 2017/15/0044, mwN).
24 Das Bundesfinanzgericht hat zum Ermessen insbesondere ausgeführt, Zweck des Haftungsausspruches sei die Einhebung von Abgaben. Im Hinblick auf das Lebensalter des Revisionswerbers sei es jedenfalls zweckmäßig, ihn zur Haftung für die hinterzogenen Abgaben heranzuziehen. Bei den Primärschuldnern sei eine Einbringung nicht möglich. Auch bei den weiteren Verurteilten, die für Teile der Abgabenschuld in Anspruch genommen worden seien, sei eine Einbringung voraussichtlich nicht möglich. Damit hat das Bundesfinanzgericht gegenüber dem Revisionswerber als - wie das Bundesfinanzgericht näher dargelegt hat - einem „voll eingeweihten Beitragstäter mit Kernkompetenzen nicht nur in der führungsorientierten Planung und Strategie, sondern auch im Finanzcontrolling“ die Ermessensübung ausreichend begründet (vgl. VwGH 16.12.1999, 97/16/0006, mwN). Dass ihm etwa der Verkürzungserfolg nicht zugekommen sei (vgl. Ritz, BAO6, § 11 Tz 5), wird vom Revisionswerber nicht behauptet.
25 Die Erlassung von Haftungsbescheiden ist eine Einhebungsmaßnahme, sie ist daher nur innerhalb der Einhebungsverjährungsfrist zulässig (vgl. z.B. Ritz, BAO6, § 224 Tz 4, mit Hinweisen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Die Einhebungsverjährungsfrist endet nach § 238 Abs. 1 BAO keinesfalls früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe (vgl. hiezu etwa VwGH 20.8.1998, 97/16/0512). Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist nach § 207 Abs. 2 zweiter Satz BAO - insoweit in der Fassung BGBl. I Nr. 105/2010, § 323 Abs. 27 BAO - zehn Jahre. Da die hier geltend gemachte Abgabe in voller Höhe hinterzogen wurde, wofür u.a. auch der Revisionswerber strafgerichtlich verurteilt wurde, ist diese Verjährungsfrist hinsichtlich der gesamten Abgabe anzuwenden. Zum Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides (2. Mai 2017) war sohin keinesfalls Verjährung eingetreten.
26 Bei der Wertersatzstrafe (§ 19 FinStrG) handelt es sich um eine Strafe (vgl. VfGH 14.12.1987, G 114/87 u.a., VfSlg. 11.587; zu den Unterschieden gegenüber dem Verfall nach dem StGB VfGH 8.10.2015, G 154/2015 u.a., VfSlg. 20.013; vgl. auch die Betonung des Charakters einer Strafe in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Finanzstrafgesetznovelle 1975, BGBl. Nr. 335, 1130 BlgNR 13. GP 52 und 54). Diese kann - wenn auch beschränkt durch die Verhältnismäßigkeitsprüfung des § 19 Abs. 5 FinStrG - ein Mehrfaches der verkürzten Abgabe betragen, da sie am gemeinen Wert der ansonsten dem Verfall (§ 17 FinStrG; vgl. hiezu VfGH 14.12.1987, G 114/1987 u.a., VfSlg. 11.587) unterliegenden Sachen, hinsichtlich derer das Finanzvergehen begangen wurde, zu bemessen ist (vgl. etwa VwGH 12.11.2019, Ra 2019/16/0160).
27 Ebenso wie Geldstrafen sind auch die in einem Finanzstrafverfahren verhängten Wertersatzstrafen nicht auf die Abgabenschuldigkeit anzurechnen (vgl. VwGH 16.10.1986, 86/16/0155, VwSlg. 6157/F; vgl. bereits - zu § 112 RAO - VwGH 25.3.1963, 2276/61); bei Strafen nach §§ 15 ff FinStrG handelt es sich auch nicht um Abgaben i.S. der BAO (vgl. VwGH 7.10.1993, 92/16/0106 bis 0108, mwN).
28 Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit damit die Haftung für Abgabenschuldigkeiten der E GmbH bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, im Übrigen war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
29 Von der vom Revisionswerber beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
30 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 8. September 2020
Schlagworte
Ermessen VwRallg8European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020130029.L01Im RIS seit
12.01.2021Zuletzt aktualisiert am
12.01.2021